Freitag, 27. März 2020

Mia bleibn dahoam



'Laut dem Tarot befinden wir uns momentan in der Zeit des Gehängten', warf Richard in die betretene Stille. Durch das gekippte Fenster hörte man lauten Vogelgesang. Sonst nichts. Aus dem Keller, Stille.

'Ja Mann, das ist doch jetzt echt voll abgedreht und am Thema vorbei,' schimpfte Agnes feurig los, obwohl sie als Frau eigentlich eher noch Zugang zu esoterischen Denkweisen haben sollte, dachte sich Richard, sprach es aber vorsichtshalber nicht aus. Immerhin war sie die Frau eines der mächtigsten Bauern vor Ort, da war Vorsicht angebracht. 

'Die Meldung entbehrt nicht eines gewissen Scharfblicks,' warf Alois ein, der auch am Stammtisch immer das große Wort führte und dem daher alle stets widerspruchslos zuhörten. 'Ich persönlich finde sowieso, eine Woche einsperren ist für das Gesocks da unten noch viel zu milde. Wenn wir sie öffentlich aufhängen, so richtig kreuzigen, dann statuieren wir ein Exempel und die Verbrecher aus München bleiben endlich in ihrer verstunkenen Metropole anstatt uns hier unseren herrlichen Heimatsee zuzumüllen und ihre dreckigen Viren anzuschleppen.'

Zustimmendes Gemurmel von den Umsitzenden.

'Nachdem wir leider die meisten Gebräuche unserer Altvorderen ablegen mußten, beispielsweise das Julfest zur Wintersonnenwende, wird es an der Zeit, das Volk durch gemeinsame Feiern wieder zu einen, gerade in diesen Zeiten der Wandlung, in denen doch einige sich einbilden, die Obrigkeit sei gegen sie eingestellt und wolle sie in ihrer Freiheit beschneiden. Da gilt es gegenzusteuern. Schlimm genug, daß der Bürgermeister mit seiner Forderung beim Ministerpräsidenten so bös abgefahren ist und es auch noch in der Zeitung gestanden hat. Diese Wunde gärt und schwelt, es gilt, diese zu besänftigen und gleichzeitig ein Zeichen zu setzen.' 

Kollektives Schlucken.

'Aber ...', wagte Richard leise einzuwerfen, 'ist das nicht Mord? Wenn uns der Ministerpräsident bereits ein Betretungsverbot für die Münchner versagt, ja wie wird er denn reagieren, wenn wir die Leute so einfach aufhängen? Des kannst doch ned machn Alois, sorry! Und außerdem hab ich des mit dem Gehängten ganz anders gemeint und zwar ...'

'Schau Richard,' unterbrach Alois den Dorfarzt, 'ich will dir mal zugute halten, daß du ein wackerer Kamerad bist, auf den wir uns immer verlassen konnten.' 'Bisher.', fügte er ominös hinzu.
'Deine Kinder hast auch keineswegs verdorben, ich hab neulich den Jörg gesehen wie er ein Auto aus München mit Joghurt beworfen hat. Guter Junge. Und nun merke auf: Wir werden unsere Gefangenen natürlich nicht umbringen. Wir hängen sie nur ein bissl auf, sagen wir einmal ein paar Stunden, so wie man früher die Menschen an den Pranger gestellt hat. So lange ist das noch nicht her. Das Volk braucht einen gemeinsamen Feind und einen starken Bürgermeister, der ihnen zeigt, wer der Chef ist, auch wenn er gerade eine empfindliche Niederlage aus München einstecken mußte. Gerade deswegen.'

'Irgendwelche Einwände?', fragte Alois in die rund um den mächtigen Eichentisch sitzenden Ratsmitgliedsgesichter. Natürlich eine rein rhetorische Frage, auf die er sich keine Antwort erwartet hatte. Schließlich wollte keiner der Beteiligten sich mit den Fremden zusammen am Kreuz vorfinden. Mitgefangen, mitgehangen, oder in diesem Fall gerade eben lieber nicht.

'Gut, dann gehen wir jetzt in den Wald und suchen uns ein paar geeignete Bäume aus, sieben Stück, eine heilige Zahl. Emma, du machst mal einen Plan wie wir die Penner da unten bis dahin verköstigen können, daß sie uns nicht vorher vom Fleisch fallen, Richard, dich brauchen wir, damit nicht doch noch einer vorzeitig abnippelt. Gemma!' Wie ein Mann erhoben sich die Dörfler und strebten dem Ausgang der Gaststube zu. Die Frühlingssonne schien unbeirrt weiter.

