Sonntag, 8. Juni 2025

Der Aufstand der Gartenzwerge

Bis vor wenigen Monaten haben sie mich noch alle ausgelacht. Old School sei das. Postkarten schreiben: hahaha. Wo es doch Internet gibt mit instant messaging wo der Empfänger die Nachricht SOFORT bekommt und obendrein praktisch gratis. Bücher horten, die jede Menge Platz wegnehmen, wo es doch Kindle gibt und Tolino und wie sie alle heißen. Ganze Bibliotheken auf so einem kleinen Viereck? Nette Idee, aber dann such mal nach den Bilderbüchern deiner Kindheit. Kannste vergessen. Also. Ein Buch bleibt ein Buch bleibt ein Buch. Auch und gerade wenn es muffig riecht. Das ist einfach echt.

Aber was will man reden mit Leuten, die ständig was Neues brauchen und in der Küche keine Mahlzeit mehr zusammenbringen ohne modernes Zeug wie beispielsweise eine Salatschleuder. Durfte ich mich auch wieder auslachen lassen, weil ich nicht wußte was das eigentlich sein soll. Salat mit Schleudertrauma? Schmeckt das? Dann doch lieber Eis am Stiel, ungesund aber schmackhaft und schnell zubereitet: Papier runter und fertig.

Aber ich schweife ab. Natürlich war ich der Technisierung gegenüber durchaus aufgeschlossen. Jemand der soviel fotografiert wie ich, hätte sich schon ein Schloß anmieten müssen um die ganzen Alben unterzubringen, hätte ich meine Fotos tatsächlich wie früher entwickeln lassen. Logisch hab ich die digital gespeichert.

Aber die sind halt jetzt weg. Alle. Bis auf die, die ich mir habe als Postkarten drucken lassen. Weil das Internet weg ist. Ja, das ach so wichtige, staatstragende Instrument der Desinformation und blödsinnigen Unterhaltung, das die Menschen immer dümmer und unselbständiger gemacht hat statt sie zu informierten und zu denkenden Menschen zu erziehen, ist jetzt endgültig kaputt. Und nein, ich sag's gleich, ich war's nicht. 

Es fing ganz harmlos an. Immer mal wieder ein Aussetzer, völlig normal. Das Wetter, das Netz, der Weihnachtsmann. Der ganz besonders. Auch wenn es schon länger keinen Schnee mehr gab außer in Afrika. Die hatten ja sonst nichts und haben sich gefreut. Kann man in Eimern schmelzen und hat Wasser. Aber was machten wir hier ohne verläßliches Internet? Richtig, blöd schauen. Wenn wie von Geisterhand verwischt auf einmal mitten in der Konferenz das Gegenüber verschwimmt und nur noch knarzende Laute von sich gibt.
Klimaschonend jeder im eigenen Konferenzraum sitzend mittels Technik verbunden, von unheimlichen Mächten dann doch wieder plötzlich voneinander getrennt. Keine Geschäfte mehr heute? Fräulein zum Diktat! Wir müssen jetzt doch ein paar Briefe schreiben. Wie, keine Briefmarken mehr? Achso das Fax? Das ist auch kaputt? Dann müssen Sie halt mal rasch zur Post ... achso die hat schon lange keine Briefmarken mehr? Online bestellen? Haha ja, das war ein guter Witz. Hm. Räusper. Wir haben ein Problem. Ein ganz gewaltiges Problem.

Mittlerweile blühte der Schwarzmarkt. Antiquariate verlangten auf einmal Mondpreise für ihre Restposten, vor den Buchläden versammelte sich der Mob. Eine Zeitlang gab es jeden Morgen einen Auflauf so daß die Angestellten nicht einmal mehr zur Türe kamen geschweige denn hindurch. Schreihälse ließen den Bizeps spielen und glaubten, sie könnten irgendwen damit beeindrucken. Seltsamerweise gab es bei den Lebensmitteln keine Knappheit. Auch nicht beim Klopapier. Nur Bücher und Briefmarken waren auf einmal gefragte Mangelware.
Und ich war fein raus. 
Und in Gefahr.

Wenn sich herumspräche, daß meine Wohnung voller Bücher, Postkarten und einer riesigen Auswahl von Briefmarken war, dann würden die Einbrecher nicht lange fackeln.
Alte Frau? Sofort aus dem Wege räumen und alles mitnehmen. Denn auch an Schießeisen und Munition herrschte kein Mangel. Die Welt war auf Krieg gebürstet und diesbezüglich wohlgerüstet.
Nur an Briefpapier hatte niemand gedacht.

