Sonntag, 27. Juli 2025

A g'schissene Sauerei


''Bald wird es wieder soweit sein,'' seufzte Gwerzoff leise. ''Sie werden überall riesige Kästen aufbauen aus denen laute Mißtöne erklingen und zu denen sie den schönen Waldboden zertrampeln und es 'tanzen' nennen. Gröhlen werden sie und ihr stinkendes Gebräu überall verschütten. Die armen Tiere werden mit zugehaltenen Ohren flüchten müssen und ihre Heimat wird danach noch wochenlang unbewohnbar sein weil alles voller Dreck und Scherben ist, die wir Zwerge mühsam nach und nach aufklauben müssen. Warum können diese Leute sich nicht auf ihre Lärmtempel in der Stadt beschränken? Wieso müssen sie ihr 'Festival' jeden Sommer bei uns im Wald abhalten? Ich begreife es nicht.''

''Wenn sie wenigstens Freude daran hätten,'' warf Sensidor ein. Aber sie müssen sich ja betrinken dabei bis sie blau sind wie ein Veilchen. Wieso sagt man eigentlich blau wie ein Veilchen? Veilchen sind violett. Warum sagt man nicht kornblumenblau? Das gefiele mir viel besser. Die Menschen sind dumm und abends sind sie alle kornblumenblau. Genau.''

Das Geräusch von Vogelflügeln im Wind unterbrach die düstere Unterhaltung und im nächsten Moment ließ sich Ethel die Eule zwischen den beiden auf dem Boden nieder.
''No Burschen, ned gut drauf? Hobt's kaan Kaffee kriagt oder was is los?''

Traurig berichteten Gwerzoff und Sensidor von ihren Gefühlen bezüglich des bevorstehenden Festivals. Gefühle, denen sich Ethel vorbehaltslos anschließen konnte. ''A g'schissene Sauerei is des!'', war ihr Kommentar dazu.

''Die Freiheit des einen endet dort, wo die des anderen beginnt.'', dozierte sie. ''Soviel sollte eigentlich klar sein. Das Problem ist nur, daß die Menschen von den meisten Waldbewohnern nichts wissen und daß sie die Tiere, von denen sie durchaus wissen, als absolut minderwertige Kreaturen ansehen. Die gerade noch als Fotomotiv geduldet werden oder wenn sie ihnen Nahrung besorgen oder gar selbst als solche herhalten sollen. Unter welchen Umständen diese armen Nahrungsmittel ihr mühevolles Leben fristen müssen, ist ihnen auch wurscht. Hauptsache billig, gell. Ab und an geht einmal einer von denen hohen Herren her, quatscht medienwirksam daher aber ändern tun die neuen Gesetze auch nix, es wird alles nur halbherzig verschlimmbessert!''

''Wow Ethel, du kannst ja richtige Reden halten!'' Sensidor sah bewundernd zu der Eule hinüber. Diese schüttelte bescheiden ihr Gefieder. ''Wer kann der kann. Aber g'scheit daherlabern hilft halt auch nix. Tun müß mer was. Aber was? Burschen, wir machen ein brainstorming! Frogts ned, duats einfach die Unterbergener Botenzwerge losschicken, mir treffen uns heute Abend hier. Unter der Linde. Und dann schaug mer amal.''

Gesagt getan. Pünktlich zum Einbruch der Dämmerung kamen immer mehr Waldbewohner zur alten Linde gekrochen, geflogen, gewandert oder gehumpelt. Gehumpelt? Besorgt blickte man Ethel entgegen, die sich in ihrer ursprünglichen Gestalt als alte faltige Zauberin nur mühsam fortbewegen konnte.

''Ja was ist denn mit dir passiert Ethel?'', rief ihr Sensidor erschrocken zu. ''Bist unter die Räuber gefallen?''

''Ah geh,'' winkte Ethel ab. ''Mein Teppich daheim hat so traurig ausgesehen, da hab ich ihn ein bissl umarmt. Muhahaa. Des werd scho wieder. Wichtig ist jetzt, daß wir uns zammsetzen und uns was überlegen. Wie wollen wir vorgehen. Wollen wir bereits den Aufbau verhindern, was mit vereinten Kräften gelingen könnte, aber die Leute nicht daran hindern wird, es wieder und wieder zu versuchen. Oder wollen wir das Fest selber ein bissl umgestalten, dahingehend, daß es den Leuten für immer vergehen wird, hier in unserem Wald so laut feiern zu wollen? Wär meiner Ansicht nach zielführender.''

''Fest umgestalten, jaaaa, wir zeigen es ihnen, wir mixen ihnen was in ihr Gebräu, wir machen die Musik schrill und quietschig, wir hauen sie, wir prügeln die Band vom Podest, wir ...''
''HALT Kinder, so geht es nicht. Keine Gewalt und keine bleibenden Schäden. Wir möchten die Leute doch zum Umdenken bewegen und keine Gewalt anwenden, denn diese wird erfahrungsgemäß mit Gegengewalt beantwortet und das wollen wir nicht.''

Als sie dasaßen, brüteten und überlegten, bis ihnen die Schweißperlen auf die Stirn traten, drang aus der Ferne immer lauter werdendes Gelächter in ihr Bewußtsein.
Wer vergnügte sich denn da so ungeniert, während sie sich Gedanken um den Frieden im Walde machten?
Flirrende Luft kündigte eine Elfengestalt an die, von einem älteren Herrn gefolgt, ungeniert auf die Lichtung getänzelt kam. Strenge Blicke aus dem Kreis der Aktivisten ließen sie innehalten.
''Was schaugts denn so? Hab ich euch was getan?''
''Hast du nix mitkriegt? Heute, hier, Treffen und so? Wir überlegen uns hier das Hirn zu Matsch und Madame tänzelt saumselig durch den Wald und tut mit dem alten Peter umeinanderflirten.''

''Heeeeeey, wer ist hier alt!'' Gekränkt trat Peter, ehemals Darfnix genannt (bis er sich eines Tages endlich gegen seine Frau zur Wehr setzte), in den Kreis der Selbstgerechten. Und ja, wir haben eine Nachricht bekommen, und deswegen sind wir hier. Ethel kann fraglos prima zaubern, aber wenn ich meine Zauberkräfte auch noch in die Waagschale werfe, dann kann nicht mehr viel schiefgehen. Schließlich war ich mal Ingenieur, da lernt man, planvoll und effektiv vorzugehen.''

''Was schlägst du also vor, ehrwürdiger Greis,'' spottete Gwerzoff, der für seine frechen Sprüche waldweit bekannt war.
''Ich schlage vor, daß wir die Leute ihre Boxen, ihre Bühne, ihre Getränkestände und was noch alles in Ruhe aufbauen lassen, und dann, wenn sie loslegen wollen, dann treten wir in Aktion. Ich hab mit Dana hier schon einen prima Plan ausgearbeitet.'' Dana lief rot an und kicherte verschämt. Die Zwerge grinsten sich eins und der Rest der Gemeinschaft enthielt sich würdevoll eines Kommentars.

Bald darauf war der große Tag gekommen. Die riesigen Lautsprecher waren aufgebaut und auch sonst same procedure as every year. Doch dieses Mal wartete auf die feierwütige Menge eine Überraschung, mit der sie sicherlich nicht gerechnet hatten.
Dümmlich grinsend und sich gegenseitig schubsend, blöde kichernd und fast alle mit mindestens einem Auge am Handy klebend, eierten die offenbar bereits nicht mehr ganz nüchternen Gäste nach und nach aufs Gelände.

''Was für eine saublöde Meute,'' schimpfte Gwerzoff. ''Die werden sich bald umschauen, hehe. Meine Psychologin meinte neulich, ich sei den Menschen nur neidig weil die sich zusammen amüsieren und ich immer alleine sei. So ein Humbug. Hier im Wald ist niemand alleine, wir sind alle untereinander verbunden.''

''Quod erat demonstrandum Burschen! Geh ma's an!'', gab Ethel das Kommando und schon rauschten gefühlt Tausende von Krähen dicht über den Köpfen der meist jungen Leute hinweg. Diese hielten den Vogelschwarm für eine Showeinlage und kreischten begeistert. Was sich jedoch schlagartig änderte, als die Tauben ihrerseits eine Runde drehten und zielgenau in die 'Jubeldrinks' (so stand es am Kiosk geschrieben) der Störenfriede ihren Darm entleerten. Hei war das ein Spaß! Fanden die Feiernden jetzt so garnicht und schütteten angeekelt ihre Getränke in hohem Bogen auf den Boden.

''Dreckssauerei!'', schimpfte Ethel, ''Zeit für die nächste Stufe!''
Schon knackste es in den Boxen und eine schauerliche Stimme ertönte, untermalt von Geräuschen die an das Knarren eines sich langsam schließenden Sargdeckels gemahnten:  ''Hört gut zu, ihr saudummes Pack. Wie würde es euch gefallen, wenn wir euch jetzt einsperren würden, mästen und dann schlachten? Weil wir Bock auf den ultimativen Snack haben? Homo toastiensis? Oder Steckerldepp? Während eures nur noch kurzen Lebens müßtet ihr die ganze Zeit in eurer eigenen Scheiße stehen und dürftet euch niemals hinlegen, geschweige denn richtig ausstrecken. Tolle Aussichten, oder? Und wer jetzt denkt, wir seien aber außerordentliche Sadisten und wer macht denn sowas ... dann schauts euch mal in den Spiegel ihr Penner.
IHR macht das. Ständig. Jeder von euch der im Disconter Fleisch oder Milchprodukte einkauft macht das. Ohne darüber nachzudenken macht ihr das. Schämt euch!!!''

Mittlerweile wimmelte das Gelände von ziellos herumirrenden Security-Mitarbeitern, die verzweifelt nach den Übeltätern fahndeten, die die Anlage in ihre Gewalt gebracht hatten. Doch an den Kabeln und Anschlüssen war alles in Ordnung, die Techniker waren ratlos und die Menge starr vor Entsetzen. Den meisten war die Lust auf Tanzen vergangen, das sah man ihnen sogar aus der Weite an. Doch Peter und Ethel hatten noch einen draufzusetzen.

Der Zaun, der das Gelände vom Wald abgrenzte, begann auf einmal bunt zu flimmern. Was zunächst cool aussah in der einsetzenden Dämmerung, versetzte die Meute in pure Panik als sie bemerkten, daß sich der Flimmerzaun immer mehr und mehr zusammenzog, immer näher rückte, und eine verdammte Hitze ausstrahlte.
Kopflos stürmten die Leute Richtung Ausgang. Drängten sich, schubsten sich, rücksichtslos und um ihre Leben fürchtend. 

''Scheiße,'' fluchte Ethel. ''Wir wollten keine Massenpanik. Nicht daß diese Hohlbirnen sich noch gegenseitig tottrampeln.''
Der Zaun stoppte seine Bewegung, hörte auf zu flimmern und aus dem Lautsprecher erklang beruhigende Musik. Darüber eine sanfte Stimme: ''Nicht drängeln, es wird euch nichts passieren, dies war nur ein kleiner Denkanstoß. So fühlen sich die armen Tiere, wenn sie eingesperrt und mißhandelt werden. Bevor sie zum Schlachter geführt werden. Glaubt ihr, die merken das nicht? Wir sind doch nicht bescheuert! Grüße aus dem Wald ihr kopflosen Kreaturen. Und vielen Dank, daß ihr euren Dreck und euren ganzen Kram wieder mitnehmt! Dieses Mal bitte für immer!!! Bussi baba!''

