Sonntag, 27. Juli 2025

A g'schissene Sauerei


''Bald wird es wieder soweit sein,'' seufzte Gwerzoff leise. ''Sie werden überall riesige Kästen aufbauen aus denen laute Mißtöne erklingen und zu denen sie den schönen Waldboden zertrampeln und es 'tanzen' nennen. Gröhlen werden sie und ihr stinkendes Gebräu überall verschütten. Die armen Tiere werden mit zugehaltenen Ohren flüchten müssen und ihre Heimat wird danach noch wochenlang unbewohnbar sein weil alles voller Dreck und Scherben ist, die wir Zwerge mühsam nach und nach aufklauben müssen. Warum können diese Leute sich nicht auf ihre Lärmtempel in der Stadt beschränken? Wieso müssen sie ihr 'Festival' jeden Sommer bei uns im Wald abhalten? Ich begreife es nicht.''

''Wenn sie wenigstens Freude daran hätten,'' warf Sensidor ein. Aber sie müssen sich ja betrinken dabei bis sie blau sind wie ein Veilchen. Wieso sagt man eigentlich blau wie ein Veilchen? Veilchen sind violett. Warum sagt man nicht kornblumenblau? Das gefiele mir viel besser. Die Menschen sind dumm und abends sind sie alle kornblumenblau. Genau.''

Das Geräusch von Vogelflügeln im Wind unterbrach die düstere Unterhaltung und im nächsten Moment ließ sich Ethel die Eule zwischen den beiden auf dem Boden nieder.
''No Burschen, ned gut drauf? Hobt's kaan Kaffee kriagt oder was is los?''

Traurig berichteten Gwerzoff und Sensidor von ihren Gefühlen bezüglich des bevorstehenden Festivals. Gefühle, denen sich Ethel vorbehaltslos anschließen konnte. ''A g'schissene Sauerei is des!'', war ihr Kommentar dazu.

''Die Freiheit des einen endet dort, wo die des anderen beginnt.'', dozierte sie. ''Soviel sollte eigentlich klar sein. Das Problem ist nur, daß die Menschen von den meisten Waldbewohnern nichts wissen und daß sie die Tiere, von denen sie durchaus wissen, als absolut minderwertige Kreaturen ansehen. Die gerade noch als Fotomotiv geduldet werden oder wenn sie ihnen Nahrung besorgen oder gar selbst als solche herhalten sollen. Unter welchen Umständen diese armen Nahrungsmittel ihr mühevolles Leben fristen müssen, ist ihnen auch wurscht. Hauptsache billig, gell. Ab und an geht einmal einer von denen hohen Herren her, quatscht medienwirksam daher aber ändern tun die neuen Gesetze auch nix, es wird alles nur halbherzig verschlimmbessert!''

''Wow Ethel, du kannst ja richtige Reden halten!'' Sensidor sah bewundernd zu der Eule hinüber. Diese schüttelte bescheiden ihr Gefieder. ''Wer kann der kann. Aber g'scheit daherlabern hilft halt auch nix. Tun müß mer was. Aber was? Burschen, wir machen ein brainstorming! Frogts ned, duats einfach die Unterbergener Botenzwerge losschicken, mir treffen uns heute Abend hier. Unter der Linde. Und dann schaug mer amal.''

Gesagt getan. Pünktlich zum Einbruch der Dämmerung kamen immer mehr Waldbewohner zur alten Linde gekrochen, geflogen, gewandert oder gehumpelt. Gehumpelt? Besorgt blickte man Ethel entgegen, die sich in ihrer ursprünglichen Gestalt als alte faltige Zauberin nur mühsam fortbewegen konnte.

''Ja was ist denn mit dir passiert Ethel?'', rief ihr Sensidor erschrocken zu. ''Bist unter die Räuber gefallen?''

''Ah geh,'' winkte Ethel ab. ''Mein Teppich daheim hat so traurig ausgesehen, da hab ich ihn ein bissl umarmt. Muhahaa. Des werd scho wieder. Wichtig ist jetzt, daß wir uns zammsetzen und uns was überlegen. Wie wollen wir vorgehen. Wollen wir bereits den Aufbau verhindern, was mit vereinten Kräften gelingen könnte, aber die Leute nicht daran hindern wird, es wieder und wieder zu versuchen. Oder wollen wir das Fest selber ein bissl umgestalten, dahingehend, daß es den Leuten für immer vergehen wird, hier in unserem Wald so laut feiern zu wollen? Wär meiner Ansicht nach zielführender.''

