Freitag, 27. März 2020
Mia bleibn dahoam
'Laut dem Tarot befinden wir uns momentan in der Zeit des Gehängten', warf Richard in die betretene Stille. Durch das gekippte Fenster hörte man lauten Vogelgesang. Sonst nichts. Aus dem Keller, Stille.
'Ja Mann, das ist doch jetzt echt voll abgedreht und am Thema vorbei,' schimpfte Agnes feurig los, obwohl sie als Frau eigentlich eher noch Zugang zu esoterischen Denkweisen haben sollte, dachte sich Richard, sprach es aber vorsichtshalber nicht aus. Immerhin war sie die Frau eines der mächtigsten Bauern vor Ort, da war Vorsicht angebracht.
'Die Meldung entbehrt nicht eines gewissen Scharfblicks,' warf Alois ein, der auch am Stammtisch immer das große Wort führte und dem daher alle stets widerspruchslos zuhörten. 'Ich persönlich finde sowieso, eine Woche einsperren ist für das Gesocks da unten noch viel zu milde. Wenn wir sie öffentlich aufhängen, so richtig kreuzigen, dann statuieren wir ein Exempel und die Verbrecher aus München bleiben endlich in ihrer verstunkenen Metropole anstatt uns hier unseren herrlichen Heimatsee zuzumüllen und ihre dreckigen Viren anzuschleppen.'
Zustimmendes Gemurmel von den Umsitzenden.
'Nachdem wir leider die meisten Gebräuche unserer Altvorderen ablegen mußten, beispielsweise das Julfest zur Wintersonnenwende, wird es an der Zeit, das Volk durch gemeinsame Feiern wieder zu einen, gerade in diesen Zeiten der Wandlung, in denen doch einige sich einbilden, die Obrigkeit sei gegen sie eingestellt und wolle sie in ihrer Freiheit beschneiden. Da gilt es gegenzusteuern. Schlimm genug, daß der Bürgermeister mit seiner Forderung beim Ministerpräsidenten so bös abgefahren ist und es auch noch in der Zeitung gestanden hat. Diese Wunde gärt und schwelt, es gilt, diese zu besänftigen und gleichzeitig ein Zeichen zu setzen.'
Kollektives Schlucken.
'Aber ...', wagte Richard leise einzuwerfen, 'ist das nicht Mord? Wenn uns der Ministerpräsident bereits ein Betretungsverbot für die Münchner versagt, ja wie wird er denn reagieren, wenn wir die Leute so einfach aufhängen? Des kannst doch ned machn Alois, sorry! Und außerdem hab ich des mit dem Gehängten ganz anders gemeint und zwar ...'
'Schau Richard,' unterbrach Alois den Dorfarzt, 'ich will dir mal zugute halten, daß du ein wackerer Kamerad bist, auf den wir uns immer verlassen konnten.' 'Bisher.', fügte er ominös hinzu.
'Deine Kinder hast auch keineswegs verdorben, ich hab neulich den Jörg gesehen wie er ein Auto aus München mit Joghurt beworfen hat. Guter Junge. Und nun merke auf: Wir werden unsere Gefangenen natürlich nicht umbringen. Wir hängen sie nur ein bissl auf, sagen wir einmal ein paar Stunden, so wie man früher die Menschen an den Pranger gestellt hat. So lange ist das noch nicht her. Das Volk braucht einen gemeinsamen Feind und einen starken Bürgermeister, der ihnen zeigt, wer der Chef ist, auch wenn er gerade eine empfindliche Niederlage aus München einstecken mußte. Gerade deswegen.'
'Irgendwelche Einwände?', fragte Alois in die rund um den mächtigen Eichentisch sitzenden Ratsmitgliedsgesichter. Natürlich eine rein rhetorische Frage, auf die er sich keine Antwort erwartet hatte. Schließlich wollte keiner der Beteiligten sich mit den Fremden zusammen am Kreuz vorfinden. Mitgefangen, mitgehangen, oder in diesem Fall gerade eben lieber nicht.
'Gut, dann gehen wir jetzt in den Wald und suchen uns ein paar geeignete Bäume aus, sieben Stück, eine heilige Zahl. Emma, du machst mal einen Plan wie wir die Penner da unten bis dahin verköstigen können, daß sie uns nicht vorher vom Fleisch fallen, Richard, dich brauchen wir, damit nicht doch noch einer vorzeitig abnippelt. Gemma!' Wie ein Mann erhoben sich die Dörfler und strebten dem Ausgang der Gaststube zu. Die Frühlingssonne schien unbeirrt weiter.
Es waren in der Tat seltsame Zeiten, da mußte jeder schauen wo er blieb, und wer unvorsichtig war und sich zu weit von der Heimat entfernte, nun, der mußte die Suppe dann eben auslöffeln, die er sich eingebrockt hatte. Da kannte der Alois nichts und der Bürgermeister sowieso nicht.
Mia san mia und mia bleiben dahoam.
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