Samstag, 29. Februar 2020

Anton Teil 3

Nun begab es sich, daß auf des Metzgers Fest auch einige Polizeibeamte eingeladen waren. Immerhin hatte der Metzger damals, als man ihn in einer Tour bestohlen hatte, fast wöchentlich eine Anzeige machen müssen - auch eine Art, neue Bekanntschaften zu schließen.

Augsburg ist, wie jeder weiß, ein Dorf, und so waren jene Polizeibeamte natürlich auch Anton bekannt und vice versa. Zwar hatte Anton niemals den Bekanntheitsgrad seines Bruders erreicht, der auf der Straße fast unentwegt aus Polizeiautos heraus grinsend gegrüßt wurde, aber es hat ihm so auch grad gereicht.

Ein wenig ärgerlich fand er es daher schon, nun auch im fernen München einigen seiner eher nicht so lieben alten Bekannten solcherart über den Weg zu laufen. Hatte er doch gedacht, hier völlig unerkannt ein neues Leben anfangen zu können.

Dies alles war natürlich vom Metzger im Detail geplant worden. Später, wenn alle einigermaßen betrunken waren, wollte er ein kostbares Kleinod in Antons Umhängetasche stecken, hierauf ein großes Gezeter anstimmen und die Polizeibeamten sollten bei der flugs anberaumten Untersuchung das Kleinod finden, Anton mitnehmen und ENDLICH einmal bestrafen. Auf Juwelenraub stand ja doch ein bissl mehr als auf Schinkendiebstahl, und besondere Heimtücke war auch im Spiel, wenn man den Gastgeber auf dessen eigenem Fest hinterrücks beklaute. Da war sich der Metzger absolut sicher.

Dummerweise hatte Anton Mirandas Ermahnungen im Ohr, sich ja nicht zu besaufen, stets wachsam zu bleiben, immerhin könne er nicht sicher sein, daß der Metzger ihm verziehen habe, schön blöd wäre er, setzte sie feixend hinzu, woraufhin Anton wutentbrannt davonstob ... ihr aber insgeheim doch recht geben mußte. Der Schaden damals war beträchtlich gewesen, sein Gewinn dabei zwar praktisch gleich Null, aber er war halt der Trottel der überlebt hatte. Zagreb war von der Bildfläche verschwunden, dem konnte man nichts mehr anhaben.

Unlustig schlenderte Anton durch die Menschenmenge. Das Essen wagte er nicht anzurühren, aus Angst, es könnte vielleicht, extra für ihn, vergiftet sein, trinken sollte er ja nix, die Musik war irgendwas zwischen Heino und Marschmusik, also tanzen war ebenfalls ausgeschlossen. Nicht, daß Anton jemals getanzt hätte. Nicht einmal im Zustand höchster Intoxikation. Aber so nüchtern und zu SO einer Musik schon absolut zweimal nicht.

Je weiter der Abend voranschritt, desto zappeliger wurde der Metzger. Was trieb Anton denn da nur? Lief wie aufgezogen im Kreise herum, sprach einmal hier mit jemandem, einmal dort, lehnte alle ihm angebotenen Speisen und Getränke ab - aber er blieb. Eisern. Warum? Was hatte er vor? Wollte er die Lage sondieren und ihn etwa nun auch in seinem neuen Schrebergarten bestehlen?

Heiße Wut kroch im Metzger hoch und macht ihn unvorsichtig. Er mußte diesem Treiben ein Ende bereiten. Und zwar genau jetzt! Im Gegensatz zu Anton hatte der Metzger nämlich bereits ganz gut getankt und alles in ihm schrie nach RACHE. RACHE. RACHE.

Forschen Schrittes bewegte er sich, etwas schlingernd doch ansonsten mehr oder weniger zielgenau, auf Anton zu und sprach ihn an: 'Horchamal, Anton, es isch fei ned notwendich, daß du dei Tasch dia ganze Zeit do umeinandertragsch. Die kannsch fei grad do an'd Gardererob au hänga.'

In diesem Moment fiel Anton ein, daß er dem Metzger sein Versöhnungsgeschenk noch nicht überreicht hatte. 'Hey, gut, daß Sie mich erinnern, I hätt da no was für Sie dabei! A Gschenk vom Zagreb, ganz was Tolles! Schauns amal!' Begeistert wollte Anton in seine Tasche greifen und den Seelenspiegel herausholen, da flippte der Metzger, der dachte, Anton wolle ihn am Ende erschießen, komplett aus, rempelte ihn gegen die Wand und schrie aus vollem Halse: 'Hilfe, Polizei, Polizei!!!'

Natürlich waren die Freunde und Helfer sofort zur Stelle, rissen Antons Arme nach hinten und meinten süffisant: 'Nanana, Herr Fieselmaier, alles klar? Was hammer denn schon wieder vor, hm?'

Anton war von sämtlichen Socken. 'Ja aber ... ich hab doch garnix g'macht! Ich hab dem Herrn Metzger doch nur mein Geschenk geben wollen, und da haut er mich ins Eck rein und fängt das Umeinanderplärren an!'
'Stimmt das, Xaver?', wandte sich einer der Polizisten an den Metzger, der offenbar Xaver hieß.

Dieser stand inzwischen schwankend in der Mitte des Zimmers und wußte nicht mehr, wovor er sich eigentlich gefürchtet hatte. Noch dazu war es ihm nicht gelungen, das Zielobjekt in Antons Umhängetasche zu stecken, und hielt daher immer noch in der Hand die er abwehrend ausgestreckt hatte ... einen diamantbesetzten Rasierspiegel. Mit Perlmuttgriff.

'Jö schau!', rief Anton, schon wieder ganz munter, da auch der zweite Polizist ihn inzwischen losgelassen hatte, angesichts der Tatsache, daß offenbar keinerlei Straftatsbestand vorlag. Zwar sind nicht alle Polizisten so rasch so einsichtig, aber immerhin waren sie nicht im Dienst, also warum übereifrig sein. 'Jö schau, Herr ... äh ... Xaver, ham Sie etwa schon einen Seelenspiegel?'

Der Metzger war verwirrt. Was faselte der Dummkopf denn da?
Seelenspiegel? War er vielleicht auf Trip und wollte deswegen nichts trinken? Hm ... sollte man vielleicht eine Blutprobe???

Inzwischen hatte Anton unbehelligt in seiner Tasche gekramt und Zagrebs Mitbringsel daraus hervorgezerrt: 'Schau!', hielt er es dem Metzger unter die Nase. 'Wenn man da reinschaut dann kann man sehen, was die Person, mit der man gerade redet, wirklich denkt!' Treuherzig blickte er den Metzger an, dann den Spiegel ... und wurde bleich.

Hinter ihm war einer der Polizisten herangetreten und wagte ebenfalls einen neugierigen Blick in den Seelenspiegel. 'Hm, hm, hm ...', machte er und sah den Metzger ernst an. 'Hör mal Xaver, also bei allem Verständnis für deinen damaligen Verlust, aber SO geht's jetzt auch nicht. Herr Fieselmaier, es wäre besser, wenn Sie jetzt gehen, und wir beide, Xaver, wir setzen uns jetzt einmal in die Küche und machen uns einen ordentlichen Kaffee, was?'

Wieder einmal mit sich und der Welt im Unreinen machte Anton sich auf den Heimweg, hoffend, daß zumindest Miranda schon im Bett sei, und er sich ihre schadenfrohen Bemerkungen ersparen konnte. Soviel zum Thema Vergeben und Vergessen. Hah. Was war die Welt doch schlecht!

Kaum war er auf die Straße getreten, hörte er neben sich die altbekannte blecherne Stimme: 'Anton, Anton ich grüße dich! Bist du sicher, daß du hier auf der Erde bleiben willst? Anton, ich habe eine Idee!' Ergeben kletterte Anton zu Zagreb in den Waschkessel, um sich in aller Ruhe dessen Idee anzuhören.