''Fest umgestalten, jaaaa, wir zeigen es ihnen, wir mixen ihnen was in ihr Gebräu, wir machen die Musik schrill und quietschig, wir hauen sie, wir prügeln die Band vom Podest, wir ...''
''HALT Kinder, so geht es nicht. Keine Gewalt und keine bleibenden Schäden. Wir möchten die Leute doch zum Umdenken bewegen und keine Gewalt anwenden, denn diese wird erfahrungsgemäß mit Gegengewalt beantwortet und das wollen wir nicht.''

Als sie dasaßen, brüteten und überlegten, bis ihnen die Schweißperlen auf die Stirn traten, drang aus der Ferne immer lauter werdendes Gelächter in ihr Bewußtsein.
Wer vergnügte sich denn da so ungeniert, während sie sich Gedanken um den Frieden im Walde machten?
Flirrende Luft kündigte eine Elfengestalt an die, von einem älteren Herrn gefolgt, ungeniert auf die Lichtung getänzelt kam. Strenge Blicke aus dem Kreis der Aktivisten ließen sie innehalten.
''Was schaugts denn so? Hab ich euch was getan?''
''Hast du nix mitkriegt? Heute, hier, Treffen und so? Wir überlegen uns hier das Hirn zu Matsch und Madame tänzelt saumselig durch den Wald und tut mit dem alten Peter umeinanderflirten.''

''Heeeeeey, wer ist hier alt!'' Gekränkt trat Peter, ehemals Darfnix genannt (bis er sich eines Tages endlich gegen seine Frau zur Wehr setzte), in den Kreis der Selbstgerechten. Und ja, wir haben eine Nachricht bekommen, und deswegen sind wir hier. Ethel kann fraglos prima zaubern, aber wenn ich meine Zauberkräfte auch noch in die Waagschale werfe, dann kann nicht mehr viel schiefgehen. Schließlich war ich mal Ingenieur, da lernt man, planvoll und effektiv vorzugehen.''

''Was schlägst du also vor, ehrwürdiger Greis,'' spottete Gwerzoff, der für seine frechen Sprüche waldweit bekannt war.
''Ich schlage vor, daß wir die Leute ihre Boxen, ihre Bühne, ihre Getränkestände und was noch alles in Ruhe aufbauen lassen, und dann, wenn sie loslegen wollen, dann treten wir in Aktion. Ich hab mit Dana hier schon einen prima Plan ausgearbeitet.'' Dana lief rot an und kicherte verschämt. Die Zwerge grinsten sich eins und der Rest der Gemeinschaft enthielt sich würdevoll eines Kommentars.

Bald darauf war der große Tag gekommen. Die riesigen Lautsprecher waren aufgebaut und auch sonst same procedure as every year. Doch dieses Mal wartete auf die feierwütige Menge eine Überraschung, mit der sie sicherlich nicht gerechnet hatten.
Dümmlich grinsend und sich gegenseitig schubsend, blöde kichernd und fast alle mit mindestens einem Auge am Handy klebend, eierten die offenbar bereits nicht mehr ganz nüchternen Gäste nach und nach aufs Gelände.

''Was für eine saublöde Meute,'' schimpfte Gwerzoff. ''Die werden sich bald umschauen, hehe. Meine Psychologin meinte neulich, ich sei den Menschen nur neidig weil die sich zusammen amüsieren und ich immer alleine sei. So ein Humbug. Hier im Wald ist niemand alleine, wir sind alle untereinander verbunden.''

''Quod erat demonstrandum Burschen! Geh ma's an!'', gab Ethel das Kommando und schon rauschten gefühlt Tausende von Krähen dicht über den Köpfen der meist jungen Leute hinweg. Diese hielten den Vogelschwarm für eine Showeinlage und kreischten begeistert. Was sich jedoch schlagartig änderte, als die Tauben ihrerseits eine Runde drehten und zielgenau in die 'Jubeldrinks' (so stand es am Kiosk geschrieben) der Störenfriede ihren Darm entleerten. Hei war das ein Spaß! Fanden die Feiernden jetzt so garnicht und schütteten angeekelt ihre Getränke in hohem Bogen auf den Boden.

