Freitag, 15. August 2025

Kunst als Gefahr


Natürlich hätte ich niemals damit gerechnet, irgendwann einmal meine Werke in einer Ausstellung präsentieren zu dürfen. Zeit meines Lebens hatte ich alleine zuhause vor mich hingewerkt, einfach nur so, aus Spaß. 

Angefangen hatte es damit, daß ich eines Tages, damals noch in Augsburg, aus Geldmangel auf die Idee kam, Osterkarten selbst zu basteln. Eine Zeitschrift lag herum, Kleber war im Haus, Karton ebenfalls. So begann meine 'Karriere' als Collagenkünstlerin. Zu den Postkarten kamen bald die Titelkärtchen für die Musikkassetten, die ich im Laufe der Jahre stapelweise für mich und andere aufnahm.
Somit verschwanden die meisten meiner Werke bei irgendwelchen Bekannten. Für mich selbst fertigte ich kaum etwas an, daher hatte ich trotz jahrzehntelanger eifriger Betätigung bislang kaum etwas vorzuweisen. Entweder verschenkt oder bei einem meiner Umzüge kaputtgegangen. Blöd. 

Bis es mich dann eines schönen Tages nach Frankfurt verschlug. Eigentlich wollte ich nicht hierherziehen. Genausowenig wie ich zuvor nach München hatte ziehen wollen. Eigentlich wollte ich nach Wien. War dann aber versehentlich in der bayerischen Landeshauptstadt gelandet, wo ich im Laufe der Jahre fast wahnsinnig geworden wäre. Zu laut, zu hektisch, zuviele Menschen. Obwohl ich am Stadtrand wohnte. Man entkam ihnen einfach nicht. Also mußte ich von dort wieder verschwinden. Frankfurt ist jetzt auch nicht wirklich besser werden Sie sagen und Sie haben recht. Aber der Zoo ist halt viel hübscher und der Botanische Garten gemütlicher. Immerhin.

So saß ich in meiner freundlich eingerichteten neuen Wohnung, voller Bücher wie immer, sehr ruhig gelegen in einem der Außenbezirke, und sah mir den Schneefall durch die (noch) frisch geputzten Fenster an. Das Wetter kam mir sehr zupaß, so würde ich doch noch ein paar Bilder zustandebringen bis zum geplanten Ausstellungstermin. Das Flanieren und Erkunden der noch fremden Nachbarschaft macht doch relativ wenig Laune, wenn es einem ständig den feuchten Schnee ins Gesicht haut und einem der scharfe Wind den schützenden Schirm aus der Hand reißen will. Da bleibt man gerne zuhause und arbeitet ein wenig.

Als mich die Galerie kontaktiert hatte, war ich erst einmal aus sämtlichen Wolken gefallen. Woher wußten die von mir? Achso, Instagram? Ja wenn das so ist ... und mit erneutem Eifer stürzte ich mich auf meine Kartonagen und Leinwände. Die Jungs vom Umzugsunternehmen hatten sehr geächzt, als sie Kiste um Kiste mit schweren Büchern und Zeitschriften nach oben tragen mußten, aber mei, was nutzt mir das Material in meiner Münchner Zweitwohnung wenn ich hier in Frankfurt damit arbeiten will? Richtig. Genau garnichts.

Seit einiger Zeit war ich dazu übergegangen, nicht nur Wörter (dummes Zeug wie Ritzenflitzer oder Bauarbeiterdekolleté) in meine Collagen einzuarbeiten sondern ganze Textpassagen. Vorzugsweise aus chinesischen oder arabischen Büchern, die ich hier und da in einem der zahlreichen Frankfurter Bücherschränke ergattert hatte. Offenbar viel internationales Publikum unterwegs in dieser Stadt. Natürlich hatte ich keine Ahnung was da stand, über die üblichen in Europa gebräuchlichen Sprachen bin ich nie hinausgekommen. Aber es sah hübsch aus und ich fand es schick, hier und da einen kleinen Textfetzen ins Geschehen hineinzuflechten. Warum nicht?