In der Zeitung stand kein Wort darüber. Lediglich eine kleine Notiz, daß das Ultimative Super-Sommer-Waldfestival dieses Jahr aufgrund technischer Mängel leider abgesagt werden mußte.
''Immerhin!'', stellte Peter zufrieden fest. ''Immerhin sind sie kommentarlos wieder abgezogen und haben ihren Krempel am nächsten Tag wieder abgebaut. Nun bleibt zu hoffen, daß unsere Worte auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Darauf wetten würde ich nicht, aber wer nicht kämpft hat schon verloren. So, und wo ist jetzt meine kleine Elfe, ja wo ist sie denn??'' Kreischend vor Vergnügen rannte Dana direkt hinein in den dunklen Wald, Peter mit wehendem Mantel dicht hinter ihr her.

''Manche Dinge ändern sich nie ...'', murmelte Ethel vor sich hin, verwandelte sich wieder in eine Eule und flog schnurstracks zum Häuschen von Skodefix. Ihn einmal wieder an das Bücherregal zu erinnern, das er ihr vor 123 Jahren versprochen aber noch immer nicht zusammengenagelt hatte. Wie gesagt, manche Dinge ändern sich einfach nie.













 

Freitag, 11. Juli 2025

Die eiskalte Dusche


Nie mehr werde ich ins Nordbad gehen. Dort kann und möchte ich mich nun nicht mehr blicken lassen nach dem was heute passiert ist. Mein Herz ist gebrochen und blamiert hab ich mich obendrein bis auf die Knochen. Wie peinlich kann man denn sein, in meinem Alter noch auf einen Flirt zu hoffen oder gar auf mehr? 

Eigentlich mag ich öffentliche Schwimmbäder nicht, weil es mir dort zu laut ist. Bekannte raten mir immer wieder, doch stattdessen im See zu schwimmen, doch erstens sind die Münchner Seen nicht weniger überlaufen und zweitens fühle ich mich im Schwimmbad einfach sicherer. Vor Dieben und auch eventuellen Unfällen. In einem ordentlichen Bad hat es einen vernünftigen Boden, keinen pieksigen Kies oder gar Scherben. Man kann seine Sachen wegsperren und im Fall eines Sommergewitters wird man, so hoffe ich jedenfalls, rechtzeitig gewarnt. Natürlich muß man aufpassen, daß einen die ubiquitären Wepsen nicht stechen, aber bisher hab ich es noch immer geschafft, den Feind rechtzeitig zu erspähen.

Etwa dreimal die Woche ging ich daher gleich in der Früh ins Nordbad zum Schwimmen. Im Außenbecken, weil da das Wasser angenehm temperiert ist. Drinnen im großen Becken ist es richtig kalt, das macht keinen Spaß.

In den Morgenstunden sind noch keine schreienden Kinder und Jugendlichen im Bad, dann ist es dort meist richtig angenehm. Spät am Abend wäre es vielleicht auch nicht schlecht, in der Dämmerung, wenn die Scheinwerfer leuchten und das warme Wasser hübsch dampft. Aber am Abend bin ich müde, da gehe ich nirgendwohin.

Also schob ich mich frühmorgens, gleich nach dem Öffnen, zusammen mit den anderen Wartenden durch die enge Eingangstüre und machte mich auf die Suche nach einem Kleiderbügel. Aus irgendwelchen mir unverständlichen Gründen waren diese stets Mangelware.

Die meisten Besucher verschwanden glücklicherweise sofort in der Sauna oder im Fitneßkeller, doch einige wenige präferierten wie ich das Außenbecken und die eine oder andere besonders skurrile Gestalt erregte immer wieder aufs Neue meine Aufmerksamkeit.

Da hätten wir beispielsweise 'The German'. Den nannte ich so weil er erstens diesen Adler auf der rechten Schulter tätowiert hatte (sah man immer wenn er einen überholte) und zweitens weil er während meiner gesamten Schwimmzeit wie aufgezogen im äußeren Ring des Beckens immer rundherum marschierte und sich von nichts und niemandem aufhalten ließ.
Er trug eine blaue Badekappe so daß man ihn bereits von Weitem erkannte, und sogar die ewig nervende Partie Damen, die gerne mal die äußere Bahn verstopften weil sie sich vor lauter Gackern und Wiehern nur langsam vorwärtsbewegten, konnten ihm nicht standhalten. Die weichen ja grundsätzlich niemandem aus, aber wenn The German kam, dann traten selbst sie zur Seite und ich nutzte gerne die Lücke, um mich hinter ihm ebenfalls rasch durchzuquetschen.

Dann war da der 'Knoblauchmeister'. Ein kleines dürres Männchen mit einem wie ins Gesicht geschnitzten manischen Grinsen, der stets infernalisch nach Knoblauch stank. Auch er marschierte gerne den äußeren Ring ab, aber sobald die Schwallduschen am Beckenrand angingen, stellte er sich drunter und tanzte wie der Bi-Ba-Butzemann immer im Kreis herum und klatschte dazu in die Hände.

Gerne sah ich auch der 'Tänzerin' zu wie sie, trotz ihres weit fortgeschrittenen Alters, noch immer einen Fuß in die Hand nehmen und schräg nach oben ganz ausstrecken konnte. Früher hatte sie tatsächlich professionell Ballett getanzt und suchte stets jemanden, der sie noch nicht kannte, und dem sie von früher erzählen konnte. Als sie noch jemand war. Jemand, der von anderen berühmten Menschen umschwärmt, hofiert und bewundert wurde.

Besonders albern fand ich die 'Millionärin', die zwanghaft jedem um sich herum von ihren tollen Urlaubsreisen in die ganze Welt erzählen mußte, wobei sie die Hotelzimmer genau beschrieb und an allem etwas auszusetzen hatte.

Einer der Stammgäste sah aus wie Paul Eschbach, ein anderer wie Bruce Willis. Den mochte ich am liebsten. Richtig fesch war der, und diese tollen Muskeln! Ein wirklich ästhetisch gebauter Mann. Der einzige weit und breit. Eine Augenweide. Ein Mann zum Verlieben.

So schwamm ich Runde um Runde im angenehm warmen Wasser, sah mir die Leute an und genoß den periodisch wiederkehrenden 'Strudel' der alle 20 Minuten im äußeren Ring kursierte, wenn Düsen das Wasser dort kräftig in Bewegung versetzten. Innerlich jubelnd ließ ich mich von der Strömung mitreißen und juhuuuuuuuuuuu am Ende von der Welle hinaustragen und dann dasselbe gleich wieder von vorne. Das funktionierte natürlich nur, wenn einem niemand vor der Nase herumtrödelte. Die Strömung im 'Strudel' war schon ziemlich heftig und es war nicht einfach, sich dann einzubremsen um eine Kollision zu verhindern. 

Als heute morgen gegen halb neun auf einmal eine schwarz behoste Gestalt direkt vor mir auftauchte, geriet ich heftig ins Rudern und wäre fast mit dem Kopf gegen die Einfriedung geknallt, hätte mich nicht im letzten Moment jemand am Arm gepackt und aus der Gefahrenzone in Richtung Sprudelliegen gezogen. Heftig schnaufend sah ich zu meinem Retter auf um ihm zu danken. Oh nein, es war 'Bruce Willis', mein heimlicher Schwarm! Mit einem sexy Grinsen beugte er sich zu mir herüber, mir wurde schwindelig vor Glück. Hatte ich es doch endlich geschafft, seine Aufmerksamkeit zu erregen? Voller Vorfreude fuhr ich mir mit der Zunge über die Lippen, doch was er dann von sich gab war die brutalste kalte Dusche die ich je erfahren hatte:

''Hören Sie gute Frau, meinen Sie nicht, Sie wären im Nichtschwimmerbereich bei den anderen älteren Herrschaften besser aufgehoben? In den Strudel sollten sich nur wirklich gute Schwimmer begeben. Sie dagegen scheinen mir nicht mehr besonders sicher auf den Beinen zu sein.''






Sonntag, 6. Juli 2025

Der Deichgraf schmunzelt


Allzuviele Leute waren nicht gekommen zur Beisetzung. Tom hatte am Ende seines Lebens fast keine Freunde mehr gehabt, die meisten waren schwere Alkoholiker wie er selbst. Die waren so früh am Morgen noch nicht fit genug für längeres Stehen. Etwas abseits standen zwei Herren im Anzug, die seltsam deplaziert wirkten.

''Sagen Sie, Sie waren doch der behandelnde Arzt, oder?''
''Ja, tatsächlich. Glauben Sie mir, diesen Fall werde ich niemals vergessen. Ich habe den Herzinfarkt nicht erkannt obwohl ich eigentlich, ohne mich selbst loben zu wollen, doch eine Koryphäe auf meinem Gebiet bin. Doch der Patient hat sich immer auf die rechte Brustseite gegriffen und das Herz ist nun einmal links. Normalerweise. Wie wir ihn dann aufgeschnitten haben auf der Prosektur haben wir blöd geschaut. Bei dem Mann war alles falsch herum. Sozusagen spiegelverkehrt. Hab ich noch nie gesehen sowas. Und wer sind Sie?''
Die Antwort bestand aus einem verschmitzten Lächeln, das die verhangenen Augen hinter der getönten Sonnenbrille nicht mit einzubeziehen schien.
''Sagen wir einmal so: Ich bin ein Mann für besondere Fälle. Und wenn ich mich nicht irre, so ist dies ein ganz besonderer Fall ...''

Sieben Monate zuvor:

Tom war müde. Sehr müde. Das letzte Projekt war anstrengend gewesen, einer dieser Kunden die mit nichts zufrieden waren, und er hatte jeden Abend bis spät in die Nacht hinein gearbeitet. Ohne daß es ihm Freude gemacht hätte wie früher. Er fühlte sich ausgebrannt und leer. Langsam trottete er durch den Park in Richtung Zuhause. Wo ihn sowieso niemand erwartete. Seine Frau war bereits vor zwei Jahren abgehauen. Auf einen Mann, so hatte sie voller Trotz verkündet, der nie zuhause war, könne sie gut verzichten.

Es war zugegebenermaßen eine Erleichterung, ohne das ständige Babygeschrei schlafen zu können und nicht auch noch nachts aufstehen zu müssen um eine vollgeschissene Windel zu wechseln. Wie es heute von einem modernen Mann verlangt wurde, auch wenn der einen 16-Stunden-Tag hinter sich hatte. Andererseits vermißte er ihre Anwesenheit. Niemand hatte gekocht, niemand hatte saubergemacht und niemand keppelte ihn an wenn er spät nach Hause kam. Eigentlich könnte er genauso gut in der Firma schlafen. Er würde sich eine Menge Miete sparen.

Die Wege im Park waren schlecht beleuchtet. Für Frauen eher nicht zu empfehlen, aber er war ja keine Frau. Was sollte ihm also schon passieren? Die seltsamen Figuren, die in den Kies auf dem Boden geritzt waren, nahm er nicht wahr. Als ihm schwindelig wurde dachte er zuerst, es sei die Übermüdung und er müsse sich eine Bank suchen um sich kurz zu setzen, doch im nächsten Augenblick war er bereits ohnmächtig geworden und bekam nichts mehr mit von dem, was als nächstes passierte.

