Donnerstag, 25. Januar 2024

Calliope lächelt

Keine Ahnung warum sie gerade mich mit dem Fall betraut haben. Mich, den Loser, den unangepaßten, einsamen Wolf ohne Krawatte. Aussichtslos, werden sie sich gedacht haben. Schicken wir den Depperten an die Küste, dann haben wir ihn los weil DEN Fall löst der NIE.

Mir kann es nur recht sein. So einen tollen Anblick bietet der Chef auch nicht, wenn er mit Schaum vor dem Mund dasteht und mir ins Gesicht brüllt. Trottel. Selber nix derreißn aber dauernd andere niedermachen. Das hab ich schon gern. 

Das Meer bietet von hier oben einen grandiosen Anblick. Als ich ankam vor einer Woche, hab ich gleich einmal mein Auto abgestellt, bin ausgestiegen, und hab mit Staunen hinunter auf die wogenden Wellen geschaut. Bei diesem Anblick merkst erst wie vergänglich dein Leben doch ist. Das Meer, das ist Ewigkeit. Das war irgendwie schon immer da und das wird auch noch da sein, wenn die letzte Spur der Menschheit von der Erdoberfläche getilgt sein wird. Was nicht mehr lange dauern wird wenn wir so weitermachen.

Ein verlassenes Fleckchen Erde ist das hier, unpackbar für einen Stadtmenschen wie man auf Dauer so leben kann. Ein einziger Laden für ungefähr 15 Dörfer, kein Arzt weit und breit, und wenn du Fußball schauen willst dann mußt du in die Kneipe gehen weil daheim kein Empfang ist. Die Kneipe befindet sich im Hinterzimmer des Ladens. Also alles in einer Hand. Wenn du es dir mit dem guten Mann verscherzt, der über dieses Imperium regiert, dann hast wahrlich Pech gehabt. Die nächste Kreisstadt ist locker 80 km entfernt. Da fahrst ned wegen einem jeden Suppenwürfel hin.

Abends wird hier getanzt. In der Kneipe. Nachmittags sitzen sie in der Sonne, die Herren der Schöpfung und trinken ihren Ouzo, und abends tanzen sie zu der melancholischen Musik die aus den Lautsprechern gescheppert kommt. Die Frauen sind grundsätzlich daheim und machen die ganze Arbeit. Hier hat sich seit Sokrates' Zeiten nix geändert. Und dann wundern die Männer sich, wenn sie angekeppelt werden. Später, wenn sie zu ihren Xanthippen heimgeschwankt kommen. Und wieder nix erledigt ist von all dem, was sie eigentlich hätten machen wollen. Sollen. Schon lange gemußt hätten. 

Es ist eine karge Gegend. Bittere Armut wohin man schaut. Aber die Menschen sind glücklich. Die Männer jedenfalls. Die Frauen eher nicht so. Abgearbeitet und müde schleppen sie sich durch den Tag, die jüngeren von ihnen meist drei oder mehr Kinder am Rockzipfel, die älteren sitzen abgestumpft und mit leerem Blick vor den ärmlichen Hütten und kauen auf dem Stiel einer alten Pfeife herum. 

Mir geht es gut. Wein, Datteln, Ziegenkäse und jede Menge Sonne. Könnte ich mich dran gewöhnen. Aber ich hab ja diesen Fall aufzuklären. Das unerklärliche Verschwinden von mindestens 15 Männern in den letzten drei Jahren. Die genaue Zahl ist nicht bekannt weil nicht alle Todesfälle gemeldet werden. Es scheint fast, als seien die Frauen insgeheim froh darum, ihre Ehemänner loszusein. Was mich bei näherer Betrachtung nicht wirklich wundert.

Hier scheint überhaupt nur eine einzige Frau wirklich fröhlich zu sein: Calliope. Die Frau vom Berg. Zu ihr gehen die Leute auch mit ihren gesundheitlichen Problemen. Offenbar eine Art Heilerin. Bezahlt wird sie hauptsächlich in Naturalien. Sozusagen Lieferdienst. Dachte ich könne sie ein bissl aushorchen aber sie hat mich so schnell um ihren hübschen kleinen Finger gewickelt, so schnell konnte ich garnicht schauen. Und jetzt komm ich mit meinem Fall nicht weiter. Die Männer spielen die Coolen die lässig mit den Schultern zucken und ihr wallendes Haar nach hinten schütteln, und die Frauen mauern. Reden nicht mit Fremden. Haben keine Zeit. Müssen arbeiten. Und Calliope ... Calliope lächelt griechisch-mysteriös und zündet sich eine Zigarette an. Der Duft ihres Parfums vermischt sich mit dem herben Rauch und mir wird so leicht im Kopf, so wunderbar leicht. Ich küsse ihre Hand - mehr ist mir nicht gestattet - und nippe an einem Becher gewürzten Weins. Am Fenstersims steht ein Glas voller Muschelschalen. Ich hab sie gefragt ob sie Muscheln sammelt, sie hat nur wieder gelächelt.

In ihrem Haus fühle ich mich so wohl wie nie zuvor. Diese Frau ist der absolute Hammer. Eloquent, schlagfertig ohne in Sarkasmus abzugleiten, gebildet und unglaublich charmant. Dabei ist sie auf den ersten Blick nicht unbedingt eine Schönheit. Oberflächlich von mir, ich weiß. Innere Werte wichtiger und bla bla bla. Dabei weiß jeder Mann, daß ihm das Blut nicht wegen der inneren Werte in die Lenden steigt, oder? Aber bei ihr, praktisch Dauererektion. Allein wie sie mich anschaut, so zärtlich, und dabei fast unmerklich blinzelt, als seien wir Komplizen. Die kleine Narbe auf der Wange macht sie nur noch attraktiver, und daß sie nicht gerade die Schlankste ist ... egal! Am liebsten säße ich Tag und Nacht bei ihr. Vor allem in der Nacht - und Sitzen ist nicht unbedingt die Tätigkeit, die mir dabei vorrangig in den Sinn kommt.

