Freitag, 10. November 2023

Selbsterfüllende Prophezeihung



Ich sähe vulgär aus, hatte seine Mutter wohl gesagt und das N-Wort benutzt. Was er mir später peinlich berührt berichtete. Daß ich nicht gerade mit offenen Armen empfangen worden war, habe ich selbst gemerkt. Zwar nickte mir sein Vater immer wieder ermunternd zu, aber seine Mutter machte die ganze Zeit einen bösen, verkniffenen Mund, die diversen Onkel und Tanten hingegen beachteten mich nicht weiter, so daß ich während des Essens unbemerkt die vornehme Tischdecke vollkleckern konnte.

Der Einzige aus seiner Familie, mit dem ich wirklich locker umgehen konnte, war sein Bruder Ulrich. Den kannte ich schon weil wir uns oft am Rande der Tanzfläche sitzend unterhalten hatten, während mein Freund mit irgendwelchen Tussis das Tanzbein schwang. Jawohl, damals in den 70-ern konnte man sich in Diskotheken trotz der Musik noch unterhalten. Ulrich ging auch aufs Gymnasium, im Gegensatz zu mir jedoch war er ein hervorragender Schüler. Wollte Arzt werden, wie sein Vater.

Wieso ich mitgegangen bin, zu dem blöden Familientreffen? Weil es bei mir daheim auch nicht gerade lustig war. Mein Erzeuger war ein extrem toxischer Mensch, in dessen Gegenwart man nicht nur aufs Wort zu parieren hatte, nein, wenn ihm irgendetwas gegen den Strich ging, und das passierte ständig, immer unerwartet und vermeintlich grundlos, dann ging er sofort an die Decke. War er zuhause, war das Leben ein ständiges Balancieren auf einem Vulkan, von dem man nie wußte, wann er das nächste Mal ausbrechen würde. Mega-anstrengend. Dann doch lieber Besuch bei der Familie des Freundes.

Ausgerechnet in Leitershofen traf man sich, feudalste Gegend Augsburgs. Bernhards BMW hielt vor einer riesigen Villa, ich bin gleich total eingeschüchtert gewesen. Jetzt kam ich ja selber nicht gerade aus der Gosse, auch meine Eltern besaßen ein Haus, aber diese Leute spielten in einer ganz andere Liga. Nach der schmallippigen Begrüßung durch seine Mutter betraten wir den Salon und ich erstarrte. Da saßen sie im feinsten Zwirn, die Damen in Bluse und Rock - und ich kam mit Minirock und Netzstrumpfhosen daher als ginge es geradewegs in die Disco. Wo wir danach ja auch hinwollten. Hätte er mich nicht vorwarnen können? Was für ein peinliches Debakel!

Nach dem Kaffee durften wir uns verabschieden und fuhren geradewegs nach Oberhausen, Glasscherbenviertel, zu Tonis Treff. Üble Kneipe, abgeschabtes Mobilar, dunkle Gestalten mit Schnurrbärten, gespannte Atmosphäre. Toni selbst trug ein unglaubliches Charisma vor sich her und ich fand ihn einfach wahnsinnig toll. Vor allem weil er stets ausgesucht freundlich zu mir war, ich durfte ihn sogar anrufen wenn ich mit jemandem reden wollte. Auch seine Freunde gaben mir immer wieder Tequilas aus. Wie ich heute weiß, wollten sie mich betrunken machen und auf den Strich schicken, aber so schnell wurde ich nicht betrunken. Bereits im Alter von 16 Jahren konnte ich eine Menge vertragen, das Bemühen der Herren Zwickelluden war daher von keinerlei Erfolg gekrönt. Vor allem weil Bernhard immer achtgab, auch wenn ich oft nicht gerade nett zu ihm war. 

Einmal hatte ich mich so über seine ständigen Flirtereien geärgert, daß ich meinerseits begann, mit einer Bekannten heftig herumzuknutschen bis er erbost das Lokal verließ. Weggefahren ist er aber nicht, Gottseidank, denn ich naive Idiotin bin, nach weiteren Tequilas an der Theke, doch tatsächlich mit zwei Burschen in ein Auto gestiegen, angeblich wollten sie mich heimbringen. Fuhren dann aber unbeirrt in eine völlig andere Richtung! Meine zaghaften Einwände wurden höhnisch weggelacht. Erst als sie Bernhards Auto bemerkten, das ihnen tapfer überallhin folgte, bogen sie dann doch ab und fuhren mich nolens volens nach Hause. Zu meinem zornbebenden Vater. Der mir wieder einmal vorhielt, daß ich ihm nur auf der Tasche läge, ein faules Stück sei und lautstark voraussah, daß aus mir niemals etwas werden würde.

Das alles ist nun schon lange her, ich bin erwachsen geworden. Alt, könnte man sagen, obwohl mein dreißigster Geburtstag noch keine Woche her ist. Gratuliert hat mir keiner. Wer auch. Meine Stammfreier sind schon lange zu jüngeren Kolleginnen gewechselt und Aufpasser habe ich keinen. Lohnt in meinem Alter nicht mehr, ist der allgemeine Konsens. Mir auch recht, kann ich die paar Piepen behalten. Seit ich das teure Zimmer im Laufhaus nicht mehr bezahlen kann, stehe ich buchstäblich auf der Straße. Bei meinen Eltern durfte ich mich nicht mehr blicken lassen, nachdem ich das geworden war, was Bernhards Mutter vor vielen Jahren bereits in mir gesehen hatte obwohl ich damals noch Jungfrau war: Eine Nutte. Und nun nicht einmal mehr das. Die meisten Männer fahren achtlos an mir vorüber. Fast niemand nimmt die von den billigen Plätzen, fast alle wissen, daß weiter hinten immer noch was Besseres kommt. Mir ist kalt. So kalt. Es ist November in meinem Herzen, obwohl wir erst Mitte Juni haben. Meine Füße schmerzen und ich habe noch keinen Pfennig verdient heute.

In meiner Handtasche habe ich mittlerweile eine erkleckliche Anzahl veilchenblauer Pillen aufgespart. Vielen Dank Dr. P. aus Göggingen. Bald ist es soweit. Bis dahin genieße ich den Gedanken, allen Freiern, die ohne Gummi wollen, und das sind die meisten, meine seit dem letzten Bockschein erworbenen STDs weiterzugeben. Ihre Ehefrauen täten mir leid wenn ich noch zu tieferen Empfindungen fähig wäre. Aber am Ende des Tages muß schließlich jede selber schauen wo sie bleibt.


















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