Am Abend der Vernissage stand ich ungelenk in der Gegend herum und betrachtete das doch eher spärlich hereingetröpfelte Publikum. Natürlich hatte ich keine Werbung für die Ausstellung gemacht, in der wohl fehlgeleiteten Annahme, wer sich für Kunst interessierte der hätte die Galerien eh im Blick. Dachte, die lesen das doch in der Zeitung. Naja. Wie der Blödpiefke Rebers schon immer sagte: 'Der dachtende Mensch ist dem Herrn ein Gräuel.' 
Wo er recht hat ...

Der Sekt war wie immer pappig und wenig verlockend, die gereichten Häppchen gatschert und unappetitlich. Nur meine Bilder, die waren echt gut. Fand ich. Und das fand wohl auch ein dunkelhäutiger Mann im feschen Anzug, der seit geraumer Zeit beinah mit der Nase an einem der Bilder klebte. Als ich mich fast dazu durchgerungen hatte, auf ihn zuzugehen und ihn zu fragen, ob es ihm gefiele, drehte er sich um und blickte flammenden Auges durch den Raum. Oha. Offenbar gefiel es ihm NICHT. Konnte der vielleicht Arabisch? Hatte ihn der Text auf dem Bild erzürnt? Was zum Teufel stand da eigentlich? 

Festen Schrittes steuerte der Mann auf die Galeristin zu und fragte weithin vernehmbar: ''Wer von den Anwesenden ist der Künstler?''
Höchste Zeit zu verschwinden, beschloß ich, griff nach meinem Mantel und huschte unauffällig, wie ich hoffte, zur Seitentüre hinaus.

Und was jetzt? Ich konnte mich ja schlecht von meiner eigenen Vernissage entfernen. Andererseits hatte ich echt keinen Nerv für Auseinandersetzungen mit einem wütenden Besucher. Was war zu tun? Kurzerhand begab ich mich in ein Kaffeehaus um die Ecke und bestellte eine Apfelsaftschorle. Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte und gerade nach meinem Handy griff um in der Galerie nachzufragen, ob die Luft rein sei und ich zurückkehren könne, langte plötzlich ein beanzugter Arm von hinten über meine rechte Schulter und entwand mir das Telefon.

Wütend drehte ich mich um und wollte gerade losschimpfen, da erkannte ich ihn. Den Mann aus der Galerie. Wie hatte der mich jetzt so schnell gefunden?
''Was soll das? Geben Sie mir mein Telefon wieder!'', rief ich erbost.
Der Mann lächelte nur orientalisch und ließ sich mir gegenüber am Tisch nieder.
''Deine Zunge ist wie ein Pferd. Wenn du es nicht im Zaume hältst, wirft es dich aus dem Sattel.''
''Was für eine Zunge? Ich hab doch garnix gesagt. Ich verstehe nichts von Pferden, Reiten und Auf- und Abzäumen und was weiß ich. Nur mein Telefon, das hätte ich gerne wieder.''
''Zuerst möchte ich wissen, wer deine Komplizen sind. Und glaube ja nicht, mich belügen zu können, wir sind überall.''

Also das war doch jetzt die Höhe. Nahm der mir mein Handy weg und wollte mich obendrein noch bedrohen! Flugs stand ich auf und wollte mich zur Theke begeben um den Wirt zu fragen, ob ich grad mal bei ihm telefonieren könnte ... da lag ich schon auf der Nase.

Verdutzt rieb ich mir den Ellenbogen. Hatte mir der ein Bein gestellt? Augenscheinlich fürsorglich reichte er mir die Hand um mir aufzuhelfen. Packte mich jedoch im selben Augenblick fest am Arm und flüsterte mir ins Ohr: ''Keine Flucht. Du bleibst hier und verrätst mir was ihr vorhabt. Jetzt. Keine Ausreden. Ich habe die Message auf deinem Bild gelesen und verstanden. Das Bild ist vernichtet ...''
Weiter kam er nicht, mein Aufschrei war infernalisch laut.
''DU HAST MEIN BILD VERNICHTET? SPINNST DU???''

Aller Augen ruhten auf uns. Ich lächelte verlegen und nahm so würdevoll wie möglich wieder Platz. ''Hör mal gut zu du Scherzkeks. Was auch immer die Message auf dem Bild war, ich habe keine Ahnung! Ich kann kein Arabisch! Ich hab einfach irgendwas ausgeschnitten aus einem Buch und in das Gemälde reingeklebt. Weil es schön AUSSCHAUT. Kein Grund, das Bild zu ZERSTÖREN! Des kostet 250 Euro! Wo samma denn!!!''

