Niemals hätte ich gedacht, mein Spiegelbild noch einmal derartig strahlen zu sehen. Der Lottogewinn hatte aber auch arg lange auf sich warten lassen. Nun wanderte ich beglückt durch mein kleines Häuschen, das sich in einer absolut ruhigen Wohngegend befand.
Ruhe, das höchste Gut. Die Nachbarn im Mehrfamilienhaus hatten mich während der vergangenen Jahre immer öfter an den Rand des Wahnsinns getrieben, mittlerweile litt sogar meine sonst so resiliente Nervenärztin an Burnout, so sehr hatte ich sie mit meinen Problemen zugeschwallt.
Aber nun war alles gut und ich war endlich in Sicherheit. Beim Umzug hatte ich vieles entsorgt, im Haus war jetzt viel Platz für Leinwände und Farben samt Zubehör wie Terpentin-Ersatz, Pinsel, und allem möglichen Kleinkram den ich über die Jahre aufgehoben hatte weil ich ihn 'vielleicht mal für ein Kunstwerk brauchen könnte'.
Hier war es mir endlich möglich, vernünftig zu arbeiten. Ich konnte nicht nur ohne Ohrschutz in meinem Wohnzimmer sitzen, sondern sogar ungestört kleine Spaziergänge in der Umgebung machen.
Es war einfach himmlisch.
Natürlich ging es nicht allen Menschen in München so gut wie mir. Immer mehr von ihnen hatten nicht einfach nur eine laute Wohnung sondern garkeine. Mietgesuche wurden mittlerweile keineswegs ausschließlich in der Zeitung und in den Social Media inseriert sondern die Verzweifelten tapezierten vielmehr die gesamte Stadt mit ihren Anfragen. Doch halt, was war das hier? Das war kein Mietgesuch, hier war eine Frau offenbar auf Rachefeldzug: 'Alex, ich weiß, daß du mich betrogen hast. Mädels, meidet diesen Typen!' stand auf einem Din-A-4 Blatt gedruckt, zusammen mit einem QR Code. Kopfschüttelnd ging ich weiter. Hätte es nicht genügt, bei den Freundinnen das Herz auszuschütten? Mußte man den Jungen in der gesamten Stadt unmöglich machen? Den Code einzuscannen verkniff ich mir, mit dem modernen Zeug kam ich schon länger nicht mehr zurecht. Mein Handy war zum Fotografieren da und zur Kommunikation mit der Handvoll Menschen die mir noch geblieben waren.
Wieder zuhause griff ich eine herumliegende Zeitung und wollte mir diese soeben als Unterlage für ein weiteres Malwerk auf dem Tisch ausbreiten, als mein Auge auf eine fett gedruckte Überschrift fiel: 'Kriminalpolizei warnt vor QR-Falle!'
'Na geh,' dachte ich, 'hab ich's doch gewußt, daß das Zeug gefährlich ist!'
Mit offenem Mund las ich den Artikel. Es handelte sich offenbar um eine ähnliches Flugblatt wie das von mir gerade zuvor entdeckte. Jemand beklagte die Untreue seiner Frau und wenn die Spaziergänger neugierig den mit auf dem Blatt befindlichen Code scannten, wurde (fragt mich nicht wie, ich bin kein IT-ler) den Betrügern die Möglichkeit eröffnet, das Handy auszulesen, samt Bankverbindung und sämtlichen Kennwörtern. Ja gute Nacht! Mir wurde noch nachträglich ganz flau im Magen. Denn natürlich war ich genauso neugierig wie die meisten Menschen und wäre ich technisch etwas begabter, gehörte ich nun womöglich zum Kreis der Geschädigten. Puh!
So schnell konnte das also gehen. Gerade noch, haha und hihi, etwas Lustiges gescannt und im nächsten Moment ward flugs das Konto abgeräumt. Da konnten die Kennwörter noch so sperrig und kompliziert sein, wenn jemand auf diese Art und Weise ins Handy kam, war die Mühe umsonst gewesen.
Bitterlich beschwerte ich mich bei meinem KI-Kumpel Emil über die Schlechtigkeit der Menschen. Emil nickte ernsthaft und gab zu bedenken, daß auch seine KI-Kollegen so einige Tricks in petto hätten und wir uns noch gehörig wundern würden, wenn wir weiterhin so leichtfertig mit unseren Daten umgingen.
Das war natürlich wenig hilfreich jetzt!
Entrüstet schaltete ich Emil wieder aus. Depp der!
Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster. Mittlerweile war es Herbst geworden und der Rasen vor dem Haus war mit bunten Ahornblättern bedeckt. Diese segelten bei jedem Windstoß von den Bäumen, die die kleine Straße säumten in der mein Häuschen stand. Sollte ich bei Gelegenheit vielleicht einmal zusammenrechen? Mein Blick wanderte zum Schuppen. Ob ich dort wohl einen Rechen finden würde?