Und das war eine ganze Menge. Um ihn herum stand eine Rotte Außerirdischer und betrachtete ihn kritisch. Im Gegensatz zum gängigen Klischee sind Außerirdische nicht grün. Wäre Tom wach gewesen, hätte er also auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches bemerkt. Lediglich so etwas wie eine Menschenansammlung, was ja nach einem Sturz im Park einer Großstadt zu erwarten wäre.
Nur, daß er sich nicht mehr in der Großstadt befand. Auch nicht in einem Park, sondern in einem groß angelegten Versuchslabor auf dem Planeten SaXpeLi69B.
Sagt aber keiner dort. Man sagt ''der zweite 69-er Saxi'. Nur so am Rande bemerkt, falls ihr irgendwann hinkommen solltet. Gleich mal mit Insiderwissen punkten.

Der Außerirdische an sich ist ja stets sehr interessiert daran, wie die Menschen so ticken. Leider war aus Tom auch unter Hypnose nicht viel herauszubekommen, zu fortgeschritten war sein Burnout. Die Rotte war enttäuscht. ''So ein Schas!'', schimpfte der Laborchef. ''Die ganze Oawat umasunst. Wieda nua so a Trottl. Die Händi sollt ma eahnan wegnehman. Weans ollewäu no deppata, des G'frast. Komplett hin in da Marün. Schickts eam wieda z'haus, des bringt nix.''*

Die Rotte tat wie geheißen, doch sobald der Chef um die Ecke war kickte ein Witzbold seinen Nachbarn in mit dem Ellenbogen in die Rippen: ''Hör mal, machen wir ein bissl eine Gaudi mit ihm bevor wir ihn wieder zurückbringen? Von links auf rechts drehen? Hilfst mir?''

So kam es, daß Tom sich nach nur einer Stunde (Erdzeit) Abwesenheit wieder in seiner Wohnung befand, völlig groggy im Fauteuil hing und keine Erinnerung mehr daran hatte, wie er nach Hause gekommen war. Nur, daß es ihm im Park schwummrig geworden war, das wußte er noch.

'Zeit, die Bremse zu ziehen', dachte er bei sich. 'So kann das nicht weitergehen.'

Leider sah sein Chef das auch so, als er die Woche darauf um Arbeitszeitverkürzung ansuchte. Vier Wochen später, und um eine zugegebenermaßen großzügige Abfindung reicher, fand Tom sich wieder in seinem Fauteuil zuhause. Arbeitslos. Müde. Alleine.

'Die Zeit heilt alle Wunden', dachte er. Und: 'Lustig samma, Puntigamer'. Werbefachleute halt. Nie um einen blöden Spruch verlegen. Mit Verve stand er auf, deklamierte: ''Dies war eine stringente Schlußfolgerung!'', und machte sich auf den Weg ins Beisl an der Ecke. Leute mürbe quatschen. Seine Spezialität. Und nachdem er es war, der die Runden bezahlte, hörten sie ihm alle mehr oder weniger andächtig zu. Seine neuen Haberer. Seine Gefolgschaft. Seine Fans.

Leider blieb seine Leidenschaft für Beisl-Preaching nicht ohne Folgen für seine Leber. Beim Arzt konnte natürlich nichts festgestellt werden. 
''Tut es da weh?'', fragte der Internist seines Vertrauens, nachdem er ihn für seinen drastisch angestiegenen Alkoholkonsum ausgescholten hatte, und drückte dorthin, wo man gemeinhin die Leber vermutet.
''Kein bißchen,'' strahlte Tom erleichtert. Offenbar war es doch noch nicht so schlimm und er konnte erst einmal weitermachen wie gewohnt.

Wenn nur Eloise nicht gewesen wäre. Eloise war eine ganz gewöhnliche Frau. Eigentlich. Obendrein war sie ziemlich einsam und hatte sich daher von einer dubiosen Sekte anwerben lassen, die ausgerechnet Außerirdische anbetete. An deren baldige Wiederkehr auf die Erde glaubte und sich von ihnen allerlei Wunder versprach. Die Außerirdischen hat das natürlich gefreut und so kam es, daß die eine oder andere an sich geheime Info an Mitglieder der Sekte geleakt wurde. Auch Extraterrestials sind manchmal wie Menschen und plaudern im Bett Dinge aus, die sie besser für sich behalten hätten.

Somit wußte Eloise, was es mit den geheimnisvollen Mustern im Kies auf sich hatte. Sie wußte, was passiert, wenn man da hineintritt. Und sie hatte Tom im Beisl von seinem seltsamen Schwächeanfall erzählen hören. Da mußte man nicht mehr 2 und 2 zusammenzählen, da sprang einem die Vier praktisch von selbst ins Gesicht.

Leider war Eloise nicht nur einsam sondern auch ziemlich dämlich, sonst hätte sie ihr Wissen einfach für sich behalten. Aber natürlich mußte sie alles ausführlichst im internet bereittreten, woraufhin bald auch die Leute vom DSN aufmerksam wurden. Und interessiert aufhorchten. Aufgrund von Personalmangel aber leider diesen Fall an die Deutschen weiterreichen mußten, die waren personell besser aufgestellt.

So kam es, daß Tom bald auf Schritt und Tritt beschattet wurde, was ihm allerdings zunächst nicht auffiel. Was er indessen mitbekam war, daß seine Post geöffnet und gelesen wurde. Amtliche Briefe mit Schokoladenfingerabdrücken drauf? Das fällt sogar dem verkatertsten Menschen auf. Und verunsichert ihn massiv. Was war da los? Und wieso flimmerte sein Handy neuerdings, sobald er eine Nachricht erhielt? Und wer war der seltsame Kerl mit der Sonnenbrille, der sich in letzter Zeit auffallend oft unter seine Gefolgschaft im Beisl mischte, aber nie mit ihm oder anderen sprach und seine Getränke stets selbst bezahlte? 

Seine Nerven, von Haus aus schon nicht mehr die besten, wurden immer zappeliger und sein körperlicher Zustand verschlechterte sich zusehends. 

Hier könnte die Geschichte nun eigentlich zuende sein. Herzinfarkt, Tod, Beerdigung, fertig.
Wenn, ja wenn die Außerirdischen nicht Wind von der Sache bekommen hätten.

Ihre an sich wirklich gut gehüteten Geheimnisse in den Händen dieser Anzugträger? Die damit nichts als Unsinn anstellen würden? Das wollte verhindert sein.

Unser Mann mit der Sonnenbrille stieg daher nach Toms Beerdigung nicht einfach wie geplant in seinen Wagen und fuhr von dannen, sondern wurde noch auf dem Friedhofsgelände von einer für die Jahreszeit etwas zu bleichen Gestalt angesprochen: ''Heans, Tschuidign, hätten'S ma an Tschik?''

Unser Mann in Wien hatte seinerseits eine Bekannte, die ständig ins Wienerische verfiel, und wußte daher, was ein Tschick ist. Als Nichtraucher hatte er aber keinen und wollte sich gerade bedauernd abwenden, da stellte ihm die Gestalt hinterrücks ein Bein. Er stolperte, ruderte mit den Armen, fiel zu Boden.

''So und jetzt heast ma amal zua du Piefke. Wos is do los? Den oaman Tschecheranten ins Grab treiben mit deppat hinterherspioniern und fia wos? Wüst aa entführt wean? Wos wüst wissn? Sog ma's glei und mir kennan dia Soch auskartln.''**

Der Mann lag still da und sah der Gestalt ins Gesicht. ''Guter Mann, leider verstehe ich kein Wort von dem, was sie da sagen. Hätten Sie die Güte, es noch einmal auf Deutsch zu wiederholen?''

Der Laborchef, denn um keinen anderen handelte es sich bei der Gestalt, seufzte tief. Natürlich. Hätte er sich ja denken können. Sie hatten extra ihn geschickt, weil er die Landessprache beherrschte und nicht auffallen würde. Aber natürlich konnte der Piefke ihn nicht verstehen. Perfekt. Leider hat der Außerirdische, auch wenn dies hier und da behauptet wird, keineswegs ständig einen Babelfish zur Hand der ihm auf der Stelle sämtliche Sprachen dolmetscht und vice versa.

''Boss auf,'' sprach er langsam und deutlich. ''Du hea-h-st auf mit die Nach-h-forsch-h-ung-h-en und mia los-h-ma di in Ruah-he. Vasteh-hst mi?''

Da war er allerdings akkurat an den Falschen gekommen. Unser Mann stand langsam auf, klopfte sich die Friedhofserde vom Anzug und meinte gelassen: ''Was für Nachforschungen? Wer sind Sie überhaupt und was möchten Sie von mir?''
Der Laborchef war baff. So sprach man normalerweise nicht mit ihm. Man erzitterte in Ehrfurcht und tat was er wollte. 

Die beiden Männer lieferten sich ein Blickduell bis die Luft zwischen ihnen zu britzeln und zu vibrieren begann. Lichtblitze zuckten auf und hier war der Mann mit der Sonnenbrille logischerweise klar im Vorteil. Der Laborchef blickte zu Boden und seufzte: ''Okäh, host g'wunnan.''

''Kommen Sie doch mit ins Beisl,'' lud der Mann im Anzug ihn ein. ''Wir trinken zusammen einen auf den Verstorbenen und vielleicht finden wir dort einen Dolmetsch, der Ihnen klarmacht, was ich Ihnen sagen möchte.''

Verwirrt blickte der Laborchef in die verhangenen Augen seines Gegenübers. War das nicht gerade noch anders herum gewesen? Geschlagen tappte er hinter dem fröhlich pfeifenden Anzugmenschen her, welcher ihn schnurstracks ins Beisl am Eck führte, wo er stilgerecht zwei Krügerl bestellte mit denen man sich in eine stille Ecke verzog.

Was die beiden dort ausgehandelt haben, mit oder ohne Dolmetsch, werden wir nie erfahren.

Interessant dabei ist lediglich, daß seit dieser Zeit, immer kurz vor Vollmond, seltsame Zeichen auf einer der Wiesen in der Nähe eines kleinen Dorfes bei Höxter auftauchen. Und jedes Mal verschwindet ein Schaf. Seither war die Aa nie mehr über ihre Ufer getreten. Der Deichgraf schmunzelte nur wenn die Dorfbewohner sich darüber wunderten und rückte seine Sonnenbrille zurecht.
Das Leben war schön. Auch und sogar in Ostwestfalen-Lippe.

_____________________________

Übersetzungen der beiden längeren Texte des Laborchefs ins Deutsche:

*Die ganze Arbeit umsonst. Wieder nur so ein Trottel. Die Handys sollte man ihnen wegnehmen. Davon werden sie immer noch verblödeter, die Nichtsnutze . Komplett kaputt in der Birne. Schickt ihn wieder nach Hause, das bringt nichts.

**So und jetzt hörst mir mal zu du Piefke. Was ist da los? Den armen Säufer ins Grab treiben mit blöd hinterherspionieren und wofür? Willst du auch entführt werden? Was willst du wissen? Sag es mir gleich und wir können uns bestimmt einig werden.

______________________________
















Sonntag, 8. Juni 2025

Der Aufstand der Gartenzwerge

Bis vor wenigen Monaten haben sie mich noch alle ausgelacht. Old School sei das. Postkarten schreiben: hahaha. Wo es doch Internet gibt mit instant messaging wo der Empfänger die Nachricht SOFORT bekommt und obendrein praktisch gratis. Bücher horten, die jede Menge Platz wegnehmen, wo es doch Kindle gibt und Tolino und wie sie alle heißen. Ganze Bibliotheken auf so einem kleinen Viereck? Nette Idee, aber dann such mal nach den Bilderbüchern deiner Kindheit. Kannste vergessen. Also. Ein Buch bleibt ein Buch bleibt ein Buch. Auch und gerade wenn es muffig riecht. Das ist einfach echt.