''Dreckssauerei!'', schimpfte Ethel, ''Zeit für die nächste Stufe!''
Schon knackste es in den Boxen und eine schauerliche Stimme ertönte, untermalt von Geräuschen die an das Knarren eines sich langsam schließenden Sargdeckels gemahnten:  ''Hört gut zu, ihr saudummes Pack. Wie würde es euch gefallen, wenn wir euch jetzt einsperren würden, mästen und dann schlachten? Weil wir Bock auf den ultimativen Snack haben? Homo toastiensis? Oder Steckerldepp? Während eures nur noch kurzen Lebens müßtet ihr die ganze Zeit in eurer eigenen Scheiße stehen und dürftet euch niemals hinlegen, geschweige denn richtig ausstrecken. Tolle Aussichten, oder? Und wer jetzt denkt, wir seien aber außerordentliche Sadisten und wer macht denn sowas ... dann schauts euch mal in den Spiegel ihr Penner.
IHR macht das. Ständig. Jeder von euch der im Disconter Fleisch oder Milchprodukte einkauft macht das. Ohne darüber nachzudenken macht ihr das. Schämt euch!!!''

Mittlerweile wimmelte das Gelände von ziellos herumirrenden Security-Mitarbeitern, die verzweifelt nach den Übeltätern fahndeten, die die Anlage in ihre Gewalt gebracht hatten. Doch an den Kabeln und Anschlüssen war alles in Ordnung, die Techniker waren ratlos und die Menge starr vor Entsetzen. Den meisten war die Lust auf Tanzen vergangen, das sah man ihnen sogar aus der Weite an. Doch Peter und Ethel hatten noch einen draufzusetzen.

Der Zaun, der das Gelände vom Wald abgrenzte, begann auf einmal bunt zu flimmern. Was zunächst cool aussah in der einsetzenden Dämmerung, versetzte die Meute in pure Panik als sie bemerkten, daß sich der Flimmerzaun immer mehr und mehr zusammenzog, immer näher rückte, und eine verdammte Hitze ausstrahlte.
Kopflos stürmten die Leute Richtung Ausgang. Drängten sich, schubsten sich, rücksichtslos und um ihre Leben fürchtend. 

''Scheiße,'' fluchte Ethel. ''Wir wollten keine Massenpanik. Nicht daß diese Hohlbirnen sich noch gegenseitig tottrampeln.''
Der Zaun stoppte seine Bewegung, hörte auf zu flimmern und aus dem Lautsprecher erklang beruhigende Musik. Darüber eine sanfte Stimme: ''Nicht drängeln, es wird euch nichts passieren, dies war nur ein kleiner Denkanstoß. So fühlen sich die armen Tiere, wenn sie eingesperrt und mißhandelt werden. Bevor sie zum Schlachter geführt werden. Glaubt ihr, die merken das nicht? Wir sind doch nicht bescheuert! Grüße aus dem Wald ihr kopflosen Kreaturen. Und vielen Dank, daß ihr euren Dreck und euren ganzen Kram wieder mitnehmt! Dieses Mal bitte für immer!!! Bussi baba!''

In der Zeitung stand kein Wort darüber. Lediglich eine kleine Notiz, daß das Ultimative Super-Sommer-Waldfestival dieses Jahr aufgrund technischer Mängel leider abgesagt werden mußte.
''Immerhin!'', stellte Peter zufrieden fest. ''Immerhin sind sie kommentarlos wieder abgezogen und haben ihren Krempel am nächsten Tag wieder abgebaut. Nun bleibt zu hoffen, daß unsere Worte auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Darauf wetten würde ich nicht, aber wer nicht kämpft hat schon verloren. So, und wo ist jetzt meine kleine Elfe, ja wo ist sie denn??'' Kreischend vor Vergnügen rannte Dana direkt hinein in den dunklen Wald, Peter mit wehendem Mantel dicht hinter ihr her.

''Manche Dinge ändern sich nie ...'', murmelte Ethel vor sich hin, verwandelte sich wieder in eine Eule und flog schnurstracks zum Häuschen von Skodefix. Ihn einmal wieder an das Bücherregal zu erinnern, das er ihr vor 123 Jahren versprochen aber noch immer nicht zusammengenagelt hatte. Wie gesagt, manche Dinge ändern sich einfach nie.













