Sonntag, 6. Juli 2025

Der Deichgraf schmunzelt


Allzuviele Leute waren nicht gekommen zur Beisetzung. Tom hatte am Ende seines Lebens fast keine Freunde mehr gehabt, die meisten waren schwere Alkoholiker wie er selbst. Die waren so früh am Morgen noch nicht fit genug für längeres Stehen. Etwas abseits standen zwei Herren im Anzug, die seltsam deplaziert wirkten.

''Sagen Sie, Sie waren doch der behandelnde Arzt, oder?''
''Ja, tatsächlich. Glauben Sie mir, diesen Fall werde ich niemals vergessen. Ich habe den Herzinfarkt nicht erkannt obwohl ich eigentlich, ohne mich selbst loben zu wollen, doch eine Koryphäe auf meinem Gebiet bin. Doch der Patient hat sich immer auf die rechte Brustseite gegriffen und das Herz ist nun einmal links. Normalerweise. Wie wir ihn dann aufgeschnitten haben auf der Prosektur haben wir blöd geschaut. Bei dem Mann war alles falsch herum. Sozusagen spiegelverkehrt. Hab ich noch nie gesehen sowas. Und wer sind Sie?''
Die Antwort bestand aus einem verschmitzten Lächeln, das die verhangenen Augen hinter der getönten Sonnenbrille nicht mit einzubeziehen schien.
''Sagen wir einmal so: Ich bin ein Mann für besondere Fälle. Und wenn ich mich nicht irre, so ist dies ein ganz besonderer Fall ...''

Sieben Monate zuvor:

Tom war müde. Sehr müde. Das letzte Projekt war anstrengend gewesen, einer dieser Kunden die mit nichts zufrieden waren, und er hatte jeden Abend bis spät in die Nacht hinein gearbeitet. Ohne daß es ihm Freude gemacht hätte wie früher. Er fühlte sich ausgebrannt und leer. Langsam trottete er durch den Park in Richtung Zuhause. Wo ihn sowieso niemand erwartete. Seine Frau war bereits vor zwei Jahren abgehauen. Auf einen Mann, so hatte sie voller Trotz verkündet, der nie zuhause war, könne sie gut verzichten.

Es war zugegebenermaßen eine Erleichterung, ohne das ständige Babygeschrei schlafen zu können und nicht auch noch nachts aufstehen zu müssen um eine vollgeschissene Windel zu wechseln. Wie es heute von einem modernen Mann verlangt wurde, auch wenn der einen 16-Stunden-Tag hinter sich hatte. Andererseits vermißte er ihre Anwesenheit. Niemand hatte gekocht, niemand hatte saubergemacht und niemand keppelte ihn an wenn er spät nach Hause kam. Eigentlich könnte er genauso gut in der Firma schlafen. Er würde sich eine Menge Miete sparen.

Die Wege im Park waren schlecht beleuchtet. Für Frauen eher nicht zu empfehlen, aber er war ja keine Frau. Was sollte ihm also schon passieren? Die seltsamen Figuren, die in den Kies auf dem Boden geritzt waren, nahm er nicht wahr. Als ihm schwindelig wurde dachte er zuerst, es sei die Übermüdung und er müsse sich eine Bank suchen um sich kurz zu setzen, doch im nächsten Augenblick war er bereits ohnmächtig geworden und bekam nichts mehr mit von dem, was als nächstes passierte.

Und das war eine ganze Menge. Um ihn herum stand eine Rotte Außerirdischer und betrachtete ihn kritisch. Im Gegensatz zum gängigen Klischee sind Außerirdische nicht grün. Wäre Tom wach gewesen, hätte er also auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches bemerkt. Lediglich so etwas wie eine Menschenansammlung, was ja nach einem Sturz im Park einer Großstadt zu erwarten wäre.
Nur, daß er sich nicht mehr in der Großstadt befand. Auch nicht in einem Park, sondern in einem groß angelegten Versuchslabor auf dem Planeten SaXpeLi69B.
Sagt aber keiner dort. Man sagt ''der zweite 69-er Saxi'. Nur so am Rande bemerkt, falls ihr irgendwann hinkommen solltet. Gleich mal mit Insiderwissen punkten.

Der Außerirdische an sich ist ja stets sehr interessiert daran, wie die Menschen so ticken. Leider war aus Tom auch unter Hypnose nicht viel herauszubekommen, zu fortgeschritten war sein Burnout. Die Rotte war enttäuscht. ''So ein Schas!'', schimpfte der Laborchef. ''Die ganze Oawat umasunst. Wieda nua so a Trottl. Die Händi sollt ma eahnan wegnehman. Weans ollewäu no deppata, des G'frast. Komplett hin in da Marün. Schickts eam wieda z'haus, des bringt nix.''*

Die Rotte tat wie geheißen, doch sobald der Chef um die Ecke war kickte ein Witzbold seinen Nachbarn in mit dem Ellenbogen in die Rippen: ''Hör mal, machen wir ein bissl eine Gaudi mit ihm bevor wir ihn wieder zurückbringen? Von links auf rechts drehen? Hilfst mir?''

