Sonntag, 14. Juli 2024

Deutschlehrer im Binärsystem

Melancholisch blickte Larsson auf den Stapel noch zu korrigierender Schularbeiten. Warum nur hatte er damals Germanistik auf Lehramt studiert? Warum, warum, warum!!! Keiner seiner Kollegen hatte auch nur annähernd soviel Arbeit mit der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, ganz zu schweigen von den Korrekturen. Obendrein wurden die Schüler gefühlt jedes Jahr dümmer. Seine Ausgaben für die purpurroten Stifte, mit denen er Anmerkungen in die Hefte schrieb, Fehler unterstrich und Wellen an den Rand malte um grammatikalische Kühnheiten zu bemängeln, waren jedenfalls deutlich angestiegen.

Als das Telefon klingelte griff er, dankbar für die Ablenkung, erfreut nach dem Hörer. 
''Larsson?'', meldete er sich, gespannt, wer ihn an diesem Nachmittag wohl anrufen würde.

''Hallo Sven, hier ist Olaf. Hör mal, ich hab dir doch heute Mittag dieses Mail geschickt. Hast du das schon geöffnet?''
''Nein, ich bin noch nicht dazugekommen, wenn du den Stapel an Heften sehen würdest ...''
''Sven das ist GUT!'', unterbrach ihn Olaf. ''Bitte lösche es sofort und ungelesen, es könnte ein fieser Virus drin sein, ich hab nämlich einen, aber hab es zu spät gemerkt. Meine Kiste ist mittlerweile komplett blockiert.''

Stille. Larsson war geschockt. Sein Freund und Kollege Olaf, den sie alle um Rat fragten wenn es um die Fisimatenten der quaderförmigen Plagegeister ging, hatte einen VIRUS? Ausgerechnet er? Das konnte, nein das DURFTE nicht wahr sein! Nicht Olaf!

''Sven, bist du noch dran?'', tönte es kleinlaut aus dem Hörer.
''Ja eh, mir hat es nur die Sprache verschlagen. Du und einen Virus? Das ist ja als ob der Papst eine Alimentenklage ... ich bin ... also wie ... hast du eine Ahnung, wie das passiert sein kann?''

''Ein stammelnder Deutschlehrer. Daß ich das noch erleben darf. Ja du, ich weiß es selber nicht. Ich hatte den Kasten ja nicht einmal an während der letzten Tage. Wie du weißt mache ich das meiste mit dem Handy. Is ja alles drauf. Fahrkarte und so. Gestern bin ich übrigens mal wieder kontrolliert worden. Hab fast das Ticket nicht mehr gefunden so lange ist das her seit dem letzten Mal, haha. Aber keine Sorge, ich werde das Kind schon schaukeln, ich wollte nur Bescheid sagen, daß du vorsichtshalber diese Mail von mir löschst, nicht daß auch bei dir was passiert. Tschö und noch viel Freude beim Korrigieren, hähä!''

Nachdenklich legte Larsson den Hörer zurück in die Gabel. Er selbst stand ja sämtlichen technischen Neuerungen eher skeptisch gegenüber, daher auch sein stures Festhalten am guten alten Festnetz. Seinen PC benutzte er nur, wenn er mußte. Wegen der Schule. Von daher hatte er, so glaubte er, von Computerviren wenig zu befürchten. Aber natürlich würde er die Mail des Freundes vorsichtshalber löschen und den Gedanken, sich doch noch so ein Smartphone zu kaufen, lieber wieder ad acta legen. Sehr tragisch schien Olaf seine Kalamität ja nicht zu nehmen, aber schließlich war er Spezialist und würde sich zu helfen wissen. Träfe es jedoch Menschen wie ihn, die von nichts eine Ahnung hatten ... Katastrophe Hilfsausdruck!

Am späten Nachmittag - Larsson lag gerade gemütlich vor dem Fernseher und beobachtete gespannt, wie ein Elfmeterschütze seine drei Minuten Berühmtheit auskostete statt einfach ein Tor zu schießen wie man es von ihm erwartete - klingelte das Telefon erneut. Dieses Mal war Larsson verständlicherweise nicht so erfreut über die Unterbrechung und erwog ernsthaft, einfach nicht hinzugehen, aber die Neugier siegte. So quälte er sich also hoch vom Sofa und trabte zum Telefon.