'Hosch wenigschtens a Bier dabei?' 'Anton, ich habe IMMER etwas Gutes zu Trinken dabei, und wenn nicht, dann weiß ich zumindest, wo ich etwas herbekomme, Anton du weißt das! Und nun fliegen wir mal eine hübsche Runde, bevor dein Erzfeind mitbekommt, daß ich seine Kellerbestände erheblich dezimiert habe während er versucht hat, dir seinen Spiegel unterzujubeln. Geschieht ihm recht Anton, da kannst du nicht anderer Meinung sein als ich!'



Freitag, 28. Februar 2020

Anton soll Hilfssheriff werden - Zukunftsgarten 5

Charlie war grad da. Bin völlig daneben. Hat mich erwischt wie ich tagsüber einen geraucht hatte. Soll ich ja eigentlich nicht. Aber wo ich sonst grad nix zu tun hab ...

Das ist WIE bei Mirandas Mama! Tagelang hab ich mich zammgrissn, hab nix getrunken, nix geraucht, und AUSGERECHNET dann, wenn ich mir dacht hab: 'Ok, heut machst es dir mal wieder gemütlich', mir ein Bierchen aufgemacht hab und mir ein Teil angezunden ... WER klingelt in genau DEM Moment an der Türe und steht auch schon mitten im Zimmer? Genau. Sie. Und guckt ...
So peinlich!!!

Charlie hat so ähnlich geguckt wie Mirandas Mama, so eine Mischung aus Herablassung, Mitleid und mühsam zurückgehaltenem Zorn. Frag mich bloß worüber. Als ob die ewige Tschecherei besser wär. Ich glaub da ham wir uns gegenseitig nix vorzuwerfen.

Aber der Hammer kommt erst: Sagt der doch glatt, also der Charlie, daß er soeben zum Chef der Sicherheitstruppe befördert worden wär und er mich gerne als Stellvertreter hätt. Mich!!! Der ich mein Leben lang auf der anderen Seite des Gesetzes gestanden bin. Eisern.

Damals wie ich mit den Kilos hochgegangen bin wollten sie mich ja schon als Spitzel anheuern, aber da hab ich meine Verbrecherehre. Ganz abgesehen davon, daß mir das auch recht schnell zu blöd geworden wäre. Das merken die doch, wenn jeder, von dem ich was kauf, kurz danach einfährt und mir passiert nix. Da bist so schnell weg von der Bildfläche ... und brauchst ned glauben daß die Bullen dich danach groß schützen. Alles blabla. Kugel in den Kopf und weg. Hatte doch schon genug Ärger wegen meinen Preisen, weil die den anderen Herrschaften immer zu niedrig waren und das war dann auch der Grund, warum ich irgendwann nix mehr gemacht hab. Ständig Drohungen. Brauchst in meinem Alter nicht mehr.

Und jetzt soll das Theater hier lustig weitergehen? Wieder Machtkämpfe mit Leuten die ihr Hirn weitgehend ausgeschaltet haben und den Kopf hauptsächlich dazu benutzen, Drohgrimassen zu schneiden?

Wie gesagt, ich hab mich in meinem Leben oft durchkämpfen müssen, und es ist mir jedes Mal gelungen. Aber um welchen Preis? Meine Persönlichkeit war nie gefragt, mußte mich verstellen, den harten Mann markieren der ich nicht bin, meine Seele selbst niedertrampeln bevor es die anderen tun. Der Anton der nähen kann, der gerne bunte Bilder malt, geduldig Puzzle legt und sich rührend um Tiere aller Art kümmert, der war nie gefragt. Nur der Anton, der mit der Puffn umgehen kann, der ohne Führerschein wagemutig den Mercedes durch den nächtlichen Stadtverkehr steuert, mit Sachen im Kofferraum die niemanden was angehn, der Anton der säuft wie ein Loch und danach immer noch Verhandlungen führen kann, sich dabei nicht verrechnet oder gar über's Ohr hauen läßt, der Anton, der mit den Hells Angels in einer Kneipe sitzen kann und es passiert nix weil er den Chef ausm Knast kennt, der Anton, dem es vor nix graust, von dem man alles verlangen kann und der nach außen hin mit keiner Wimper zuckt obwohl er sich am liebsten heulend im Eck verkriechen würde ... DER Anton, der war immer gefragt.

Offenbar auch jetzt wieder.

Ich mag Charlie total gerne, er erinnert mich ein bissl an Ricardo, damals. Nur, daß Charlie ein guter Mann ist, kein mieser Lügner und Betrüger wie Ricardo, der mich aus meinem sicheren Job rausgequatscht hat mit Versprechungen und Beteuerungen, daß er mich braucht, ich wär doch sowas wie sein Sohn, und wir würden zusammen prima Geschäfte machen können, da würd ich VIEL mehr verdienen ... ja und am Ende hatte ich die ganze Arbeit, den Druck, die Gefahr, er hat abkassiert fürs Nixtun, und wie wir dann hochgegangen sind war er so schnell verschwunden, so schnell hast garned gucken können.

Nein, Charlie will mir nichts Böses, da bin ich mir sicher. Aber die anderen ... da bin ich mir nicht so sicher. Wäre ich sein Stellvertreter, müßten sie mit mir zusammenarbeiten wenn's wär. Dieser Haufen Irrer. Wenn's wirklich hart auf hart kommt, dann brauch ma ned lang das Diskutiern anfangen, da muß es schnell gehen. Und wenn die dann meutern, mich nicht als den anerkennen, der das Sagen hat ... dann funktioniert das nicht.

Und ich bin müde, bin es so unendlich müde, immer wieder um Anerkennung kämpfen zu müssen, mich verstellen zu müssen, den harten Kerl spielen zu müssen der ich im Grunde nicht bin. Ich hab ein Kinderherz, ich möchte mich um meine Kaninchen kümmern, auch wenn es mir das Herz bricht jedesmal wenn wieder eins fehlt ...

Möchte einfach nur meine Ruhe haben. Dieses Gegröhle immer, dieses Männergetue, es hängt mir zum Halse heraus.

Ich glaub, das werd ich Charlie auch genauso sagen. Wenn die anderen nicht wären, wenn es wirklich nur wir beide wären, denen man die Aufgabe gegeben hat, sich um Recht und Ordnung zu kümmern, eventuelle Löcher im Zaun zu flicken und eventuelle Eindringlinge davon abzuhalten, das zu tun was auch immer sie tun wollten ... ja. Ja, dann wäre ich dabei. Würde mich von ihm ausbilden und unterweisen lassen und würde jede Minute seiner Gegenwart genießen. Würde alles lernen wollen, was er mir beizubringen hat. Er ist ein großes Vorbild für mich und es wäre mir das Höchste, ihm nacheifern zu dürfen.

Aber diese infantilen Matschbirnen, Mike und wie sie alle heißen, und dann noch dieser brandgefährliche Helli, diese wandelnde Zeitbombe, nee, also das brauch ich nicht mehr, dafür hab ich keine Nerven mehr. Ich schaff das nicht mehr. Es ist genug.

Dienstag, 25. Februar 2020

Anton fragt sich, was sein neuer Job sein wird - Zukunftsgarten 4

Heute muß ich nicht in die Schule. Vorerst überhaupt nicht mehr. Hat Maria mir gestern eröffnet. Die Kinder wüßten jetzt vorerst genug und bis die Kleinen soweit sind, würd es noch dauern. Als ich gerade den Mund aufmachen wollte um zu fragen, was ich stattdessen arbeiten könnte bis eine Stelle am Bauernhof frei wird, legte sie mir sanft den Finger auf die Lippen und meinte fast schon zärtlich: Gedulde dich noch ein wenig mein Freund, du wirst bald eine neue Aufgabe bekommen, die dich sehr freuen und auch erfüllen wird. Aber noch heißt es, Geduld zu haben. Bis zum 21. März, in fact, danach wirst du mehr erfahren.