Es waren in der Tat seltsame Zeiten, da mußte jeder schauen wo er blieb, und wer unvorsichtig war und sich zu weit von der Heimat entfernte, nun, der mußte die Suppe dann eben auslöffeln, die er sich eingebrockt hatte. Da kannte der Alois nichts und der Bürgermeister sowieso nicht.
Mia san mia und mia bleiben dahoam.











Sonntag, 22. März 2020

O Tempora O Mores



Manchmal kommen Gaukler ins Land, sie tragen buntes Gewand, sprechen fremde Dialekte und lachen viel. Oma sagt es ist besser, man geht nicht zu den Vorstellungen, ich würd mir damit nur die Zukunft versauen. Versteh ich nicht, ich finds lustig wenn sie den Kanzler mit den Ohren nachmachen ...

Von der Bevölkerung werden sie mißtrauisch betrachtet, man spricht von Zigeunern, Diebesvolk und Kinderschändern, wobei die meisten schon nicht einmal mehr wissen, was das eigentlich sein soll. Ein Schimpfwort aus längst vergangener Zeit, als die Kinder noch bei ihren Eltern aufwuchsen, als die Familien noch unüberwacht mit Freunden in eigenen Wohnzellen beinandersaßen und oft die eigenen Verwandten sich an den Kinder vergriffen. 
Unvorstellbar heutzutage.

Wie so vieles, von dem Oma noch zu erzählen weiß. Von damals, vor der Großen Krise, die das Leben der Menschen praktisch von einer Woche auf die andere völlig umkrempelte. Nur Wenige sahen es kommen, die meisten Menschen murrten zwar ein wenig, als sie auf einmal die Wohnung nicht mehr verlassen durften, angeblich um die Verbreitung des Virus zu stoppen, machten sich aber weiter keine Gedanken. Man müsse jetzt Geduld haben und Solidarität zeigen hieß es. Dagegen ließ sich auch erst einmal nichts sagen. Die Ausgangssperre wurde bald wieder aufgehoben, die unmittelbare Gefahr schien gebannt, die Regierung ließ sich feiern und das Leben ging weiter wie gehabt.

Bis auf einmal dieser Brief im Kasten lag. Man möge sich innerhalb von 14 Tagen bei der zuständigen Krankenkasse melden, das Tragen von Gesundheitsarmbändern sei ab jetzt verpflichtend. Selbstverständlich würden die so erhobenen Daten nicht sehr lange gespeichert, es diene alles nur der Sicherheit. Wer sich weigerte, wurde als Ignorant beschimpft, der leichtfertig nicht nur die eigene Gesundheit aufs Spiel setzte sondern auch die der anderen Menschen um ihn herum. Die Wiederholung einer solchen Pandemie könne nur effektiv verhindert werden, wenn jeder zu jeder Zeit seine Temperatur messen ließe und man jederzeit lückenlos nachweisen könne, wer zu welcher Zeit mit wem Kontakt gehabt hatte.

Nun wachten die Ersten auf, witterten Intrige und Verrat, doch es war bereits zu spät. Egal ob adelig oder arbeitslos, es gab kein Zaudern, wer der Aufforderung nicht zeitnah nachkam wurde mit erheblichen Repressalien bedroht, und kurz darauf waren alle an das Überwachungsnetz angeschlossen. 

Grenzgeniale Programmierleuchten arbeiteten rund um die Uhr und bald konnte nicht nur die Bewegung der menschlichen Körper überwacht werden, auch jede seelische Regung in selbigen. Jeder Gedanke war auf einmal meßbar. Die Regierung wußte nun nicht nur, was die Leute sich so im Fernsehen und im Internet ansahen, sie wußten auch, was sie dabei für Gefühle und Gedanken hatten. Das neue System ließ die bisher bekannten Algorithmen auf facebook uralt aussehen. Es war ein Bankett für Datensammler, an dem diese sich ungeniert bedienen konnten. Datenschutz? Ein Begriff, der ja bereits in der guten alten Zeit bereits nur noch dazu benutzt worden war, die Angestellten in Behörden und Kliniken zu sekkieren.

