Manchmal kommen Gaukler ins Land, sie tragen buntes Gewand, sprechen fremde Dialekte und lachen viel. Oma sagt es ist besser, man geht nicht zu den Vorstellungen, ich würd mir damit nur die Zukunft versauen. Versteh ich nicht, ich finds lustig wenn sie den Kanzler mit den Ohren nachmachen ...
Von der Bevölkerung werden sie mißtrauisch betrachtet, man spricht von Zigeunern, Diebesvolk und Kinderschändern, wobei die meisten schon nicht einmal mehr wissen, was das eigentlich sein soll. Ein Schimpfwort aus längst vergangener Zeit, als die Kinder noch bei ihren Eltern aufwuchsen, als die Familien noch unüberwacht mit Freunden in eigenen Wohnzellen beinandersaßen und oft die eigenen Verwandten sich an den Kinder vergriffen.
Unvorstellbar heutzutage.
Wie so vieles, von dem Oma noch zu erzählen weiß. Von damals, vor der Großen Krise, die das Leben der Menschen praktisch von einer Woche auf die andere völlig umkrempelte. Nur Wenige sahen es kommen, die meisten Menschen murrten zwar ein wenig, als sie auf einmal die Wohnung nicht mehr verlassen durften, angeblich um die Verbreitung des Virus zu stoppen, machten sich aber weiter keine Gedanken. Man müsse jetzt Geduld haben und Solidarität zeigen hieß es. Dagegen ließ sich auch erst einmal nichts sagen. Die Ausgangssperre wurde bald wieder aufgehoben, die unmittelbare Gefahr schien gebannt, die Regierung ließ sich feiern und das Leben ging weiter wie gehabt.
Bis auf einmal dieser Brief im Kasten lag. Man möge sich innerhalb von 14 Tagen bei der zuständigen Krankenkasse melden, das Tragen von Gesundheitsarmbändern sei ab jetzt verpflichtend. Selbstverständlich würden die so erhobenen Daten nicht sehr lange gespeichert, es diene alles nur der Sicherheit. Wer sich weigerte, wurde als Ignorant beschimpft, der leichtfertig nicht nur die eigene Gesundheit aufs Spiel setzte sondern auch die der anderen Menschen um ihn herum. Die Wiederholung einer solchen Pandemie könne nur effektiv verhindert werden, wenn jeder zu jeder Zeit seine Temperatur messen ließe und man jederzeit lückenlos nachweisen könne, wer zu welcher Zeit mit wem Kontakt gehabt hatte.
Nun wachten die Ersten auf, witterten Intrige und Verrat, doch es war bereits zu spät. Egal ob adelig oder arbeitslos, es gab kein Zaudern, wer der Aufforderung nicht zeitnah nachkam wurde mit erheblichen Repressalien bedroht, und kurz darauf waren alle an das Überwachungsnetz angeschlossen.
Grenzgeniale Programmierleuchten arbeiteten rund um die Uhr und bald konnte nicht nur die Bewegung der menschlichen Körper überwacht werden, auch jede seelische Regung in selbigen. Jeder Gedanke war auf einmal meßbar. Die Regierung wußte nun nicht nur, was die Leute sich so im Fernsehen und im Internet ansahen, sie wußten auch, was sie dabei für Gefühle und Gedanken hatten. Das neue System ließ die bisher bekannten Algorithmen auf facebook uralt aussehen. Es war ein Bankett für Datensammler, an dem diese sich ungeniert bedienen konnten. Datenschutz? Ein Begriff, der ja bereits in der guten alten Zeit bereits nur noch dazu benutzt worden war, die Angestellten in Behörden und Kliniken zu sekkieren.
Noch heute zuckt Oma zusammen wenn es an der Türe läutet. Die Kontrollen waren häufig und die Inspektoren alles andere als zahm. Anfangs hatte sie es mit Humor nehmen wollen, hatte ihnen grinsend die Türe geöffnet mit den Worten: 'Inspekta gibt's kaan!' Man hatte daraufhin alle ihre Bücher beschlagnahmt, sich extralange Zeit gelassen, sie mit dem Genehmigungsstempel zu versehen und natürlich hatte hinterher die Hälfte gefehlt. Oma hatte während dieser Zeit wieder mal Ausgangssperre und mußte sich dreimal täglich telefonisch bei der Aufsichtsbehörde melden. Vom Festnetz aus. Welches sie ja noch hatte.
Es wurden viele Bücher vernichtet, damals. Zeitgenössische Schriftsteller wie Bertha Garlan oder Leo Himmelsblau wurden verbrannt, genauso wie Autoren aus längst vergangenen Zeiten wie Erich Kästner oder Jane Austen. Auf Satire stand die Todesstrafe, menschliche Nähe war verpönt. Das während der Pandemie eingerichtete Gesetz, daß sich Menschen in der Öffentlichkeit nur noch höchstens zu dritt zusammenfinden durften, wurde aufrechterhalten. Workshops etc. wurden weiterhin nur noch online geduldet, das Leben fand hauptsächlich digital statt. Die Menschen bezahlten im Supermarkt mit der Armbanduhr, welche solcherart ihr comeback feierte, und die Unterhaltung mit Fremden hatte sich bald eh erledigt, da alle nur noch mit Google-Brille und Kopfhörern unterwegs waren und einander nicht mehr beachteten.
Konversation gab es daher praktisch nur noch schriftlich, vorzugsweise elektronisch, oder am Telefon. Damit die Unterhaltungen überwacht werden konnten und niemand mehr Angst vor freistehenden Koffern haben mußte. Heutzutage ebenfalls ein Unding. Kein Mensch reist mehr mit Koffern. Die Hotels bieten alles, was der Gast zur Annehmlichkeit benötigt, in den Zimmern an, persönliche Dinge wie Medikamente oder Extrakleidung werden am Tag der Abreise von Götterboten abgeholt und in Windeseile an den Zielort transportiert. Natürlich ist das Reisen dadurch so teuer geworden, daß es sich nur noch Privilegierte leisten können. Der Rest der Bevölkerung staut sich in den noch zugelassenen lokalen Vergnügungsbetrieben und schreit sich gegenseitig die Ohren voll. Da bleibt jeder vernünftige Mensch freiwillig zuhause und loggt sich in seine Unterhaltungsmedien ein.
Einmal fand ich ein uraltes, völlig verstaubtes Buch auf dem Dachboden, diesem Hort geheimer Schätze. Ich blätterte neugierig darin herum, nieste vom aufsteigenden Staub und mußte auf einmal furchtbar lachen. Erschrocken kam Oma herbeigeeilt, denn Lachen war schon lange nur mehr in Ausnahmesituationen erlaubt, wer es zu oft tat wurde von den Nachbarn besonders streng beobachtet,denn Denunzianten waren bei der Obrigkeit beliebt und durften sich oft Extrarationen Toilettenpapier oder Nudeln abholen.
Was ich denn so lustig fände, wollte Oma vorwurfsvoll wissen. Als sie das Buch erblickte wurde sie bleich. 'Jö, die Bibel!', flüsterte sie. Offenbar ein verbotenes Buch.
Ich las ihr den Satz vor, der mich so erheitert hatte: 'Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund'.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen