Freitag, 19. Januar 2024

Der doppelte Karl

''Im Winter mit'm Fiaker durch den Prater? Spinnst?''
Karl war offensichtlich nicht bereit, meine Faszination mit der Winterwelt in unseren innerstädtischen Parks zu teilen. 
''Da frierst dir doch den Popsch ab. Und bei dem Wetter sieht man eh nix von der Landschaft.''

Dabei fand ich gerade die Fahrt durchs dichte Flockengetümmel, begleitet vom leisen Klimpern des Pferdegeschirrs, so romantisch. Naja, Männer. Aber egal, er sollte sich ja wohlfühlen bei mir in Wien und so würde ich mich selbstverständlich nach seinen Wünschen richten.
Welche er auch sofort unmißverständlich äußerte:
''Ins MDM tät ich gern schaun. Und ins Zwanz'ger-Haus.''
''Das heißt jetzt Belvedere 21,'' klugscheißerte ich.
''No des kannt ja wos wern,'' orakelte Karl. ''Im Belvedere war ich einmal und nie mehr. Alles voller Klimt und weiter hinten noch mehr Schas, zum Beispiel an Rappelkopf von dem Kerl der so heißt wie die erste Hälfte von unserer Landeshauptfrau. Mikl. Mikl Josef. Oida wenn des Kunst is ...''

Während ich mich noch fragte, was er dann im Museum der Modernen Kunst zu finden glaubte, wenn ihm so offensichtlich der Zugang zu selbiger zu fehlen schien, ließ sich mein Gast schwungvoll auf die Ottomane fallen und legte die Füße auf dem Couchtisch ab. Auf dem frisch polierten Couchtisch aus Glas, auf dem nicht einmal Gläser ohne Unterlage stehen durften. Ich schluckte weithin hörbar. Was hatte ich mir da ins Haus geholt?

Meine Freundin Barbara hatte mir lang und breit von dieser innovativen, österreichweiten Datingplattform vorgeschwärmt und nachdem sie mir ihre neueste Eroberung einmal vorgeführt hatte, war ich geneigt gewesen, ihre Begeisterung zu verstehen. Barbara war so straight, daß man sie jederzeit als Lineal benutzen konnte. Wenn sie sich also auf eine solche Plattform einließ, dann war davon auszugehen, daß sich dort keine Herumtreiber und Fakes aufzuhalten pflegten. Hatte ich geglaubt. Und mich ebenfalls angemeldet. Und jetzt das. Keine Kultur, keine Manieren und offenbar auch keinen Genierer.

''Hast kein Bier da?'', blökte er unzufrieden und sah mich auffordernd an.
Aha, anscheinend sollte ich ihn jetzt auch noch bedienen und dabei zusehen, wie er sich einen ansoff.
Dabei war er mit dem Auto da und ich hatte eigentlich gehofft, daß er mit selbigem auch recht bald wieder davonfahren würde. Als ehemaliger Polizist würde er dies jedoch wohl kaum im angetrunkenem Zustand tun. Jetzt war guter Rat teuer.

Ich schlich in die Küche, holte ein Pfiff Glas, hehe, und stellte es vor seine dreckerten Schuach auf den Tisch. Sein Blick sprach Bände. ''Bier muß ich erst von unten holen,'' verkündete ich zuckersüß und griff mir klammheimlich mein Telefon während ich eine Riesenshow daraus machte, in den Keller hinabzusteigen.  

''Heast Barbara, mein Date ist so ein Oaschloch, wie krieg ich den jetzt wieder los?''
In Wien hat man auch im Keller prima Empfang.
''Ich ruf dich in 10 Minuten an und dann brauchst nur zu sagen: Jö, ich komm sofort! - ihm erzählst was von Notfall und daß du sofort gehen mußt. Dann muß er auch gehen und du kommst zu mir und wir haben ihn los.''

''Notfall?'', wollte Karl neugierig wissen. ''Was für ein Notfall? Da fahrst mir ned allein hin, I hob mei Puffn dabei, ich werde dir beistehen! Keine Frage! Wos is, gemma gemma!''
''Karl, sicher nicht, tut mir leid, das ist eher ... öh ... was unter Frauen. Also ohne Männer. Verstehst?''

Karl verstand offenbar nicht und bestand trotzig darauf, mich auf meinem Weg zum vorgeschützten Notfall zu begleiten. Was sollte ich jetzt nur machen? Ich geriet in Panik. Statt des erhofften zauberumstrickten Dates, Pferdegetrappel und Winterlandschaft, hatte ich einen bewaffneten Irren an der Backe der in meiner Wohnung mit der Puffn umeinanderwachelte. Absoluter Albtraum! Am End würd er mich erschießen wenn rauskäm, daß ich ihn angelogen hab. Da half nur die Flucht nach vorn.

Ich riß die Wohnungstüre auf und schrie aus vollem Hals: ''Hupf in Gatsch Oida! Schleich di, oba gleeeeeeich!''
Wie erwartet öffnete sich auf der Stelle die Türe der alten Huberin im Stockwerk darunter. Ich war nicht mehr alleine.
''Wos is'n do obn scho wieda los?'', keifte sie durchs Stiegenhaus. ''Wann ned augenblicklich eine Ruhe ist dann hol ich die Polizei!''
''Nicht notwendig gnädige Frau, nicht notwendig!'', beeilte sich Karl zu versichern, der hinter mir aus der Wohnung getreten war. ''Die Polizei ist bereits vor Ort und wird sich um alles kümmern.''