Seltsamerweise bekommt sie hauptsächlich Damenbesuch. Selten, daß sich einmal ein Mann den Berg hinaufbemüht. Entweder die sind alle so gesund oder sie schicken ihre bessere Hälfte. Natürlich liege ich hinter dem Busch und beobachte sie. Was hättet ihr gedacht? Natürlich wegen dem Fall. Weswegen sonst. Eifersucht? Ich? Niemals! Wo ich doch allzu enge Bindungen immer verabscheut habe. Schließlich habe ich einen Ruf zu verlieren. Einsamer Wolf und so. Aber hier kennt mich niemand. Hier kann ich es mir eingestehen: Ich habe mich verliebt. Ich habe mich verändert. Gäbe es irgendwo eine Filiale von Tiffany's, ich würde mich glatt nach einem Ring umsehen. 

Heute sind gleich zwei Leute gekommen. Erst Super-Sonnenbrillen-Dandy Alexandros, wegen dem bin ich näher ans Haus und habe versucht, zu lauschen. Aber zwecklos. Wahrscheinlich hat er sich einen Potenzdrink mischen lassen, das trau ich dem zu. Dann Maria, die kenne ich vom Vorbeigehen. Lacht nie. Und das war wirklich komisch: Sie betrat den Raum, hat Calliope eine Muschelschale gegeben, diese hat genickt und sich ihrem Glas auf dem Fenstersims zugewandt. Grad daß ich mich noch wegducken konnte. Geredet können die nichts haben, denn Maria kam sofort wieder raus und verschwand den Hügel hinab. Was zum Teufel geht da vor? 

Heute Abend bin ich wieder offiziell bei Calliope eingeladen. Vielleicht krieg ich doch noch was aus ihr raus. Werd  mir Mühe geben und meinen vollen Charme entfalten. Wäre doch gelacht! 

Kurz bevor ich losgehen will, erreicht mich die Nachricht: Es hat wieder einen Toten gegeben. Kein Geringerer als der Mann von Maria. Ich schlucke das aufsteigende Unbehagen nieder. Sicherlich nur ein dummer Zufall.

Mit einer Flasche ausgesuchten Rotweins steige ich den Hügel hinan. Bin nervös. So kenne ich mich nicht. Blumen habe ich keine mitgenommen, bei der Hitze wären die welk noch bevor ich oben angekommen bin. Außerdem hat sie sowieso den Garten selber voll davon. Blumen, Kräuter, Sträucher - alles was das Herz begehrt. Kurz bevor ich das Haus erreiche sehe ich, wie Maria von der anderen Seite hochgerannt kommt, das erste Mal, daß ich sie lachen sehe, sie schreit laut: Σας ευχαριστώ, σας ευχαριστώ πολύ!!! *

Calliope winkt ihr hastig, sich wieder davonzumachen und sie gehorcht. Zu spät. Ich habe begriffen. Die Muschelschalen sind praktisch ein Auftrag. Der prompt ausgeführt wird. Calliope bestätigt meinen Verdacht als wir plaudernd beim Wein sitzen und meint, ich dürfe jetzt dreimal raten, wer als nächstes verschwinden würde. Eigentlich hätte sie noch ein wenig warten wollen, ich hätte ihr gut gefallen. Aber nun sei die Zeit gekommen. Ich will aufspringen und davonlaufen, doch meine Beine gehorchen mir nicht mehr. Der herbe Rauch ihrer Zigaretten erfüllt den Raum als ich langsam ins Nichts hinübergleite, das Lächeln meiner geliebten Mörderin über mir ist das Letzte was ich in diesem Leben sehe, und ihr Flüstern das Letzte was ich höre: Leb wohl mein geliebter Prinz, dein Tümpel wartet schon auf dich!

*Vielen Dank, vielen Dank!!!
















Sonntag, 21. Januar 2024

Unterschätzen Sie die Dachse nicht!


Manchmal höre ich Stimmen. Ich mag die Stimmen. Sie sind freundlich und niemals harsch. Zumindest solange ich mache was sie sagen. Heute haben sie mir befohlen, den Schubkarren und den alten Fuchsschwanz von Papa aus dem Schuppen zu holen und damit in den Wald hinüberzugehen. Ich wollte zuerst nicht weil ich gerade ein ganz schwieriges Puzzle angefangen habe mit wahnsinnig viel Himmel und ich schon prima weit gekommen bin und jetzt erst zum interessanten Teil vorstoße, aber die meinten das hätte Zeit, und der Wald würde bereits rufen, ich solle doch mal das Fenster aufmachen. Hab ich dann gemacht und tatsächlich habe ich lautes Rufen gehört. Kein Witz. Ja, dann mußte ich wohl. Wenn der Wald ruft, muß man folgen. Das habe ich gelernt.

Bald waren wir aus dem vertrauten Gebiet nahe meines Hauses in eine Gegend vorgedrungen, die ich nicht mehr wiedererkannte. Ein Wald wie im Märchen. Hohe Bäume mit erhabener Ausstrahlung wuchsen zwischen großblättrigen Farnen und weich bemoosten Flächen. Wäre plötzlich ein Zwerg um die Ecke geturnt gekommen, ich hätte mich nicht gewundert. 

Mühsam lenkte ich die Schubkarre über die wurzeligen Wege, denn natürlich durfte ich mit der Säge, auch wenn sie schon alt und rostig war, nicht auf dem Hauptweg gehen, damit mich der Förster nicht sieht. Hatte ja keinen Leseschein. Ich bin zwar verrückt aber nicht blöd. Kleiner jedoch feiner Unterschied.

Immer wieder mußte ich anhalten und mir den Schweiß von der Stirne wischen. Wir haben August. Da ist es bereits um Acht in der Früh sehr warm. Vor allem wenn man auch noch eine Kamera und drei Objektive mitschleppt. Ach, hatte ich das noch nicht erwähnt? Ja, ich bin Fotograf. Von irgendetwas muß ich ja leben. Von selber hüpft das Essen nicht in den Kühlschrank.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde dieser sinnlosen Plackerei hatten die Stimmen ein Einsehen und zeigten mir einen besonders hohen Baum, locker 20 Meter, den ich umsägen sollte. Ungläubig betrachtete ich den Baum und dann den rostigen alten Fuchsschwanz. Das ist nicht euer Ernst! Doch, kam es zurück. Mach einfach und du wirst schon sehen. 

