Sonntag, 5. November 2023

Allergisch gegen Engel



''Hey du alte Hexe, jeden Tag hier rumbetteln und dann teuren Schmuck kaufen oder was?'' Pöbelnd rempelte mich der Junge an, packte mich gar am Arm, fühlte sich wohl stark, von seinen Kumpels umgeben, alle in zerrissenen Jeans und Kapuzenpullovern, wandelnde Klischees. Wortlos machte ich mich los und verschwand in der Menge am unteren Stadtgraben. Hatte keine Lust auf lange Diskussionen. Was wissen denn die Menschen überhaupt voneinander? Nichts. Genau garnichts.

Den Juwelier und mich verband eine langjährige Freundschaft. Einst war ich eine gute Bekannte seines Vaters gewesen, der mich damals auch vor Gericht vertreten hatte, bei meiner Scheidung. Den Sohn hatte ich aufwachsen sehen und nachdem sein Vater gestorben war, hatte er in mir eine mütterliche Freundin gefunden. Seine eigene Mutter war bei der Geburt gestorben. Damals war es nicht üblich gewesen, zur Entbindung in ein Krankenhaus zu gehen.

Gerne saß ich mit ihm bei einer dampfenden Tasse Tee im gemütlichen Hinterzimmer, wir würfelten um Schillingmünzen, lachten und erzählten uns alte Geschichten, immer wieder dieselben. Kunden betraten den Laden nur selten, das meiste lief mittlerweile online. Die Geschäftsabwicklung überließ er ohnehin fast zur Gänze seinem Angestellten.

''Vertraust du ihm denn wirklich so sehr?'', hatte ich einmal gefragt. ''Schließlich könnte er jederzeit das eine oder andere kostbare Teil beiseiteschaffen.'' Er lächelte fein und antwortete einfach: ''Ja.'' Da wußte ich Bescheid und seither bekamen die beiden von mir jedes Jahr Socken mit Herzchen zu Weihnachten, die sie verschämt beiseite räumten und niemals trugen. Manchmal habe ich einen etwas schrägen Humor.

Einmal schenkte er mir einen silbernen Engel zum Umhängen. Leider reagierte meine Haut ziemlich gereizt obwohl es sich um echtes Silber handelt, daher kann ich ihn nur über der Kleidung tragen. Was im Sommer etwas blöd ist, du kannst schlecht die Leute anbetteln und ihnen gleichzeitig solch einen wunderschön gearbeiteten Schmuck vor die Nase hängen. 

Nicht selten möchte man mir helfen, mich beispielsweise zum Essen einladen, mich gar mit nach Hause nehmen und mir dort einen Job verschaffen. Auch auf diese Art von Angeboten reagiere ich allergisch. Eh lieb gemeint, aber ich schätze meine Eigenständigkeit.

Warum ich überhaupt Betteln gehe? Sag ich nicht. Vielleicht weil es mir Spaß macht? Vorzugsweise bin ich in der Altstadt unterwegs, weil sich dort die Touristen aufhalten. Woran ich die erkenne? Ganz einfach. Du lächelst eine Person an - wenn dir dann ein herzhaftes ''Griaß di'' entgegenschallt dann ist es KEIN Tourist. Wenn sie dich jedoch nur verständnislos anschauen, dann schon. Dann kann man bedenkenlos losbetteln, den Auswärtigen begegnet man meist nur einmal im Leben.

Abends, wenn dann die Münzen aus dem Portemonnaie purzeln, breitet sich eine stille Zufriedenheit in mir aus. Manchmal gehe ich dann noch etwas spazieren, in meinem Alter braucht man nicht mehr soviel Schlaf und ich mag es, in der Dunkelheit herumzulaufen, außerhalb des Ortes, wo die Wege nur vom Mondschein beleuchtet werden statt von grellen Straßenlaternen. Still ist es dann in der Natur, nur die Tiere sind noch wach, hier ein Rascheln, dort ein dumpfes 'Uhuuuuuuu', alles so vertraut, so heimelig, am liebsten legte ich mich in warmen Sommernächten an den See um dort im Schutz des alten Findlings zu schlafen. Was ich mir jedoch mittlerweile verkneife, denn im Morgenlicht betrachtet ist es dort auch nicht mehr wirklich angenehm. Schimmelige Brotreste, von unermüdlichen Entenfütterern ins Wasser geworfen und von den Wellen wieder ans Ufer getragen, alte Schuhe (ob die jemand geangelt und dann weggeworfen hat?), neuerdings sogar Tüten von McDonalds voller ekliger, fettiger Essensreste. 

Manchmal fühle ich mich einsam. Es gibt durchaus diese Momente, in denen ich gerne eine andere Person bei mir zuhause hätte. Besonders an langen Winterabenden, an denen ich einerseits froh war, eine eigene kleine Wohnung zu haben und nicht in einer Notunterkunft oder gar draußen schlafen zu müssen, mich andererseits sehr alleine fühlte. Schließlich konnte ich nicht jeden Tag zum Juwelier gehen und dort um alte, abgegriffene Münzen würfeln. Man darf Freundschaften nicht überstrapazieren. Schließlich ißt man auch nicht jeden Tag Mandeltörtchen.

Einen Garten hätte ich auch so gerne gehabt. Um allerlei Kräuter und hübsche Blumen anzupflanzen, die es sonst so bei uns nicht gibt. Auf Kreta hatte ich beispielsweise einmal wunderschöne Nieswurz gesehen. Wie herrlich die geblüht haben! Der Geruch würde mich dann immer an diesen Urlaub erinnern, damals mit ihm, Roger, meiner ersten und einzigen großen Liebe. So jung waren wir gewesen und so unbeschwert, was haben wir ausgelassen gelacht und uns gegenseitig mit Staunen immer wieder neu entdeckt. Jeden Abend saßen wir irgendwo am Lagerfeuer, jemand zupfte auf seiner Gitarre, wir tranken Wein aus großen Flaschen und liebten uns die halbe Nacht.

Aber wie das Leben so spielt war ich bald mit einem Anderen verheiratet, da Roger sich von mir getrennt hatte und daheim in Frankreich wieder mit seiner Jugendliebe zusammen war. Mein Herz war gebrochen, mir war somit einer so recht bzw. so egal wie der andere. Als ich mir eingestehen mußte, daß mein Angetrauter keineswegs der Mann von Welt war als der er sich vor mit aufzuspielen pflegte sondern ein gemeiner Narzisst, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckte, war es zu spät. 

Seit der Scheidung lebe ich zurückgezogen, arm aber glücklich in meiner kleinen Wohnung, jeder Tag ist ein Geschenk, das ich bis zur Neige auskoste. Ich erwarte nichts mehr, alles Schöne was mir begegnet ist mir ein Grund zur Dankbarkeit und Freude.

Randnotiz in der Tiroler Tageszeitung vom 23.11.2010: Als Opfer eines gewalttätigen Raubüberfalles wurde gestern leblos in ihrer Wohnung in Kufstein die arbeitslose Marianne B. aufgefunden. Gerüchten zufolge hätte die Tote massenweise Geldscheine in ihrem Kopfkissen versteckt, welche sich die Räuber wohl holen wollten. Wie groß muß ihr Erstaunen gewesen sein, als sie lediglich Hunderte von Spendenquittungen für 'Evita' (Frauen in Not) in den Händen hielten. Zwei Verdächtige wurden gestern festgenommen. Es gilt die Unschuldsvermutung.



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