Aber was will man reden mit Leuten, die ständig was Neues brauchen und in der Küche keine Mahlzeit mehr zusammenbringen ohne modernes Zeug wie beispielsweise eine Salatschleuder. Durfte ich mich auch wieder auslachen lassen, weil ich nicht wußte was das eigentlich sein soll. Salat mit Schleudertrauma? Schmeckt das? Dann doch lieber Eis am Stiel, ungesund aber schmackhaft und schnell zubereitet: Papier runter und fertig.

Aber ich schweife ab. Natürlich war ich der Technisierung gegenüber durchaus aufgeschlossen. Jemand der soviel fotografiert wie ich, hätte sich schon ein Schloß anmieten müssen um die ganzen Alben unterzubringen, hätte ich meine Fotos tatsächlich wie früher entwickeln lassen. Logisch hab ich die digital gespeichert.

Aber die sind halt jetzt weg. Alle. Bis auf die, die ich mir habe als Postkarten drucken lassen. Weil das Internet weg ist. Ja, das ach so wichtige, staatstragende Instrument der Desinformation und blödsinnigen Unterhaltung, das die Menschen immer dümmer und unselbständiger gemacht hat statt sie zu informierten und zu denkenden Menschen zu erziehen, ist jetzt endgültig kaputt. Und nein, ich sag's gleich, ich war's nicht. 

Es fing ganz harmlos an. Immer mal wieder ein Aussetzer, völlig normal. Das Wetter, das Netz, der Weihnachtsmann. Der ganz besonders. Auch wenn es schon länger keinen Schnee mehr gab außer in Afrika. Die hatten ja sonst nichts und haben sich gefreut. Kann man in Eimern schmelzen und hat Wasser. Aber was machten wir hier ohne verläßliches Internet? Richtig, blöd schauen. Wenn wie von Geisterhand verwischt auf einmal mitten in der Konferenz das Gegenüber verschwimmt und nur noch knarzende Laute von sich gibt.
Klimaschonend jeder im eigenen Konferenzraum sitzend mittels Technik verbunden, von unheimlichen Mächten dann doch wieder plötzlich voneinander getrennt. Keine Geschäfte mehr heute? Fräulein zum Diktat! Wir müssen jetzt doch ein paar Briefe schreiben. Wie, keine Briefmarken mehr? Achso das Fax? Das ist auch kaputt? Dann müssen Sie halt mal rasch zur Post ... achso die hat schon lange keine Briefmarken mehr? Online bestellen? Haha ja, das war ein guter Witz. Hm. Räusper. Wir haben ein Problem. Ein ganz gewaltiges Problem.

Mittlerweile blühte der Schwarzmarkt. Antiquariate verlangten auf einmal Mondpreise für ihre Restposten, vor den Buchläden versammelte sich der Mob. Eine Zeitlang gab es jeden Morgen einen Auflauf so daß die Angestellten nicht einmal mehr zur Türe kamen geschweige denn hindurch. Schreihälse ließen den Bizeps spielen und glaubten, sie könnten irgendwen damit beeindrucken. Seltsamerweise gab es bei den Lebensmitteln keine Knappheit. Auch nicht beim Klopapier. Nur Bücher und Briefmarken waren auf einmal gefragte Mangelware.
Und ich war fein raus. 
Und in Gefahr.

Wenn sich herumspräche, daß meine Wohnung voller Bücher, Postkarten und einer riesigen Auswahl von Briefmarken war, dann würden die Einbrecher nicht lange fackeln.
Alte Frau? Sofort aus dem Wege räumen und alles mitnehmen. Denn auch an Schießeisen und Munition herrschte kein Mangel. Die Welt war auf Krieg gebürstet und diesbezüglich wohlgerüstet.
Nur an Briefpapier hatte niemand gedacht.

Langsam glätteten sich die Wogen, die Menschen tauschten die Bücher untereinander, man half sich gegenseitig. Postbote war auf einmal ein gefragter Beruf. Händeringend suchte man Personal, das sich bei Wind und Wetter durch die Straßen plagen und die wachsende Flut an Handgeschriebenem an die Empfänger verteilen mochte. 

Die Welt war wie verzaubert. Die Fahrgäste in Bus und Bahn sprachen wieder miteinander, statt jeder für sich ins giftige Viereck zu glotzen. Musik wurde live an allen Ecken gespielt, von Hand und mit Seele, für alle gemeinsam, statt für jeden alleine direkt in seinen Kopfhörer. Man saß bei Bier und Semmerln im Park und tauschte Gedanken über die Herrschenden aus, statt sich von vorgefertigten Meinungen gegeneinander aufhetzen zu lassen und seine Seele für eine Bratwurst zu verkaufen. Man war wieder Mensch.

Natürlich war das nicht jedem recht und so mancher Anzugträger saß fluchend im stillen Kämmerlein und sah hilflos zu, wie seine Macht aus dem Fenster davonwehte. Ohne die Möglichkeit, den Leuten immer wieder einzuhämmern, wie wichtig man doch sei, glaubt es halt früher oder später niemand mehr. Und ohne Glaube keine Macht. Alte Weisheit, kann man jeden Pfarrer fragen, die kennen sich aus damit.

Leider war die Freude über die neue Freiheit vom Digitalen nicht von Dauer. Es langt ein einziger Idiot, um die friedlichste Gemeinschaft zu zerstören. Und es gab leider nicht nur einen. Somit auch bald keine Gemeinschaft mehr sondern das Gegeneinander fing von vorne an. Da halfen die hübschesten Briefmarken nichts, wenn die Leute sich nicht daran freuen wollten. Wieder mehr wollten. 
Vor allem mehr als der Nachbar.

Der Erste der die Schnauze endgültig voll hatte war Olaf. Nicht besonders groß, ca. 25 cm hoch, aber imposant ausgerüstet mit Hammer, Säge und Laterne.
''Hör mal,'' quatschte er seinen Nebenmann an, der mit Rechen und Schaufel ebenfalls brauchbares Werkzeug in der Hand trug. ''Hör mal, wir sollten uns zusammentun. Das geht so nicht weiter. Seit Jahrzehnten schau ich mir das jetzt an, die lernen es einfach nicht. Sogar Jesus ist langsam am Verzweifeln. Wir müssen was tun!''
''Ja aber was? Und seit wann können wir eigentlich reden? Da stehst du seit 30 Jahren neben mir und sagst keinen Ton während ich vor Langeweile fast vergehe!''
''Ich hab keine Ahnung, das muß neu sein. Jedenfalls, wir müssen den Menschen eine Lektion erteilen die sie so rasch nicht mehr vergessen. Es ist höchste Zeit und wenn nicht wir, wer dann? Die Delphine sind fast ausgerottet, die Eichhörnchen kümmern sich wie immer nur um die eigenen Nüsse, die Tauben sind zu durchfallgeplagten Balkonscheißern verkommen. Jemand muß den Frieden in die Welt tragen. Also komm, wir verbreiten das Wort! Wie heißt du eigentlich? Ich bin der Olaf und frag mich nicht woher ich das weiß.''

Von Vorgarten zu Vorgarten, von Schrebergarten zu Schrebergarten erhob sich Gewisper und Getuschel. Kleine Schubkarren wurden unmerklich verschoben, Handwerkszeug wurde weitergereicht, die Botschaft verbreitete sich. In Gegenden mit vorwiegend Hochhäusern logischweise etwas langsamer, doch steter Tropfen höhlt nicht nur Stein sondern auch Beton und so fanden sich die Leute immer öfter nach dem Aufwachen vor einer Armee Gartenzwerge umzingelt die ihnen ein Bein stellten wenn sie zur Kaffeemaschine wollten, die ihnen die Unterhosen forttrugen und das Wasser in der Dusche auf eiskalt stellten.
Da war kein Davonkommen, da mußte man zuhören. Ob man wollte oder nicht.

Bald war die Erde wieder freundlicher geworden. Der amerikanische Präsident hatte ein Gipsbein und faselte fortwährend etwas von komischen Wellen im Teppich, die Russen hatten einen neuen Trinkspruch der klang wie Выпьем за гномов und sogar der Präsident dort lachte wieder. Nur die Chinesen, die Chinesen sind nach wie vor mit allem Ernst bei der Sache. Sie produzieren und produzieren am laufenden Band ... Gartenzwerge. 

























Sonntag, 25. Mai 2025

Ein Mann der Tat


Lust hätte er schon gehabt. Die hatte er immer. Liebe brauchte es dazu keine, die verkomplizierte die Sache nur unnötig. Aber dieses Mädel war irgendwie anders. Der konnte man nicht sofort sein Bedürfnis um die wohlgeformten Ohren hauen, da war Subtilität angesagt. Am ersten Abend wanderten sie daher lediglich händchenhaltend aus der Disco in die sommerliche Sternennacht hinaus. Nicht einmal geknutscht hatten sie. Nur geredet. Das dafür die halbe Nacht. 

Seine Strategie schien sich auszuzahlen. Sie himmelte ihn an und die Tatsache, daß sie mit ihrer Freundin und zwei kleinen Kindern in einer Wohnung schlief, hinderte ihn glücklicherweise daran, in den frühen Morgenstunden mit nach oben zu kommen und sich vielleicht doch noch von der Gier hinreißen zu lassen. Und alles zu versauen. Mit dieser Frau, das spürte er, wollte er keinen One Night Stand. Er wollte viele. Ganz viele Stands wollte er in ihr versenken, immer und immer wieder. Laut jaulend schleuderte er seinen aufgestauten Samen aus dem Fenster in die niederbayerische Nacht. Er würde siegen und kommen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. 

Welche er am nächsten Tag, einem Sonntag, selbstverständlich besuchte, wie sich das in einem Dorf gehört. Damals wurden die Geschäfte nicht auf dem Golfplatz gemacht wie heute üblich, sondern am Stammtisch nach dem Gottesdienst. 

Sobald der Pfarrer die Meute entließ mit den lange ersehnten Worten: 'Gehet hin in Frieden!', stampfte man erleichtert von dannen, goß sich im Dorfkrug die eine oder andere Maß hinter die gelockerte Binde während die Frauen daheim brav das Essen zubereiteten.

Daß eins der beiden Kinder nicht zur Freundin sondern zu ihr gehörte, bekam er leider zu spät mit. Er war bereits gefangen im Strudel der Leidenschaft und wagte es gar, sich gegen seine dominante Mutter aufzulehnen, die der festen Ansicht war, daß eine Ausländerin, auch wenn sie aus einem Land geflohen war in dem man es mit den Menschenrechten nicht so genau nahm, in ihrer Familie nichts zu suchen hatte. 

Die nächsten Wochen vergingen wie im Rausch, nur das blöde Kind störte ihn massiv. Sonst hätte er sie vielleicht sogar spontan geheiratet, trotz des Gemeckers seiner Mutter, so stark war die Sogwirkung, die von ihr ausging. Aber die Kleine störte ständig seine Pläne, war im Weg, war krank, mußte von der Schule abgeholt werden - und wenn sie da war konnte er nie so wie er wollte.

Eines Morgens wachte er auf und merkte sofort: Etwas stimmt nicht. Die Bettseite neben ihm war leer, kein Kaffeeduft wehte aus der Küche herüber, keine wohlig anmutende Betätigung in seiner Lendengegend hatte ihn geweckt sondern die Sonne die zum Fenster hereinschien, und es gab auch keine Semmerln ans Bett. Sie war spurlos verschwunden. Was war geschehen? Hektisch suchte er nach einem Zettel, fand aber keinen. Wurde sie gekidnappt? Von Aliens? Verstört blickte er aus dem Fenster und sah ... ein Ufo im Garten stehen. Das auch nach mehrmaligem ungläubigem Blinzeln noch dastand. War das ein Witz? Würde jetzt gleich der Mork vom Ork an seiner Türe klingeln und fröhlich 'Nano Nano' krähen? Wo war seine Geliebte? Was ging hier ab und was war das für ein Teil da draußen?

Vorsichtig öffnete er seine Haustüre und linste um die Ecke. Tatsache. Da stand ein Ufo mitten im Garten. Gerade als er sich diesem langsam nähern wollte ging die Türe auf und ein Mädchen mit knallroten Haaren kam heraus. Pippi Langstrumpf? Seine Augen wuchsen zu Tellergröße heran. Was hatten sie gestern getrunken? Das konnte doch alles nicht wahr sein. Hatte man ihm was in den Wein gegeben, so daß er jetzt unter Halluzinationen litt? 

''Hey alter Mann, was schaust du so? Gefällt dir mein Raumschiff nicht? Magst mal mitfahren?''
''Was soll das heißen alter Mann? Ich bin nicht alt und du bist eine freche Rotzgöre. Wo ist meine Freundin? Was soll der Unsinn?''
''Ja, wo ist die Freundin. Hat sie dir heute noch keinen geblasen? Uiuiui. Warum fragst du nicht wo ihre Tochter ist? Die vermißt du nicht oder wie? Hast wohl nix übrig für Kinder?''

Er war sprachlos. Und auch ein wenig betroffen. Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun mußte er zugeben, daß sie recht hatte. Er mochte keine Kinder. Die waren einfach ständig im Weg, forderten und nervten und kosteten unnötig Geld. Als könnte sie seine Gedanken lesen fuhr das Mädchen fort:

''Ich hab die beiden in Sicherheit gebracht, vor dir und deinem Ego. Du hättest sie früher oder später betrogen und das Kind geht emotional vor die Hunde in so einer lieblosen Atmosphäre. Kinder brauchen Freiheit und Luft zum Atmen. Bei dir hat sich das arme Ding immer im Eck rumdrücken müssen weil du nur Augen für die Mutter hattest. A propos Mutter: Die deinige wird sich vor Dankbarkeit nicht mehr zu halten wissen wenn sie erfährt, daß ihr heiliger Sohnemann die böse Ausländerin endlich los hat und frei ist, die Pichler Rosi zu heiraten so wie sie es für dich geplant hat. Noch Fragen?''

Nein, die hatte er nicht. Dafür plötzlich eine Axt in der Hand mit der er auf das Raumschiff losgehen wollte. In seinen Augen stand Mordgier geschrieben. Das Mädchen lachte nur, entwand ihm mit sicherem Griff die Axt und warf ihn auf den nächsten Baum.

'Sag mal, du hast wohl in deiner Jugend nicht viel gelesen? Gegen mich kommst du doch mit einer Axt nicht an, alter Mann. Ja, ächze nur und stöhne, und überlege dir, wie du ein besserer Mensch werden könntest. So wie bisher geht's jedenfalls nicht weiter!'' 

Mit einen heftigen Knall fuhr die Axt in den Baum auf dem er hing und erschütterte die gesamte Krone. Mit einem heftigen Schrei fuhr er hoch und haute sich den Kopf am Bettgestell an. Er hatte geträumt. Du meine Güte was für ein Traum!

Aus der Küche wehte Kaffeeduft herüber und soeben kam die Freundin mit einem Teller belegter Semmeln lächelnd zur Türe hereingestöckelt. Das Blag drückte sich wie immer irgendwo im Eck herum. So konnte es nicht weitergehen, auch ohne Ufo und freche axtschwingende Mädels. ''Wir müssen reden'', sagte er und nahm ihr den Teller ab.

Am Abend saß er wieder in seiner Stammdisco und flirtete nach allen Richtungen. Sex ohne Reue, ungebunden, frei und unbeschwert. So sollte es sein, das wollte er wiederhaben. Die Trennung hatte nicht nur ihr wehgetan, auch er hatte einen heftigen Schmerz verspürt, sogar mitgeweint hatte er. Dann war er aufgestanden. ''Das Leben geht weiter'', hatte er zu ihr gesagt und sie sanft aus der Türe bugsiert. Ein Mann der Tat. Ein Mann, der wußte was er wollte.

Bereits die Woche darauf hing das Aufgebot mit der Pichler Rosi im Kasten vor der Kirche. Bedröppelt stand er davor. Ein Mann, dessen Mutter stets das Beste für ihn wollte. Ein Mann, der wußte wann er sich geschlagen zu geben hatte. 























Aussichtslos



Sonntag, 13. April 2025

Rätsel um den Schatz im Olympiapark


''Dieser Volltrottel! In zwei Jahren wär er eh rauskommen, mit Glück sogar eher, hätt halt der Anwalt müssen ein bissl was zaubern und was macht er? Hängt sich auf! I pack's ned!''

''Wußte garnicht, daß du sentimental sein kannst. Bist doch sonst nicht so.''

''Schwachsinn sentimental! Stinkesauer bin ich! Denk doch amal mit! Wer hat denn als einziger g'wußt wo das Geld vom Überfall versteckt is, hm? Damit's ja niemand holt solang er noch im Hefn hockt. Und jetzt??? Weg ist sie die Marie!!! Darum geht's mir, und um sonst garnix!''

Schweigen.

''Ja oder kennst wen. der medial begabt genug ist um des Versteck für uns rausfinden zu können? Da wartest Jahr um Jahr und dann draht er si ham da Deppate! Und mir können sich des Geld aufzeichnen! I hoit's ned aus!!!''

''Jetzt reg dich ned auf Schurli, ich versteh dich ja. Bist extra wegen dem ganzen Wahnsinn nach Deutschland gekommen und am Ende war alles umsonst. Laß uns doch mal überlegen, vielleicht kommen wir so auch drauf. Was hat er denn immer gesagt? Er hätt es dem Herrn Jesus in Obhut gegeben. Was könnt er damit gemeint haben?''

''An Schas, heast. An Größenwahn hod a g'hobt, woascheinlich hod a si denkt er is mit'n Jesus per du und woit'n amoi bsuachn gehn, des hod a jetzt. Für imma. Na dankschön!''

Nervös drehte Peter sein orangefarbenes Feuerzeug in den Händen. Wenn Schurli in so einer Laune war, dann schaute man besser, daß man weiterkam. Nur, es war seine Wohnung in der sie sich aufhielten. Wohin sollte er flüchten vor dem irren Zorn des Freundes? 

Schurli stand auf, griff sich einen herumliegenden Zollstock und schlug sich damit in die Handinnenfläche. 

''I kannt eahm daschlogn, wann a ned scho dod warat. Des Oaschloch!!!'''

Peter blickte auf die Magnolienzweige die vor dem Fenster im Wind auf- und abwippten.

''Du, vielleicht hat er es an einem Wegkreuz vergraben? Eins mit Jesus drauf?''
''Ja freilich, und mir grabn jetzt ein jedes Wegkreuz in und um München um? Waßt du wieviel's do umeinanderstehn hod? Oida bitte, vaschon mi mit dein Bledsinn, danke!!!''

Zerknirscht zog Peter das Genick ein. Nun war guter Rat teuer. Wie sollte er Schurli  beruhigen? Schnaps anbieten war eine schlechte Idee, da flippte er dann immer komplett aus.
Hastig griff er nach der Zeitung in der Hoffnung, ein Bonmot zu finden das die Atmosphäre vielleicht ein wenig auflockern könnte.

Doch was er hinten im Lokalteil zu lesen bekam, verschlug ihm den Atem. Unter den Trümmern der vor zwei Jahren abgebrannten Ost-West-Friedenskirche von Väterchen Timofej waren mehrere Säcke mit Bargeld gefunden worden. Kirche! Jesus! Geld! Nun war auch klar, warum Konrad sich aufgehängt hatte. Wie sollte er das nun Schurli beibringen, der mit zornrotem Gesicht durch die kleine Wohnung tigerte? Am Ende würde es gleich noch einen Toten geben.

Vorsichtig stand Peter auf und klemmte sich die Zeitung unter den Arm. ''Äh, du, Schurli, was meinst, sollen wir vielleicht einen trinken gehen auf den Schreck? Ich geb was aus.'' 

Stunden später standen vier Beamte der PI 43 kopfschüttelnd in einer Mietwohnung im 7-sten Stock eines Hochhauses im Hasenbergl.

'Oiso sowas hob I aa no nia ned g'sehn'', sagte einer zu seinem Nebenmann.
''Schiabt eahm den Zollstock in Oasch bis zum Anschlag, foit üba eahm drüber und bricht sich des G'nack. Wos moanst was muagn in da Zeitung steht? Homo-Drama im Hasenbergl? Jeder Zoll eine Liebeserklärung?''
Grinsend machten sie sich vom Acker. Den Rest würde das zuständige Kommissariat erledigen. Zeit für ein Feierabendbier!





















Quelle: Bayerischer Rundfunk


Donnerstag, 20. März 2025

Das Comeback der Brieftauben

'Mama, Mama, schau mal! Der Mann da hat drei Arme!'

Schmunzelnd blickte ich in die Richtung der kleinen Familie, deren jüngster Nachwuchs soeben meine neueste Errungenschaft entdeckt hatte. Sie saßen auf einem der Vierersitze im hinteren Teil des U-Bahn Wagens und starrten ungläubig in meine Richtung.

Ja, ich genoß die Bewunderung der Leute. Einer der ersten zu sein, die neue Trends erspürten und ganz vorne mit dabei waren, war einfach geil. Zur Norm zu gehören war langweilig. Fad wie altes Brot. Hier in der Großstadt war man besser am Puls der Zeit. Man mußte wer sein. Sonst könnte man geradesogut am Land leben und Schafe züchten. Und jeden Tag mit seinem Hund die Runde durchs Dorf machen. 'Grüß Gott Herr Mayer' 'Grüß Gott Herr Huber.' Nein wirklich, wie scheußlich.

Meterlange Fingernägel und Schlauchbootlippen waren, auch wenn viele das noch nicht mitbekommen hatten, mittlerweile sowas von passée. Wer in München etwas auf sich hielt, ließ sich einen dritten Arm annähen. Wie sonst sollte man in den Öffis Kaffeebecher und was zum Lesen jonglieren und sich gleichzeitig festhalten? Sicherheit ging schließlich vor.

Die Operation war kein großer Akt, bei der Gelegenheit konnten auf besonderen Wunsch die Plastiker hinzugezogen und  somit unauffällig eine Straffung der lasch gewordenen Oberarmhaut durchgeführt werden. Besonders für die etwas älteren Damen der Schöpfung interessant, die hatten auch das dafür nötige Sondervermögen auf der Seite.

Am liebsten hätte ich die kleine Episode mit der Familie sofort all meinen Freunden weitererzählt, doch seit diese alte Wetterhexe Kanzlerin geworden war, hatte man den Betrieb von Handys in allen Öffentlichen Verkehrsmitteln verboten. Wegen der Ruhestörung die angeblich damit einherging. Nun, wir Trendsetter ließen uns von solchen Verboten nicht die Laune verderben, wir dachten uns flugs etwas Neues aus: Das Comeback der Brieftauben.
Immer öfter sah man nun Menschen in den Bussen und Bahnen, die einen Käfig mit einer oder mehreren Brieftauben mit sich führten. Wollte man jemandem etwas mitteilen, so wurde die Message auf einen Zettel geschrieben und die Taube an der nächsten Haltestelle durch die offene Türe hinausgeschickt. Voll der Retro-Chic.