Hm, eigentlich hasse ich es ja, wenn jemand ständig zwischendrin Englisch redet, Miranda hat das auch immer gemacht und wenn ich mich beschwert hab meinte sie, ich könne es ja von ihr lernen. Genauso wie sie das Rechnen lernt oder was, Hmpf! Die Frau muß ja vier und sieben noch mit dem Taschenrechner zusammenzählen.

Aber bei Maria ist es anders, die darf das. Wie sie mir den Finger auf die Lippen gelegt hat ... und woher weiß sie, daß ich am 21. März Geburtstag hab? Das ist eh ein besonderer Tag. Wir waren mal in Wien, Miranda und ich, oben am Himmel, und da ist so ein Baumkreis. Jeder kann dort seinen ihm zugeordneten Lebensbaum finden, die Bäume stehen in einem riesigen Kreis dort oben hübsch nebeneinander, und jeder Baum hat ein Infotaferl vor sich stehen, wo man etwas über dem Baum und den Menschen, der ihm zugeordnet ist, nachlesen kann. Manchmal ist der Lautsprecher an und liest es vor. Wahrscheinlich für die Schasaugatn. Miranda ist übrigens Feige, und die Feigenbäume müssen im Winter rein, damit sie nicht eingehen. Paßt. Sie friert auch immer. Ja und da hat sie mir erzählt, daß sie beim ersten Besuch den 21. März nicht gefunden hat. Der eine Zeitraum ging bis zum 20. März und dann ging es mit dem 22. März weiter. Bis sie dann entdeckt hat, daß vier Tage vom Jahr ihren eigenen Baum haben, der weiter innen im Kreis steht. Kommst ned drauf. Der 21. März ist eine Eiche. Paßt auch.

Naja, und was mach ich jetzt heut? Den ganzen Tag lesen is ja auch fad, und Puzzle gibt es keine. Hab schon geschaut. Hm, wie ich die Leut hier kenn, muß man sich die auch noch selber sägen und bemalen. Jaja bin schon wieder aufmüpfig, ich weiß. In letzter Zeit fühl ich mich so einsam, irgendwie. So melancholisch.

Bin es ja gewohnt, allein zu sein. Seit mein Vater gestorben ist, bin ich allein. Mein Bruder hat zwar noch eine ganze Zeitlang gelebt, aber ... Ich werd nie vergessen wie ich mal aus dem Knast gekommen bin und da waren die beiden verheiratet! Sigi und Miranda. Das war ein Aufruhr, keiner hat es geglaubt. Sie haben dann die Heiratsurkunde an die Wohnzimmertüre geklebt, als Beweis.

Sigi und ich hatten uns zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr gesehen gehabt, einer von uns war immer im Knast, deswegen war Miranda immer abwechselnd mit uns zusammen. Ja und kaum bin ich mal länger weg, müssen die heiraten! Mich wollte sie nie heiraten!

Ich komm also in die Wohnung, zusammen mit Miranda, die grad von ihrem Putzjob kam, er schon wieder pralle in aller Früh, ich weck ihn auf und sag: Hallo Sigi! Und er? Statt daß er mich ordentlich begrüßt, fragt er gleich als erstes: Hosch a Geld???

Lange hat er es dann auch nicht mehr gemacht ... Miranda hat sich scheiden lassen, danach war sie wieder mit mir zusammen, und eines Tages, wir saßen grad in der Badewanne, klingelt es. Steht ein Kumpel draußen: Sigi ist tot! Wir so: Ach Quatsch, komm, is ned wahr!

War doch wahr. Am Heimweg nachts vom Auto überfahren weil er mitten auf der Straße im Zickzack gegangen ist. Und ich war der Einzige der geweint hat. Ricardo hat sogar gemeint: Gottseidank.

Ja, was denk ich schon wieder für Unfug zusammen, muß mich ablenken.
Hat Bruno nicht was erwähnt gestern von einem 'Ramadama' am Seeufer heute? Da könnt ich doch eigentlich mithelfen. Oder dürfen da nur die Kinder mit? Wirklich erwachsen bin ich ja auch nicht, ich seh nur so aus. Ich glaub ich geh mal gucken ...

Sonntag, 23. Februar 2020

Zu spät ...



Voller Wehmut lehnte Ansgar am Rand der Manege, starrte blicklos auf den mit frischen Sägespänen bedeckten Boden und spürte, wie die Verzweiflung ihn erneut zu überrollen drohte. Noch eine Stunde bis zum Vorstellungsbeginn, bald würden die Zuschauer kommen. Aufgeregte, voll freudiger Erwartung unentwegt plappernde Kinder, betont gelangweilt dreinschauende Erwachsene, die doch im Innersten genauso gespannt waren auf die Vorstellung, wie ihr Nachwuchs. 

Was sie alle nicht wußten war, daß es die letzte Vorstellung sein würde. Die allerletzte. Die Einnahmen waren in der letzten Zeit stetig gesunken, die Leute kamen nur noch, weil er unablässig Gutscheine in den Supermärkten verteilen ließ ... es langte gerade so eben für das Tierfutter, seine Artisten konnte er schon länger nicht mehr adäquat bezahlen, was bereits für einiges Murren gesorgt hatte. Die Moral war am Boden. Er war sich sicher, daß die meisten bereits heimlich anderswo Vertragsverhandlungen am Laufen hatten. Nun, er würde die Konsequenzen ziehen bevor es zu spät war, er würde seinen Entschluß heute nach der Vorstellung in einer spontan einberufenen Versammlung verkünden, auch wenn es ihm das Herz brechen würde.

Die immer aggressiver werdenden Aktionen der radikalen Tierschützer taten ein Übriges. Plakate wurden abgerissen, übersprüht mit Slogans wie 'Die Vorstellung fällt wegen Tierquälerei aus'. Konkurrenzunternehmen, die daraufhin ihre Tiernummern abgeschafft hatten, blieben jedoch in Folge fast gänzlich ohne Publikum, mußten Vorstellungen absagen, gekaufte Karten erstatten, was zusätzlich für Unmut sorgte.

Natürlich kam auch keiner der Tierschützer danach jemals in eine der erschlankten, tierlosen Vorstellungen. Ähnlich den radikalen Nichtrauchern, die sich rauchfreie Restaurants erstritten hatten, und sich nun darüber aufregten, daß sommers in den Gastgärten weiterhin geraucht wurde. Anstatt sich nach drinnen zu begeben, wo sie ungestört ihre rauchfreie Luft einatmen könnten. Und nach dem Genuß ihrer veganen, alkoholfreien Maß womöglich in ein stinkendes Auto stiegen um damit fröhlich die Luft zu verpesten. Scheinheiliges Pack!

Dabei hatte er seine Tiere stets gut behandelt. Keine in Ketten gehaltenen Bären, keine geprügelten Löwen, Tiger oder Elefanten. Da ging es in jedem Zoo brutaler zu als bei ihm hinter den Kulissen. Auch mußten seine Pferde nicht bei ohrenbetäubendem Lärm im Kreise traben wie es bis vor kurzem beispielsweise im Wurstelprater beim Pony-Karussell der Fall gewesen war. Nein, seine Musik war gedämpft und melodisch, das Futter ausgewogen und biologisch, die Tiere hatten stets Auslauf und wurden ausreichend bewegt, auch außerhalb der Vorstellungen.

Sein Lebenswerk, so ging es dahin. Seine Eltern hatten den Zirkus bereits nur mehr schlecht als recht am Laufen erhalten können, aber heute, im Zeitalter von Farbfernsehen, Internet und De-Luxe-Freizeitparks, war der Nervenkitzel, den er zu bieten hatte, offenbar nicht mehr der Mühe wert, sich nachmittags von der gemütlichen Couch zu erheben, geschweige denn, einen Abend zu opfern.

