Sonntag, 28. Juli 2024

Der alte Zauberer Darfnix

Der alte Zauberer Darfnix saß vor seiner Hütte und brütete dumpf vor sich hin. In der Ferne hörte er, wie Skodefix mit seiner Axt auf einen Baum einhackte, und langsam löste sich eine Träne aus seinem rechten Auge. Wie gerne wäre er jetzt durch den Wald marschiert und hätte hinterher ein Bild davon gemalt, wie früher, als er noch viel unterwegs gewesen war und sogar die halbe Welt bereist hatte. Zwar war es um seine Zauberkünste nicht mehr so gut bestellt, aber ein bissl einen Ortswechsel bekam er noch immer problemlos hin, denn er hatte es, besonders im Winter, lieber warm, sonnig und gemütlich als kalt im Wald. Aber dieses Vergnügen war selten geworden. Früher, ja früher war er stundenlang, seine Eindrücke skizzierend, durch die fremden Gassen gelaufen. Er staunte, sah und malte. Seine Bilder hingen mittlerweile nicht nur überall im Haus, sondern auch im Schuppen und in den Häusern sämtlicher Bekanntschaften, da bei ihnen daheim schon lange kein Platz mehr war.

Ja, bei ihnen daheim. Darfnix war leider verheiratet. Leider deswegen, weil seine Frau ziemlich garstig war und ihm alles verbot, was ihm Freude machte. Spazierengehen, Bilder malen, Wein trinken, Freunde treffen. Alles verboten. 

So richtig schlimm war es mit der mißgünstigen Verbieterei eigentlich erst in letzter Zeit geworden. Bis vor wenigen Monaten hatte Darfnix doch mehr oder weniger seine kleinen Freiheiten gehabt und hin und wieder sogar ein Verhältnis nebenzu genossen. Seiner Frau hatte er selbstverständlich davon erzählt, denn Darfnix war ein einfacher, ehrlicher Mann und hatte keine Geheimnisse vor seinem geliebten Eheweib. Denn ja, er liebte sie nach all den gemeinsam verbrachten Jahren noch immer heiß und innig. Was leider nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Zwar kochte seine Angetraute brav, wie es sich für eine verheiratete Frau gehörte, aber das Haus mußte Darfnix weitgehend alleine sauberhalten und auch für den Erhalt der Kutsche, welche für gelegentliche Ausfahrten in der näheren Umgebung bereitstand, war er alleine verantwortlich. Erotik oder gar Sex gab es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Sie hatte ihm eine Tochter geschenkt und somit ihre Pflicht erfüllt. Fand sie jedenfalls. Kuscheln und lieb sein - bah. Unfug. Daher mußte sich Darfnix diese Art von Nähe anderswo suchen, wer wollte es ihm verdenken? Im Grunde war er trotz Ehefrau ein einsamer Mann.

Gerne verkroch er sich daher in seinem Keller und betrachtete in seiner mystischen Glaskugel heimlich die Bilder nackter Frauen, wie sie die großen Meister vor seiner Zeit geschaffen hatten. In diesen Keller wagte sich seine Frau nämlich nicht hinein. Sie hatte großen Respekt vor magischen Dingen und Hexenwerk, wie sie es nannte, seit sie ihm einmal mutwillig einen Zauberstab entzweigebrochen hatte und sich eine der Hälften daraufhin flugs in eine Schlange verwandelte und sie in ihre Nase biß. Welche daraufhin mächtig anschwoll und zu ihrem Leidwesen auch später nie mehr so hübsch und zierlich wurde, wie sie es dereinst gewesen war.

Nun trug es sich zu, daß Darfnix eines schönen Tages einen der Unterbergener Botenzwerge mit einer Nachricht zu der Elfe schickte auf die er seit einiger Zeit ein Auge geworfen hatte. In dieser Nachricht ging es hauptsächlich darum, wie gern er sie doch im grünen Moos verwöhnen würde, so wie dereinst, lange war es her, eine seiner wenigen Geliebten. Ein einzigartiges Erlebnis, von dem der arme Alte noch immer gerne träumte. Dummerweise hatte seine verbitterte Ehefrau eine gewaltige Aversion gegen Elfen, weil ihr beim Wäscheaufhängen immer wieder welche gegen die (zugegebenermaßen riesige) Nase rumpelten.