Natürlich handelte es sich hierbei nicht um echte Tauben. Die Verunreinigung der Sitze und Fußböden wäre unerträglicher gewesen als die Lärmbelästigung durch ständiges Telefonieren und Musikhören. Nein, es handelte sich hierbei selbstverständlich um das neueste elektronische Gadget bei dessen Entwicklung ich, wenn ich das so sagen darf, nicht ganz unbeteiligt gewesen war. Die Handynummern der Zielpersonen konnten vorab einprogrammiert und gespeichert werden und die Tauben flogen so, völlig selbstständig, direkt zur Zielperson. Es sei denn, diese hatte ihr Mobiltelefon zu Hause gelassen. Aber wer macht das schon. Heutzutage. Keiner! Außer vielleicht VOLL ALTE Leute.

Bei Regen war das Ganze nicht wirklich ideal, hier war die Idee noch etwas unausgereift. Kindische Gemüter wollten die Tauben mit kleinen bunten Schirmchen ausstatten, aber das hätte sicherlich ein erneutes Taubenflugverbot nach sich gezogen, in Brüssel hatte man keinen Sinn für Humor.

Unlängst hatte man damit gedroht, uns die Leberkässemmeln verbieten zu wollen. Geh bitte! Bayern ohne Leberkässemmeln? Undenkbar! Obwohl ich persönlich ja nichts von Backwaren halte. Mein neuester Lieblingstrend im Food-Sektor sind die Snackzitronen. Die werden in Italien extra zum Verzehr samt Schale gezüchtet und sind sooooooooo lecker. Wenn ich damit so locker-leicht im Eck einer Vierergruppe sitze und mit beiden Armen die Zeitung halte während der dritte Arm meinen Mund mit den Snackzitronen versorgt, trifft mich so manch neidischer Blick.

Der neueste Gag der Wetterhexe lautete, man dürfe ab dem kommenden Jahr Prothesen nicht mehr mitbeerdigen. Angeblich wegen des Grundwassers. Ich habe daher verfügt, daß mein dritter Arm zu einer Skulptur verarbeitet und oberhalb des Grabes befestigt werden soll. Nicht, daß ich von Todessehnsucht geplagt wäre, aber ist ist ratsam, sich beizeiten Gedanken zu machen. Damit es einem keinesfalls ergeht wie dereinst dem guten Herrn Mozart, dessen Gebeine man derartig achtlos entsorgt hatte, daß heute niemand mehr weiß, wo er eigentlich wirklich begraben ist und die Fans zu einem 'Ehrengrab' auf dem St. Marxer Friedhof pilgern müssen wenn sie ihm Blümchen bringen wollen. 

So etwas wird mir nicht passieren, meine Grabstelle ist bereits bestellt und bezahlt. Nur mit der Kunst hapert es bei mir ein wenig. Meine Bilder interessieren außer meiner Psychologin niemanden. Man muß heutzutage immer gröbere Schoten bringen um Aufmerksamkeit zu erregen. 

Plötzlich ein Ruck, die Fahrt stoppte abrupt. Neben mir schwappten einige Kaffeebecher über, gedämpftes Fluchen entfleuchte den Mündern der nun braun gefleckten Yuppies. Von weiter vorne hörte ich lautes Gröhlen. War da einer in aller Herrgottsfrüh schon blau? Da verbieten sie einem, die Handys anzuschalten weil sie zu laut sind, aber Rumgröhlen geht oder was?

Mit Entsetzen erkannte ich eine groteske Gestalt mit einer Kettensäge, die sich durch die Wagenreihen hindurch bis zu uns nach hinten durcharbeitete. Mir warf er nur einen verächtlichen Seitenblick zu und steuerte dann zielgerichtet auf das Kleinkind zu, das mich soeben noch bewundernd angestarrt hatte. Nun war der Kerl dabei, mir die Show zu stehlen. Mit grimmigem Gesicht hielt er die Kettensäge hoch und brüllte: 'Kinder! Ich hasse Kinder! Ständig brüllen sie überall umeinander und gehen einem am Nerv! Ich bring euch alle um! Alle! Und mit DIR fange ich an!!!'

Ich sah mich hastig um. Die Mitfahrenden starrten, wie der Münchner das nun mal so macht, weiterhin in ihre Zeitungen oder auf den Boden und taten so, als nähmen sie nicht wahr, was um sie herum geschieht. Nun, ich bin wahrlich selbst kein Kinderfreund, aber was zu weit geht, geht zu weit. Ich warf meinen Kaffeebecher Richtung Yuppies (war auch schon egal) und stürzte mich von hinten auf das Monster. Trainiert war ich ja, das gehört dazu wenn man in sein möchte. Zudem hatte ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite. Ich entriß ihm die Kettensäge und haute sie ihm mit aller Gewalt derer ich fähig war gegen den Schädel. Langsam kippte er zur Seite und sah mich direkt an: 'Du kannst mich nicht umbringen. Ich bin unsterblich. Aber du hast heute dazu beigetragen, daß ich eine Aufgabe erledigen konnte, die mich wieder etwas weiter in Richtung Himmel bringt. Weißt du, eigentlich bin ich ein Engel und es macht ECHT keine Freude, immer den Teufel geben zu müssen. Echt nicht. Ständig diese Hitze und nur langweilige Leute um einen herum. Du bist heute über deinen Schatten gesprungen und hast versucht, jemand anderem zu helfen. Ich feier dich dafür Bro. Gehe hin in Frieden.'

In diesem Moment bekam sein Gesicht tatsächlich etwas Engelsgleiches. Er lächelte freundlich und löste sich vor meinen ungläubigen Augen in Luft auf. Weg war er! Die Leute um mich herum schienen absolut nichts mitbekommen zu haben. Nach wie vor glotzten sie in die Zeitungen und einer murmelte grantig: 'Wann fahrt'n der endlich weida! I hob an Termin, zefix!'

Morgen früh werde ich den jungen Mann am Kiosk einmal fragen, was genau er eigentlich alles in den Kaffee mischt ...



















Mittwoch, 12. März 2025

Die Moorleiche


Urlaub am Land. Petra war begeistert. Nicht. Statt sich wie geplant mit ihrem Schwarm jede Nacht in der Disco zu vergnügen, während die Eltern auf Urlaub waren, hatte sie dieses Mal wieder mitgemußt. Wegen der Brandflecken im Wohnzimmerteppich und der Zigarettenasche in den Blumenkübeln, und nicht zuletzt auch wegen der pickerten Bierflecken welche die gesamte Vortreppe bis hinunter verunziert hatten und nur schwer wegzuschrubben gewesen waren.

'Nur weil deine Eltern Geld und demzufolge ein großes Haus haben, bedeutet das nicht, daß du in unserer Abwesenheit jeden Krethi und Plethi zur Party bitten kannst!', hatte es grämlich geheißen. Man hatte ihr mangelnde sittliche Reife attestiert und nun hockte sie mit ihren Eltern in diesem Kaff im Schwäbischen und langweilte sich praktisch rund um die Uhr halb zu Tode. Hier war absolut NICHTS los! Klar, man konnte ins Schwimmbad gehen, aber dort waren tagsüber meist auch nur alte Omis, die Wassergymnastik machten. Der nächste Höhepunkt im Dorfleben wäre das Schnakenfest gewesen, welches aber erst nach ihrer Abreise stattfinden würde. Dabei waren ihre Arme und Beine bereits jetzt großflächig mit Quaddeln bedeckt, überall dort, wo die hungrigen Mistviecher sich bedient hatten. Sehr gerne hätte sie denen mal die Meinung gesagt!

Für heute Mittag war eine Führung durch das Torfmuseum angesagt. Gäääääähn. Danach durfte man eine Runde mit der Torfbahn fahren, auf die der von Ehrenamtlichen geführte Verein mächtig stolz war. Wenigstens gab es vorher noch was zu Essen. Der Vater hatte bereits total auf wichtig einen Vortrag gehalten, demzufolge es in Gebieten, in denen der aktive Abbau des Torfs beendet worden war, oft solche Attraktionen gab um den Tourismus anzukurbeln. Ja das war hier aber auch dringend nötig. Die Wanderwege waren großteils verwaist, ab und an begegnete man einer pensionierten Handarbeitslehrerin oder einem ältlichen Vogelkundler mit Fernglas und Kamera. Die totale Ödnis, wohin man auch blickte.

Die Gegend war hübsch, keine Frage, aber doch nichts für ein junges Mädel! Wenn die Mutter beglückt auf die Kuhherden hier und da zeigte und der Vater gleich wieder Vorträge darüber hielt, daß es sich bei den jungen Kühen sicherlich um Färsen handelte, die hier vorbildlicherweise nicht von der Herde getrennt aufwuchsen sondern bei ihren Müttern bleiben durften, fiel es Petra wirklich sehr, sehr schwer, nicht in lautes Geschrei auszubrechen und sich kopfüber auf die nächste Fahrbahn zu stürzen. Hätte sowieso nichts genutzt, es kam nur extrem selten einmal ein Fahrzeug vorbei. Die Ampel beim Rathaus hätte man sich direkt sparen können. Offenbar war der Bürgermeister ein vorsichtiger Mensch und wollte keine Risiken eingehen.

Die Führung im Museum war dann doch nicht ganz so uninteressant wie Petra befürchtet hatte. In der Gruppe wißbegieriger Wandersleute befand sich unter anderem ein recht sympathisch aussehender Junge in ihrem Alter, der bestimmt genauso gegen seinen Willen von den Eltern hierhergeschleppt worden war wie sie. Eifrig versuchte Petra, seine Aufmerksamkeit zu erregen, doch leider, leider hatte sie sich in der Früh nicht geschminkt. Für wen auch. Abgesehen davon hatte sie befürchtet, die Wimperntusche würde in der Hitze nur schmelzen und wie sah das dann aus? Besser bleiben lassen. Und nun stand sie da in ihrem langweiligen alten Kleid, ungeschminkt und fad, nicht einmal die Haare waren ordentlich gekämmt. Kein Wunder, daß er nicht herschauen wollte. Der würde sich doch nicht allen Ernstes für diesen dreckigen alten Dolch da vorne interessieren, den man vor tausend Jahren oder so mal ausgegraben hatte und der irgendeinem bescheuerten Krieger gehört hatte? Menno! Sollte sie den Jungen mit Papierkügelchen bewerfen? Nee, zu aufdringlich. Was war das auch für ein Stiesel! Warum guckte der nicht!!! Hier war ja nun wirklich keinerlei Konkurrenz, gegen die sie sich zu behaupten hätte. Außer diesem blöden Dolch!

Der Vortragende vorne näselte unbeirrt weiter, irgendeine voll beknackte Story wie sie früher Mithilfe beim Torfstechen verlost hatten, stets interessant für alleinstehende Damen aufgrund der hübschen kräftigen Arbeiter, und eine der Damen auf einmal aufgeschrien hatte und in Ohnmacht gefallen war, weil im Lostopf eine Unke auf den fein säuberlich zusammengerollten Losen gesessen hatte. 'Des isch hald so bei ons in dr Naduuur', grinste er nachträglich noch schadenfroh und kündigte an, man dürfe sich nun nach draußen begeben, 'des Bähnle' würde gleich vorgefahren und man dürfe einsteigen.

Die Gleise waren Petra bei der letzten Wanderung schon aufgefallen und sie freute sich auf eine lange Fahrt durch die unheimliche Moorlandschaft, auf Aussichten, die man vom Weg aus nicht hatte, und vor allem darauf, neben dem Jungen zu sitzen zu kommen. Das müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie es nicht schaffen würde, hinter ihm in den Zug zu klettern!