''Larsson?''

''Sag mal Sven, hast du auch so einen komischen Virus am PC? Handy haste ja keins.''

Gabi, seine Freundin war am Apparat. Larsson verspürte ein mulmiges Gefühl. Bisher hatte er den PC noch nicht angedreht, hatte diese Virensache für nicht SO furchbar eilig gehalten. Doch langsam wurde ihm eng im Gemüt. Zwar hatten sie mit Olaf einen Fachmann an der Hand, der ihnen sicherlich gerne aushelfen würde, aber gerade als Lehrer wollte man doch einige Dateien nicht missen wollen. Die Schüler dagegen wären in so manchen Fällen möglicherweise sehr glücklich über deren plötzliches Verschwinden.

Später, als sie eng aneinandergekuschelt auf dem Bett lagen und Gabi sich gerade lasziv eine Pistazie in den Mund fallen ließ, griff er das Thema noch einmal auf:
''Sag Gabi, glaubst du, daß einer unserer Schüler dahintersteckt? Erst Olaf, dann du ... das kann doch kein Zufall sein, oder?''

''Hab ich mir auch schon überlegt'', bekannte Gabi kauend, ''aber erstens einmal, was hätten sie davon? Unsere Dateien sind doch am Server der Schule gesichert, und für so genial halte ich keinen von denen, daß sie sämtliche Barrieren so einfach überwinden. Zweitens hat mich vorhin die Astrid angerufen, die hat es auch erwischt und die arbeitet ja, wie du weißt, im Strickwarenladen. Null Zusammenhang, keine Gemeinsamkeit mit mir und Olaf. Sie hat es bemerkt nachdem sie bei einer Fahrkartenkontrolle ...''

''HAH!'' brüllte Sven und sprang aus dem Bett. ''Fahrkartenkontrolle! Olaf hat auch sowas erwähnt. Du, da richten sie doch immer so ein komisches Gerät auf euer Handy, könnte es nicht sein ...''

''Sven du bist paranoid. Das ist ein Lesegerät, mit dem wird der QR-Code der Fahrkarte ausgelesen. Völlig harmlos. Damit kann man doch keine Viren applizieren.''

''Du Gabi, vor zwei Jahren wenn dir jemand gesagt hätte, daß die Schüler ihre Aufsätze mit Hilfe von Künstlichen Intelligenzen schreiben und wir das bislang immerhin noch daran erkennen, daß sie plötzlich keine Rechtschreibfehler mehr machen, dann hättest du es auch nicht geglaubt.''

Zwei Wochen später saß Larsson mit seiner Tageszeitung am Küchentisch, draußen tobte ein Hagelsturm und die Deckenlampe blinkte ominös. Sein Blick fiel auf eine kleine Notiz im Lokalteil: 'Falschen Fahrkartenkontrolleuren wurde das Handwerk gelegt. In Örebro trieben sich während der vergangenen 14 Tage angebliche Kontrolleure mit betrügerischer Absicht in Bussen und Bahnen herum. Zwar wurde niemand geschädigt, doch die Festgenommenen machten klar, daß es Ihnen ein Leichtes gewesen wäre, an die Konten der Fahrgäste zu kommen. Mittlerweile wird verlautet, daß ihnen seitens mehrerer großer Firmen bereits äußerst lukrative Jobs angeboten wurden.'

Ernüchtert realisierte Larsson, daß er offenbar in einem neuen Zeitalter angekommen war. Harte Arbeit lohnte nicht mehr. Denen, die sich mit Nyfz und Bitcoins und dem Bauen kitschiger Bilder und bedrohlicher Viren auskannten, denen standen Tür und Tor zur grandiosen Karriere offen. Er hatte seinen Schülern offenbar nichts mehr beizubringen. Traurig blickte er auf sein hübsches, schwarzes Telefon. 'Wir sind alt', dachte er. 'Wie lange wir uns wohl noch halten können in dieser seltsamen, neuen Welt?'









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