Gerade hier in dem mondänen Tiroler Luftkurort, in dem sie momentan gastierten, gingen die Kurgäste abends lieber in eines der luxuriösen Hotels aus, ganz nach dem Motto 'Sehen und gesehen werden' - und die Einheimischen, meist Bauern aus der Umgegend, hatten kein Geld für derlei Vergnügungen übrig.

Vor allem um Fidelius, den Clown, machte er sich Sorgen. In letzter Zeit hatte dieser zunehmend Hochprozentiges zu sich genommen, die entsorgten Flaschen hinter dem Wohnwagen sprachen Bände. Das Make-up verschmiert, die Aussprache verwaschen und die Ausführung der Späße tollpatschig und fahrig. So würde er anderswo nicht mehr unterkommen können und für das Altersheim war er noch zu jung. Gerade einmal fünfzig Jahre alt, und schon am Ende.

Sein einziger Lichtblick war Bethanie, die junge, biegsame Artistin mit dem entzückenden Muttermal auf ihrem rasierten Venushügel, die seit dieser Saison mit ihren beiden Brüdern bei ihm unter Vertrag war, und in die er sich sofort heiß und innig verliebt hatte. Zu seinem restlosen Entzücken waren seine Gefühle nicht unerwidert geblieben und er freute sich schon darauf, mit der bescheidenen Summe, die ihm nach dem Verkauf der Tiere und der Auszahlung der Artisten verbleiben würde, ein kleines Häuschen irgendwo zu kaufen und sich mit Bethanie dort niederzulassen. Gesprochen hatte er mit ihr noch nicht darüber, auch würden ihre Brüder nicht gerade begeistert sein, schließlich war deren Programm ohne Bethanie so nicht durchführbar, aber darüber würde er sich aufregen wenn es soweit war.

Nun würde er sich in seinen Wagen zurückziehen, sich ankleiden, schminken, die Beleuchtung prüfen und seinen obligatorischen Rundgang machen. Die Leute hatten ja keine Ahnung, was an so einem Zirkusbetrieb alles dranhing. Die meinten doch glatt, man triebe zweimal am Tag die Tiere ein bissl im Kreis herum und mache sich ansonsten ein feines Künstlerleben. Hah. Alles was er sich an Luxus gönnte, war ab und an ein Quarkstreuselkuchen aus der Bäckerei, auch wenn der niemals an das Original seiner Mutter herankam. Aber ein Mann durfte schließlich hoffen ...

Als er, kurz vor seinem Wohnwagen, um die Ecke bog, kam ihm Fidelius entgegen. Barfuß, leicht schwankend, offenbar auf dem Weg in Richtung Zelt.
'Hey Fidelius', sprach er ihn an, 'alles klar bei dir?'
Fidelius wankte an ihm vorbei als ob er Luft sei. Hochaufgerichtet, starren Blicks, die Augen stur geradeaus gerichtet.
'Donnerwetter,', dachte Ansgar, 'der hat tüchtig getankt. Hoffentlich geht das gut mit dem Auftritt. Aber viel ist ja nicht mehr kaputtzumachen, so why bother ...'
Resigniert setzte er seinen Weg fort, Trauer im Herzen und mit aufsteigenden Tränen kämpfend.
'Sei ein Mann!', ermahnte er sich selbst. 'Du bist der Direktor, du mußt dich zusammenreißen!'

Gestiefelt und gespornt, stilgerecht mit Zylinder und einer Chrysanthemenblüte im Knopfloch, stieg er kurz drauf wieder die Treppe seines Wohnwagens herab, vornehmlich um seine Kontrollrunde vor der Vorstellung durchzuführen, aber heimlich Ausschau haltend nach Bethanie, die trotz aller Liebesbekundungen immer noch einen Teil von sich zurückhielt, sich ihm nie voll und ganz erklärt hatte.

Vielleicht war es gerade dieses Geheimnisvolle an ihr, das er so faszinierend fand? Eine komplett hingebungsvolle Frau, die ihm ständig am Rockzipfel hing, wäre ihm sicher bald so langweilig wie seine geschiedene Frau es am Ende ihrer Beziehung gewesen war. Oder? Oder doch nicht? War er nicht insgeheim ein bissl eifersüchtig auf die Blicke, die sie dem Feuerspucker, dem Löwenbändiger und sogar Fidelius manchmal zuwarf? Wie konnte er sich ihrer jemals sicher sein? Ärgerlich über sich selber schüttelte er den Kopf und marschierte betont forsch in Richtung Tiergehege, ohne sich weiter umzusehen. Er würde sie ja nach der Vorstellung und der anschließenden Besprechung hoffentlich wieder in den Armen halten dürfen, solange würde er sich gedulden müssen. Für diese heimlichen Knutschereien zwischen den Wagen fühlte er sich langsam wirklich zu alt.

Tröpferlweis trudelten die ersten Zuschauer ein, trieben sich noch bei den Tiergehegen herum, wo ein Pfleger bunte Quietscheentchen verteilte und den Kindern gerne ihre Fragen beantwortete. Den Erwachsenen weniger gern, da auch hier oft Unwissenheit und Vorurteile die Unterhaltung überschatteten.

Ansgar näherte sich dem Zelt, schlug die Plane beiseite ... und blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Daß der Feuerschlucker noch ein wenig übte vor der Vorstellung, ok. War ja sein Hals. Aber daß Bethanie direkt vor ihm rittlings auf der Balustrade saß und ihn anhimmelte, die Beine weit gespreizt so daß der Tutu weit abstand und man direkt zwischen ihre Beine sehen konnte, das war sowas von NICHT ok! Ansgar schluckte. Sollte er wieder nach draußen gehen und so tun, als ob er nichts gesehen hätte? Sollte er sich laut hustend bemerkbar machen? Bethanie würde nur spöttisch lächeln und so tun, als sei alles in Ordnung und er ein überpenibler alter Oberlehrer. 

Mit einem Mal kam Fidelius von rechts aus den Kulissen gerumpelt, stieß den Feuerschlucker an, dieser ruderte mit den Armen, um sein Gleichgewicht zu bewahren, dabei kam seine Fackel, die er nach wie vor  weit von sich gestreckt hielt, mit Bethanies Tutu in Berührung welcher sofort in helle Flammen aufging. Fidelius blieb erschrocken stehen, sein Gesicht ein einziges, rotes, weit aufgerissenes O. Ansgar rannte sofort los, mußte jedoch hilflos mit ansehen, wie die Flammen in Windeseile auf die Dekoration übergriffen, die Zeltwand zu brennen anfing und im Nu ein allumfassendes, glühendes, brüllendes Inferno herrschte, in dessen Mitte sich Bethanie, der Feuerschlucker und Fidelius wie in einem grotesken Theaterstück agierende Gliederpuppen in den Flammen wanden. Zu spät. Alles war zu spät. Ansgar spürte, wie unaufhaltsam eine Feuersäule in ihm aufstieg, als er wie aufgezogen direkt auf Bethanie und ihre im Todeskampf schreckgeweiteten Augen zustolperte. Als das Feuer endlich auch ihn ergriff, spürte er nichts mehr außer den grausamen inneren Schmerz und gleichzeitig diese unerträgliche Leere ...





















Anton sinniert über Miranda - Zukunftsgarten 3

Charlie hat mir gestern erzählt, daß er in der Früh jetzt eine Woche lang Patrouille machen muß. Ich hab mir heute morgen schon überlegt, ob ich einfach mitgeh, zur Gesellschaft, aber dann hab ich mich doch nicht getraut. Vielleicht will er ja alleine den Sonnenaufgang genießen. Miranda war da auch so, wenn man ihr ständig wo reingequasselt hat, dann ist sie böse geworden. Aber SIE hat ständig reden dürfen, auch unter'm Fernsehen. Hmpf.