Eifrig drängelte sie sich in seine Nähe und es gelang ihr tatsächlich, auf derselben Sitzbank zu landen auf der ihr neuer Schwarm soeben Platz genommen hatte. Leider saß ihr Vater ihnen beiden genau gegenüber ... das durfte doch nicht wahr sein! Nach wie vor beachtete der Junge sie kein bißchen, blickte interessiert aus dem Fenster, und als der Zug ruckelnd anfuhr, winkte er eifrig seiner Mutter, die vor dem Museum zurückgeblieben war. So ein blödes Mamakind, ärgerte sich Petra. Nun, dann wollte sie wenigstens die Fahrt genießen. Vorwitzig streckte sie ihre Nase in den Wind und während die Bahn langsam über die alten Schienen ratterte, war sie fast schon wieder mit dem Urlaub versöhnt. Doch was war das? Bereits nach der ersten Kurve kam der Zug zum Stehen, aus der Fahrerkabine kletterte ein Mann heraus und begann, einen Vortrag über die Torfbahn zu halten und die Anwesenden darüber aufzuklären, wie der Verein in mühevoller Kleinarbeit die Schienen erneuert hatte und sich seither aufopferungsvoll um die Erhaltung selbiger kümmerte, damit man wenigstens ein paar Meter bis hierher fahren und den Leuten ...

'This is a bloody hoax!', schrie da auf einmal der Junge neben Petra so laut auf, daß ihr fast die Ohren weggeflogen wären. 'Ye scamming arseholes take our money and promise a ride across the moors and THAT'S all we get? I can't believe it!' *

Mit offenem Mund starrte Petra den Schreihals an. Nun ja, er hatte recht, aber sich dermaßen aufzuführen? Bei dem Wetter? Auch Petras Vater versuchte, beruhigend auf den Jungen einzuwirken, doch vergebens.

'I'll sue your bloody arses off, yer minging twats!',** polterte der junge Mann, den Petra mittlerweile keineswegs mehr anziehend oder auch nur sympathisch fand, weiter.

Grinsend kam der Vortragende auf den Wagen zugeschlendert, aus dem der Unsympath mittlerweile mit grimmigem Gesicht weit herauslehnte.

'You want to see more of our lovely moors? Come on then, follow me, I know of an especially beautiful spot.' *** Zögerlich kletterte der Knabe aus dem Waggon und folgte dem Mann. Sämtliche im Zug sitzenden Touristen sahen den beiden gespannt nach wie sie hinter dem Haufen verrosteter, zur Dekoration aufgebauten ehemaligen Torfabbaumaschinen verschwanden, die in der Mitte des Gleisrundes aufgebaut waren.

Plötzlich kam der Junge, käseweis im Gesicht, wieder um die Ecke geschossen, rannte zu seinem Vater, der weiter hinten im Zug saß und stotterte: 'There's a stiff down yonder, all you can see is an airm ...' ****

Petra sah wie der Angestellte dem Vater leise zublinzelte, dieser blinzelte zurück, nahm seinen Sohn tröstend in den Arm und meinte: 'Ja dann sind wir doch mal froh, lieber Sohn, daß wir nicht weiter ins Moor hinausfahren müssen, wer weiß, ob es uns dann nicht vielleicht auch so ergehen würde?'

Später, nach der Rückkehr des Zuges zum Bahnhof vor dem Museum, hörte Petra wie der Angestellte zum Vater des Jungen leise sagte: 'Nur ein Scherzartikel, ein skelettierter Arm der im Boden steckt. In unseren Mooren kann schon lange niemand mehr versinken. Aber offenbar hat es ihren aufgebrachten Sprößling zur Raison gebracht. Mit den Yorkshire Moors können wir hier beileibe nicht mithalten.'

*Das ist totale Verarschung! Ihr betrügerischen Arschlöcher nehmt unser Geld und versprecht uns eine Fahrt durch's Moor und das ist alles? Ich glaub das jetzt nicht!

**Ich klag euch bettelarm, ihr ... (üble Beleidigung, die wäre FSK18 ;-)

*** Du willst mehr von unserem Moor sehen? Dann komm mit. Ich kenne da eine ganz besonders bezaubernde Ecke.

**** Da drüben liegt eine Leiche, man sieht nur noch einen Arm ...





Donnerstag, 27. Februar 2025

Am Küchentisch mit Erna


'Ja Mann und wieso? Wieso ist das keine gute Idee? Die Idee ist astrein!'
Zornig fegte Manne mit dem Arm heftig über den Tisch, so daß die festgepappten Bierflaschen rumpelnd und klirrend am anderen Ende zu Boden fielen.

'Haste toll gemacht Manne, echt toll!', regte sich Erwin auf. 'Jetzt überleg doch mal. Du willst Leute abchecken die auf deiner neuen App ihre Wanderungen live aufzeichnen und während sie weg sind, räumst du ihre Bude aus. Soweit so gut. Aber wie willst du die erkennen? Die tragen ihren Namen und ihre Adresse doch nicht auf den Klamotten wie die Fußballer ihre Zahlen. Willst den Leuten nachschleichen und sie fragen wer sie sind? Und am besten noch, ob sie eh guten Schmuck daheim rumliegen haben?'

'Schmarrn Alter! Ich geh denen unauffällig nach und dann seh ich ja wo sie wohnen und mit wem. Und beim nächsten Ausflug ... rein in die gute Stube! Ich versteh dein Problem nicht.'

'Weil das viel zuviel Aufwand ist. Überleg doch mal. Bis du endlich mal ein passendes Opfer gecheckt hast können Wochen vergehen und dann ist es ein fauler Sack der nur alle paar Monate mal rausgeht ... ich seh das einfach als wenig rentabel an.'

'Ja Mann Erwin echt, du klingst wie mein Vater! Weißte was? Dann zieh ich das alleine durch. Du bist und bleibst ein Schisser. Kannst ja weiter auf Stütze vor dich hinmodern, wenn dich das aufbockt. Wirst schon sehen wer am Ende recht hat. Und dann kannst schaun, wenn ich mit nem coolen Auto und zwei heißen Bräuten drin vorfahre und du immer noch einsam und alleine auf deinem rostigen Radl durch die Gegend eierst.'

'Ja so blöd wärst du auch noch, dir eine Angeberkarre zu kaufen. Alter! Da fragen sie dich doch dann sofort wo die Asche herkommt! Du darfst deinen Lebensstil doch nicht ändern, bist du völlig bescheuert? So fliegst doch sofort auf! Sehnsucht nach Kaisheim?'

Bamm. Mit einem lauten Knall war die Wohnungstüre ins Schloß gefallen. Ok, Manne war mal wieder sauer. Aber so war er halt. Ständig neue Ideen im Schädel die ihn fast immer auf direktem Wege zurück in den Knast führten. Und wenn man was sagte flippte er aus. Manche Leute lernen es einfach nie. Wenigstens war jetzt wieder Ruhe. Behaglich angelte sich Erwin eins seiner Comics vom Boden, legte die Füße auf den nun freien Tisch und begann zu lesen.

So richtig konzentrieren konnte er sich jedoch nicht. Die Idee von Manne ließ ihn nicht los. So ganz dumm war die tatsächlich nicht. Wenn die Adrenalinjunkies sich in Wald und Heide austobten, waren sie nicht nur eine Zeitlang beschäftigt sondern man konnte in der App ja auch genau sehen, wo sie waren und wann sie demzufolge frühestens nach Hause kämen Vorausgesetzt natürlich ... Erwin sprang auf und begann, in seinem Kleiderschrank zu wühlen.

Am nächsten Morgen joggte Erwin keuchend um den Stempflesee herum. Bissl was für die Fitneß tun, redete er sich ein. Schadet nie. Da vorne, der Große mit den teuer aussehenden, schreiend bunten Outdoor Klamotten. Ob er sich den mal näher ansehen sollte? Langsam auf der Stelle trippelnd verfolgte Erwin die Runden des federnden Sportsmannes, warum sich unnötig quälen, bis dieser endlich Richtung Parkplatz abbog. Enttäuscht und außer Atem mußte Erwin mit ansehen, wie sein Zielobjekt in einen feschen Sportwagen einstieg und röhrend davonbrauste. Shit! Klar! Hierher fuhr niemand mit der Straßenbahn wenn er sich ein Auto leisten konnte. Böser Denkfehler. Also Ortswechsel. 

Die App leitete ihn als nächstes auf die Feldwege zwischen Inningen und Bobingen. Prima Gelände, hier mußten die Leute nicht mit dem Auto hinfahren, da sie nicht weit entfernt wohnten. Die App zeigte ihm einen älteren Herrn, der zwar nicht besonders teuer gekleidet war, aber eine fette Breitling am Arm trug. Ihm zumindest konnte er ohne weiteres folgen. Gemächlich drehte der Opa seine Runde und ließ sich schlußendlich auf dem Bankerl beim Friedhof nieder um sich auszuruhen. Ja toll! Unauffällig schlich Erwin durch die Gräberreihen, immer die App im Auge, um ja das Aufbrechen seines Zielobjeks nicht zu versäumen.

'Ja sag amal, die jungen Kerle, sogar am Friiiiiiiedhof immer des Handy vor die Augen! Hosch du keun Reschpekt mehr vor die Toten, ha!' Verdutzt blickte Erwin in die zornblitzenden Augen einer älteren Dame, die es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht hatte, auf dem Inninger Friedhof für Zucht und Ordnung zu sorgen. 
'Wem g'hörsch denn du? In die Kirch gehsch jedenfalls ned, do han I di no NIA g'säha!', fuhr sie in breitestem Schwabendialekt fort. 

Verdammt! In diesem Moment sah er, wie der Opa in einen alten verbeulten Toyota stieg und puffend und knarzend die Straße hinabknatterte. Wieder nix! 

'Was guggsch so? Hosch den Herrn Wieninger kennt, oder? Dem sei Frau isch neulich g'storba und seither kommt er jeden Tag ans Grab und dernoch duat er joggen. Wie sie no g'läbt hod, hod er sich nix saga lassa. Aber jetzat ... leider zu spät ...'

Erwin hatte eine Idee: 'Schauen Sie mal, so ein Handy ist wirklich auch sehr praktisch. Wenn man beispielsweise jetzt nicht mehr weiß, wo jemand wohnt, dann kann man das hier nachschauen. Was hat denn der Herr Wieninger für eine Adresse?' 'Ja Lindauer Schtroß 80b, deswäga fahrt er ja mit'm Audo. Des laufsch nemme in dem Alter.'
'Ja no gucket Se,' verfiel Erwin in den heimischen Dialekt während der die Adresse rasch im Google eingab. 'Do sähat Se? Lindauer Schtroß 80b. Jetzt wenn Sie nemme wisset wo Sie nah müsset, na gangat Se eufach dem Pfeil nooch.'

Die Frau war fasziniert. 'Ond mit meiner Adress gott des au?', fragte sie neugierig. Ihre kleinen verschmitzten Äuglein blickten interessiert zu Erwins Gesicht auf. 'Ha freilich. Des gott mit jedr Adress. Au mit Ihrer.'
'No guggsch amol Steingadener Schtroß 4.'
'Steingadener Schtroß 4? Do war doch amol ... do han I als Kind immr Gutsle kofft ...'
'Ha des isch abr scho lang här... Des waret mei Muttr und mei Schweschtr, dia hend den Lada g'hett. Und I han des Haus g'erbt. Ha, no bisch du doch von do. Abr jetzt zeug mr des amol mit dera Adress!'