Also setzte ich die Säge an und sie glitt tatsächlich wie Butter durch den Baumstamm. Eigentlich hätte ich ja zuerst ein Eck raushacken müssen aus dem Stamm, aber die Stimmen hatten nichts von einer Axt gesagt, auch nichts vom Bäumefällen ... eigentlich hätte das so niemals funktionieren können, vor allem wäre der Baum nicht mitsamt den Wurzeln umgekippt nur weil ich ihn ein bissl angeritzt habe, aber ich sah mit eigenen Augen, wie der Baumstamm sich langsam zu neigen begann und schließlich mit der Krone unheilvoll krachend gegen den Nachbarn schlug. Ungläubig starrte ich auf die riesigen Wurzeln. Nicht nur, weil sie wirklich enorm waren, sondern weil sich darunter eine Treppe befand. Eine Treppe bitte! Unter einem Baum! Natürlich war ich jetzt neugierig und wollte wissen, wo die hinführt. Die Treppe. Vorsichtig lauschte ich, kein Einspruch. Also stieg ich die kreisförmig angelegten Stufen langsam hinunter, und stand bereits nach wenigen Minuten mitten in einer alten Grabstätte. Sehr grobe Schichtung. Schmucklos. Keine Beigaben. Nur Knochen. Wild durcheinandergeworfen. Keine vollständigen Skelette wie man sie in Kliniken und Arztpraxen dekorativ umeinanderhängen sieht. Wie unordentlich! Fast wäre ich versucht gewesen, die Knochen zu sortieren, aber konnte mich beherrschen. Schon wollte ich mich umdrehen und die Treppe wieder hinaufsteigen, da sah ich aus dem Augenwinkel ein Glitzern. Doch noch etwas Gold? Zwar würde ich es nicht behalten dürfen, soviel war mir klar, aber man konnte immerhin mal gucken. Vorsichtig tastete ich mich weiter nach hinten, es war trotz des von den Baumwurzeln aufgerissenen Riesenloches in der Waldbodendecke doch recht düster hier unten. Das Glitzern war verschwunden und auf einmal stand ein riesiger, alter Dachs vor mir. Er lächelte mich an, soweit Dachse lächeln können, und sprach: ''Gold wirst du hier keines finden. Auch keine Diamanten. Aber es gibt hier in der Gegend andere Schätze für Fotografen wie dich. Wenn du wieder nach oben kommst, wende dich gen Süden und steige den Abhang hinab. Dort wirst du wahrhaftig hohe Bäume finden. Mit diesen Fotos kannst du mühelos deine nächste Ausstellung bestreiten. Ich werde bei der Affengalerie in Paderborn ein gutes Wort für dich einlegen, man möge doch auch einmal Fotos zeigen. Diese Galeristen haben online eine gute Reichweite, wirst sehen. So kommst du eher an Gold als durch Graben in Gräbern. Lebe wohl mein Freund, du wirst beschützt.''

Freudig erregt stieg ich wieder nach oben, griff meine Kameras und die Säge (die Schubkarre ließ ich stehen, die würde niemand stehlen) und stieg den Abhang hinunter. Bereits nach der ersten Biegung konnte ich die Baumriesen sehen. Voller Ehrfurcht blickte ich zu ihnen auf. Daß es so hohe Bäume außerhalb von Australien gab, hatte ich nicht gewußt. Ich haute die Säge in den Boden, stützte meine Kamera am Griff ab und begann zu fotografieren. Wenn ich so versunken bin in meine Kunst fehlt mir jegliches Gefühl für Zeit und ich kam erst wieder zu mir, als die Sonne bereits tief gesunken war und hinter den hohen Bäumen verschwand. Du meine Güte, wie spät war es? Hatte ich den gesamten Tag hier verbracht? Eilig nahm ich Objektive, Kamera und Säge an mich und stieg den Abhang wieder hinauf. Doch der umgesägte Baum war verschwunden. Sowie meine Schubkarre. War es der richtige Abhang gewesen? Gab es mehrere Abhänge? Wo zum Teufel war ich? Panik stieg in mir auf.

Natürlich war ich am Morgen, noch halb im Traum, ohne mein Handy aus dem Haus gegangen. Google mußte nicht alles wissen und Anrufe bekam ich sowieso keine, ich hatte doch meine Stimmen.

Doch jetzt wäre mir eine ungefähre Richtungsanweisung doch sehr zupaß gekommen. Ich mußte mir eingestehen, ich hatte mich verirrt. Wie sollte ich jetzt wieder nach Hause kommen? Und wo waren die Stimmen, wenn man sie brauchte? Verzagt blickte ich in den undurchdringlichen Blätterwald. Vielleicht wenn ich den Abhang noch einmal hinunterstieg und nachzuvollziehen versuchte, von wo ich gekommen war?

Gesagt getan ... doch kaum hatte ich drei Schritte gemacht, hörte ich lautes Singen. Singen? Menschen! Fragen! Weg! Nach Hause! Mit neu erwachter Hoffnung wandte ich mich in die Richtung, in der ich die Sangeskünstler vermutete. Und siehe da, zwischen den Bäumen kam doch tatsächlich ein Trupp Pfadfinder fröhlich des Weges, alle in die typische Uniform gewandet. Als sie mich sahen winkten sie freundlich und wollten an mir vorüberziehen. 
''Halt!'', rief ich, ''ich habe eine Frage. Kennen Sie sich hier aus? Ich habe mich verlaufen.''

''Guten Mutes lieber Mann, bin froh wenn ich ihm helfen kann'', sang der Anführer der Truppe lächelnd. ''Wohin möchte er denn reisen? Will den rechten Weg wohl weisen.''

Sollte ich jetzt auch singend antworten? Lieber nicht. Sonst würden sie am Ende laut schreiend davonlaufen. Daher antwortete ich in normaler Sprechstimme: ''Ich wohne in Schafsdorf, neben dem Golfplatz. Und jetzt habe ich völlig die Orientierung verloren.''

