Donnerstag, 13. Februar 2020

Wienerbergblues

Jetzt hocke ich da, Sonntagmorgen am Ufer des Wienerbergsees, mir brennt der Fuß weil ich Trottel barfuß in einen Kronkorken getreten bin. Daß die so scharf sein können ... aber dieser Schmerz ist nichts im Vergleich zu dem, der glühend heiß in meiner Seele wütet, tobt, lodert und mich von innen her verbrennt. Ins Wasser möcht ich mich stürzen und nie mehr wieder auftauchen! Wie soll ich so weiterleben? Wie kann ich mich ab jetzt wieder mit dem ruhigen, langweiligen Leben zufriedengeben, das ich bis vorgestern geführt hatte?

Notgedrungen. Schließlich bin ich krank und soll mich nicht aufregen.

Aber dann hab ich ihn getroffen und ab da war alles anders.

Es hat ganz harmlos angefangen, wie das eigentlich immer so ist bei wirklich großen Ereignissen. Lange Schatten vielleicht, ja, aber dann: Bamm! Mein alter Freund Petzi kam auf seinem klapprigen Fahrrad in den Gastgarten geeiert in dem wir verabredet waren, lachte sein dröhnendes Lachen und rief: ‘Stöh da vua mir is de E-Seitn g’rissn, so a Schas und heute auf’d Nocht da Auftritt ...’

Also Pilgerreise durch versteckte Gassen Wiens, Fachsimpeln im winzigen Laden, notdürftig erleuchtet von einer funzligen Lampe die alle Gesichter geheimnisvoll erscheinen läßt. Gitarre neu bestückt und auf ins Chelsea, obwohl ich normalerweise abends nicht mehr weggehe. Schon lange nicht mehr. Um acht hau ich mich in die Hapfn und versuche zu schlafen, was selten gelingt. Nur Schonkost und keine Aufregung, der Magen, die Nerven, aber nun war ich doch noch einmal in Wien, wollte einmal noch leben, einmal noch mich spüren, einmal noch mich verlieren ...

Und das hab ich so gründlich geschafft ... bin so unendlich verloren. Niemals mehr werd ich mich wiederfinden, meine Seele ist verglüht, eine Nacht nur und mein Leben ist vertan.

Dabei wollte ich lediglich das Konzert anhören wo ich schon einmal da war. Petzi, Lovro und Lollo im Chelsea. Die neue Band heißt ‘Die Klonkrieger’, blöder Name eigentlich, oder? Und mein Gott ja, es ist ungemütlich. Dieses lange Stehen, die vielen Leute, der Krach umadum, also Freude ist das keine aber was tut man nicht alles ... und dann er. Dieser Blick, ich bin sofort auf die Knie gegangen. Also innerlich, der Boden im Chelsea ist selten sauber und überhaupt, vor allen Leuten und so, aber da war ich schon drin im Sog dieser Augen, und es war für alles zu spät.

Von der Musik hab ich nichts mehr mitbekommen, wir sind dann auch raus, weg vom Trubel, trunken voneinander, Küsse wie im Rausch, dabei hatte ich kein einziges Bier intus, trinken darf ich ja auch nichts mehr - was aber insgesamt egal ist denn so ein Gefühl wie dieser Mann es in mir entfachte, das war mit keiner Droge der Welt zu erreichen. So süchtig, schon nach einem Blick dir verfallen, alles egal, in der U-Bahn deine Hand an meinem Schritt, schamlose Gier, am Reumannplatz hinauf beim Amalienbad, das Rattern der Bim, die Ansage ‘Neilreichgasse’, so vertraut, ach, damals, wie war ich jung gewesen, einmal noch dieses Gefühl - dann wir beide, nachts am See, nur wir und die Gelsen, das dünne Sommergewand am Boden gehaut, gewälzt haben wir uns bis ins Gebüsch ... später am Wasser, schlammbaden, lachen und kreischen wie die Kinder, vor schierem Übermut, das Gefühl wenn dir das Herz birst vor Glück, ach Glück ... wie flüchtig bist du ... wie hoch kann man fliegen in einem Augenblick und wie tief danach fallen? So tief, bis auf der Hölle Grund und noch weiter, weiter hinab, unendlich weit.

Natürlich konnte es nicht auf Dauer so bleiben, das weiß ich auch. So schwer, das Herz, wer hilft mir Tragen? Das kann man von niemandem verlangen.

Ultramarinblau der See in der Morgendämmerung, hysterisches Gewieher vom anderen Ufer her, in der Nacht auf Sonntag ist man hier niemals allein in den lauen Sommernächten, und doch hab ich mich niemals einsamer gefühlt als heute, jetzt, in diesem Augenblick.

Ein Herzhäuschen hab ich gebaut, ein kleines Heim nur für unsre beiden, aber deins war schon vergeben. Nun zahle ich den Preis für diese eine Nacht. In meinem Schädel singt Wolfgang Ambros ‘Heite drah I mi ham’, im hohem Bogen fliegt der scharfrandige Kronkorken ins Wasser, meine Fassung hinterher, und ich weine bitterliche Tränen in den See hinein. Nebel umwabern das zitternde Schilf und mein armes Herz blutet eine weite Spur vom Niemalsmehr ins leere, weiße ewige Nichts.



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