Na servus, das half meinem Ruf im Haus jetzt weiter. Und Karl war immer noch da.
Ich lehnte mich gegen die Bassena und richtete meinen Blick nach vorn in die Unendlichkeit. Vielleicht würde Karl einfach verschwinden wenn ich nicht mehr an ihn dachte? Es würde PING machen und er wäre weg. 

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er langsam seine Pistole wieder ins Halfter gleiten ließ. Wenigstens das. Wobei ich mich eh frag, seit wann Polizisten a. D. noch mit einer Pistole herumlaufen dürfen? Hatte er mich vielleicht angelogen? War er garkein Polizist sondern einer von der anderen Seite?

''Du willst mich loswerden, hab ich jetzt verstanden," meldete sich die 'andere Seite' wieder zu Wort. 
''Hättest du auch ganz normal sagen können aber hast du nicht. Also geh ich auch nicht ganz normal weg. Los, komm wieder rein, ich zeig dir jetzt mal wie ich mit Frauen umspringe, die mich verarschen wollen!''

Grob packte er mich beim Arm und wollte mich in die Wohnung ziehen, ich klammerte mich an die Bassena und schrie aus Leibeskräften: ''Hilfe, so helft mir doch! Zu Hilfe!''

Aber wie immer wenn man jemanden braucht, blieben die Wohnungstüren fest geschlossen. Frau Huber glaubte offensichtlich, ich würde gerade verhaftet und die anderen im Haus waren entweder nicht daheim oder machten vorsichtshalber nicht auf. Ich trat wild nach hinten aus und hatte wohl göttlichen Beistand, denn der eiserne Griff um meinen Oberarm ließ auf einmal nach und Karl lag stöhnend am Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammerte er sein bestes Stück und ließ mich wissen: ''Das wirst du büßen du mieses Stück!''

Während ich um ihn herum zu meiner Türe eilte, versuchte er, mich am Bein zu packen aber ich war schneller. Fest haute ich die Türe ins Schloß - war ich hier drinnen sicher? Rasch wählte ich die 133 - nun hatte ich doch noch meinen Notfall. Mittlerweile war Karl draußen wieder auferstanden und hämmerte wild an meine Türe. Der (echte) Polizist am anderen Ende der Leitung erkannte wohl, daß es sich hier tatsächlich um ein dringendes Problem handelte und versicherte mir, ein Streifenwagen sei unterwegs.

Das Hämmern wurde lauter und lauter ... und ich wachte auf. Du meine Güte, was für ein Traum! Und wer hämmerte da an meine Türe?
''Aufmachen, Polizei!'', hörte ich eine Männerstimme im Stiegenhaus rufen. ''Wenn Sie nicht augenblicklich die Türe aufmachen werden wir sie aufbrechen!''

Um Himmels Willen, was war denn jetzt los? Gab es Karl wirklich? Hatte ich ihn nicht nur geträumt? War ich jetzt völlig hinüber?
Hastig rannte ich zum Eingang und rief: ''Ich komme ja schon. Was ist denn passiert?''
''Frau Etlaschek, sind Sie das?'', tönte es durch die Holztüre.
''Ja eh, ich wohn doch hier. Was hauen Sie denn meine Tür zamm? Sind sie eh echte Polizisten? Was ist denn los?''
''Frau Etlaschek, Sie müssen jetzt bitte aufmachen und sich ausweisen.''

Irgendwas war hier faul. Ein Wiener Polizist wäre niemals so freundlich, der hätte schon lange die Türe eingetreten und wäre mit der Wega hier reingeplatzt.
Außerdem, was wollten die Trottel denn von mir? Waren Albträume jetzt auch schon verboten?

''Haben Sie einen richterlichen Beschluß?''
''Heast I glaub I spinn!'', tönte es von draußen. ''Do mocht ma si an Streß wäu die Nachbarn glaubn sie stirbt und dann loßts aan ned amal eini!''

Das klang schon eher nach echtem Polizisten. Vorsichtig öffnete ich die Türe einen Spalt und lugte hinaus. Tatsächlich. Gleich zwei Kieberer und einer in Zivil standen in gespannter Haltung im Stiegenhaus.

''Alles in Ordnung bei Ihnen Frau Etlaschek?'' erkundigte sich der Kieberer mit den ungewöhnlichen Manieren besorgt. ''Die Nachbarn hatten uns angerufen, als sie lautes Stöhnen und Schreien aus Ihrer Wohnung hörten und dachten, Sie wären wohl in Bedrängnis.''
''Ja eh, ois leiwand, ich hatte nur einen Albtraum, es duat ma laad für die Umständ.'', entschuldigte ich mich etwas lahm. ''Wollen Sie vielleicht einen Kaffee auf den Schrecken?'' ,lud ich ein und sah dem netten Kieberer auffordernd in die Augen.

''Karli, du hast jetzt eh dienstfrei, du schaust gern einmal bei der Frau Etlaschek in der  Wohnung nach ob wirklich alles in Ordnung ist oder nicht, wir beide fahren jetzt wieder aufs Revier, es ist eh gnua zum Tun.''

Mit diesen Worten drehte sich der Zivile um, scheuchte seinen Adlatus die Stiegen hinab und ich blieb zurück mit dem edlen Uniformierten, einem Traum von einem Mann, der jetzt tatsächlich eine knappe Verbeugung machte und sich formvollendet vorstellte: ''Gestatten gnä Frau, mein Name ist Glossek. Karl Glossek.'' 







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