''Ach das ist doch kein Problem, hat er jenen Baum gesehn?'' Ich folgte der Richtung seines wedelnden Zeigefingers und in der Tat, dort hinten lag der Baumriese den ich am Morgen eigenhändig zu Fall gebracht hatte und den ich, vom Buschwerk verdeckt, zuvor nicht hatte sehen können.

''Von dort folge er dem Weg, immer gradaus, niemals schräg, und wir gehn jetzt nach Kanada, Hollari und Hollara.'' Die Umstehenden fielen ein in den Refrain und die gesamte Truppe entfernte sich unter jubelndem Gesang: ''Hollari und hollara, wir gehen jetzt nach Kanada!''

Nachdem ich meinen Baum wieder gefunden hatte, war es kein Problem mehr, auch den Weg nach Hause zu finden. Schließlich mußte ich nur meinen eigenen Spuren folgen, die ich am Morgen mit dem Schubkarren im weichen Waldboden gemacht hatte. Kamera, Säge und Objektive sicher in der Schubkarre verstaut, machte ich mich auf den Heimweg. Kurz schoß mir der Gedanke durch den Kopf, wieso ich den armen Baum hatte umsägen müssen, nur damit mir der Dachs die schönen Bäume weiter unten hatte zeigen können, doch da waren die Stimmen auf einmal wieder da: ''Niemals hinterfragen, niemals hinterfragen!'', forderten sie. ''Träume sind Schäume und der Zweck heiligt manchmal die Mittel. Manchmal auch nicht. Aber damit brauchst du dich nicht zu befassen. Geh jetzt einfach nach Hause, koch dir was Gutes und dann laß deine Fotos entwickeln.''

Hatte ich sowieso vorgehabt. Blöde Stimmen. Schmollend schob ich den Schubkarren, den ich eh auch völlig umsonst mitgeschleppt hatte, vor mir her und freute mich einfach nur auf mein Puzzle und natürlich auf das Entwickeln der Bilder.

Ein Jahr später, Schlagzeile in der Paderborner Zeitung: Wilhelmsson, der begnadetste Verrückte seit Kinski! Neue Ausstellung in der Paderborner Affengalerie!

- Herr Wilhelmsson, Sie sind ja bekannt dafür, daß man keine vernünftigen Interviews mit Ihnen führen kann, aber eines würde unsere Leser sicherlich interessieren: Ihre große Karriere begann ja vor einem Jahr mit der Fotoausstellung hier in Paderborn über diese riesenhaften Bäume deren Standort Sie nicht verraten wollten. Seither sind Sie ein weltweit gefragter Fotograf geworden. Worin liegt Ihrer Meinung nach ihr plötzlicher Erfolg begründet?

- Schafe und Dachse. Unterschätzen Sie vor allem die Dachse nicht. Sehr gescheite Tiere.






Freitag, 19. Januar 2024

Der doppelte Karl

''Im Winter mit'm Fiaker durch den Prater? Spinnst?''
Karl war offensichtlich nicht bereit, meine Faszination mit der Winterwelt in unseren innerstädtischen Parks zu teilen. 
''Da frierst dir doch den Popsch ab. Und bei dem Wetter sieht man eh nix von der Landschaft.''

Dabei fand ich gerade die Fahrt durchs dichte Flockengetümmel, begleitet vom leisen Klimpern des Pferdegeschirrs, so romantisch. Naja, Männer. Aber egal, er sollte sich ja wohlfühlen bei mir in Wien und so würde ich mich selbstverständlich nach seinen Wünschen richten.
Welche er auch sofort unmißverständlich äußerte:
''Ins MDM tät ich gern schaun. Und ins Zwanz'ger-Haus.''
''Das heißt jetzt Belvedere 21,'' klugscheißerte ich.
''No des kannt ja wos wern,'' orakelte Karl. ''Im Belvedere war ich einmal und nie mehr. Alles voller Klimt und weiter hinten noch mehr Schas, zum Beispiel an Rappelkopf von dem Kerl der so heißt wie die erste Hälfte von unserer Landeshauptfrau. Mikl. Mikl Josef. Oida wenn des Kunst is ...''

Während ich mich noch fragte, was er dann im Museum der Modernen Kunst zu finden glaubte, wenn ihm so offensichtlich der Zugang zu selbiger zu fehlen schien, ließ sich mein Gast schwungvoll auf die Ottomane fallen und legte die Füße auf dem Couchtisch ab. Auf dem frisch polierten Couchtisch aus Glas, auf dem nicht einmal Gläser ohne Unterlage stehen durften. Ich schluckte weithin hörbar. Was hatte ich mir da ins Haus geholt?

Meine Freundin Barbara hatte mir lang und breit von dieser innovativen, österreichweiten Datingplattform vorgeschwärmt und nachdem sie mir ihre neueste Eroberung einmal vorgeführt hatte, war ich geneigt gewesen, ihre Begeisterung zu verstehen. Barbara war so straight, daß man sie jederzeit als Lineal benutzen konnte. Wenn sie sich also auf eine solche Plattform einließ, dann war davon auszugehen, daß sich dort keine Herumtreiber und Fakes aufzuhalten pflegten. Hatte ich geglaubt. Und mich ebenfalls angemeldet. Und jetzt das. Keine Kultur, keine Manieren und offenbar auch keinen Genierer.

''Hast kein Bier da?'', blökte er unzufrieden und sah mich auffordernd an.
Aha, anscheinend sollte ich ihn jetzt auch noch bedienen und dabei zusehen, wie er sich einen ansoff.
Dabei war er mit dem Auto da und ich hatte eigentlich gehofft, daß er mit selbigem auch recht bald wieder davonfahren würde. Als ehemaliger Polizist würde er dies jedoch wohl kaum im angetrunkenem Zustand tun. Jetzt war guter Rat teuer.