Langsam glätteten sich die Wogen, die Menschen tauschten die Bücher untereinander, man half sich gegenseitig. Postbote war auf einmal ein gefragter Beruf. Händeringend suchte man Personal, das sich bei Wind und Wetter durch die Straßen plagen und die wachsende Flut an Handgeschriebenem an die Empfänger verteilen mochte. 

Die Welt war wie verzaubert. Die Fahrgäste in Bus und Bahn sprachen wieder miteinander, statt jeder für sich ins giftige Viereck zu glotzen. Musik wurde live an allen Ecken gespielt, von Hand und mit Seele, für alle gemeinsam, statt für jeden alleine direkt in seinen Kopfhörer. Man saß bei Bier und Semmerln im Park und tauschte Gedanken über die Herrschenden aus, statt sich von vorgefertigten Meinungen gegeneinander aufhetzen zu lassen und seine Seele für eine Bratwurst zu verkaufen. Man war wieder Mensch.

Natürlich war das nicht jedem recht und so mancher Anzugträger saß fluchend im stillen Kämmerlein und sah hilflos zu, wie seine Macht aus dem Fenster davonwehte. Ohne die Möglichkeit, den Leuten immer wieder einzuhämmern, wie wichtig man doch sei, glaubt es halt früher oder später niemand mehr. Und ohne Glaube keine Macht. Alte Weisheit, kann man jeden Pfarrer fragen, die kennen sich aus damit.

Leider war die Freude über die neue Freiheit vom Digitalen nicht von Dauer. Es langt ein einziger Idiot, um die friedlichste Gemeinschaft zu zerstören. Und es gab leider nicht nur einen. Somit auch bald keine Gemeinschaft mehr sondern das Gegeneinander fing von vorne an. Da halfen die hübschesten Briefmarken nichts, wenn die Leute sich nicht daran freuen wollten. Wieder mehr wollten. 
Vor allem mehr als der Nachbar.

Der Erste der die Schnauze endgültig voll hatte war Olaf. Nicht besonders groß, ca. 25 cm hoch, aber imposant ausgerüstet mit Hammer, Säge und Laterne.
''Hör mal,'' quatschte er seinen Nebenmann an, der mit Rechen und Schaufel ebenfalls brauchbares Werkzeug in der Hand trug. ''Hör mal, wir sollten uns zusammentun. Das geht so nicht weiter. Seit Jahrzehnten schau ich mir das jetzt an, die lernen es einfach nicht. Sogar Jesus ist langsam am Verzweifeln. Wir müssen was tun!''
''Ja aber was? Und seit wann können wir eigentlich reden? Da stehst du seit 30 Jahren neben mir und sagst keinen Ton während ich vor Langeweile fast vergehe!''
''Ich hab keine Ahnung, das muß neu sein. Jedenfalls, wir müssen den Menschen eine Lektion erteilen die sie so rasch nicht mehr vergessen. Es ist höchste Zeit und wenn nicht wir, wer dann? Die Delphine sind fast ausgerottet, die Eichhörnchen kümmern sich wie immer nur um die eigenen Nüsse, die Tauben sind zu durchfallgeplagten Balkonscheißern verkommen. Jemand muß den Frieden in die Welt tragen. Also komm, wir verbreiten das Wort! Wie heißt du eigentlich? Ich bin der Olaf und frag mich nicht woher ich das weiß.''

Von Vorgarten zu Vorgarten, von Schrebergarten zu Schrebergarten erhob sich Gewisper und Getuschel. Kleine Schubkarren wurden unmerklich verschoben, Handwerkszeug wurde weitergereicht, die Botschaft verbreitete sich. In Gegenden mit vorwiegend Hochhäusern logischweise etwas langsamer, doch steter Tropfen höhlt nicht nur Stein sondern auch Beton und so fanden sich die Leute immer öfter nach dem Aufwachen vor einer Armee Gartenzwerge umzingelt die ihnen ein Bein stellten wenn sie zur Kaffeemaschine wollten, die ihnen die Unterhosen forttrugen und das Wasser in der Dusche auf eiskalt stellten.
Da war kein Davonkommen, da mußte man zuhören. Ob man wollte oder nicht.

Bald war die Erde wieder freundlicher geworden. Der amerikanische Präsident hatte ein Gipsbein und faselte fortwährend etwas von komischen Wellen im Teppich, die Russen hatten einen neuen Trinkspruch der klang wie Выпьем за гномов und sogar der Präsident dort lachte wieder. Nur die Chinesen, die Chinesen sind nach wie vor mit allem Ernst bei der Sache. Sie produzieren und produzieren am laufenden Band ... Gartenzwerge. 

























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