''Selbstverständlich habe ich der Galerie das Bild ordnungsgemäß abgekauft bevor ich es zerstört habe.'', erwiderte der seltsame Typ würdevoll. ''Wir Araber wissen, was sich gehört. Dennoch kann ich nicht glauben, daß du nicht weißt, was du da ausgeschnitten hast, weil es absolut perfekt mit dem Rest des Bildes harmoniert hat und insgesamt eine Aussage ergab, die unseren Geheimdienst sehr erschreckt hat. Das KANN kein Zufall sein. Ich habe dir hiermit die Gelegenheit gegeben, dich zu äußern. Du hast sie nicht ergriffen. Also werde ich dich festnehmen lassen und wir werden sehen, wie lange du schweigen willst, in den feuchtkalten Kellern unserer Botschaft. Wir können auch anders.''

Er winkte kurz in Richtung Fenster und schon betraten fünf wuchtige Rausschmeißertypen das Kaffeehaus. Total klischeehaft. Hätte ich nicht vor Panik gezittert, ich hätte mich köstlich amüsiert. Noch bevor ich Blickkontakt mit der Bedienung aufnehmen konnte, hatten die Kerle mich in ihre Mitte genommen, einer hielt mir den Mund zu und sie zogen mich hinaus in die Kälte, und in die Richtung eines länglichen Autos mit getönten Scheiben. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Was ging denn hier ab? Arabischer Geheimdienst? So ein Unsinn, der hatte sie doch nicht mehr alle! Heftig biß ich den Mann in seine widerlich schmeckenden Finger, er schrie auf und ich ebenfalls: ''Hilfe, Hilfe, ich werde entführt!!!''

Die Passanten blickten milde interessiert. Offenbar dachten sie, es handle sich um die Aufzeichnung eines Tatorts oder so etwas Ähnlichem und kamen nicht auf die Idee, mir beizuspringen. Genau dieselben Penner wie in München! Gelangweiltes Pack!

Der Gebissene haute mir mit Schmackes eine rein, daß mir die Ohren klingelten und seine Kumpanen stopften mich auf den Rücksitz des bereits mit offenen Türen bereitstehenden Wagens. Die würden mich doch nicht ... die konnten mich doch nicht ... Stumm vor Entsetzen saß ich zwischen zwei der Kolosse auf dem Rücksitz und versuchte herauszufinden, wo wir hinfuhren. Selbstverständlich zwecklos, schließlich kannte ich mich hier absolut nicht aus und durch die hinteren Scheiben konnte man nichts sehen.
Später, in der doch einigermaßen geheizten Zelle, brütete ich vor mich hin. Konnte ich etwas tun? Nein. Konnte ich einfach nichts tun? Auch nein. Was also sollte ich machen? Erst einmal versuchen, zu schlafen. Es war spät geworden und ich war trotz allem todmüde.

Wütendes Gebrüll weckte mich auf. Es drang offenbar aus einem der Büros auf der anderen Seite des Flurs. Leider konnte ich nicht viel verstehen. ''Vollidioten'' hörte ich und ''Mann für besondere Fälle'' und ''mir egal, dann eben im Flugzeug oder wegen mir im UFO!'' Wollten die mich in ein Flugzeug setzen und abstürzen lassen? Oder von Außerirdischen abholen?
Meine Phantasie lief auf Hochtouren.
Würde ich aus dieser Geschichte lebend wieder herauskommen?

Nachdem man mich noch eine ganze Weile hatte schmoren lassen, hörte ich endlich den Schlüssel im Schloß. Ein untersetzter dunkelhaariger Mann mit gewaltiger Hakennase stand in der offenen Türe und schaute geflissentlich über mich hinweg an die Wand: ''Wenn Madame bitte mitkommen wollen'', tönte er mit erstaunlich sonorer Stimme, die ich als diejenige des 'Brüllaffen' erkannte, den ich frühmorgens unfreiwillig belauscht hatte. Wenn er mit 'Vollidioten' die Typen gemeint hatte, die mich hierhergezerrt hatten, dann bestand ja noch Hoffnung, daß das hier gut ausgehen würde.