Ach, Miranda. Ich vermisse sie so. Aber ich habe keine Wahl, muß ihr fernbleiben, offiziell bin ich ja tot.  Man hat mir erzählt, sie hat sehr um mich getrauert, ist sogar krank geworden und mußte in eine Klinik deswegen. Hat mir fast das Herz zerrissen, aber was sollte ich tun? Hab gehört sie hat das Familiengrab gekauft wo meine Eltern, der Sigi und nun angeblich ich drinliegen, und kümmert sich auch drum, obwohl sie immer extra von München hinfahren muß. Schneidet den Efeu und bringt auch immer hübsche Spielsachen mit von denen sie denkt, daß sie mir gefallen hätten. Dann weint sie ein bissl, schimpft mich aus und geht wieder.

War eine krasse Sache, wie sie mich da im Sarg abtransportiert haben, in der Prosektur ham's fast an Herzkasper kriegt wie sie den Deckel abgenommen haben und ich ihnen was entgegengeschnauft hab. So hab ich noch nie wen rennen sehen. Der Arzt hat dann den Kopf geschüttelt und gemeint, es wär ein Wunder, und daß jeder andere mit einer Ösofizzifazzi ... also mit einer Blutung im Hals wie ich sie hatte, sterben würde. Aber ich bin halt ein Bayer. War dann lange im Krankenhaus, und der Besuch, den ich dort immer wieder hatte, hat mir vom Zukunftsgarten erzählt und daß ich da hinkönnte, wenn ich ... naja. Es ist schwer. Das ganze Leben ist schwer.

Was die hier wirklich machen hab ich noch nicht so recht verstanden, es geht wohl um irgendwelche Werte und vor allem um die Wahrheit. Und da bräuchte man aufrichtige Menschen, ehrlich bis auf die Haut, die bereit seien, sich einzubringen. Klingt irgendwie genauso bescheuert wie dieses Gelaber immer auf Therapie, von wegen sich einbringen und sich gegenüber ehrlich sein und seine Gefühle konfrontieren ... mit sowas kannst mich jagen. Liegt aber, das hab ich allerdings erst später begriffen, an der Scheinheiligkeit der Therapeuten. Wasser predigen und Wein saufen. Geht garnicht. Hier sind sie anders. Eigentlich ein Haufen Gestörter. Aber gut gestört, nicht komplett durchgeknallt wie Zagreb beispielsweise, oder Ricardo. Die beiden würde man hier nicht reinlassen. Never ever.

Nun hab ich schon lange nichts mehr über Miranda erfahren, der Kontakt, der mich sporadisch mit Nachrichten versorgt hat, ist in Pension gegangen und kriegt selbst nichts mehr mit. Ich muß darauf vertrauen, daß das Versprechen, daß man sie in Ruhe läßt, eingehalten wird. Schließlich hatte sie nie eine Ahnung was wirklich los war. Ihr Bruder hat mal gesagt, er kenne nur einen Menschen, der noch naiver sei als Miranda, und das wäre ich. Tja, da hat er sich dann ein bissl verschätzt, der Gute. Egal.

Als ich heute nach der Schule bei den Kaninchen war ist Maria auf einmal hinter mir gestanden, hat mich freundlich am Arm getätschelt und gemeint, daß ich nun bald am Bauernhof mitarbeiten dürfe, es wären schon zwei abgesprungen, sie müsse nur noch mit den anderen reden.

Also an mir soll's nicht liegen, ich kann zupacken! Ok, der Rücken ist nicht der, der er einmal war, aber solang ich keine allzu schweren Sachen hebe, so wie die Getränkekisten damals, und dazu auch noch seitliche Bewegungen mache, sollte es gehen. Miranda hat immer gesagt ich bin selber schuld, weil ich meine Krankengymnastik nicht mach und SIE schiebt mich nicht wenn ich im Rollstuhl lande. Na und dann hat sie Rheuma bekommen und wär selber bald im Rollstuhl gelandet. Haha. Ach, Miranda ...

Ich hab mir überlegt, daß ich dem Charlie gerne mal was kochen würde, er schaut so mager aus. Aber am liebsten mach ich halt Braten mit Knödel, und wen könnte ich hier braten? Die Tiere am Bauernhof kenn ich alle, die brat ich doch nicht! Ja und zum Metzger ... also nicht, daß der den Kollegen kennt, der hinter mir her ist, Metzgernetzwerk, wer weiß? Außerdem wird der ja auch nur Tiere vom Hof hier haben ... das wär mir so garnicht recht. Und Knödel ohne Braten? Auch nix. Schwierig. Gewürze hab ich ja auch noch keine daheim. Ich sag's ja, das Leben ist schwer ...

Und zum Rauchen hab ich auch nix mehr. Ob ich mir nicht vielleicht doch ein Bier...??? Ob Charlie mich heute Abend besuchen kommt? Gesagt hat er es jedenfalls. Wann fängt der Abend an?


Samstag, 22. Februar 2020

Anton findet einen Freund - Zukunftsgarten 2

Maria hat gesagt ich soll mich abends auch mal mit ans Feuer setzen und nicht immer nur allein in meiner Hütte hocken. Sie hat es freundlich und verständnisvoll gesagt, sie weiß um meine Kinderseele und sagt sie versteht, daß ich mich zum eigenen Schutz zurückziehen muß, aber sie findet auch, daß Kontakte wichtig sind und wen ich denn von allen, die ich bisher so kennengelernt habe, am meisten mag wollte sie wissen. 'Den Charlie', hab ich gesagt und auf den Boden geguckt.

'Wohlan', hat sie gemeint, 'dann setze dich heute Abend mal zu ihm, er ist nämlich auch viel allein und ich glaube ihr beiden habt einiges gemeinsam. Auch du warst und bist auf deine Art ein verwundeter Krieger, hast deine Ehre und deinen Stolz, hast nie jemanden verraten und immer den Schwächeren geholfen, oft zu deinem Nachteil. Und ohne, daß dich jemand dafür geehrt hat. Für Standfestigkeit bei Verhören gibt es nun einmal keine Orden, im Gegenteil. Aber nun laß dich nicht länger von einer alten Frau vollfaseln, geh raus an die frische Luft, besuch deine Kaninchen und laß mich morgen wissen wie es gegangen ist am Feuer!'

Irgendwie ein komisches Gefühl. Auf Kommando einen Freund suchen. Bisher hab ich mich nicht in seine Nähe getraut, er macht so einen abweisenden Eindruck und abends hockt er meist in seiner Hütte, genau wie ich. Ob er auch raucht? Inzwischen ist es Abend und eigentlich ... eigentlich hätt ich jetzt Lust auf ein Bier. Wie früher. Bier und was zum Rauchen ... 

Kein Wodka. Der hat mir eh nie geschmeckt, ich wollt mir damit nur die Schmerztropfen abgewöhnen. Vielleicht hätt ich das Miranda sagen sollen, dann hätt sie nicht so geschimpft immer, aber ich hab meine Entzüge bisher immer allein gemacht ... nur dieses Mal wollte es nicht so recht klappen. Die Rückenschmerzen waren ja da, und die Tropfen halt auch ... aber jetzt geht es. Seit ich nicht mehr im Getränkemarkt arbeite, ist es besser geworden. 