So kam es, daß Tom sich nach nur einer Stunde (Erdzeit) Abwesenheit wieder in seiner Wohnung befand, völlig groggy im Fauteuil hing und keine Erinnerung mehr daran hatte, wie er nach Hause gekommen war. Nur, daß es ihm im Park schwummrig geworden war, das wußte er noch.

'Zeit, die Bremse zu ziehen', dachte er bei sich. 'So kann das nicht weitergehen.'

Leider sah sein Chef das auch so, als er die Woche darauf um Arbeitszeitverkürzung ansuchte. Vier Wochen später, und um eine zugegebenermaßen großzügige Abfindung reicher, fand Tom sich wieder in seinem Fauteuil zuhause. Arbeitslos. Müde. Alleine.

'Die Zeit heilt alle Wunden', dachte er. Und: 'Lustig samma, Puntigamer'. Werbefachleute halt. Nie um einen blöden Spruch verlegen. Mit Verve stand er auf, deklamierte: ''Dies war eine stringente Schlußfolgerung!'', und machte sich auf den Weg ins Beisl an der Ecke. Leute mürbe quatschen. Seine Spezialität. Und nachdem er es war, der die Runden bezahlte, hörten sie ihm alle mehr oder weniger andächtig zu. Seine neuen Haberer. Seine Gefolgschaft. Seine Fans.

Leider blieb seine Leidenschaft für Beisl-Preaching nicht ohne Folgen für seine Leber. Beim Arzt konnte natürlich nichts festgestellt werden. 
''Tut es da weh?'', fragte der Internist seines Vertrauens, nachdem er ihn für seinen drastisch angestiegenen Alkoholkonsum ausgescholten hatte, und drückte dorthin, wo man gemeinhin die Leber vermutet.
''Kein bißchen,'' strahlte Tom erleichtert. Offenbar war es doch noch nicht so schlimm und er konnte erst einmal weitermachen wie gewohnt.

Wenn nur Eloise nicht gewesen wäre. Eloise war eine ganz gewöhnliche Frau. Eigentlich. Obendrein war sie ziemlich einsam und hatte sich daher von einer dubiosen Sekte anwerben lassen, die ausgerechnet Außerirdische anbetete. An deren baldige Wiederkehr auf die Erde glaubte und sich von ihnen allerlei Wunder versprach. Die Außerirdischen hat das natürlich gefreut und so kam es, daß die eine oder andere an sich geheime Info an Mitglieder der Sekte geleakt wurde. Auch Extraterrestials sind manchmal wie Menschen und plaudern im Bett Dinge aus, die sie besser für sich behalten hätten.

Somit wußte Eloise, was es mit den geheimnisvollen Mustern im Kies auf sich hatte. Sie wußte, was passiert, wenn man da hineintritt. Und sie hatte Tom im Beisl von seinem seltsamen Schwächeanfall erzählen hören. Da mußte man nicht mehr 2 und 2 zusammenzählen, da sprang einem die Vier praktisch von selbst ins Gesicht.

Leider war Eloise nicht nur einsam sondern auch ziemlich dämlich, sonst hätte sie ihr Wissen einfach für sich behalten. Aber natürlich mußte sie alles ausführlichst im internet bereittreten, woraufhin bald auch die Leute vom DSN aufmerksam wurden. Und interessiert aufhorchten. Aufgrund von Personalmangel aber leider diesen Fall an die Deutschen weiterreichen mußten, die waren personell besser aufgestellt.

So kam es, daß Tom bald auf Schritt und Tritt beschattet wurde, was ihm allerdings zunächst nicht auffiel. Was er indessen mitbekam war, daß seine Post geöffnet und gelesen wurde. Amtliche Briefe mit Schokoladenfingerabdrücken drauf? Das fällt sogar dem verkatertsten Menschen auf. Und verunsichert ihn massiv. Was war da los? Und wieso flimmerte sein Handy neuerdings, sobald er eine Nachricht erhielt? Und wer war der seltsame Kerl mit der Sonnenbrille, der sich in letzter Zeit auffallend oft unter seine Gefolgschaft im Beisl mischte, aber nie mit ihm oder anderen sprach und seine Getränke stets selbst bezahlte? 

Seine Nerven, von Haus aus schon nicht mehr die besten, wurden immer zappeliger und sein körperlicher Zustand verschlechterte sich zusehends. 

Hier könnte die Geschichte nun eigentlich zuende sein. Herzinfarkt, Tod, Beerdigung, fertig.
Wenn, ja wenn die Außerirdischen nicht Wind von der Sache bekommen hätten.

