Donnerstag, 25. Januar 2024

Calliope lächelt

Keine Ahnung warum sie gerade mich mit dem Fall betraut haben. Mich, den Loser, den unangepaßten, einsamen Wolf ohne Krawatte. Aussichtslos, werden sie sich gedacht haben. Schicken wir den Depperten an die Küste, dann haben wir ihn los weil DEN Fall löst der NIE.

Mir kann es nur recht sein. So einen tollen Anblick bietet der Chef auch nicht, wenn er mit Schaum vor dem Mund dasteht und mir ins Gesicht brüllt. Trottel. Selber nix derreißn aber dauernd andere niedermachen. Das hab ich schon gern. 

Das Meer bietet von hier oben einen grandiosen Anblick. Als ich ankam vor einer Woche, hab ich gleich einmal mein Auto abgestellt, bin ausgestiegen, und hab mit Staunen hinunter auf die wogenden Wellen geschaut. Bei diesem Anblick merkst erst wie vergänglich dein Leben doch ist. Das Meer, das ist Ewigkeit. Das war irgendwie schon immer da und das wird auch noch da sein, wenn die letzte Spur der Menschheit von der Erdoberfläche getilgt sein wird. Was nicht mehr lange dauern wird wenn wir so weitermachen.

Ein verlassenes Fleckchen Erde ist das hier, unpackbar für einen Stadtmenschen wie man auf Dauer so leben kann. Ein einziger Laden für ungefähr 15 Dörfer, kein Arzt weit und breit, und wenn du Fußball schauen willst dann mußt du in die Kneipe gehen weil daheim kein Empfang ist. Die Kneipe befindet sich im Hinterzimmer des Ladens. Also alles in einer Hand. Wenn du es dir mit dem guten Mann verscherzt, der über dieses Imperium regiert, dann hast wahrlich Pech gehabt. Die nächste Kreisstadt ist locker 80 km entfernt. Da fahrst ned wegen einem jeden Suppenwürfel hin.

Abends wird hier getanzt. In der Kneipe. Nachmittags sitzen sie in der Sonne, die Herren der Schöpfung und trinken ihren Ouzo, und abends tanzen sie zu der melancholischen Musik die aus den Lautsprechern gescheppert kommt. Die Frauen sind grundsätzlich daheim und machen die ganze Arbeit. Hier hat sich seit Sokrates' Zeiten nix geändert. Und dann wundern die Männer sich, wenn sie angekeppelt werden. Später, wenn sie zu ihren Xanthippen heimgeschwankt kommen. Und wieder nix erledigt ist von all dem, was sie eigentlich hätten machen wollen. Sollen. Schon lange gemußt hätten. 

Es ist eine karge Gegend. Bittere Armut wohin man schaut. Aber die Menschen sind glücklich. Die Männer jedenfalls. Die Frauen eher nicht so. Abgearbeitet und müde schleppen sie sich durch den Tag, die jüngeren von ihnen meist drei oder mehr Kinder am Rockzipfel, die älteren sitzen abgestumpft und mit leerem Blick vor den ärmlichen Hütten und kauen auf dem Stiel einer alten Pfeife herum. 

Mir geht es gut. Wein, Datteln, Ziegenkäse und jede Menge Sonne. Könnte ich mich dran gewöhnen. Aber ich hab ja diesen Fall aufzuklären. Das unerklärliche Verschwinden von mindestens 15 Männern in den letzten drei Jahren. Die genaue Zahl ist nicht bekannt weil nicht alle Todesfälle gemeldet werden. Es scheint fast, als seien die Frauen insgeheim froh darum, ihre Ehemänner loszusein. Was mich bei näherer Betrachtung nicht wirklich wundert.

Hier scheint überhaupt nur eine einzige Frau wirklich fröhlich zu sein: Calliope. Die Frau vom Berg. Zu ihr gehen die Leute auch mit ihren gesundheitlichen Problemen. Offenbar eine Art Heilerin. Bezahlt wird sie hauptsächlich in Naturalien. Sozusagen Lieferdienst. Dachte ich könne sie ein bissl aushorchen aber sie hat mich so schnell um ihren hübschen kleinen Finger gewickelt, so schnell konnte ich garnicht schauen. Und jetzt komm ich mit meinem Fall nicht weiter. Die Männer spielen die Coolen die lässig mit den Schultern zucken und ihr wallendes Haar nach hinten schütteln, und die Frauen mauern. Reden nicht mit Fremden. Haben keine Zeit. Müssen arbeiten. Und Calliope ... Calliope lächelt griechisch-mysteriös und zündet sich eine Zigarette an. Der Duft ihres Parfums vermischt sich mit dem herben Rauch und mir wird so leicht im Kopf, so wunderbar leicht. Ich küsse ihre Hand - mehr ist mir nicht gestattet - und nippe an einem Becher gewürzten Weins. Am Fenstersims steht ein Glas voller Muschelschalen. Ich hab sie gefragt ob sie Muscheln sammelt, sie hat nur wieder gelächelt.