Der Getränkemarkt hat einem Freund gehört und Freunden muß man helfen wenn sie einen brauchen, Rücken hin oder her. Aber ich war dann schon immer öfter auch enttäuscht, wenn sie dennoch über mich gelacht haben. Er und der Archie. Mit dem er immer Fußball geguckt hat. Tut weh, sowas. Selber reinsaufen bis der Arzt kommt aber mir jedes Bier vorhalten, das ich trinke, obwohl es geheißen hat ich kann mir was nehmen während der Arbeit. Wenn ich schon kaum was bezahlt krieg dafür und extra aus München rübergefahren bin, seit ich bei Miranda gewohnt hab. Ist nicht nur einmal passiert, daß er mich dort angerufen hat, er tät mich dringend brauchen weil er eine Lieferung kriegt, ich fahr auf eigene Kosten hin so daß ich unter'm Strich draufzahl, und stapel alles ordentlich auf ... und dann steht er neben mir, schaut sich die Kästen an und meint: 'Eigentlich hätt I ja garnix braucht ...'

Da kann man dann schonmal eine Wut kriegen!

Seit ich hier bin hab ich aber keinen Alkohol mehr getrunken, obwohl er nicht verboten ist, wir sind ja keine Entzugsklinik oder so. Aber mir hat das schon zu denken gegeben was Miranda mir immer wieder gesagt hat, also daß ich ein völlig anderer Mensch wär wenn ich was trink. Man könnt nicht mit mir reden in dem Zustand, ich wär dann einfach der totale Ungustl. Und das will ich doch nicht sein. Aber ich kenn's halt nicht anders, bei uns daheim stand immer ein Topf mit Bier am Herd. Mein Vater hat es warm getrunken. Ok er war alt. Als ich geboren wurde war er schon sechzig. Aber dennoch, warmes Bier! 

'Bua, nimm dir doch', sagte er immer, aber mir war das Bier aus dem Kühlschrank doch lieber. Wenn mein lieber Bruder noch welches übriggelassen hatte. 

Eines Morgens, die Mutter war schon drei Jahre zuvor gestorben, da war ich grad mal 15 gewesen, komm ich ins Wohnzimmer und da sitzt der Vater tot in seinem Sessel, die Flaschen mit den Sechsämtertropfen am Tischchen und die Schachtel Ernte 23 daneben. Erst hab ich ja garnix gemerkt und hab Guten Morgen gesagt, aber dann ...

Der Mann an der Tankstelle hat hinterher gesagt ich war ganz weiß im Gesicht, schon bevor ich die Schnäpse reingekippt hab. Konnte ihm nicht sagen warum, ich war völlig daneben. Sigi war grad im Knast und nun auch noch der Vater tot. 

Es ist ihm schon lang nicht mehr gut gegangen, zuletzt hatte er als Wachmann gearbeitet. Eines Tages hat ihn einer auf der Flucht die Treppen hinuntergestoßen, davon hat er sich nie mehr erholt. Die Freunde von Sigi haben ihn in seiner eigenen Wohnung verhöhnt wenn er was gesagt hat wegen der Musik, oder weil sie so einen Dreck gemacht haben, überall hingepinkelt wenn sie im Rausch das Klo nicht gefunden haben und so. Ich glaub er hat nur noch durchgehalten bis ich volljährig bin damit ich nicht ins Heim komm.

Naja, jetzt geh ich aber mal, sonst geh ich nicht mehr. Wenn Marie mich morgen fragt, will ich zumindest sagen können, daß ich's probiert hab.

Wie ich zu den Feuern komme, seh ich Bruno ganz alleine dahocken, ich glaub ich setze mich zu ihm. Wir haben ja neulich schon einmal einen Streifengang miteinander gemacht, Bruno ist ein prima Kerl. Erinnert mich ein bissl an mich als ich jung war, nur daß ich schon immer so dünn war und ein prima Läufer. 

'Hallo Bruno, is da no a Platzerl frei?', scherze ich und er rückt bereitwillig zur Seite und lacht mich freundlich an. 'Servus Xampi, lustig warst heut wieder in der Schule, aber sag mal, stimmt das wirklich alles, was du uns da immer so erzählst? Ich mein, daß du und dein Bruder die Möbel in eurer Wohnung verheizt habt zum Beispiel?'

'Klar. Weißt wir waren damals ständig auf Trip, also der Sigi sowieso und ich hab mich nimmer spürn wollen wie mein Vater gestorben war, irgendwie war mir alles wurscht, ich hab das lustig gefunden und die lieben Verwandten haben eh rausgetragen was geht, also, haben wir uns gesagt, können wir's genausogut verheizen.'

'Versteh ich. Wie meine Eltern damals den Unfall hatten, das war arg. Ich hab immer gedacht das ist alles nicht wahr, ich träum das nur und bald wach ich auf und alles ist wieder so wie vorher. Aber ich schlaf irgendwie immer noch ... und im Heim hab ich es nicht ausgehalten, mit den anderen ... egal, ich will nicht drüber reden.'

'Paßt schon, ich kenn das aus dem Knast. Nur hab ich dort immer welche gekannt, Kumpels von meinem Bruder, die haben mich beschützt. Aber wenn du niemanden hast ... Scheiße, Mann.'

'Ja, echt Scheiße.'

Brütend starren wir in die Flammen, ich überleg grad ob ich mir eine Tasse von dem frisch gebrühten Kräutertee holen soll den Heinz jeden Abend für die Gemeinschaft bereitstellen läßt, da plumpst neben mir einer auf den Boden und murmelt: 'Abend miteinander, paßt eh wenn ich mich da hersetz?'

Charlie! War er doch gekommen! Und ich hatte schon fast gehofft ...
'Ja Mann, klar, äh, hi! Freut mich!'
Mist, ich hör mich an wie eine Jungfrau bei der Tanzstunde.

'Ich wollt mir grad einen Tee holen, wollt ihr auch einen?'
Bruno nickt stumm, Charlie mustert mich forschend und meint: 'Wenn du schon unterwegs bist ...'

Irgendwie sieht er so aus, als ob ihm ein Bier auch lieber wäre, und er nur uns zuliebe keins trinkt, das wirkt irgendwie ungemütlich, aber am Feuer sollen wir eh nix trinken solange die Kinder noch dabei sind, hat Marie mal gesagt. So fällt es mir auch leichter zu verzichten, aber das Reden wird davon nicht einfacher und so schweigen wir uns gegenseitig an, bis Bruno zu gähnen anfängt und sich verabschiedet.

'So', meint Charlie, 'nun sind wir doch einmal unter uns. Sag, sollen wir nicht zu mir gehen und uns ein Bierchen genehmigen? Ganz ehrlich, der Tee ist ja lieb gemeint, aber so wirklich froh macht mich der nicht.'

Eigentlich wundere ich mich ja, daß er noch mit mir redet, besonders gesprächig war ich wirklich nicht heute, also bin ich eh nie aber heute ganz besonders nicht. Irgendwie schüchtert er mich ein, und ich war ja nun wirklich schon mit harten Jungs zusammen gewesen. Aber er hat sowas Edles, bei ihm ist alles echt. Der muß keinen auf Heavy machen. Der ist es. Original.

'Du, ganz ehrlich, tät ich total gern, also mit dir ein Bier und so, aber ich hab mir vorgenommen, daß ich nix mehr trink. Zumindest eine Zeitlang. Ich rauch lieber. Du auch, vielleicht? Ich könnt uns einen bauen wennst magst?'

Kurz drauf hocken wir bei mir in der Bude, ich brösel auf und Charlie guckt mich ernst an: 'Du Xampi, ist das alles was du noch hast? Ich mag dir jetzt nicht dein letztes Piece wegrauchen.'
'Paßt schon Charlie. Du bist echt korrekt und, ja, klingt vielleicht blöd aber es wär mir eine Ehre, wenn ich es mit dir teilen dürfte.'

'Xampi, ich muß dir was sagen. Bisher hab ich dich ja nur so am Rande wahrgenommen, und das wär auch so geblieben wenn Maria mich nicht dazu aufgefordert hätte, mal mit dir zu reden. Also es war kein Zufall, daß wir uns heute getroffen haben. Aber jetzt wo ich dich kennengelernt hab ... ich bin kein Mann vieler Worte, genausowenig wie du, aber es freut mich. Du bist eine ehrliche Haut, das ist selten. Bist ein guter Kerl. Ich mag dich.'