Noch heute zuckt Oma zusammen wenn es an der Türe läutet. Die Kontrollen waren häufig und die Inspektoren alles andere als zahm. Anfangs hatte sie es mit Humor nehmen wollen, hatte ihnen grinsend die Türe geöffnet mit den Worten: 'Inspekta gibt's kaan!' Man hatte daraufhin alle ihre Bücher beschlagnahmt, sich extralange Zeit gelassen, sie mit dem Genehmigungsstempel zu versehen und natürlich hatte hinterher die Hälfte gefehlt. Oma hatte während dieser Zeit wieder mal Ausgangssperre und mußte sich dreimal täglich telefonisch bei der Aufsichtsbehörde melden. Vom Festnetz aus. Welches sie ja noch hatte.

Es wurden viele Bücher vernichtet, damals. Zeitgenössische Schriftsteller wie Bertha Garlan oder Leo Himmelsblau wurden verbrannt, genauso wie Autoren aus längst vergangenen Zeiten wie Erich Kästner oder Jane Austen. Auf Satire stand die Todesstrafe, menschliche Nähe war verpönt. Das während der Pandemie eingerichtete Gesetz, daß sich Menschen in der Öffentlichkeit nur noch höchstens zu dritt zusammenfinden durften, wurde aufrechterhalten. Workshops etc. wurden weiterhin nur noch online geduldet, das Leben fand hauptsächlich digital statt. Die Menschen bezahlten im Supermarkt mit der Armbanduhr, welche solcherart ihr comeback feierte, und die Unterhaltung mit Fremden hatte sich bald eh erledigt, da alle nur noch mit Google-Brille und Kopfhörern unterwegs waren und einander nicht mehr beachteten.

Konversation gab es daher praktisch nur noch schriftlich, vorzugsweise elektronisch, oder am Telefon. Damit die Unterhaltungen überwacht werden konnten und niemand mehr Angst vor freistehenden Koffern haben mußte. Heutzutage ebenfalls ein Unding. Kein Mensch reist mehr mit Koffern. Die Hotels bieten alles, was der Gast zur Annehmlichkeit benötigt, in den Zimmern an, persönliche Dinge wie Medikamente oder Extrakleidung werden am Tag der Abreise von Götterboten abgeholt und in Windeseile an den Zielort transportiert. Natürlich ist das Reisen dadurch so teuer geworden, daß es sich nur noch Privilegierte leisten können. Der Rest der Bevölkerung staut sich in den noch zugelassenen lokalen Vergnügungsbetrieben und schreit sich gegenseitig die Ohren voll. Da bleibt jeder vernünftige Mensch freiwillig zuhause und loggt sich in seine Unterhaltungsmedien ein.

Einmal fand ich ein uraltes, völlig verstaubtes Buch auf dem Dachboden, diesem Hort geheimer Schätze. Ich blätterte neugierig darin herum, nieste vom aufsteigenden Staub und mußte auf einmal furchtbar lachen. Erschrocken kam Oma herbeigeeilt, denn Lachen war schon lange nur mehr in Ausnahmesituationen erlaubt, wer es zu oft tat wurde von den Nachbarn besonders streng beobachtet,denn Denunzianten waren bei der Obrigkeit beliebt und durften sich oft Extrarationen Toilettenpapier oder Nudeln abholen.

Was ich denn so lustig fände, wollte Oma vorwurfsvoll wissen. Als sie das Buch erblickte wurde sie bleich. 'Jö, die Bibel!', flüsterte sie. Offenbar ein verbotenes Buch.

Ich las ihr den Satz vor, der mich so erheitert hatte: 'Und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund'.

'Weißt, Oma', erklärte ich, 'hab mir halt diesen Götterpropheten vorgestellt wie er im Arztkittel und mit Google-Brille durch die Pampa spaziert und die Leute mittels Sprachfunktion heilt. Aber hör mal Oma, was ist denn eine Seele???'