Flugs gab Erwin die Steingadener Straße in Google ein und während die alte Dame mit kindlicher Freude die blaue Linie betrachtete, die direkt zu ihrem Häuschen führte, äugte Erwin wohlgefällig nach den Perlenketten, die sie um ihren dürren, faltigen Hals geschlungen hatte.

'Also gell, I glaub so a Handy koff I mr au. Komm, mir fahret in'd Stadt, I muaß bloß grad no des Eumerle bei mir in'd Garaaasch schtella, wenn mr si schicket no kriag ma no den Zug um 10.40 noch Augschburg nei.'

Bevor Erwin auch nur einen Pieps machen konnte, wurde er von der energischen Dame am Arm gepackt und die Straße hinabgezogen. An der nächsten Kreuzung bog sie mit Schwung nach rechts ab: 'Do warat frihers Küh g'schtanda. Ond jetzt? Elles vollr Heisr. A Schand isch des was dia aus onsrm Dorf g'macht hend!!!'

Kurze Zeit später, am Heimweg von Augsburg, nannte die alte Dame nicht nur ein funkelnagelneues Smartphone ihr eigen, auf dem sie bereits mit wachsender Begeisterung herumtippte, sie hatte ihrem treuen Einkaufsbegleiter sogar ein Paar neue Kopfhörer spendiert 'drmit oinr wenigr in dr Schrossaboh mit seine Filmle rumnervt.' Das könne sie nämlich auf den Tod nicht ausstehen. Die angebotene Tasse Tee nach dem erfolgreichen Einkaufsbummel schlug Erwin nicht aus, hoffte er doch, sich in der Wohnung der alten Dame einen umfassenden Überblick über eventuell vorhandene Preziosen machen zu können.

Mit offenem Mund saß Erwin kurze Zeit später am Küchentisch mit Erna, wie sich seine neue Bekanntschaft vorgestellt hatte. Die Wände der gesamten Wohnung waren, soweit er bisher hatte feststellen können, mit Zeitungsausschnitten, Fotos und selbstgemalten Bildern zugepappt. Kein Mut zur Lücke, alles bunt durcheinander, keine Struktur erkennbar. Ihm wurde schwindelig.

'Des isch scho cool, gell?', grinste Erna erfreut, in der irrigen Annahme, ihr Gast sei in purer Bewunderung erstarrt. Erwin räusperte sich und fragte nach der Toilette. Doch nicht einmal hier war seinen Sinnen eine Erholungspause vergönnt. Fotos, Zeitungsausschnitte und Poster klebten nebeneinander, übereinander, durcheinander. Es war der absolute Wahnsinn.

Der Tee war warm und belebend, und Erna trotz ihres starken Dialekts eine wirklich bezaubernde Gesprächspartnerin. Auch sie schien sich sehr über seinen Besuch gefreut zu haben, sprach sie doch, als er sich schlußendlich schweren Herzens von ihr verabschiedete, sofort eine Einladung für ein nächstes Mal aus, gerne auch ohne Anmeldung.
'Wo wird so alts Weib wia I schon higanga, außr in dr Friah amol zomm Friedhof.'

Herr Wieningers Haus stand in einer kleinen Siedlung, die streng genommen bereits zur nächsten Ortschaft gehörte, aber doch näher an Inningen lag als an Göggingen. Sogar eine eigene Bushaltestelle hatte sie, an der etwa alle halbe Stunde ein Bus hielt. Vier Euro wollten sie mittlerweile für eine Fahrt von Augsburg hierher, kein Wunder, daß sich Herr Wieninger für ein Auto entschieden hatte.

Wie jeden Morgen war Herr Wieninger, wie auf der App unschwer zu erkennen war, eifrig zwischen Bobingen und Inningen am Joggen. In das Haus einzusteigen war weiter kein Problem, die Nachbarhäuser waren von dichten Büschen umgeben, nirgends bellte ein Hund. Erwin war begeistert. Wenig später trollte er sich, seine Fundsachen im Rucksack mit sich tragend, nach hinten hinaus über die Äcker in Richtung Wertach. Weniger Zeugen. Zwar stellte die Singold ein kleines Problem dar, doch wer sich auskannte wußte, wo man unauffällig über den Fluß kommen konnte wenn ihn nicht vorher ein Golfball vom benachbarten Platz am Kopf traf. Ein Hopser und es war geschafft.

Seine Teestunde mit Erna fand mittlerweile fast täglich statt. Manne war schon wieder eingefahren weil er ausgerechnet bei einem ehemaligen Polizisten in der Benediktbeurer Straße eingestiegen war, und ohne ihn fühlte er sich einsam. Erna und er unterhielten sich über das Tagesgeschehen, er lud ihr neue faszinierende Apps auf ihr Handy, manchmal spielten sie sogar ein Spiel miteinander. Bis Erna eines Tages fragte: 'Sagamal, kannsch du di no an den Herrn Wieninger erinnern? Der immr in dr Früh am Friedhof kommt vorm Joggn?'
'Ähm ... Herr Wieninger? Der mit der alten Rostkiste?'
'Bei dem hends eibrocha. Dr Schmuck vo seinr Frau. Elles weg. G'woint hodr. Es wär ihm ja ned wegn an Geld hodr gsagt, abr halt die Erinnerung an sei Frau ...' verstohlen wischte sich Erna ein Tränchen aus dem Augenwinkel.
Verdammt. Das hatte er nicht gewollt. So ein reicher Kerl hat doch eine Versicherung hatte er gedacht und somit ist der Schaden gedeckt. Und nun? Nun weinte der arme alte Mann um den Verlust und er, Erwin, war schuld. 
Den Göttern sei Dank hatte er die Schore noch nicht zum Hehler gebracht sondern diese lag sicher im Versteck zwischen Wertach und Seitelbach. Da kam so schnell niemand hin.

Als er am nächsten Morgen mit seinem Rucksack gerade rittlings auf der Fensterbank von Herrn Wieningers Schlafzimmerfenster saß, hörte er von unten eine sonore Stimme:
'Heda, Sie! Was machen Sie da! Hände hoch und keinen Mucks!'
Erschrocken blickte Erwin hinab in den Garten, wo ein typisches Wichtigtuer-Männchen breitbeinig dastand und mit beiden Armen ein längliches, uraltes Gewehr, wohl noch aus Armee-Beständen, auf ihn gerichtet hielt.
'Die Polizei ist schon verständigt. So eine unglaubliche Frechheit, gleich zweimal bei dem armen Herrn Wieninger einbrechen zu wollen! So geweint hat er um den Verlust des Schmucks seiner geliebten Frau und jetzt täten Sie ihm auch noch den Rest mitnehmen wollen? Was für eine Saubande!!!'

'Moment mal!,' verteidigte sich Erwin beherzt. 'Ich möchte nichts stehlen, sondern etwas zurückbringen. Ich habe erfahren, wie nahe dem Bestohlenen der Verlust gegangen war und da ich wußte, wer den Schmuck entwendet hatte, wollte ich ihn einfach und unkompliziert wieder zurückbringen. Das ist alles.'

'Luagabeidl verreckter!', warum hosch no et eufach klinglt, ha???'
'Weil ich niemanden hineinziehen wollte. Es hätte sicher Fragen gegeben und ich möchte den Dieb nicht hineinreiten. Sehen Sie selbst, der Schmuck befindet sich hier unversehrt im Rucksack und ich wollte ihn einfach nur ...' Erwin wußte nicht mehr was er sagen sollte. Seine ritterliche Aktion war offenbar gewaltig fehlgeschlagen. Warum hatte er nicht besser aufgepaßt, statt sich eitel in seinem Edelmut zu sonnen? Unvorsichtigkeit ist der erste Schritt ins Gefängnis, hatte sein Vater immer gesagt.

Einer plötzlichen Eingebung folgend rief er aus: 'Hören Sie, rufen Sie die Erna an, die kann für mich bürgen! Wir kennen uns vom Friedhof und sie hat mir das mit dem Einbruch erzählt!'
'Red kein Schmarrn und laß die arme alte Frau aus'm Spiel du Verbrecher!'
Mittlerweile hatten sich weitere Nachbarn zu dem Wichtigtuer gesellt und blickten neugierig nach oben.

Während Erwin verzweifelt versuchte, sich auf der eckigen Fensterbank so zu setzen, daß er sich nicht sämtliche Weichteile abklemmte, was ohne Hände, die er ja weiter erhoben hatte, fast unmöglich war, tockerte auf einmal die allen wohlbekannte alte Rostkiste von der Hauptstraße herab und Herr Wieninger entstieg verwundert seinem, naja, Auto.
'Was isch denn do los?' fragte er verwundert. 'Was stehts ihr da im Weg rum? I muaß jetzt do a Kehrtwende machen, soll I euch zammfahrn oder was wird des?'

'Ja sehen Sie das nicht! Der Einbrecher da! Der sitzt am Fensterbrett und will noch mehr Schmuck klauen!'
'Is doch ned wahr!', schrie Erwin verzweifelt. 'Zurückbringen wollt ich ihn, zurückbringen! Und der Depp do der laßt mi ned. Schauns doch nei in den Rucksack, da isser doch drin der Schmuck! Rufts die Erna an am Handy und fragts es, wenn ihr mir nix glaubn wollts!'

'Ja sonscht no was, die alde Hex. Für was moinsch hab I überall den Liebstöckl anpflanzt durch den du mir dankenswerterweise direkt durchg'latscht bisch. Also a Einbrecher bisch du ned, der tät schaun wo er hintrabbt. Zeig amal den Rucksack!'

Erleichtert ließ Erwin die Hände sinken, rückte sich noch einmal zurecht, zog den Rucksack von den Schultern und warf ihn Herrn Wieninger zu. Dieser blickte gerührt auf den Inhalt und danach mit Tränen in den Augen wieder hinauf zu Erwin: 'Mei Bua, so a Freid! Jetzt komm amal da runter, des isch doch unkommod.'

Bald darauf saßen alle Beteiligten, samt der mittlerweile angerückten Polizeistreife, im Vorgarten des Anwesens Lindauer Straße 80B und tranken gemütlich ein Weißbier, das ihnen Herr Wieninger großzügig spendiert hatte. Die Polizisten notierten, daß es sich bei dem Einsatz um einen falschen Alarm gehandelt hatte und jeder war glücklich und zufrieden.
Jeder außer Erwin, dem sein gutes Herz einmal wieder einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht hatte.

Allzulange mußte er sich jedoch nicht grämen, denn bereits drei Monate später stellte sich heraus, daß die gute Erna, die 'alde Hex', ihn in ihrem Testament als Alleinerben eingesetzt hatte. Herr Wieninger hatte ihr wohl von dem jungen Mann erzählt, der ihm den vermißten Schmuck durch's Schlafzimmerfenster wieder zurückbringen wollte und sie hatte sich ihren Teil dabei gedacht. 

Leise schniefend stand Erwin vor der erstaunlich zahlreichen Trauergemeinde am Inninger Friedhof. Er hatte sich bereit erklärt, ein paar Worte am Grab vortragen zu wollen. Zu Ehren der sonderlichen alten Dame, mit der ihn während der letzten Monate eine so tiefe Freundschaft verbunden hatte.
Mit zitternden Händen hielt er sich einen schmutzigen, zerknitterten Zettel vor die Augen und las vor:

Und die Moral von der Geschicht: Klau besser keine Sachen nicht, denn sonst kann es wirklich sein, du landest bald in Stadelheim. Die Freundschaft lieber alter Leute ist besser noch als jede Beute.