Hinterher, als er weg war, hab ich nicht nur vom Rauchen so breit gegrinst. Charlie und ich haben uns noch prima unterhalten, ich hatte das mit dem Bahöö wegen dem Neuen nur so am Rande mitbekommen, aber es wird natürlich geredet. Also, daß der Helli ne Knarre mithatte zum Beispiel. So sind wir auf Waffen zu sprechen gekommen und ich glaub sein Respekt vor mir ist noch gestiegen wie er gemerkt hat, daß ich kein tappertes Weh bin das nur von Indien träumt und immer die zweite Backe hinhält, sondern daß ich schon auch was erlebt hab und mich durchaus behaupten kann. Wenn's sein muß. Und es mir nur lieber ist, es muß nicht.

Er hat gemeint morgen gehen wir mal zum Heinz und fragen, ob wir uns was anbauen dürfen und ob er Samen dahat, sonst würd er welche besorgen. Weil das Rauchen wär ja allemal gesünder als der Alkohol, der uns beiden nicht guttut. Er wüßt wo man diese Lampen herbekommt, mit denen das Gras besser wächst. Ich freu mich so!











Samstag, 15. Februar 2020

Anton stellt sich vor - Zukunftsgarten 1

Wenigstens haben sie mir das Dope gelassen. Solang ich mich tagsüber nicht einrauch, nur am Abend, zum Einschlafen, haben sie gesagt. Scheiß-Vorschriften immer, aber ich bin ja froh, daß ich hier im Zukunftsgarten untertauchen kann. Einen Namen hab ich auch bekommen: Xampi. Das kommt von 'bad example', und als solches lauf ich tagsüber umeinander, gehe dorthin, wohin ich gerufen werde.  

Die Kinder hier haben ja auch Schule. Bissl jedenfalls. Nicht so wie bei uns damals, von acht bis 13 Uhr, die Fächer ordentlich getrennt voneinander und alles todlangweilig. Nein, es geht richtig lebendig zu! Sie lernen Bogenschießen, Feuer machen, Trommelzeichen geben, lauter nützliche Sachen, ja und zwischendrin auch sowas wie Sozialkunde - und ich bin dann immer das wandelnde schlechte Vorbild. Der Mann, der alles falsch gemacht hat und somit nur Ärger hatte im Leben, obwohl er im Grunde kein schlechter Kerl ist. 

Eigentlich heiß ich Anton, und ich bin hier weil ich draußen nicht mehr zurechtgekommen bin. Alle mit ihrem blöden Internet, ich will kein Internet! Und ich will auch nicht mehr vom Amt sekkiert werden und ich will auch nicht ständig Männchen machen bei der Mama von Miranda wenn sie wieder einmal tagsüber unangemeldet in der Wohnung steht weil sie den Schlüssel hat, und überhaupts. I mog ned! 

Ich bin Bayer. Miranda sagt, ich bin ein sturer Esel.

Einmal als wir gemeinsam im Urlaub waren, hab ich mir ein Herz gefaßt und ihr erzählt, wie satt ich es habe, den ganzen Tag Männchen machen zu müssen. Sie hat mich nicht ernst genommen, hat gelacht und gesagt: Ah geh, du machst den ganzen Tag Männchen und ich krieg keins?

Bei Miranda hab ich zuletzt gewohnt, sie hat mich aber nun schon zweimal rausgeworfen wegen dem Wodka und außerdem ist der Metzger von gegenüber hinter mir her. Miranda meinte immer, ich solle doch ein Buch schreiben, ich müsse ja nicht zur Arbeit gehen mit dem kaputten Kreuz aber damit ich halt was zu tun hätte außer Saufen und deppert ins Narrenkastl schaun, und was ich alles erlebt hätt, da könnt ich doch ganze Bände schreiben!

Stimmt, das könnte ich, aber danach wäre nicht nur der Metzger hinter mir her sondern noch ganz andere Leute, und die sind brandgefährlich. Ich trau denen zu, daß sie mich sogar hier finden würden. Wenn nicht gar schon ein Spitzel unter uns ist. Weiß man's? Mit den meisten Leuten bin ich noch nicht so recht warm geworden, man sagt ich schau immer so finster. Ja mei, so is mein Gesicht halt mal. 

Den Charlie find ich cool, den hätte ich gerne zum Freund, aber der guckt halt auch niemanden an, genau wie ich. Mit Waffen kenn ich mich super aus, damals beim Bund wollten sie mich unbedingt behalten weil ich ein Gewehr schneller zusammenbauen konnte als der Kommandant, aber ich fand dort alles so bescheuert. Die Feldjäger hatten mich mit Gewalt hingeschleppt und ich hab's einfach ned blickt. Bis ich fertig war in der Früh, waren alle anderen schon weg, ich bin blöd am Hof unten gestanden und hab meine Kompanie nicht gefunden. Bin halt dann irgendwo mitexerziert bis mich einer angebrüllt hat wo ich eigentlich hinwill.

Nach Indien, hab ich dem Psychiater dann erzählt. Nach Indien will ich. Unbedingt. Der hat mir ziemlich rasch eine Untauglichkeit bescheinigt und man hat mich unehrenhaft entlassen. In den Knast hab ich dennoch müssen, wegen Verweigerung oder so. Ein halbes Jahr.

Sonst hab ich nix gelernt, also Beruf oder so, außer Dealer und Einbrecher, und das sind keine Berufe, wie mir die Richter immer wieder erklärt haben. Dabei brauchst da ein Supergedächtnis weil du ja nix aufschreiben darfst. Also wann du wem wieviel und so. Weißt ja nie wann du Besuch von den netten Herren bekommst und da wär so eine Buchführung verdammt blöd, wenn sie in falsche Hände kommt. 

Mein älterer Bruder, der Sigi, hat mich als Buben schon immer mitgenommen zu den Amis, ich glaub der hat mir das Zeug in die Jacke gesteckt, ich hatte ja keine Ahnung, und wußte natürlich damals auch nicht, warum die so gegrinst und mich Sputnik genannt haben. Die Weiber von denen haben viel Quatsch mit mir angestellt, mich geschminkt und so, bis ich heulend nach Hause gerannt bin und meine Mutter nur seufzte: 'Mei Bua, wia schaugst denn wieder aus.' Dann ist sie in der Küche eingeschlafen, mitten unter'm Geschirrspülen. Der Arzt hat ihr immer Morphiumzäpfchen verschrieben, das gab es damals noch. Sigi hat ihr die natürlich geklaut wo er konnte, der Arsch. 

Und was das Einbrechen betrifft, also das kann auch nicht jeder! Hatte einen guten Lehrer, den verrückten Zagreb. Ich wär eine Bereicherung, hat er gesagt, weil ich so dünn bin und durch das kleinste Kellerfenster gepaßt hab. Soletti hat Miranda mich immer genannt. Aber wie sie dann, zerstreut wie sie ist, die Türe zugehauen hat obwohl der Schlüssel noch innen gesteckt ist, war sie auch froh, daß ich das ziemlich schnell hinbekommen habe und wir unseren Zug doch noch erwischt haben.

Naja, und jetzt bin ich halt hier das schlechte Vorbild, weil jeder irgendwas Nützliches tun muß. Einfach nur abhängen und blöd schaun geht nicht. Am Bauernhof würd ich gern mitarbeiten, ich hab Tiere so gern, viel lieber als die Menschen, aber am Bauernhof sind schon soviele. Marie hat auf meine vorsichtig vorgetragene Bitte nur fein gelächelt und gemeint, ich müsse noch ein bissl Geduld haben, den meisten würde mit der Zeit aufgehen, daß die Arbeit dort kein Zuckerlecken sei, sie würden nach und nach die Lust verlieren und um Versetzung ansuchen. Dann dürfte ich ran. Ich freu mich schon! In der Zwischenzeit bin ich eh oft dort und besuche die Kühe im Stall, die Pferde auf der Weide und die lieben kleinen Kaninchen. Sogar die Hühner kann ich bereits voneinander unterscheiden.