Ich schlich in die Küche, holte ein Pfiff Glas, hehe, und stellte es vor seine dreckerten Schuach auf den Tisch. Sein Blick sprach Bände. ''Bier muß ich erst von unten holen,'' verkündete ich zuckersüß und griff mir klammheimlich mein Telefon während ich eine Riesenshow daraus machte, in den Keller hinabzusteigen.  

''Heast Barbara, mein Date ist so ein Oaschloch, wie krieg ich den jetzt wieder los?''
In Wien hat man auch im Keller prima Empfang.
''Ich ruf dich in 10 Minuten an und dann brauchst nur zu sagen: Jö, ich komm sofort! - ihm erzählst was von Notfall und daß du sofort gehen mußt. Dann muß er auch gehen und du kommst zu mir und wir haben ihn los.''

''Notfall?'', wollte Karl neugierig wissen. ''Was für ein Notfall? Da fahrst mir ned allein hin, I hob mei Puffn dabei, ich werde dir beistehen! Keine Frage! Wos is, gemma gemma!''
''Karl, sicher nicht, tut mir leid, das ist eher ... öh ... was unter Frauen. Also ohne Männer. Verstehst?''

Karl verstand offenbar nicht und bestand trotzig darauf, mich auf meinem Weg zum vorgeschützten Notfall zu begleiten. Was sollte ich jetzt nur machen? Ich geriet in Panik. Statt des erhofften zauberumstrickten Dates, Pferdegetrappel und Winterlandschaft, hatte ich einen bewaffneten Irren an der Backe der in meiner Wohnung mit der Puffn umeinanderwachelte. Absoluter Albtraum! Am End würd er mich erschießen wenn rauskäm, daß ich ihn angelogen hab. Da half nur die Flucht nach vorn.

Ich riß die Wohnungstüre auf und schrie aus vollem Hals: ''Hupf in Gatsch Oida! Schleich di, oba gleeeeeeich!''
Wie erwartet öffnete sich auf der Stelle die Türe der alten Huberin im Stockwerk darunter. Ich war nicht mehr alleine.
''Wos is'n do obn scho wieda los?'', keifte sie durchs Stiegenhaus. ''Wann ned augenblicklich eine Ruhe ist dann hol ich die Polizei!''
''Nicht notwendig gnädige Frau, nicht notwendig!'', beeilte sich Karl zu versichern, der hinter mir aus der Wohnung getreten war. ''Die Polizei ist bereits vor Ort und wird sich um alles kümmern.''

Na servus, das half meinem Ruf im Haus jetzt weiter. Und Karl war immer noch da.
Ich lehnte mich gegen die Bassena und richtete meinen Blick nach vorn in die Unendlichkeit. Vielleicht würde Karl einfach verschwinden wenn ich nicht mehr an ihn dachte? Es würde PING machen und er wäre weg. 

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er langsam seine Pistole wieder ins Halfter gleiten ließ. Wenigstens das. Wobei ich mich eh frag, seit wann Polizisten a. D. noch mit einer Pistole herumlaufen dürfen? Hatte er mich vielleicht angelogen? War er garkein Polizist sondern einer von der anderen Seite?

''Du willst mich loswerden, hab ich jetzt verstanden," meldete sich die 'andere Seite' wieder zu Wort. 
''Hättest du auch ganz normal sagen können aber hast du nicht. Also geh ich auch nicht ganz normal weg. Los, komm wieder rein, ich zeig dir jetzt mal wie ich mit Frauen umspringe, die mich verarschen wollen!''

Grob packte er mich beim Arm und wollte mich in die Wohnung ziehen, ich klammerte mich an die Bassena und schrie aus Leibeskräften: ''Hilfe, so helft mir doch! Zu Hilfe!''

Aber wie immer wenn man jemanden braucht, blieben die Wohnungstüren fest geschlossen. Frau Huber glaubte offensichtlich, ich würde gerade verhaftet und die anderen im Haus waren entweder nicht daheim oder machten vorsichtshalber nicht auf. Ich trat wild nach hinten aus und hatte wohl göttlichen Beistand, denn der eiserne Griff um meinen Oberarm ließ auf einmal nach und Karl lag stöhnend am Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammerte er sein bestes Stück und ließ mich wissen: ''Das wirst du büßen du mieses Stück!''

Während ich um ihn herum zu meiner Türe eilte, versuchte er, mich am Bein zu packen aber ich war schneller. Fest haute ich die Türe ins Schloß - war ich hier drinnen sicher? Rasch wählte ich die 133 - nun hatte ich doch noch meinen Notfall. Mittlerweile war Karl draußen wieder auferstanden und hämmerte wild an meine Türe. Der (echte) Polizist am anderen Ende der Leitung erkannte wohl, daß es sich hier tatsächlich um ein dringendes Problem handelte und versicherte mir, ein Streifenwagen sei unterwegs.

Das Hämmern wurde lauter und lauter ... und ich wachte auf. Du meine Güte, was für ein Traum! Und wer hämmerte da an meine Türe?
''Aufmachen, Polizei!'', hörte ich eine Männerstimme im Stiegenhaus rufen. ''Wenn Sie nicht augenblicklich die Türe aufmachen werden wir sie aufbrechen!''

Um Himmels Willen, was war denn jetzt los? Gab es Karl wirklich? Hatte ich ihn nicht nur geträumt? War ich jetzt völlig hinüber?
Hastig rannte ich zum Eingang und rief: ''Ich komme ja schon. Was ist denn passiert?''
''Frau Etlaschek, sind Sie das?'', tönte es durch die Holztüre.
''Ja eh, ich wohn doch hier. Was hauen Sie denn meine Tür zamm? Sind sie eh echte Polizisten? Was ist denn los?''
''Frau Etlaschek, Sie müssen jetzt bitte aufmachen und sich ausweisen.''

Irgendwas war hier faul. Ein Wiener Polizist wäre niemals so freundlich, der hätte schon lange die Türe eingetreten und wäre mit der Wega hier reingeplatzt.
Außerdem, was wollten die Trottel denn von mir? Waren Albträume jetzt auch schon verboten?