Verständlicherweise war sie davon extrem genervt und hatte mit der Zeit einen veritablen Elfenhaß entwickelt. Nachdem sie also mitbekommen hatte, daß ihr Mann mit einer Elfe zärtliche Brieflein austauschte, bekam sie einen riesigen Grant, legte sich eifrig auf der Lauer, und nachdem Darfnix sich stöhnend und murmelnd besagten Brief an seine Elfe abgerungen und diesen einem Botenzwerg übergeben hatte, fing sie den Zwerg ab, entriß ihm die Botschaft, senkte ihre neugierige Riesennase hinein ... und warf alsdann das arme Brieflein voller Zorn auf den Boden und trampelte auf ihm herum, bis es völlig mit dem weichen Erdboden vermantscht war. Rumpelstilzchen sah ihr vom Gebüsch aus zu und war fasziniert. Hier konnte sogar er sich noch etwas abschauen.

Grrrrrrrrrrrrrrrrrr! Mit Elfen auf dem weichen Moos herumschmusen, was? Das waren also seine ach so erholsamen Waldspaziergänge, was? Ha! Das würde er sich in Zukunft abschminken können, der werte Herr!

Wutentbrannt marschierte Darfnixens Frau nach Hause, hielt ihrem Angetrauten einen lautstarken Vortrag bis ihm die Ohren klingelten und er schlußendlich, nachdem es nach Tagen noch immer nicht besser geworden war mit den Ohren, einen Heiler im Dorf aufsuchen mußte der ihm ein Hörgerät verschrieb. Keine sehr moderne Version, wohlgemerkt, die Technik hatte ja im Zauberwald noch keinen Einzug gehalten, aber immerhin nannte Darfnix von diesem Tag an ein hübsches langes Hörrohr sein Eigen. Welches er ostentativ beiseitelegte, sobald sein Eheweib auftauchte, denn ihre Schimpferei kannte er mittlerweile auswendig, dafür brauchte er kein Hörrohr.  

Nun war guter Rat teuer, wie er seine Brieffreundschaft mit der Elfe aufrechterhalten konnte. Brieftauben waren auch keine Option. Diese hatte er früher gerne benutzt, da sie unauffälliger waren als ein Botenzwerg, doch nachdem sie immer wieder den Balkon so grausam vollgeschissen hatten, daß ihm seine Frau versprochen hatte, ihn mit ihrem Bärlauchpesto in die ewige Horizontale zu schicken wenn er nicht unverzüglich mit diesem Unsinn aufhörte ... war auch dieser Ausweg verschlossen.

So saß er nun, das Kinn in die Hände gestützt, traurig vor seiner Hütte und sah bereits seine zarte Liebschaft im Keime erstickt, noch bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Doch was war das? Was regte sich da vor seinen Füßen? Wuchs da etwas aus dem Boden? Ungläubig kniff der Alte seine Augen zusammen, woraufhin sich erneut eine Träne löste und PING, an exakt dem Ort, an dem sie zu Boden fiel, schoß ein weiterer, kleiner, bunt schillernder Pilz aus der Erde. Interessiert beäugte er die Gewächse. Was mochte es wohl mit diesen Pilzen auf sich haben? Nie zuvor hatte er Ähnliches gesehen. Ob er seine Zauberkugel befragen sollte? In der Ferne waren noch immer Skodefixens Axthiebe zu hören und langsam brach die Dämmerung herein. Die funkelnden Pilze glänzten wie in Eile verlorene Diamanten auf dem Waldboden und lockten allerlei neugierige Waldbewohner an. Schmetterlinge und Bienen hielten sie für neuartige Blumen, suchten auf ihnen nach Nektar und wandten sich enttäuscht wieder ab. Vorwitzige Käfer bissen sich ihre Zähne daran aus und sogar eine Elster kam geflogen und wollte sich einen in ihr Täschlein packen. Doch auch sie mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen, denn die Pilze steckten bummfest im Boden und ließen sich von nichts und niemandem auch nur eine winzige Lamelle krümmen.