Sonntag, 8. März 2020

Anton Teil 2

Am nächsten Tag bastelte Anton den ganzen Tag an einem Brief rum - er konnte Briefeschreiben nicht ausstehen und schrieb nur in äußersten Notfällen einen, so wie jetzt eben - den er dann abends stolz seiner Vermieterin vorlas:

Lieber Metzger.
Es tut mir sehr leid, daß ich Ihnen damals soviele Schinken gestohlen habe, ich würd sie Ihnen jetzt gerne zurückgeben aber sie sind halt schon weg. Mein alter Bekannter, der mich damals immer angestiftet hat, brachte mir gestern ein Geschenk für Sie mit, das ich Ihnen gerne bringen würde, aber Sie müssen vorher Ihren Hund wegsperren sonst trau ich mich nicht klingeln.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Ihr Anton Fieselmaier

''Hm'', machte Miranda. Nach der Anrede kommt kein Punkt und der Schluß ist reichlich altmodisch. Da sieht man wieder mal, wie lange du schon nix mehr geschrieben hast – aber sonst: Echt nicht schlecht. Jetzt, Frage: Wie willst du den Brief in seinen Briefkasten kriegen wenn du dich nicht zu klingeln traust? Die Briefkästen sind doch innen.''
''Öhm, mit der Post?''
''Mit der Post? Bist deppat? Des kost a Lawine und bis der Brief ankommt wohnt da drüben der Enkel und dem is des olles Blunzn!''

''Naa'', blökte Anton auf bayerisch, ''ned bei uns in Deutschland. Da is ned so teuer und ankommen tut's auch. Meistens. Also fast immer.''
''Und wenn ned?''
''Ja was soll ich denn machen? Den Hund erschießen und die Tür eintreten? Ihr könnz mi doch alle mal! Mir langts! Was'n no? Etzt hab I so an schönen Brief g'schriebn + will mi entschuldigen für alles und es is no ned recht und immer wird g'schimpft. I mog nimma! Es könnts mi alle!''
''Der einzige der hier schimpft bist du. Wieder mal typisch! Zu keinerlei Diskurs bereit + gleich lostoben. Bayern!!!''

Etwa eine halbe Stunde später sah man eine wütende Miranda mit dem Brief in der Hand zum gegenüberliegenden Häuserblock traben während Anton wieder mal am Balkon stand, heulend sein Popscherl rieb und die Ungerechtigkeit der Welt beklagte.

Jetzt war es so, daß der Metzger ja nicht einfach den Brief gelesen, Anton zu sich eingeladen und großmütig die Entschuldigung und das Geschenk entgegengenommen hätte. Nee. Dann wäre ja alles gut und die Geschichte somit zuende. Vielmehr hat der Metzger den Brief zwar gelesen aber dann eine Wut gekriegt. Bisher hatte er Anton für einen zwar wehleidigen aber doch immerhin bösen Schwerverbrecher gehalten, vor dem man Angst haben muß, und so war er sich mutig und stark vorgekommen indem daß er ihm nicht nur einen Drohbrief geschrieben sondern ihm diesen auch noch ins Ohr gepfeilt hatte als er Anton wieder am Balkon wehklagen sah. Nun jedoch, nach Erhalt des kleinlauten Entschuldigungsschreibens von Anton, kam der Metzger sich nicht mehr mutig vor sondern fühlte sich ausgesprochen dämlich. Und weil keiner sich gerne dämlich fühlt wurde er wütend. Auf Anton. Wen sonst. Also setzte er sich an seinen Küchentisch und überlegte. So ein Küchentisch ist überhaupt der allerbeste Ort um zu überlegen. Es soll ja Leute geben, die am liebsten am Klo überlegen, aber wer hat schon Wein und Kekse am Klo? Eben. In einer Küche dagegen befinden sich außer einem Tisch auch stets Wein und Kekse, womit alle Voraussetzungen für genußvolles Überlegen gegeben sind. Jetzt kommt es aber natürlich sehr auf den Wein (und die Kekse) an, ob die Überlegungen, die man am Küchentisch so anstellt, auch zielführend sind. In dieser Hinsicht war der Metzger gut aufgestellt, denn er war ein Genießer und trank nur guten Wein. Wenn sich Anton und Zagreb damals nicht ausschließlich auf seinen Schinken spezialisiert hätten, wären sie damals bereits fündig geworden, wären sie nur eine  Türe weitergegangen. 

Nachdem er also drei Achterl von seinem guten Wein getrunken hatte, kam der Metzger auf die Idee, Anton zu einem Fest einzuladen und ihm dort seine Rache angedeihen zu lassen. Inmitten seiner Freunde fühlte sich der Metzger stark denn, zugegeben, ein bissl Angst hatte er doch noch vor Anton, und der Hund würde ja beim Fest nicht dabeisein können.