''Haben Sie einen richterlichen Beschluß?''
''Heast I glaub I spinn!'', tönte es von draußen. ''Do mocht ma si an Streß wäu die Nachbarn glaubn sie stirbt und dann loßts aan ned amal eini!''

Das klang schon eher nach echtem Polizisten. Vorsichtig öffnete ich die Türe einen Spalt und lugte hinaus. Tatsächlich. Gleich zwei Kieberer und einer in Zivil standen in gespannter Haltung im Stiegenhaus.

''Alles in Ordnung bei Ihnen Frau Etlaschek?'' erkundigte sich der Kieberer mit den ungewöhnlichen Manieren besorgt. ''Die Nachbarn hatten uns angerufen, als sie lautes Stöhnen und Schreien aus Ihrer Wohnung hörten und dachten, Sie wären wohl in Bedrängnis.''
''Ja eh, ois leiwand, ich hatte nur einen Albtraum, es duat ma laad für die Umständ.'', entschuldigte ich mich etwas lahm. ''Wollen Sie vielleicht einen Kaffee auf den Schrecken?'' ,lud ich ein und sah dem netten Kieberer auffordernd in die Augen.

''Karli, du hast jetzt eh dienstfrei, du schaust gern einmal bei der Frau Etlaschek in der  Wohnung nach ob wirklich alles in Ordnung ist oder nicht, wir beide fahren jetzt wieder aufs Revier, es ist eh gnua zum Tun.''

Mit diesen Worten drehte sich der Zivile um, scheuchte seinen Adlatus die Stiegen hinab und ich blieb zurück mit dem edlen Uniformierten, einem Traum von einem Mann, der jetzt tatsächlich eine knappe Verbeugung machte und sich formvollendet vorstellte: ''Gestatten gnä Frau, mein Name ist Glossek. Karl Glossek.'' 







Donnerstag, 18. Januar 2024

Immer einen Schritt voraus


Das Wichtigste war der Bus. Der Bus um 22.15. Den mußte man bekommen, um rechtzeitig vor 23 Uhr wieder in der Klinik zu sein. Wer später kam, mußte den Nachtpförtner herausklingeln, bekam einen Eintrag und mußte sich bei der nächsten Therapiestunde vor der Psychologin rechtfertigen. Wir wurden zwar nicht rund um die Uhr bewacht (ich war wegen guter Führung nicht mehr in der geschlossenen Abteilung) und es wäre theoretisch auch möglich gewesen, sich morgens unauffällig ins Haus zu schleichen als wäre man bei einem Spaziergang gewesen, aber die Insassen beobachteten sich gegenseitig mehr als scharf. Man hatte sonst nicht viel zu tun, in dem kleinen Ort gab es nur die Straßenunterhaltung, die man sich selber machte, der Tratsch blühte und gedieh also. Konnte ich nicht brauchen.

So hielt ich meine Ausflüge stets geheim und sorgte dafür, daß ich pünktlich wieder zurück war. Sicherlich war es legitim, einen Kurschatten zu haben, doch hatte ich meine Gründe dafür, daß ich mir diesen niemals unter den anderen Klinikbewohnern suchte sondern in einem der umliegenden Dörfer. Gelangweilte Touristen gab es dort zuhauf. Urlaub am Land. Klang wunderschön. Nach Entspannung, Ruhe und Erholung. Doch spätestens am dritten Tag, mit nichts Spannenderem in Aussicht als die ewig gleichen Wanderwege und anschließendem Herumkramen in der spärlich bestückten Hausbibliothek mit musikalischer Untermalung durch im benachbarten Stall muhende und kettenrasselnde Kühe, wuchs die Langeweile ins Unerträgliche und ich konnte sie pflücken wie überreife Beeren. Sie fielen mir praktisch in die Hand.

Heute war ich wieder hungrig. Hungrig in zweifacher Hinsicht. Erstens einmal überhaupt. Es war wieder an der Zeit.
Zweitens weil ich deshalb das Abendessen hatte ausfallen lassen. Es hatte Thunfisch gegeben und ich wollte nicht aus dem Mund riechen wenn ich auf Beutezug ging. 

Natürlich hätte ich mir ein Fahrrad besorgen können. Es gab im Ort welche zum Ausleihen, ich wäre flexibler gewesen. Ich hasse es, ständig auf die Uhr sehen zu müssen, vor allem weil ich nie eine trug. Uhren waren schädlich. Vor allem Armbanduhren. Niemals würde ich mir so ein Teufelsding um den Arm schnallen. Ich war ja nicht wahnsinnig.

Aber selbst auf einem Fahrrad mit extremem Leichtgang wäre es unnötig beschwerlich gewesen, die hügelige Gegend zu befahren. Obendrein waren viele Wege nicht befestigt und man mußte sich über steile Schotterpisten und wurzelige Waldwege quälen. Mit dem Fahrrad ein Ding der Unmöglichkeit. Daher zog ich den Bus und die vom Fahrer starrsinnig eingeforderten Abfahrtszeiten der meist mühsamen Strampelei vor.

Oft blieb ich beim kleinen Flugplatz stehen und bestaunte die aus der Nähe doch recht wuchtig wirkenden Teile, die tagsüber so leicht am Himmel fliegen konnten als wären sie von einem gelangweilten Engel aus einem gefrorenen Seufzer gefaltet und quasi nebenbei im Vorbeigehen von einer Wolke fallen gelassen worden.

Rudi war Pilot. Lässig lehnte er am Geländer und schüttelte seine langen Locken aus. Den Helm warf er achtlos in eine Ecke während er langsam auf mich zukam. Ein Mann im Eroberungsmodus. Irgendwie rührend. Geduldig ließ ich seine tausendmal gehörten Worte über mich ergehen. Schließlich wollte ich mein Opfer nicht verschrecken. Zwar hatte ich gelernt, mich von den Einheimischen fernzuhalten, doch Rudi war frisch aus München zugezogen. Man würde ihn nicht vermissen. 