Ihre an sich wirklich gut gehüteten Geheimnisse in den Händen dieser Anzugträger? Die damit nichts als Unsinn anstellen würden? Das wollte verhindert sein.

Unser Mann mit der Sonnenbrille stieg daher nach Toms Beerdigung nicht einfach wie geplant in seinen Wagen und fuhr von dannen, sondern wurde noch auf dem Friedhofsgelände von einer für die Jahreszeit etwas zu bleichen Gestalt angesprochen: ''Heans, Tschuidign, hätten'S ma an Tschik?''

Unser Mann in Wien hatte seinerseits eine Bekannte, die ständig ins Wienerische verfiel, und wußte daher, was ein Tschick ist. Als Nichtraucher hatte er aber keinen und wollte sich gerade bedauernd abwenden, da stellte ihm die Gestalt hinterrücks ein Bein. Er stolperte, ruderte mit den Armen, fiel zu Boden.

''So und jetzt heast ma amal zua du Piefke. Wos is do los? Den oaman Tschecheranten ins Grab treiben mit deppat hinterherspioniern und fia wos? Wüst aa entführt wean? Wos wüst wissn? Sog ma's glei und mir kennan dia Soch auskartln.''**

Der Mann lag still da und sah der Gestalt ins Gesicht. ''Guter Mann, leider verstehe ich kein Wort von dem, was sie da sagen. Hätten Sie die Güte, es noch einmal auf Deutsch zu wiederholen?''

Der Laborchef, denn um keinen anderen handelte es sich bei der Gestalt, seufzte tief. Natürlich. Hätte er sich ja denken können. Sie hatten extra ihn geschickt, weil er die Landessprache beherrschte und nicht auffallen würde. Aber natürlich konnte der Piefke ihn nicht verstehen. Perfekt. Leider hat der Außerirdische, auch wenn dies hier und da behauptet wird, keineswegs ständig einen Babelfish zur Hand der ihm auf der Stelle sämtliche Sprachen dolmetscht und vice versa.

''Boss auf,'' sprach er langsam und deutlich. ''Du hea-h-st auf mit die Nach-h-forsch-h-ung-h-en und mia los-h-ma di in Ruah-he. Vasteh-hst mi?''

Da war er allerdings akkurat an den Falschen gekommen. Unser Mann stand langsam auf, klopfte sich die Friedhofserde vom Anzug und meinte gelassen: ''Was für Nachforschungen? Wer sind Sie überhaupt und was möchten Sie von mir?''
Der Laborchef war baff. So sprach man normalerweise nicht mit ihm. Man erzitterte in Ehrfurcht und tat was er wollte. 

Die beiden Männer lieferten sich ein Blickduell bis die Luft zwischen ihnen zu britzeln und zu vibrieren begann. Lichtblitze zuckten auf und hier war der Mann mit der Sonnenbrille logischerweise klar im Vorteil. Der Laborchef blickte zu Boden und seufzte: ''Okäh, host g'wunnan.''

''Kommen Sie doch mit ins Beisl,'' lud der Mann im Anzug ihn ein. ''Wir trinken zusammen einen auf den Verstorbenen und vielleicht finden wir dort einen Dolmetsch, der Ihnen klarmacht, was ich Ihnen sagen möchte.''

Verwirrt blickte der Laborchef in die verhangenen Augen seines Gegenübers. War das nicht gerade noch anders herum gewesen? Geschlagen tappte er hinter dem fröhlich pfeifenden Anzugmenschen her, welcher ihn schnurstracks ins Beisl am Eck führte, wo er stilgerecht zwei Krügerl bestellte mit denen man sich in eine stille Ecke verzog.

Was die beiden dort ausgehandelt haben, mit oder ohne Dolmetsch, werden wir nie erfahren.

Interessant dabei ist lediglich, daß seit dieser Zeit, immer kurz vor Vollmond, seltsame Zeichen auf einer der Wiesen in der Nähe eines kleinen Dorfes bei Höxter auftauchen. Und jedes Mal verschwindet ein Schaf. Seither war die Aa nie mehr über ihre Ufer getreten. Der Deichgraf schmunzelte nur wenn die Dorfbewohner sich darüber wunderten und rückte seine Sonnenbrille zurecht.
Das Leben war schön. Auch und sogar in Ostwestfalen-Lippe.

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Übersetzungen der beiden längeren Texte des Laborchefs ins Deutsche:

*Die ganze Arbeit umsonst. Wieder nur so ein Trottel. Die Handys sollte man ihnen wegnehmen. Davon werden sie immer noch verblödeter, die Nichtsnutze . Komplett kaputt in der Birne. Schickt ihn wieder nach Hause, das bringt nichts.

**So und jetzt hörst mir mal zu du Piefke. Was ist da los? Den armen Säufer ins Grab treiben mit blöd hinterherspionieren und wofür? Willst du auch entführt werden? Was willst du wissen? Sag es mir gleich und wir können uns bestimmt einig werden.

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