In ihrem Haus fühle ich mich so wohl wie nie zuvor. Diese Frau ist der absolute Hammer. Eloquent, schlagfertig ohne in Sarkasmus abzugleiten, gebildet und unglaublich charmant. Dabei ist sie auf den ersten Blick nicht unbedingt eine Schönheit. Oberflächlich von mir, ich weiß. Innere Werte wichtiger und bla bla bla. Dabei weiß jeder Mann, daß ihm das Blut nicht wegen der inneren Werte in die Lenden steigt, oder? Aber bei ihr, praktisch Dauererektion. Allein wie sie mich anschaut, so zärtlich, und dabei fast unmerklich blinzelt, als seien wir Komplizen. Die kleine Narbe auf der Wange macht sie nur noch attraktiver, und daß sie nicht gerade die Schlankste ist ... egal! Am liebsten säße ich Tag und Nacht bei ihr. Vor allem in der Nacht - und Sitzen ist nicht unbedingt die Tätigkeit, die mir dabei vorrangig in den Sinn kommt.

Seltsamerweise bekommt sie hauptsächlich Damenbesuch. Selten, daß sich einmal ein Mann den Berg hinaufbemüht. Entweder die sind alle so gesund oder sie schicken ihre bessere Hälfte. Natürlich liege ich hinter dem Busch und beobachte sie. Was hättet ihr gedacht? Natürlich wegen dem Fall. Weswegen sonst. Eifersucht? Ich? Niemals! Wo ich doch allzu enge Bindungen immer verabscheut habe. Schließlich habe ich einen Ruf zu verlieren. Einsamer Wolf und so. Aber hier kennt mich niemand. Hier kann ich es mir eingestehen: Ich habe mich verliebt. Ich habe mich verändert. Gäbe es irgendwo eine Filiale von Tiffany's, ich würde mich glatt nach einem Ring umsehen. 

Heute sind gleich zwei Leute gekommen. Erst Super-Sonnenbrillen-Dandy Alexandros, wegen dem bin ich näher ans Haus und habe versucht, zu lauschen. Aber zwecklos. Wahrscheinlich hat er sich einen Potenzdrink mischen lassen, das trau ich dem zu. Dann Maria, die kenne ich vom Vorbeigehen. Lacht nie. Und das war wirklich komisch: Sie betrat den Raum, hat Calliope eine Muschelschale gegeben, diese hat genickt und sich ihrem Glas auf dem Fenstersims zugewandt. Grad daß ich mich noch wegducken konnte. Geredet können die nichts haben, denn Maria kam sofort wieder raus und verschwand den Hügel hinab. Was zum Teufel geht da vor? 

Heute Abend bin ich wieder offiziell bei Calliope eingeladen. Vielleicht krieg ich doch noch was aus ihr raus. Werd  mir Mühe geben und meinen vollen Charme entfalten. Wäre doch gelacht! 

Kurz bevor ich losgehen will, erreicht mich die Nachricht: Es hat wieder einen Toten gegeben. Kein Geringerer als der Mann von Maria. Ich schlucke das aufsteigende Unbehagen nieder. Sicherlich nur ein dummer Zufall.

Mit einer Flasche ausgesuchten Rotweins steige ich den Hügel hinan. Bin nervös. So kenne ich mich nicht. Blumen habe ich keine mitgenommen, bei der Hitze wären die welk noch bevor ich oben angekommen bin. Außerdem hat sie sowieso den Garten selber voll davon. Blumen, Kräuter, Sträucher - alles was das Herz begehrt. Kurz bevor ich das Haus erreiche sehe ich, wie Maria von der anderen Seite hochgerannt kommt, das erste Mal, daß ich sie lachen sehe, sie schreit laut: Σας ευχαριστώ, σας ευχαριστώ πολύ!!! *

Calliope winkt ihr hastig, sich wieder davonzumachen und sie gehorcht. Zu spät. Ich habe begriffen. Die Muschelschalen sind praktisch ein Auftrag. Der prompt ausgeführt wird. Calliope bestätigt meinen Verdacht als wir plaudernd beim Wein sitzen und meint, ich dürfe jetzt dreimal raten, wer als nächstes verschwinden würde. Eigentlich hätte sie noch ein wenig warten wollen, ich hätte ihr gut gefallen. Aber nun sei die Zeit gekommen. Ich will aufspringen und davonlaufen, doch meine Beine gehorchen mir nicht mehr. Der herbe Rauch ihrer Zigaretten erfüllt den Raum als ich langsam ins Nichts hinübergleite, das Lächeln meiner geliebten Mörderin über mir ist das Letzte was ich in diesem Leben sehe, und ihr Flüstern das Letzte was ich höre: Leb wohl mein geliebter Prinz, dein Tümpel wartet schon auf dich!

*Vielen Dank, vielen Dank!!!
















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