 

Freitag, 11. Juli 2025

Die eiskalte Dusche


Nie mehr werde ich ins Nordbad gehen. Dort kann und möchte ich mich nun nicht mehr blicken lassen nach dem was heute passiert ist. Mein Herz ist gebrochen und blamiert hab ich mich obendrein bis auf die Knochen. Wie peinlich kann man denn sein, in meinem Alter noch auf einen Flirt zu hoffen oder gar auf mehr? 

Eigentlich mag ich öffentliche Schwimmbäder nicht, weil es mir dort zu laut ist. Bekannte raten mir immer wieder, doch stattdessen im See zu schwimmen, doch erstens sind die Münchner Seen nicht weniger überlaufen und zweitens fühle ich mich im Schwimmbad einfach sicherer. Vor Dieben und auch eventuellen Unfällen. In einem ordentlichen Bad hat es einen vernünftigen Boden, keinen pieksigen Kies oder gar Scherben. Man kann seine Sachen wegsperren und im Fall eines Sommergewitters wird man, so hoffe ich jedenfalls, rechtzeitig gewarnt. Natürlich muß man aufpassen, daß einen die ubiquitären Wepsen nicht stechen, aber bisher hab ich es noch immer geschafft, den Feind rechtzeitig zu erspähen.

Etwa dreimal die Woche ging ich daher gleich in der Früh ins Nordbad zum Schwimmen. Im Außenbecken, weil da das Wasser angenehm temperiert ist. Drinnen im großen Becken ist es richtig kalt, das macht keinen Spaß.

In den Morgenstunden sind noch keine schreienden Kinder und Jugendlichen im Bad, dann ist es dort meist richtig angenehm. Spät am Abend wäre es vielleicht auch nicht schlecht, in der Dämmerung, wenn die Scheinwerfer leuchten und das warme Wasser hübsch dampft. Aber am Abend bin ich müde, da gehe ich nirgendwohin.

Also schob ich mich frühmorgens, gleich nach dem Öffnen, zusammen mit den anderen Wartenden durch die enge Eingangstüre und machte mich auf die Suche nach einem Kleiderbügel. Aus irgendwelchen mir unverständlichen Gründen waren diese stets Mangelware.

Die meisten Besucher verschwanden glücklicherweise sofort in der Sauna oder im Fitneßkeller, doch einige wenige präferierten wie ich das Außenbecken und die eine oder andere besonders skurrile Gestalt erregte immer wieder aufs Neue meine Aufmerksamkeit.

Da hätten wir beispielsweise 'The German'. Den nannte ich so weil er erstens diesen Adler auf der rechten Schulter tätowiert hatte (sah man immer wenn er einen überholte) und zweitens weil er während meiner gesamten Schwimmzeit wie aufgezogen im äußeren Ring des Beckens immer rundherum marschierte und sich von nichts und niemandem aufhalten ließ.
Er trug eine blaue Badekappe so daß man ihn bereits von Weitem erkannte, und sogar die ewig nervende Partie Damen, die gerne mal die äußere Bahn verstopften weil sie sich vor lauter Gackern und Wiehern nur langsam vorwärtsbewegten, konnten ihm nicht standhalten. Die weichen ja grundsätzlich niemandem aus, aber wenn The German kam, dann traten selbst sie zur Seite und ich nutzte gerne die Lücke, um mich hinter ihm ebenfalls rasch durchzuquetschen.

Dann war da der 'Knoblauchmeister'. Ein kleines dürres Männchen mit einem wie ins Gesicht geschnitzten manischen Grinsen, der stets infernalisch nach Knoblauch stank. Auch er marschierte gerne den äußeren Ring ab, aber sobald die Schwallduschen am Beckenrand angingen, stellte er sich drunter und tanzte wie der Bi-Ba-Butzemann immer im Kreis herum und klatschte dazu in die Hände.

Gerne sah ich auch der 'Tänzerin' zu wie sie, trotz ihres weit fortgeschrittenen Alters, noch immer einen Fuß in die Hand nehmen und schräg nach oben ganz ausstrecken konnte. Früher hatte sie tatsächlich professionell Ballett getanzt und suchte stets jemanden, der sie noch nicht kannte, und dem sie von früher erzählen konnte. Als sie noch jemand war. Jemand, der von anderen berühmten Menschen umschwärmt, hofiert und bewundert wurde.