'Heast, wos is des!', erscholl eine wohlbekannte Stimme im Abenddunkel. Eine Eule hatte es sich auf der Regenrinne hinter Darfnix bequem gemacht und spähte interessiert auf die glitzernde Pilzlandschaft zu dessen Füßen. 'Is des fia dei neichs G'spusi oda wüst dei Oide b'stechn damit's di wieda ausloßt?' 'Bitte Ethel, geh von der Dachrinne herunter! Wenn das meine Frau sieht! Am Ende hält sie dich für eine Taube und erschießt dich.'

'Ma bitte,' zeterte Ethel genervt, 'es Mannsbilder seids olle sowas von obhängig von eichene Weiba es is a Wohnsinn. Olle unta'm Pantoffl. Bist etzn du da Zaubara oda sie??? Außadem bin I kuglfest, wann's mi hamdrahn wü dann hod's a Problem. Oba die Püz, also DIE PILZE, bitte des is total interessant, I hob die nämlich schon amal wo g'sehn. Soll I dir sagn wo? Oder magst selber raten?'

Darfnix blickte erstaunt hinauf zu Ethel: 'Du hast diese Pilze schon einmal gesehen? Und wo wenn ich fragen darf? Erraten werd ich es sicherlich nie, denn trotz meines hohen Alters ist mir sowas bisher noch nicht untergekommen.'

'Am Jahrmarkt,' posaunte Ethel stolz. 'Am Jahrmarkt hab ich die gesehen, damals in der Stadt. Es mögen wohl so an die 120 Jahre vergangen sein seither, so alt bist halt dann doch no ned wie'st immer tust. Einer der fahrenden Gesellen hatte die im Hosensack und hat sie mir gezeigt. Recht geheimnisvoll hat er getan und gemeint, seit er diese wundersamen Geschmeide mit sich trüge - er hatte sie wohl für eine Art Schmuck gehalten - seien ihm die Damen wohl zugetan und er könne sich vor Angeboten kaum retten. Jetzt mein ich amal, du pflückst dir deine Wunderteile da ab, schiebst sie dir in den Hosensack und machst einen kleinen Waldspaziergang, was meinst? Da wird sich Frau Elfe auch ohne vorherige Benachrichtigung sehr bald einfinden. Bin ich mir ziemlich sicher.'

Gesagt getan. Die Pilze ließen sich, zu seinem Erstaunen, auf einmal völlig problemlos und ohne den geringsten Widerstand aus der Erde ziehen. Durch das Gespräch mit Ethel aufgemuntert, wagte Darfnix es daraufhin, seiner Frau kurz und knapp mitzuteilen, er werde nun einen kleinen Waldspaziergang machen. Ohne ihre Antwort abzuwarten, klemmte er sich seinen Skizzenblock unter den Arm und marschierte von dannen. Das keifende: 'Jetzt am Abend? Im Finstern? Bist jetzt völlig durchgedreht?' hörte er schon nicht mehr. Die Axt von Skodefix war verstummt, die Sonne war fast untergegangen, und Darfnix mußte sich eingestehen, daß er wohl doch etwas zu unbedacht aufgebrochen war. Aber zurückgehen wollte er nun auch nicht. Zur schimpfenden Ehefrau, die lediglich höhnisch anmerken würde, daß sie es doch gleich gesagt hätte und was er überhaupt geglaubt hätte wo er hingeht und so weiter.