''Was hat er dich?'' fragte Miranda ungläubig am nächsten Tag, als Anton ihr seine Einladung zum Gartenfest des Metzgers vor die Nase hielt.
''Zu seinem Gartenfest hat er mich eingeladen'', wiederholte Anton stolz. ''Hättst ned denkt, ha?''
''Noja, I waß ned, bist sicher doß des ka Foin is?''
''Bitte was?''
''Eine Falle, heast.''
''Eine Falle! Freilich! Klar! Bist grantig weil er dich ned mit eing'ladn hat und schon mußt es mir wieder kaputtreden. Des is SO typisch, echt!!!''

Kurz darauf hörte Miranda, die sich mit einem Buch in ihr Zimmer geflüchtet hatte, wie draußen vor dem offenen Fenster ein Kind auflachte und rief:
''Schau mal Papi! Da steht ein erwachsener Mann am Balkon und flucht ganz laut! Wieso darf der das und ich nicht???''

Das Fest war offensichtlich ein Erfolg. Zufrieden und mit angepapptem Dauergrinsen schlängelte sich der Metzger zwischen den lachenden, zwischendurch aufkreischenden und allenorts begeistert aufeinander einredenden Gästegruppierungen hindurch, immer wieder leutselig nickend, jedoch stets darauf bedacht, Anton am Rande seiner Peripherie zu behalten. Was nicht weiter schwierig war. Als Anton vor seiner Türe gestanden hatte - erst mußte er ihn hinter einem riesigen Blumenstrauß hervorholen, für die gnädige Frau, ein weiteres Ärgernis denn der Metzger, nach wie vor unbeweibt, fühlte sich verhöhnt – mußte der Metzger sofort an diesen Film mit Eric Idle denken, an die Szene wo Eric auf ein Fest kommt, ein Bettlaken um die Schultern geschlungen, der einzige Europäer unter lauter Indern, und der Gastgeber empfiehlt ihm freundlich 'to mingle', also sich unauffällig unter die Gäste zu mischen. Jetzt hatte Anton beileibe kein Bettlaken um die Schultern geschlungen und die Gäste waren auch keine Inder – dennoch hob er sich  von der Masse der übrigen Anwesenden auf eine unheimliche Weise ab und man konnte nicht einmal sagen woran das lag. Er war sauber angezogen, frisch rasiert, er trug geputzte Schuhe und bemühte sich, freundlich dreinzuschauen. Und dennoch ...

Donnerstag, 5. März 2020

Die Rache aus dem Jenseits



Wieder einmal liege ich um Mitternacht wach und gräme mich ganz fürchterlich. Die Sache mit Manfred hatte mir doch mehr zugesetzt, als ich mir einzugestehen bereit war. Nun treffe ich mich doch sowieso nur mit den Männern, bei denen ich mir absolut sicher bin, daß sie vertrauenswürdig sind, und denen ich mich weiters nicht nur hingeben könnte, sondern auch möchte. So bleiben am Ende eh nicht viele übrig.

Und wenn es dann dennoch im Desaster endet, neige ich dazu, genau wie Annegret, Wilma, Christine, Geraldine und all die anderen Frauen auf der 'Ask Wendy'-Seite, mir die Schuld daran zu geben. Klar. Wem sonst. Doch nicht etwa dem göttlichen Wesen, das mich soeben verletzt hat? Sorry, von dessen Handlungen/Worten ich mich verletzt fühle. Der Mann kann ja nie was dafür, der Mann hat immer recht, die Frau sei dem Manne untertan, bla bla bla.

Traurig schneuze ich in meinen Polster und frage mich, was ich wohl dieses Mal wieder falsch gemacht habe. Eigentlich hatte es doch ganz gut angefangen ... wir hatten uns zweimal zum Schallplattenhören getroffen, unterhielten uns über alles mögliche - stolz erzählte er beispielsweise vom kürzlich erworbenen Meisterbrief - bis wir bzw. bis ich zu mehr bereit war.