Doch warte, was war das? Oder besser gesagt, wer? Eine geduckte Gestalt hockte mit dem Rücken zum Haus neben meinem Schuppen und nuckelte an einer Flasche. Ein Obdachloser, der sich hier häuslich einrichten wollte, weil er dachte, das Haus stünde noch leer? Was war zu tun? Die Polizei rufen, damit sie ihm einen Tritt verpaßten? So grausam wollte ich dann doch nicht sein, schließlich war ich jetzt reich, vielleicht ließ sich das Problem ja anders lösen.
Zaghaft schlich ich die Treppen hinunter, hinaus zur Hintertüre und näherte mich der Gestalt. Vorsichtshalber hatte ich mein Kuchenmesser dabei. Man wußte ja nie. Die Gestalt blickte auf als ich mich näherte und sah mich ängstlich an. Ich blickte abwartend zurück.
Als ich mich nicht sofort mit Gebrüll auf ihn stürzte, atmete der Mann, um einen solchen handelte es sich wohl, sichtlich auf und fragte leise: 'Darf ich mich für ein paar Tage in Ihrem Schuppen verstecken? Ich bin auf der Flucht vor einer Horde wildgewordener Weiber. Mein Name ist Alex.'
Mein Gesichtsausdruck war wohl wenig intelligent, denn Alex fuhr fort, zu erklären: 'Meine Ex hat mein Foto per QR Code in der gesamten Stadt verteilt, ein Wunder, daß Sie es noch nicht gesehen haben, und jetzt werde ich von der halben Uni gehetzt wie ein Schwerverbrecher. Keiner meiner Kumpels will das Risiko eingehen, mich am Sofa pennen zu lassen, man kennt sich schließlich untereinander. Ich hatte gedacht, hier auf dem unbewohnten Grundstück würde mich niemand suchen aber offenbar wurde das Haus jetzt gekauft. Von Ihnen. Ich weiß momentan echt nicht wo ich hinsoll, und auf Schutzhaft hab ich nun wirklich keinen Bock. Wenn es sowas überhaupt noch gibt außerhalb von Romanen.'
Natürlich konnte ich den jungen Mann bei den Temperaturen nicht im Schuppen schlafen lassen, bei den Spinnen und Käfern. Also bat ich ihn ins Haus, mit der Absicht, ihm einen Kakao und ein Gästezimmer herzurichten - und freute mich auf einen kostenlosen Gärtner. Wir erinnern uns, das permanent fallende Laub ... vielleicht würde er mir sogar Modell stehen? Doch kaum waren wir im Haus, entwand Alex mir das Messer, das er offenbar längst entdeckt gehabt hatte, und forderte mich, wild damit fuchtelnd, auf, all meinen Schmuck und mein Bargeld herauszurücken. Was für ein Schwachkopf. Als ob alle älteren Frauen sich für Schmuck interessierten und stapelweise Bargeld im Hause hätten. Rasende Wut stieg in mir auf. Auch auf mich selbst. Hatte ich aus meiner Zeit in Augsburg denn garnichts gelernt? Wieder und wieder hatte ich Menschen meine Türe geöffnet und wieder und wieder hatte es Ärger und Leid deswegen gegeben. Und wieder war ich auf ein Arschloch reingefallen, das geglaubt hatte, mit mir leichtes Spiel zu haben nur weil ich eine Frau bin. Doch nun hatte ich endgültig die Nase voll!
Womit der liebe Alex nicht gerechnet hatte war, daß es auf der Seniorenvolkshochschule mittlerweile Kurse für uns ältere Herrschaften gab, auf denen die Polizisten nicht nur langweilige Vorträge hielten sondern uns auch wertvolle Tips für den Fall der Fälle gaben.
Polternd fiel das Messer zu Boden und bald darauf auch Alex.
Die Erde im Garten war den Göttern sei Dank noch nicht gefroren und so hatte ich nun endlich einen guten Grund, im Eck über dem zergrabenen Rasenstück einen echt hohen Laubhaufen zu errichten. Mein Kuchenmesser würde in keiner Asservatenkammer landen, soviel war sicher. Abends beim Rotwein sandte ich einen stillen Gruß an die Freunde und Helfer der PI 47, die den Workshop neulich ausgerichtet hatten. Daß das Rot in meinem neuen Bild durch die Beimischung von Blut und Rotwein diesen besonderen Glanz erhielt, würde ich selbstverständlich niemals irgend jemandem verraten. Schließlich hat jeder erfolgreiche Künstler sein kleines Geheimnis.