Hinter sich hörte er das Flappen von Flügeln und herbei flog Ethel, auf jeder Kralle zwei Glühwürmchen tragend, die mehr oder weniger freiwillig den Waldweg beleuchteten. 'Was tätst ohne mich, ha?', feixte sie selbstgefällig. Darfnix murmelte etwas in seinen Bart und stapfte dankbar hinter seiner alten Freundin her. Und tatsächlich, kaum hatte er die große Lichtung mitten im Wald erreicht, sah er dort seine geliebte Elfe sitzen, die ihm freudig entgegensah. Bei seinem Anblick sprang sie auf und lief ihm leichtfüßig entgegen: 'Darfnix, was für eine Freude, dich zu sehen! Gerade mußte ich an dich denken und habe mir überlegt, wie schön es wäre, jetzt mit dir einen kleinen Mitternachtsspaziergang zu machen. In dieser wunderschönen Sommernacht ist man doch nicht gern allein.'

Geschmeichelt bot Darfnix seinen Arm, die Elfe hakte sich ein und zog ihn weiterhin glücklich plappernd des Weges: 'Weißt du ich hab mir was überlegt. Ich verstehe, daß du deine Frau nicht im Stich lassen willst, und das ehrt dich auch sehr. Ohne dich wäre sie verloren, sie weiß es nur nicht. In meinen Augen bist du ein Held. Aber unterbuttern mußt du dich nicht lassen, und daher habe ich ein kleines Geschenk für dich: Einen neuen Namen und eine etwas andere Gestalt. Ich könnte dafür sorgen, daß du deutlich langsamer alterst als deine Zeitgenossen. An deinem achtzigsten Geburtstag beispielsweise wirst du dann immer noch fitter sein als andere mit 40. Und was den Namen betrifft, findest du nicht, daß Peter Pan deutlich fröhlicher klingt als Darfnix?' 

'Aber liebe Elfe, ich BIN doch schon alt, wie kannst du dann mein Altern hinauszögern wollen?'

'Unsinn Peterchen, das hat sie dir nur eingeredet. Heute Nacht ist es dunkel, man sieht nicht mehr viel. Aber blick morgen einmal in deinen Spiegel und du wirst sehen, daß ich recht habe. Und nun, guck einmal diesen prächtigen Moosteppich an. Was für eine prächtige Spielwiese! Wie geschaffen für ein kleines Schäferstündchen, bis du wieder nach Hause zurückkehren mußt. Nicht, daß sie anfängt, sich Sorgen zu machen und den halben Wald zusammenbrüllt. Wir wissen ja beide, was für ein Organ sie hat.'

Gesagt getan, und erfrischt brach Darfnix ... äh Peter, nach dem Liebesspiel wieder auf, nach Hause. Auch hier leuchtete Ethel ihm freundlich heim bis er sicher auf der Schwelle seines Hauses stand. In der guten Stube saß die Frau noch mit dem Strickzeug und wollte gerade den Mund öffnen, um ihn gehörig auszuschimpfen, als Peter sich aufrichtete und sie fest ansah: 'Hör mal carissima, ich mag dich wirklich sehr, sehr gern und das weißt du auch. Und ich werde dich niemals verlassen. Aber eins bitte ich mir von nun an aus: Wir werden einen vernünftigen Umgangston pflegen und uns gegenseitig respektvoll behandeln. Übrigens heiße ich ab heute Peter, nicht mehr Darfnix. Denn ich darf alles tun, was nicht gegen das Gesetz des Königs verstößt, und daran wird mich niemand hindern. Auch du nicht. Gute Nacht.'

Damit drehte er sich um und stieg in seine Gemächer hinauf, in Gedanken noch immer beim wunderschönen Rendezvous mit seiner geflügelten Gespielin. Was die für Stellungen kannte, mein lieber Schieber!

Im Wohnzimmer war die Frau mit offenem Mund zurückgeblieben. Draußen saß auf dem Fensterbrett eine Eule und sah zufrieden die sprach- und fassungslose Gestalt ein ganz klein wenig zusammensinken. Aber wirklich nur ein ganz kleines bißchen. Dann richtete sie sich wieder auf, legte ihr Strickzeug beiseite und verließ ihrerseits den Raum.

'Es geschehen noch Zeichen und Wunder', murmelte Ethel zu sich selbst, bevor sie sich aufschwang und ihre einsame Gestalt leise im nächtlichen Wald verschwand.





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