Besonders albern fand ich die 'Millionärin', die zwanghaft jedem um sich herum von ihren tollen Urlaubsreisen in die ganze Welt erzählen mußte, wobei sie die Hotelzimmer genau beschrieb und an allem etwas auszusetzen hatte.

Einer der Stammgäste sah aus wie Paul Eschbach, ein anderer wie Bruce Willis. Den mochte ich am liebsten. Richtig fesch war der, und diese tollen Muskeln! Ein wirklich ästhetisch gebauter Mann. Der einzige weit und breit. Eine Augenweide. Ein Mann zum Verlieben.

So schwamm ich Runde um Runde im angenehm warmen Wasser, sah mir die Leute an und genoß den periodisch wiederkehrenden 'Strudel' der alle 20 Minuten im äußeren Ring kursierte, wenn Düsen das Wasser dort kräftig in Bewegung versetzten. Innerlich jubelnd ließ ich mich von der Strömung mitreißen und juhuuuuuuuuuuu am Ende von der Welle hinaustragen und dann dasselbe gleich wieder von vorne. Das funktionierte natürlich nur, wenn einem niemand vor der Nase herumtrödelte. Die Strömung im 'Strudel' war schon ziemlich heftig und es war nicht einfach, sich dann einzubremsen um eine Kollision zu verhindern. 

Als heute morgen gegen halb neun auf einmal eine schwarz behoste Gestalt direkt vor mir auftauchte, geriet ich heftig ins Rudern und wäre fast mit dem Kopf gegen die Einfriedung geknallt, hätte mich nicht im letzten Moment jemand am Arm gepackt und aus der Gefahrenzone in Richtung Sprudelliegen gezogen. Heftig schnaufend sah ich zu meinem Retter auf um ihm zu danken. Oh nein, es war 'Bruce Willis', mein heimlicher Schwarm! Mit einem sexy Grinsen beugte er sich zu mir herüber, mir wurde schwindelig vor Glück. Hatte ich es doch endlich geschafft, seine Aufmerksamkeit zu erregen? Voller Vorfreude fuhr ich mir mit der Zunge über die Lippen, doch was er dann von sich gab war die brutalste kalte Dusche die ich je erfahren hatte:

''Hören Sie gute Frau, meinen Sie nicht, Sie wären im Nichtschwimmerbereich bei den anderen älteren Herrschaften besser aufgehoben? In den Strudel sollten sich nur wirklich gute Schwimmer begeben. Sie dagegen scheinen mir nicht mehr besonders sicher auf den Beinen zu sein.''






Sonntag, 6. Juli 2025

Der Deichgraf schmunzelt


Allzuviele Leute waren nicht gekommen zur Beisetzung. Tom hatte am Ende seines Lebens fast keine Freunde mehr gehabt, die meisten waren schwere Alkoholiker wie er selbst. Die waren so früh am Morgen noch nicht fit genug für längeres Stehen. Etwas abseits standen zwei Herren im Anzug, die seltsam deplaziert wirkten.

''Sagen Sie, Sie waren doch der behandelnde Arzt, oder?''
''Ja, tatsächlich. Glauben Sie mir, diesen Fall werde ich niemals vergessen. Ich habe den Herzinfarkt nicht erkannt obwohl ich eigentlich, ohne mich selbst loben zu wollen, doch eine Koryphäe auf meinem Gebiet bin. Doch der Patient hat sich immer auf die rechte Brustseite gegriffen und das Herz ist nun einmal links. Normalerweise. Wie wir ihn dann aufgeschnitten haben auf der Prosektur haben wir blöd geschaut. Bei dem Mann war alles falsch herum. Sozusagen spiegelverkehrt. Hab ich noch nie gesehen sowas. Und wer sind Sie?''
Die Antwort bestand aus einem verschmitzten Lächeln, das die verhangenen Augen hinter der getönten Sonnenbrille nicht mit einzubeziehen schien.
''Sagen wir einmal so: Ich bin ein Mann für besondere Fälle. Und wenn ich mich nicht irre, so ist dies ein ganz besonderer Fall ...''