Und dann hört der mittendrin auf, gerade als ich beginne, Gefallen an der Sache zu finden! Erklärt mir, es sei ihm zu anstrengend, erzählt mir noch irgendeinen Mist über irgendwelche Postings auf seinem Handy - und springt auf einmal auf mit den Worten, ihm sei gerade eingefallen, daß er in der Arbeit ein Fenster offengelassen habe, das müsse er jetzt unbedingt zumachen. Und fupp, weg war er, obwohl draußen ein Schneesturm tobte und es drinnen eindeutig gemütlicher gewesen wäre.
Natürlich hab nie mehr was von ihm gehört. Warum???
Und warum bleiben mir grundsätzlich nur die Männer, mit denen ich nicht wirklich was anfangen kann?

Grummelig knipse ich das Nachtlicht an um auf dem Weg zum Häusl nicht über meine Bücherstapel am Boden zu stolpern, da steht auf einmal eine Gestalt mitten im Zimmer! Zu Tode erschrocken lasse ich mich zurück aufs Bett sinken ... dann erkenne ich Anton. Meinen Anton, den ich höchstpersönlich vor über fünf Jahren zu Grabe getragen habe. Also seine Asche. Schockstarr glotze ich ihn an, ein Gefühl von Irrealität überkommt mich. Ich bin mir sicher, daß ich träume. Genau, das ist einer dieser luziden Träume, in denen man glaubt, man sei wach. Nur ... kann man die nicht steuern? Ich kann hier gerade absolut garnichts steuern. Was macht Anton hier, warum guckt er nur, warum schweigt er, will er mir Böses, wenn ja warum tut er nichts? Die Ungewißheit macht mich fertig ...

'Aber Bertha', spricht der Geist nun ruhigen Tones, 'du weißt doch genau, daß ich dir nicht böse bin, ich hab dich doch lieb. Und ich wollte dir auch nur sagen, daß es ein Schmarrn ist wenn du dich wegen dieser Hampelmänner grämst. Ich weiß, daß du die Waffe gefunden hast, die ich unten im großen Karton versteckt hatte. Erinnerst du dich noch an die Story die ich dir erzählt hab vom Jay damals? Ja? Gut. Nur so ein Vorschlag. Dachte ich schau mal rein und sag Hallo, aber nun muß ich auch schon wieder gehen, man bekommt nicht so leicht Urlaub und auch nicht sehr lange. Mach's gut Bertha, und hab keine Angst, ich warte auf dich ...'

Mit offenem Mund bleibe ich auf meiner Bettkante sitzen, jeder Gedanke an Lulu-machen total vergessen. Die Geschichte mit Jay damals ... ja, in der Tat, ich erinnere mich. Jay war ein Arschloch, soviel vorab, und er hatte Anton immer wieder getrietzt, ihn vor anderen runtergemacht, verspottet ... und war ihm am Ende auch noch Geld schuldig geblieben. Höfliche Erinnerungen wurden lässig ignoriert - bis es Anton zu bunt wurde und er ihn zuhause aufsuchte. Jay ist das Lachen dann sehr rasch vergangen, als er die Puffn am Kopf hatte. So klein und verängstigt hatte man ihn noch nie erlebt - 'Tu mir nichts, tu mir nichts', hat er gebettelt - und so schnell hat man garnicht schauen können, wie seine Freundin, übrigens eine ehemalige Mitbewohnerin von uns, mit zitternden Fingern das geschuldete Geld auf den Wohnzimmertisch legte.

Was wollte mir Anton nun damit sagen? Sollte ich seine formschöne, aber unhandliche Knarre nun benutzen, um sie Manfred an seinen nichtsnutzigen Schädel zu halten? Eher nicht. Bevor ich auch nur 'Hände hoch' sagen könnte, würde er sie mir entwinden und seinerseits mich damit bedrohen. 

Aber Hoppala, da gab es ja noch mehr Möglichkeiten ...

Nur zwei Tage später lese ich mit Genuß in der Zeitung, wie der Pächter einer Autowerkstatt in der Innenstadt festgenommen worden war, nachdem die Polizei dort bei einer Hausdurchsuchung eine Handfeuerwaffe gefunden hatte. Für die er keinerlei Besitzkarte vorweisen konnte. Haha. Rache ist Blutwurst, und eine solche werde ich mir nun genüßlich aufs Brot geben. Frau muß auf fleischliche Genüsse keineswegs verzichten, sie sollte sich lediglich sehr genau überlegen, ob sie sich dazu unbedingt Gesellschaft einladen möchte.