Langsam schlenderten wir um den See, ich gestattete ihm, seinen Arm um meine Schultern zu legen, wobei seine Hand wie zufällig meine Brüste streifte. Gähn. Rudi war wirklich zu berechenbar. Manchmal hatte ich ja wirklich Lust auf meine Auserwählten. Es tat gut, das Begehren in ihren Augen zu sehen, auch wenn ich wußte, daß es nicht mir galt sondern lediglich der aufsteigenden Lust geschuldet war, die ihnen die Sinne vernebelte und um derer Befriedigung Willen sie genauso gerne mit einer bedeutend älteren und weniger hübschen Frau als ich es war, vorlieb genommen hätten.

Auch ohne auf die Uhr zu sehen wußte ich, daß die Zeit gekommen war. Listig führte ich den Herrn Piloten zu einem geeigneten Baum, holte die Stricke aus meinem Rucksack und begann, ihn - meine Tätigkeit nur für gezielte Streicheleinheiten unterbrechend - an den Baum zu fesseln, was er sich auch ergeben gefallen ließ. Der starke Mann wollte bezwungen werden. Konnte er haben. Als ich ihm einen seiner Socken als Knebel in den Mund steckte, stöhnte er begeistert auf. Fast tat er mir leid. Aber nur fast. Mein gesamtes früheres Leben lang hatte ich Mitleid mit den Männern gehabt, hatte versucht, sie zu verstehen und ihr Verhalten immer wieder entschuldigt. Aber damit war jetzt Schluß. Mein ist die Rache, sprach der Herr, und in den Zeiten der Emanzipation war es an uns Frauen, ihm dabei tatkräftig zur Hand zu gehen. 

Es war schnell vorüber. Er hatte sich nicht gewehrt, wie auch, fast wäre ihm sogar noch einer abgegangen. Bah. Es war eh schwierig genug, keine Spuren auf meiner Kleidung oder meinem Körper zu hinterlassen. Erklär mal einem Mann, wieso du im Sommer Handschuhe trägst. Latexhandschuhe, bei der allwöchentlichen Vorstellung im Oberarztbüro geklaut. Während virologisch gesehen unbedenklicher Jahreszeiten wirklich nur mit Perversitäten zu erklären. Für welche die Männer erfreulich leicht zu haben sind. Mal was ausprobieren, und wenn es nur das eine Mal ist? Ja gerne!

Nachdem ich mein Markenzeichen, die üblichen drei roten Blutstropfen, wie im Märchen, zu Boden hatte fallen lassen, machte ich mich aus dem Staub. 
Nach mir die Geier.

Bald würde ich mir einen neuen Ablageort für die gebrauchten Handschuhe ausdenken müssen, überlegte ich mir, als ich im Bus saß und wieder Richtung Klinik fuhr. Der Abfallkübel vor dem Oberarztbüro stand einfach zu verlockend im einsamen Gang und es hing nirgends eine Kamera. Irgendwann würde sich bestimmt jemand fragen, wozu der Oberarzt einer psychiatrischen Klinik so oft Latexhandschuhe brauchte und wieso er die im Gang entsorgte und nicht im Mistkübel seines Büros. Die Beweise wären erdrückend und seine Zelle eng. Und mein Ablageort wäre nicht mehr zu gebrauchen. Nichts als Ärger mit den Männern, wenn man ihnen nicht stets gedanklich einen Schritt voraus war.










Samstag, 6. Januar 2024

Zarte Bande

Für kleinwüchsige Männer ist das Leben nicht einfach. Tatsache. Wie ich neulich in der Klinik angerufen habe um einen Termin zu machen für eine Beratung zur Beinverlängerung, bin ich an so eine Labertante gekommen, die mir die OP ausreden wollte. Sie sei ja keine Ärztin, aber wenn eine Frau meine inneren Werte nicht zu schätzen wisse, dann habe sie mich schlicht und einfach nicht verdient. Das halte ich für altmodisches Denken und das hab ich ihr auch genauso gesagt. Heutzutage geht es nur nach dem Äußeren. Du kannst noch so ein Wortakrobat sein, einen prickelnden Charme haben und die Leute mit deinem Wissen beeindrucken, es hilft alles nichts wenn du nur 1.60 Meter groß bist. Spätestens wenn du aufstehst und der Dame in den Mantel hilfst, wird sie dir scheinheilig versichern, wie nett sie den Abend mit dir fand, in der nächsten Zeit sei sie allerdings sehr beschäftigt - und sie werde sich bei dir melden.
Was sie natürlich niemals machen wird. Kannst Gift drauf nehmen.

Heute drehe ich wieder meine wöchentliche Runde auf dem Friedhof. Ich kenne hier niemanden, aber ich lege jede Woche eine oder zwei Rosen auf ein Grab. Irgendein Grab, das ich zufällig auswähle weil es so ausschaut, als ob sich niemand mehr kümmert. Angefangen habe ich damit, als wir in der Arbeit als Neujahrsgruß vom Abteilungsleiter jeder drei pinkfarbene Rosen geschenkt bekamen. Als Wertschätzung für Geleistetes und Motivation für noch zu Leistendes. Fand ich ja total lieb, aber ich hatte nach Feierabend noch Besorgungen zu machen und als Mann läuft man nicht mit drei pinkfarbenen Rosen durch die Stadt. Es sei denn, man hätte eine Bekanntschaftsanzeige aufgegeben. Was mir nicht im Traum einfallen würde. 

Als ich am Friedhof vorbeikam, hatte ich eine zündende Idee: Warum die Rosen nicht einfach auf einem beliebigen Grab ablegen? Was ich dann auch gemacht habe. Auf einer Grabstelle, auf der außer ein paar dürftigen Efeuwedeln nichts mehr wuchs. Das Ganze sah so armselig aus, daß ich mir vornahm, nun jede Woche einmal für ähnlich vernachlässigte Grabstellen einen kleinen Blumengruß vorbeizubringen.

Manche Gräber waren wirklich stilvoll geschmückt, mit Vasen aus Kristallglas und allerlei geschmackvollen Engeln versehen, andere wiederum dümpelten wohl nur deswegen noch vor sich hin, weil sie vor langer Zeit auf 20 Jahre bezahlt worden waren ... und die spendablen Angehörigen mittlerweile wohl selber drin lagen. 
Behutsam trat ich an mein 'Grab der Woche' heran, legte meine Rose dort ab, als ich von hinten eine weibliche Stimme keifen hörte: ''Hey, was haben Sie an meinem Grab zu schaffen? Da gibts fei nix zum Klauen!''