Sieben Monate zuvor:

Tom war müde. Sehr müde. Das letzte Projekt war anstrengend gewesen, einer dieser Kunden die mit nichts zufrieden waren, und er hatte jeden Abend bis spät in die Nacht hinein gearbeitet. Ohne daß es ihm Freude gemacht hätte wie früher. Er fühlte sich ausgebrannt und leer. Langsam trottete er durch den Park in Richtung Zuhause. Wo ihn sowieso niemand erwartete. Seine Frau war bereits vor zwei Jahren abgehauen. Auf einen Mann, so hatte sie voller Trotz verkündet, der nie zuhause war, könne sie gut verzichten.

Es war zugegebenermaßen eine Erleichterung, ohne das ständige Babygeschrei schlafen zu können und nicht auch noch nachts aufstehen zu müssen um eine vollgeschissene Windel zu wechseln. Wie es heute von einem modernen Mann verlangt wurde, auch wenn der einen 16-Stunden-Tag hinter sich hatte. Andererseits vermißte er ihre Anwesenheit. Niemand hatte gekocht, niemand hatte saubergemacht und niemand keppelte ihn an wenn er spät nach Hause kam. Eigentlich könnte er genauso gut in der Firma schlafen. Er würde sich eine Menge Miete sparen.

Die Wege im Park waren schlecht beleuchtet. Für Frauen eher nicht zu empfehlen, aber er war ja keine Frau. Was sollte ihm also schon passieren? Die seltsamen Figuren, die in den Kies auf dem Boden geritzt waren, nahm er nicht wahr. Als ihm schwindelig wurde dachte er zuerst, es sei die Übermüdung und er müsse sich eine Bank suchen um sich kurz zu setzen, doch im nächsten Augenblick war er bereits ohnmächtig geworden und bekam nichts mehr mit von dem, was als nächstes passierte.

Und das war eine ganze Menge. Um ihn herum stand eine Rotte Außerirdischer und betrachtete ihn kritisch. Im Gegensatz zum gängigen Klischee sind Außerirdische nicht grün. Wäre Tom wach gewesen, hätte er also auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches bemerkt. Lediglich so etwas wie eine Menschenansammlung, was ja nach einem Sturz im Park einer Großstadt zu erwarten wäre.
Nur, daß er sich nicht mehr in der Großstadt befand. Auch nicht in einem Park, sondern in einem groß angelegten Versuchslabor auf dem Planeten SaXpeLi69B.
Sagt aber keiner dort. Man sagt ''der zweite 69-er Saxi'. Nur so am Rande bemerkt, falls ihr irgendwann hinkommen solltet. Gleich mal mit Insiderwissen punkten.

Der Außerirdische an sich ist ja stets sehr interessiert daran, wie die Menschen so ticken. Leider war aus Tom auch unter Hypnose nicht viel herauszubekommen, zu fortgeschritten war sein Burnout. Die Rotte war enttäuscht. ''So ein Schas!'', schimpfte der Laborchef. ''Die ganze Oawat umasunst. Wieda nua so a Trottl. Die Händi sollt ma eahnan wegnehman. Weans ollewäu no deppata, des G'frast. Komplett hin in da Marün. Schickts eam wieda z'haus, des bringt nix.''*

Die Rotte tat wie geheißen, doch sobald der Chef um die Ecke war kickte ein Witzbold seinen Nachbarn in mit dem Ellenbogen in die Rippen: ''Hör mal, machen wir ein bissl eine Gaudi mit ihm bevor wir ihn wieder zurückbringen? Von links auf rechts drehen? Hilfst mir?''

So kam es, daß Tom sich nach nur einer Stunde (Erdzeit) Abwesenheit wieder in seiner Wohnung befand, völlig groggy im Fauteuil hing und keine Erinnerung mehr daran hatte, wie er nach Hause gekommen war. Nur, daß es ihm im Park schwummrig geworden war, das wußte er noch.

'Zeit, die Bremse zu ziehen', dachte er bei sich. 'So kann das nicht weitergehen.'

Leider sah sein Chef das auch so, als er die Woche darauf um Arbeitszeitverkürzung ansuchte. Vier Wochen später, und um eine zugegebenermaßen großzügige Abfindung reicher, fand Tom sich wieder in seinem Fauteuil zuhause. Arbeitslos. Müde. Alleine.

