Für kleinwüchsige Männer ist das Leben nicht einfach. Tatsache. Wie ich neulich in der Klinik angerufen habe um einen Termin zu machen für eine Beratung zur Beinverlängerung, bin ich an so eine Labertante gekommen, die mir die OP ausreden wollte. Sie sei ja keine Ärztin, aber wenn eine Frau meine inneren Werte nicht zu schätzen wisse, dann habe sie mich schlicht und einfach nicht verdient. Das halte ich für altmodisches Denken und das hab ich ihr auch genauso gesagt. Heutzutage geht es nur nach dem Äußeren. Du kannst noch so ein Wortakrobat sein, einen prickelnden Charme haben und die Leute mit deinem Wissen beeindrucken, es hilft alles nichts wenn du nur 1.60 Meter groß bist. Spätestens wenn du aufstehst und der Dame in den Mantel hilfst, wird sie dir scheinheilig versichern, wie nett sie den Abend mit dir fand, in der nächsten Zeit sei sie allerdings sehr beschäftigt - und sie werde sich bei dir melden.
Was sie natürlich niemals machen wird. Kannst Gift drauf nehmen.
Heute drehe ich wieder meine wöchentliche Runde auf dem Friedhof. Ich kenne hier niemanden, aber ich lege jede Woche eine oder zwei Rosen auf ein Grab. Irgendein Grab, das ich zufällig auswähle weil es so ausschaut, als ob sich niemand mehr kümmert. Angefangen habe ich damit, als wir in der Arbeit als Neujahrsgruß vom Abteilungsleiter jeder drei pinkfarbene Rosen geschenkt bekamen. Als Wertschätzung für Geleistetes und Motivation für noch zu Leistendes. Fand ich ja total lieb, aber ich hatte nach Feierabend noch Besorgungen zu machen und als Mann läuft man nicht mit drei pinkfarbenen Rosen durch die Stadt. Es sei denn, man hätte eine Bekanntschaftsanzeige aufgegeben. Was mir nicht im Traum einfallen würde.
Als ich am Friedhof vorbeikam, hatte ich eine zündende Idee: Warum die Rosen nicht einfach auf einem beliebigen Grab ablegen? Was ich dann auch gemacht habe. Auf einer Grabstelle, auf der außer ein paar dürftigen Efeuwedeln nichts mehr wuchs. Das Ganze sah so armselig aus, daß ich mir vornahm, nun jede Woche einmal für ähnlich vernachlässigte Grabstellen einen kleinen Blumengruß vorbeizubringen.
Manche Gräber waren wirklich stilvoll geschmückt, mit Vasen aus Kristallglas und allerlei geschmackvollen Engeln versehen, andere wiederum dümpelten wohl nur deswegen noch vor sich hin, weil sie vor langer Zeit auf 20 Jahre bezahlt worden waren ... und die spendablen Angehörigen mittlerweile wohl selber drin lagen.
Behutsam trat ich an mein 'Grab der Woche' heran, legte meine Rose dort ab, als ich von hinten eine weibliche Stimme keifen hörte: ''Hey, was haben Sie an meinem Grab zu schaffen? Da gibts fei nix zum Klauen!''
Langsam drehte ich mich um. Eine elegant gekleidete Frau meines Alters, mit rosigen Wangen und langen, blonden Haaren, sah mich entrüstet an.
Hastig versuchte ich, ihr mein Friedhofs-Projekt zu erklären, was sie aber noch mehr zu erzürnen schien.
''Was soll das heißen, vernachlässigt aussehende Gräber? Nur weil ich in einer anderen Stadt wohne und daher nicht regelmäßig vorbeischauen kann, ist mein Grab noch lange nicht vernachlässigt, merken Sie Ihnen das! Sie laufender Meter!''
Das tat weh. Grammatikalisch und persönlich. Leise drehte ich mich um, nahm meine Rose wieder an mich, diese Person hatte keine Blumen verdient, und trollte mich. Mühsam versuchte ich, die Tränen zurückzuhalten, wieder einmal hatte jemand direkt in die Kerbe gehauen, ja vielen Dank.
Früher hätte ich mich jetzt haltlos betrunken und wäre irgendwann sternhagelvoll nach Hause gewankt um meinen Rausch auszuschlafen. Mach ich natürlich nicht mehr. Mit Anfang 30 ist man raus aus dem Trotzalter. Mein Hobby ist inzwischen das Chiffrieren von Texten, nach einem von mir erfundenen Schlüssel, den bisher noch kein Computer knacken konnte. Ich bin echt gut! Aber die Sehnsucht, die Sehnsucht nach zwei weichen Armen, in die ich mich fallen lassen konnte, die wurde dadurch natürlich nicht weniger.
Plötzlich erklang von einer Bank neben mir ein zaghaftes ''Hallo?''
Ich fühlte mich nicht angesprochen und schlich weiter.
''Hallo, Sie mit der Rose, darf ich Sie was fragen?''
Nun riskierte ich doch einen Blick. Ein zierliches Persönchen, in einen viel zu großen blauen Männerpulli gehüllt, erhob sich von der Bank und trat auf mich zu.
''Ich hab Sie schon öfters gesehen, wie sie Rosen auf Gräber legen, und ich finde das klasse. Wollte ich Ihnen gerne sagen, aber hab mich bisher nicht getraut. Aber heute sehen Sie so verletzlich aus, da hab ich mir gedacht, vielleicht braucht der Mann jemanden, mit dem er mal ein bissl quatschen kann? Wenn ich Sie nerve dann sagen sie es, ich will Sie nicht bedrängen, aber Sie sind offenbar ein ungewöhnlicher Mensch, ich mag das.''
Ich rette mich in den Sarkasmus: ''Serienmörder sind auch ungewöhnliche Menschen. Wer sagt Ihnen denn, daß ich die Leute, denen ich Rosen aufs Grab lege, nicht alle eigenhändig unter die Erde gebracht habe?''
Meine neue Bekanntschaft grinste amüsiert: ''Sie sind lustig, das mag ich auch. Männer mit humorvoller Schlagfertigkeit sind selten. Darf ich Sie auf einen Feierabenddrink einladen? Ich kenne eine großartige Weinstube nur wenige Minuten von hier, man kann dort auch essen.''
Mir blieb der Mund offen stehen. War diese Frau ein Engel oder eher eine kaltblütige Verbrecherin, die mich betrunken machen und dann ausrauben wollte? Mein Gesicht war anscheinend ein offenes Buch, denn sie lachte laut auf, ein sehr angenehmes, melodiöses Lachen übrigens, kein Gackern wie es Frauen leider viel zu oft von sich geben, und schlug mir herzhaft auf die Schulter: ''Jetzt komm, ich tu dir nix, und du mir hoffentlich auch nicht, laß uns einfach ein bissl plaudern und dann ziehen wir wieder jeder seiner Wege. Einverstanden?''
Jeder seiner Wege, ja, das kannte ich, das war vertraut, darauf konnte ich mich ohne Weiteres einlassen, also trabte ich neben ihr her und kam mir im Vergleich fast riesig vor. Das Mädel reichte mir gerade einmal bis zur Nasenspitze. Und sie roch gut! Nach Patchouli. Meinem Lieblingsparfum. Das leider heutzutage völlig out war und daher nur noch schwierig zu bekommen. Mein verrückter Onkel hatte förmlich darin gebadet (vom Waschen hielt er nicht soviel) und ich war praktisch damit aufgewachsen. Genießerisch sog ich die Duftwolken ein, die aus ihren Haaren nach oben waberten ...
Beim Essen erzählte ich vom Onkel, von meiner Kindheit, sie erzählte von sich, von ihrer kranken Tante die sie bis zum Tod gepflegt hatte (daher auch ihre zahlreichen Besuche auf dem Friedhof), und welche ihr ein kleines Häuschen mit Laden im Erdgeschoß vererbt hatte.
''Wenn du mal reinschauen magst, wir haben wunderschöne Bongs und handgefertigte Aschenbecher, bunte Klamotten aus Nepal, ohne Kinderarbeit hergestellt, und natürlich jede Menge Bücher. Ich liebe Bücher. Du auch?''
Bongs. Die Frau war der Hammer. Sah ich aus wie ein Kiffer? Andererseits, besser Bongs als Pelzmäntel oder langweilige Damenoberbekleidung.
''Es wäre mir eine große Ehre,'' ließ ich pompös verlautbaren und nahm noch einen Schluck von dem wirklich ausgezeichneten Zweigelt. Ihre Augen glänzten und ich begann, mich auf den nächsten Tag zu freuen. Vielleicht hatte die olle Labertante neulich am Telefon doch recht gehabt? Man mußte auf die eine Frau warten, die innere Werte zu schätzen wußte, nach Patchouli duftete und wunderschöne Bongs verkaufte. Erst dann war man wirklich im Leben angekommen.
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