Langsam drehte ich mich um. Eine elegant gekleidete Frau meines Alters, mit rosigen Wangen und langen, blonden Haaren, sah mich entrüstet an.
Hastig versuchte ich, ihr mein Friedhofs-Projekt zu erklären, was sie aber noch mehr zu erzürnen schien. 
''Was soll das heißen, vernachlässigt aussehende Gräber? Nur weil ich in einer anderen Stadt wohne und daher nicht regelmäßig vorbeischauen kann, ist mein Grab noch lange nicht vernachlässigt, merken Sie Ihnen das! Sie laufender Meter!''

Das tat weh. Grammatikalisch und persönlich. Leise drehte ich mich um, nahm meine Rose wieder an mich, diese Person hatte keine Blumen verdient, und trollte mich. Mühsam versuchte ich, die Tränen zurückzuhalten, wieder einmal hatte jemand direkt in die Kerbe gehauen, ja vielen Dank.

Früher hätte ich mich jetzt haltlos betrunken und wäre irgendwann sternhagelvoll nach Hause gewankt um meinen Rausch auszuschlafen. Mach ich natürlich nicht mehr. Mit Anfang 30 ist man raus aus dem Trotzalter. Mein Hobby ist inzwischen das Chiffrieren von Texten, nach einem von mir erfundenen Schlüssel, den bisher noch kein Computer knacken konnte. Ich bin echt gut! Aber die Sehnsucht, die Sehnsucht nach zwei weichen Armen, in die ich mich fallen lassen konnte, die wurde dadurch natürlich nicht weniger.

Plötzlich erklang von einer Bank neben mir ein zaghaftes ''Hallo?''
Ich fühlte mich nicht angesprochen und schlich weiter.
''Hallo, Sie mit der Rose, darf ich Sie was fragen?''
Nun riskierte ich doch einen Blick. Ein zierliches Persönchen, in einen viel zu großen blauen Männerpulli gehüllt, erhob sich von der Bank und trat auf mich zu.

''Ich hab Sie schon öfters gesehen, wie sie Rosen auf Gräber legen, und ich finde das klasse. Wollte ich Ihnen gerne sagen, aber hab mich bisher nicht getraut. Aber heute sehen Sie so verletzlich aus, da hab ich mir gedacht, vielleicht braucht der Mann jemanden, mit dem er mal ein bissl quatschen kann? Wenn ich Sie nerve dann sagen sie es, ich will Sie nicht bedrängen, aber Sie sind offenbar ein ungewöhnlicher Mensch, ich mag das.''

Ich rette mich in den Sarkasmus: ''Serienmörder sind auch ungewöhnliche Menschen. Wer sagt Ihnen denn, daß ich die Leute, denen ich Rosen aufs Grab lege, nicht alle eigenhändig unter die Erde gebracht habe?''

Meine neue Bekanntschaft grinste amüsiert: ''Sie sind lustig, das mag ich auch. Männer mit humorvoller Schlagfertigkeit sind selten. Darf ich Sie auf einen Feierabenddrink einladen? Ich kenne eine großartige Weinstube nur wenige Minuten von hier, man kann dort auch essen.''

Mir blieb der Mund offen stehen. War diese Frau ein Engel oder eher eine kaltblütige Verbrecherin, die mich betrunken machen und dann ausrauben wollte? Mein Gesicht war anscheinend ein offenes Buch, denn sie lachte laut auf, ein sehr angenehmes, melodiöses Lachen übrigens, kein Gackern wie es Frauen leider viel zu oft von sich geben, und schlug mir herzhaft auf die Schulter: ''Jetzt komm, ich tu dir nix, und du mir hoffentlich auch nicht, laß uns einfach ein bissl plaudern und dann ziehen wir wieder jeder seiner Wege. Einverstanden?''

Jeder seiner Wege, ja, das kannte ich, das war vertraut, darauf konnte ich mich ohne Weiteres einlassen, also trabte ich neben ihr her und kam mir im Vergleich fast riesig vor. Das Mädel reichte mir gerade einmal bis zur Nasenspitze. Und sie roch gut! Nach Patchouli. Meinem Lieblingsparfum. Das leider heutzutage völlig out war und daher nur noch schwierig zu bekommen. Mein verrückter Onkel hatte förmlich darin gebadet (vom Waschen hielt er nicht soviel) und ich war praktisch damit aufgewachsen. Genießerisch sog ich die Duftwolken ein, die aus ihren Haaren nach oben waberten ... 

Beim Essen erzählte ich vom Onkel, von meiner Kindheit, sie erzählte von sich, von ihrer kranken Tante die sie bis zum Tod gepflegt hatte (daher auch ihre zahlreichen Besuche auf dem Friedhof), und welche ihr ein kleines Häuschen mit Laden im Erdgeschoß vererbt hatte.
''Wenn du mal reinschauen magst, wir haben wunderschöne Bongs und handgefertigte Aschenbecher, bunte Klamotten aus Nepal, ohne Kinderarbeit hergestellt, und natürlich jede Menge Bücher. Ich liebe Bücher. Du auch?''

Bongs. Die Frau war der Hammer. Sah ich aus wie ein Kiffer? Andererseits, besser Bongs als Pelzmäntel oder langweilige Damenoberbekleidung.

''Es wäre mir eine große Ehre,'' ließ ich pompös verlautbaren und nahm noch einen Schluck von dem wirklich ausgezeichneten Zweigelt. Ihre Augen glänzten und ich begann, mich auf den nächsten Tag zu freuen. Vielleicht hatte die olle Labertante neulich am Telefon doch recht gehabt? Man mußte auf die eine Frau warten, die innere Werte zu schätzen wußte, nach Patchouli duftete und wunderschöne Bongs verkaufte. Erst dann war man wirklich im Leben angekommen.