'Die Zeit heilt alle Wunden', dachte er. Und: 'Lustig samma, Puntigamer'. Werbefachleute halt. Nie um einen blöden Spruch verlegen. Mit Verve stand er auf, deklamierte: ''Dies war eine stringente Schlußfolgerung!'', und machte sich auf den Weg ins Beisl an der Ecke. Leute mürbe quatschen. Seine Spezialität. Und nachdem er es war, der die Runden bezahlte, hörten sie ihm alle mehr oder weniger andächtig zu. Seine neuen Haberer. Seine Gefolgschaft. Seine Fans.

Leider blieb seine Leidenschaft für Beisl-Preaching nicht ohne Folgen für seine Leber. Beim Arzt konnte natürlich nichts festgestellt werden. 
''Tut es da weh?'', fragte der Internist seines Vertrauens, nachdem er ihn für seinen drastisch angestiegenen Alkoholkonsum ausgescholten hatte, und drückte dorthin, wo man gemeinhin die Leber vermutet.
''Kein bißchen,'' strahlte Tom erleichtert. Offenbar war es doch noch nicht so schlimm und er konnte erst einmal weitermachen wie gewohnt.

Wenn nur Eloise nicht gewesen wäre. Eloise war eine ganz gewöhnliche Frau. Eigentlich. Obendrein war sie ziemlich einsam und hatte sich daher von einer dubiosen Sekte anwerben lassen, die ausgerechnet Außerirdische anbetete. An deren baldige Wiederkehr auf die Erde glaubte und sich von ihnen allerlei Wunder versprach. Die Außerirdischen hat das natürlich gefreut und so kam es, daß die eine oder andere an sich geheime Info an Mitglieder der Sekte geleakt wurde. Auch Extraterrestials sind manchmal wie Menschen und plaudern im Bett Dinge aus, die sie besser für sich behalten hätten.

Somit wußte Eloise, was es mit den geheimnisvollen Mustern im Kies auf sich hatte. Sie wußte, was passiert, wenn man da hineintritt. Und sie hatte Tom im Beisl von seinem seltsamen Schwächeanfall erzählen hören. Da mußte man nicht mehr 2 und 2 zusammenzählen, da sprang einem die Vier praktisch von selbst ins Gesicht.

Leider war Eloise nicht nur einsam sondern auch ziemlich dämlich, sonst hätte sie ihr Wissen einfach für sich behalten. Aber natürlich mußte sie alles ausführlichst im internet bereittreten, woraufhin bald auch die Leute vom DSN aufmerksam wurden. Und interessiert aufhorchten. Aufgrund von Personalmangel aber leider diesen Fall an die Deutschen weiterreichen mußten, die waren personell besser aufgestellt.

So kam es, daß Tom bald auf Schritt und Tritt beschattet wurde, was ihm allerdings zunächst nicht auffiel. Was er indessen mitbekam war, daß seine Post geöffnet und gelesen wurde. Amtliche Briefe mit Schokoladenfingerabdrücken drauf? Das fällt sogar dem verkatertsten Menschen auf. Und verunsichert ihn massiv. Was war da los? Und wieso flimmerte sein Handy neuerdings, sobald er eine Nachricht erhielt? Und wer war der seltsame Kerl mit der Sonnenbrille, der sich in letzter Zeit auffallend oft unter seine Gefolgschaft im Beisl mischte, aber nie mit ihm oder anderen sprach und seine Getränke stets selbst bezahlte? 

Seine Nerven, von Haus aus schon nicht mehr die besten, wurden immer zappeliger und sein körperlicher Zustand verschlechterte sich zusehends. 

Hier könnte die Geschichte nun eigentlich zuende sein. Herzinfarkt, Tod, Beerdigung, fertig.
Wenn, ja wenn die Außerirdischen nicht Wind von der Sache bekommen hätten.

Ihre an sich wirklich gut gehüteten Geheimnisse in den Händen dieser Anzugträger? Die damit nichts als Unsinn anstellen würden? Das wollte verhindert sein.

Unser Mann mit der Sonnenbrille stieg daher nach Toms Beerdigung nicht einfach wie geplant in seinen Wagen und fuhr von dannen, sondern wurde noch auf dem Friedhofsgelände von einer für die Jahreszeit etwas zu bleichen Gestalt angesprochen: ''Heans, Tschuidign, hätten'S ma an Tschik?''

Unser Mann in Wien hatte seinerseits eine Bekannte, die ständig ins Wienerische verfiel, und wußte daher, was ein Tschick ist. Als Nichtraucher hatte er aber keinen und wollte sich gerade bedauernd abwenden, da stellte ihm die Gestalt hinterrücks ein Bein. Er stolperte, ruderte mit den Armen, fiel zu Boden.

''So und jetzt heast ma amal zua du Piefke. Wos is do los? Den oaman Tschecheranten ins Grab treiben mit deppat hinterherspioniern und fia wos? Wüst aa entführt wean? Wos wüst wissn? Sog ma's glei und mir kennan dia Soch auskartln.''**

Der Mann lag still da und sah der Gestalt ins Gesicht. ''Guter Mann, leider verstehe ich kein Wort von dem, was sie da sagen. Hätten Sie die Güte, es noch einmal auf Deutsch zu wiederholen?''

Der Laborchef, denn um keinen anderen handelte es sich bei der Gestalt, seufzte tief. Natürlich. Hätte er sich ja denken können. Sie hatten extra ihn geschickt, weil er die Landessprache beherrschte und nicht auffallen würde. Aber natürlich konnte der Piefke ihn nicht verstehen. Perfekt. Leider hat der Außerirdische, auch wenn dies hier und da behauptet wird, keineswegs ständig einen Babelfish zur Hand der ihm auf der Stelle sämtliche Sprachen dolmetscht und vice versa.

''Boss auf,'' sprach er langsam und deutlich. ''Du hea-h-st auf mit die Nach-h-forsch-h-ung-h-en und mia los-h-ma di in Ruah-he. Vasteh-hst mi?''

Da war er allerdings akkurat an den Falschen gekommen. Unser Mann stand langsam auf, klopfte sich die Friedhofserde vom Anzug und meinte gelassen: ''Was für Nachforschungen? Wer sind Sie überhaupt und was möchten Sie von mir?''
Der Laborchef war baff. So sprach man normalerweise nicht mit ihm. Man erzitterte in Ehrfurcht und tat was er wollte. 

Die beiden Männer lieferten sich ein Blickduell bis die Luft zwischen ihnen zu britzeln und zu vibrieren begann. Lichtblitze zuckten auf und hier war der Mann mit der Sonnenbrille logischerweise klar im Vorteil. Der Laborchef blickte zu Boden und seufzte: ''Okäh, host g'wunnan.''

''Kommen Sie doch mit ins Beisl,'' lud der Mann im Anzug ihn ein. ''Wir trinken zusammen einen auf den Verstorbenen und vielleicht finden wir dort einen Dolmetsch, der Ihnen klarmacht, was ich Ihnen sagen möchte.''

Verwirrt blickte der Laborchef in die verhangenen Augen seines Gegenübers. War das nicht gerade noch anders herum gewesen? Geschlagen tappte er hinter dem fröhlich pfeifenden Anzugmenschen her, welcher ihn schnurstracks ins Beisl am Eck führte, wo er stilgerecht zwei Krügerl bestellte mit denen man sich in eine stille Ecke verzog.

Was die beiden dort ausgehandelt haben, mit oder ohne Dolmetsch, werden wir nie erfahren.

Interessant dabei ist lediglich, daß seit dieser Zeit, immer kurz vor Vollmond, seltsame Zeichen auf einer der Wiesen in der Nähe eines kleinen Dorfes bei Höxter auftauchen. Und jedes Mal verschwindet ein Schaf. Seither war die Aa nie mehr über ihre Ufer getreten. Der Deichgraf schmunzelte nur wenn die Dorfbewohner sich darüber wunderten und rückte seine Sonnenbrille zurecht.
Das Leben war schön. Auch und sogar in Ostwestfalen-Lippe.

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Übersetzungen der beiden längeren Texte des Laborchefs ins Deutsche:

*Die ganze Arbeit umsonst. Wieder nur so ein Trottel. Die Handys sollte man ihnen wegnehmen. Davon werden sie immer noch verblödeter, die Nichtsnutze . Komplett kaputt in der Birne. Schickt ihn wieder nach Hause, das bringt nichts.

**So und jetzt hörst mir mal zu du Piefke. Was ist da los? Den armen Säufer ins Grab treiben mit blöd hinterherspionieren und wofür? Willst du auch entführt werden? Was willst du wissen? Sag es mir gleich und wir können uns bestimmt einig werden.

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