So, und jetzt bau ich mir einen und leg mich dann schlafen. Bissl lesen vielleicht noch, die Bibliothek hier ist prima, noch besser als damals in Kaisheim. Bin zufrieden. Ich glaub das erste Mal in meinem Leben bin ich wirklich zufrieden. Hab mein eigenes kleines Häuschen, niemand jagt mich oder zerrt ständig an mir, das ist so schön.

Donnerstag, 13. Februar 2020

Wienerbergblues

Jetzt hocke ich da, Sonntagmorgen am Ufer des Wienerbergsees, mir brennt der Fuß weil ich Trottel barfuß in einen Kronkorken getreten bin. Daß die so scharf sein können ... aber dieser Schmerz ist nichts im Vergleich zu dem, der glühend heiß in meiner Seele wütet, tobt, lodert und mich von innen her verbrennt. Ins Wasser möcht ich mich stürzen und nie mehr wieder auftauchen! Wie soll ich so weiterleben? Wie kann ich mich ab jetzt wieder mit dem ruhigen, langweiligen Leben zufriedengeben, das ich bis vorgestern geführt hatte?

Notgedrungen. Schließlich bin ich krank und soll mich nicht aufregen.

Aber dann hab ich ihn getroffen und ab da war alles anders.

Es hat ganz harmlos angefangen, wie das eigentlich immer so ist bei wirklich großen Ereignissen. Lange Schatten vielleicht, ja, aber dann: Bamm! Mein alter Freund Petzi kam auf seinem klapprigen Fahrrad in den Gastgarten geeiert in dem wir verabredet waren, lachte sein dröhnendes Lachen und rief: ‘Stöh da vua mir is de E-Seitn g’rissn, so a Schas und heute auf’d Nocht da Auftritt ...’

Also Pilgerreise durch versteckte Gassen Wiens, Fachsimpeln im winzigen Laden, notdürftig erleuchtet von einer funzligen Lampe die alle Gesichter geheimnisvoll erscheinen läßt. Gitarre neu bestückt und auf ins Chelsea, obwohl ich normalerweise abends nicht mehr weggehe. Schon lange nicht mehr. Um acht hau ich mich in die Hapfn und versuche zu schlafen, was selten gelingt. Nur Schonkost und keine Aufregung, der Magen, die Nerven, aber nun war ich doch noch einmal in Wien, wollte einmal noch leben, einmal noch mich spüren, einmal noch mich verlieren ...

Und das hab ich so gründlich geschafft ... bin so unendlich verloren. Niemals mehr werd ich mich wiederfinden, meine Seele ist verglüht, eine Nacht nur und mein Leben ist vertan.

Dabei wollte ich lediglich das Konzert anhören wo ich schon einmal da war. Petzi, Lovro und Lollo im Chelsea. Die neue Band heißt ‘Die Klonkrieger’, blöder Name eigentlich, oder? Und mein Gott ja, es ist ungemütlich. Dieses lange Stehen, die vielen Leute, der Krach umadum, also Freude ist das keine aber was tut man nicht alles ... und dann er. Dieser Blick, ich bin sofort auf die Knie gegangen. Also innerlich, der Boden im Chelsea ist selten sauber und überhaupt, vor allen Leuten und so, aber da war ich schon drin im Sog dieser Augen, und es war für alles zu spät.

Von der Musik hab ich nichts mehr mitbekommen, wir sind dann auch raus, weg vom Trubel, trunken voneinander, Küsse wie im Rausch, dabei hatte ich kein einziges Bier intus, trinken darf ich ja auch nichts mehr - was aber insgesamt egal ist denn so ein Gefühl wie dieser Mann es in mir entfachte, das war mit keiner Droge der Welt zu erreichen. So süchtig, schon nach einem Blick dir verfallen, alles egal, in der U-Bahn deine Hand an meinem Schritt, schamlose Gier, am Reumannplatz hinauf beim Amalienbad, das Rattern der Bim, die Ansage ‘Neilreichgasse’, so vertraut, ach, damals, wie war ich jung gewesen, einmal noch dieses Gefühl - dann wir beide, nachts am See, nur wir und die Gelsen, das dünne Sommergewand am Boden gehaut, gewälzt haben wir uns bis ins Gebüsch ... später am Wasser, schlammbaden, lachen und kreischen wie die Kinder, vor schierem Übermut, das Gefühl wenn dir das Herz birst vor Glück, ach Glück ... wie flüchtig bist du ... wie hoch kann man fliegen in einem Augenblick und wie tief danach fallen? So tief, bis auf der Hölle Grund und noch weiter, weiter hinab, unendlich weit.

Natürlich konnte es nicht auf Dauer so bleiben, das weiß ich auch. So schwer, das Herz, wer hilft mir Tragen? Das kann man von niemandem verlangen.

Ultramarinblau der See in der Morgendämmerung, hysterisches Gewieher vom anderen Ufer her, in der Nacht auf Sonntag ist man hier niemals allein in den lauen Sommernächten, und doch hab ich mich niemals einsamer gefühlt als heute, jetzt, in diesem Augenblick.

Ein Herzhäuschen hab ich gebaut, ein kleines Heim nur für unsre beiden, aber deins war schon vergeben. Nun zahle ich den Preis für diese eine Nacht. In meinem Schädel singt Wolfgang Ambros ‘Heite drah I mi ham’, im hohem Bogen fliegt der scharfrandige Kronkorken ins Wasser, meine Fassung hinterher, und ich weine bitterliche Tränen in den See hinein. Nebel umwabern das zitternde Schilf und mein armes Herz blutet eine weite Spur vom Niemalsmehr ins leere, weiße ewige Nichts.



Samstag, 1. Februar 2020

Zwei sehr kurze Texte, inspiriert von berühmten Romananfängen

Endlich hatte er das Fundbüro entdeckt. Es war alles andere als einfach gewesen, sich unauffällig durch diese ihm doch völlig fremde Stadt zu bewegen. Und dann die Zweifel. Ob er seinen Fund überhaupt abgeben sollte? Und wenn ja, dann wo? Oder doch einfach liegenlassen? Oder selber behalten? Zumindest einen Teil? Zumal der Besitzer sich aus offensichtlichen Gründen niemals würde melden können. Zumindest nicht beim Fundbüro. Energisch riß August R. die Türe auf und knallte dem verdutzten Beamten den Beutel mit dem Kokain auf den Tresen.

***********************************

Heute ist der Geliebte meiner Mutter gestorben. Endlich. Der Arsch. Keine Ahnung, was sie jemals an ihm gefunden hat. Unserem Vater konnte er niemals das Wasser reichen. Nicht, daß der welches gewollt hätte, ihm war Bier eh lieber. Uns allen war Bier eh lieber. Aber wir haben's auch vertragen. Im Gegensatz zum Arsch, der nur mitgetrunken hat um sich bei uns anzubiedern und garnicht gemerkt hat, wie lächerlich wir ihn allein deswegen fanden.

Mir ist er jedenfalls tierisch auf den Sack gegangen und ich hab lang überlegt, wie wir ihn wieder loswerden könnten. Ohne daß einer von uns deswegen einfährt, versteht sich. Und nachdem unsere Schwester dann diesen Biologiestudenten angeschleppt hatte, war eigentlich alles ganz einfach gewesen. Seltene Pflanzen. Genial. Der Arsch hatte doch keine Ahnung, wie Bier zu schmecken hat. Alles hat er brav geschluckt. Das Leben kann so schön sein.