Auf unsicheren Beinen stakste ich hinter ihm den Gang entlang. Nach wenigen Metern blieb er stehen, öffnete eine Türe und bedeutete mir, hindurchzugehen. Vorsichtig steckte ich den Kopf ins Zimmer. Gleich rechts vom Eingang lümmelte ein großer Mann mit Glatze und Brille in einer Sitzecke. Auch er trug einen Anzug, nur daß ihm seiner wirklich hervorragend zu Gesicht stand wie ich trotz meiner Aufregung nicht umhin konnte, zu bemerken.
Als er meiner ansichtig wurde, richtete er sich auf und sah mich aus verhangenen Augen streng an. Seine Mundwinkel zuckten fast unmerklich als er neben sich auf den Polster klopfte und sprach: ''Setzen Sie sich doch. Sie brauchen keine Angst zu haben, es wird Ihnen niemand etwas tun. Es handelt sich hier um ein bedauerliches Mißverständnis und es ist uns allen sehr daran gelegen, die Sache so gütlich wie möglich zu bereinigen.
Wobei Sie, das muß auch gesagt werden, ein gerüttelt Maß an Mitschuld tragen. Wie konnten Sie nur so leichtsinnig sein, und einen Text in ihren Bildern verarbeiten, von dessen Tragweite Sie offenbar keine Ahnung hatten? Wegen Ihnen haben eine ganze Menge Leute die Nacht über ordentlich geschwitzt, das kann ich Ihnen sagen!''

Ich schaute verdutzt. Alles hatte ich erwartet, aber das nicht. Das klang ja schon fast wie eine Entschuldigung. 

''Wir sind, während wir hier sprechen, bemüht, die Unordnung in Ihrem Appartement so gut wie möglich zu beseitigen und wir sind übereingekommen, Ihnen auch die restlichen Bilder aus der aktuellen Ausstellung abzukaufen. Unter der Voraussetzung, daß Sie niemandem, und ich betone NIEMANDEM, von diesem Vorfall berichten. Der Galeristin hat man erzählt, Ihnen sei schlecht geworden, Sie seien auf der Straße zusammengebrochen und man habe Sie ins Krankenhaus bringen müssen. Es sei wohl eins der Häppchen nicht mehr gut gewesen? Auch sie wird schweigen. Die Ausstellung ist hiermit beendet, die Bilder sind abtransportiert, es hat sie nie gegeben. Die mit dem chinesischen Text sind zwar harmlos, aber wir sind gründlich. Sie dürfen jetzt gehen, man wird Sie nach Hause fahren.''

War das eine Falle? Mißtrauisch schaute ich ihn an. Der Mann glaubte doch nicht tatsächlich, daß ich mich nach dieser Nacht noch einmal in ein fremdes Auto setzen würde?

''Naa dankschön'', brachte ich schließlich heraus. ''Ich fahr lieber mit den Öffis. Wenn ich vielleicht mein Telefon wieder haben könnt, wegen der RMV App?''

Nun lächelte der große Mann tatsächlich. ''Wie schön, Sie sind aus Bayern?'' ''Naa, I hob da nur g'wohnt.'', stellte ich hastig richtig. Nicht, daß man mich auch noch des Landesverrats beschuldigte.

''Ich kannte einmal eine Frau. Die hatte auch so einen bezaubernden Dialekt. Leider hat sie dann im Lotto gewonnen und ist irgendwo auf einer einsamen Alm in Tirol verschollen. Man hat ja kein Internet dort oben ...'' Er gab sich merklich einen Ruck. ''Hier haben Sie Ihr Telefon wieder. Sie wissen was zu tun ist. Diese Begegnung hat nie stattgefunden. Wir haben uns nie gesehen. Andernfalls ist unsere Abmachung sofort null und nichtig und Sie werden nie mehr ein Bild verkaufen. Gehaben Sie sich wohl.''

Er stand auf und verließ den Raum, ohne zurückzublicken. Schade. Ihm wäre ich gerne mehr als nur einmal begegnet ...














Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen