Sonntag, 18. Februar 2024

Die unbekannte Macht


Lässig saßen wir im Aufenthaltsraum, Werner und ich, mit den heute beschlagnahmten Bierflaschen auf dem Tisch vor uns. Eigentlich war Alkohol hier streng verboten, aber es war bereits spät, außer uns war niemand mehr da, die Frühschicht würde erst in einer Stunde übernehmen und die Kameras waren draußen am Bahnsteig. Schließlich waren WIR der Sicherheitsdienst und würden uns kaum selber anzeigen.

''Heast wos is des, Zwuckel???'' Skeptisch betrachtete Werner das Etikett der Bierflasche vor sich, die einer von uns im Laufe des Abends vermutlich am Karlsplatz mitgenommen hatte. Die jungen Leute lernten es einfach nicht. Tschechern im Untergeschoß = Bier weg. So einfach war das. Aber Zwuckel statt Zipfer? Offenbar hatten wir harmlosen Touristen ihren Marschproviant abgenommen. 

''Wos maanst, des woa sicha da neiche Kollege. Wo is a denn eigentlich? Eh scho ham? Oiso I find den ... iagendwie strange ...''
''Tu nicht nörgeln Werner, er ist verläßlich und wir können froh sein, daß wir Verstärkung bekommen haben. Was die Leut krank sind in letzter Zeit, des is nimmer normal. Patrick ist nie krank.''
''Jo eh, oba wie der redt. So redt doch ka normala Mensch!''

Eigentlich hatte Werner recht, überlegte ich mir, als ich in der U-Bahn nach Hause saß. Der Neue hatte eine extrem monotone Sprechweise, lachte nie, verstand Witze grundsätzlich nicht und wenn es irgendwo eine Schlägerei gab war er sofort mittendrin, ohne Angst vor Verletzungen. Und mit seinen endlosen Vorträgen konnte er einen echt mürbe machen. Offenbar hatten seine Eltern einen Hof im Mühlviertel, den zwar nicht er sondern ein Bruder übernommen hatte, aber wenn man ihn so hörte, könnte man annehmen, er sei für jede einzelne Frucht mitverantwortlich. So detailliert wie er die Erntevorgänge und Produktionsschritte am väterlichen Hof beschrieb war man dann direkt froh, wenn es irgendwo einen Wickel gab und man sich einmischen konnte. Nein, normal war Patrick wirklich nicht.

Während der nächsten Tage hatte ich ausreichend Gelegenheit, den neuen Kollegen aus der Nähe zu beobachten, denn man hatte ihn mal wieder mir zugeteilt. So marschierten wir zackig durch unser Revier, alles andere als fesch aber immerhin markant gekleidet in unseren neuen 'Kasperluniformen' wie wir sie verächtlich nannten. Blaues Gwand und rote Sicherheitswesten. Und wieder hatte ich große Mühe, ihn vom Thema Hof und Ernte abzubringen. Hatte der Mann nichts anderes im Schädel? Und wenn ihn der Hof so interessierte, warum war er dann nicht dortgeblieben statt hier in Wien den Kollegen mit seinen Vorträgen darüber am Nerv zu gehen?

Weiters fiel mir auf, daß er offenbar Schwierigkeiten damit hatte, Dialoge zu führen. Nicht nur, daß er einem dabei nicht in die Augen sehen konnte, er gab auch immer wieder völlig unsinnige und vom Thema abweichende Antworten. In mir keimte ein Verdacht. Las man in den Medien nicht ständig von diesen künstlichen Intelligenzen, die mittlerweile in diversen Bereichen eingesetzt wurden? In Japan hatten die Menschen mittlerweile sogar so einen Roboter als Lebensgefährten, und die sahen total ECHT aus.

Meine Anfrage beim Vienna Open Lab erbrachte, daß für einen zeitnah stattfindenden Kurs 'Gene Detectives' noch ein Platzerl frei war. Eigentlich sollte dort nur DNA von Obst und Gemüse bestimmt werden, aber hey, wenn man die Möglichkeiten und Instrumentarien dazu hatte ...

Ein Haar von Patrick war einfach beschafft, der Mann war so arglos, daß er es mir sogar mit einem Schleiferl drumrum überreicht hätte, hätte ich ihn darum gefragt. Was ich natürlich nicht getan habe. Ich hab es ihm heimlich von der Jacke gezupft, bissl was geht immer.

Die Untersuchung des Haares erwies sich als schwieriger als gedacht. Eigentlich hatte ich gehofft, alleine zurechtzukommen, aber so ganz ohne Vorkenntnisse ... unmöglich. Die Kursleiterin schaute zwar etwas seltsam, als sie mich mit dem Teil hantieren sah, bestätigte aber nach einem ausführlichen Exkurs in die Tiefen der Gentechnik, daß es sich hierbei eindeutig um ein menschliches Haar handelte. Mein Respekt vor der Frau war während ihrer Ausführungen rasant gestiegen. Die hatte echt was drauf! Fast hätte ich sie gefragt, ob ich sie zum Essen einladen dürfe, das erschien mir dann aber doch zu platt. Besser noch ein paar Kurse bei ihr belegen ... Weiterbildung schadet nie.

Meine Restzweifel besprach ich mit Werner. 
''Was meinst, sind die so gut mit ihren KI, daß sie vielleicht tatsächlich menschliche Gene verwenden, so daß man nix merken kann, auch wenn der Roboter dann mal zum Arzt muß oder so?''
''Geh heast Bertl, so a Bledsinn! A Robota geht ned zum Oazt, der geht in d'Werkstatt. Do foat die Eisenbahn drüber!''

Offenbar hatte Werner seine Klappe nicht halten können ... denn einige Tage später wurde ich zur Leitung der Sicherheitswache bestellt. Zuerst hatte ich keine Ahnung um was es ging, hatte mir sogar schon Hoffnungen auf eine Beförderung gemacht ... doch als ich nach dem sonoren 'Herein' des Chefs dessen Büro betrat prallte ich entsetzt zurück. Vor dem Schreibtisch saß, seinen Blick anklagend auf mich gerichtet, niemand anderer als Patrick.

''Kommen Sie nur herein Ewerdinger, setzen Sie sich, und dann erklären Sie mir einmal wie es zu diesen abstrusen Gerüchten kommen konnte, von denen mir Ihr Kollege soeben berichtet hat.''

Ich war sprachlos. Was zugegebenermaßen selten vorkommt. Was genau hatte man sich erzählt? Was sollte ich zugeben?

Unser Vorgesetzter lächelte schmal. ''Nun Ewerdinger, offenbar sind Sie sich nicht ganz im Klaren darüber, was Sie angerichtet haben. Herr Thompson hat mir gestattet, Sie darüber in Kenntnis zu setzen, daß er von einer Autismus-Spektrum-Störung betroffen ist. Haben Sie schon einmal von Asperger Autismus gehört? So nannte man das früher. Es ist keine Krankheit, die Menschen sind einfach ein wenig anders. Das berechtigt uns aber nicht, uns über sie lustig zu machen und sie gar für Roboter zu halten, nur weil sie einen etwas anderen Humor haben und gerne von ihren Lieblingsthemen erzählen. 
Nun schauen Sie nicht so bedröppelt, Sie konnten das ja nicht wissen. Aber ich würde es sehr gerne sehen, wenn Sie sich mit Herrn Thompson ein wenig anfreunden könnten um dieses abscheuliche Gerücht wieder aus der Welt zu schaffen. Was meinen Sie Thompson, wären Sie damit einverstanden?''

Sofort reichte mir Thompson seine Hand und ich schlug ein. ''Sehr erfreut Bertl, darf ich dir vom neuesten Stand auf dem Hof meiner Eltern erzählen? Seit gestern sind nämlich die Pflaumen reif und da hat ...''
Innerlich stöhnend blendete ich den Redeschwall aus, mit dem mich Patrick nun ungehindert zutextete, während wir das Büro des Chefs verließen und uns zusammen auf den Weg zum Aufenthaltsraum machten.

Was keiner von uns beiden mehr mitbekam war, wie der Chef auf einem altmodischen Festnetztelefon zufrieden eine Nummer wählte und in vorwurfsvollem Ton berichtete: ''Vorfall geklärt, Gefahr beseitigt. Anweisung: Produktion stoppen bis wir die Software gründlich überarbeitet haben. Serie noch nicht völlig problemlos einsetzbar. Vorhandene Exemplare integrieren soweit möglich, aber Vorsicht walten lassen, äußerste Vorsicht. Experiment darf nicht vorzeitig enttarnt werden, eh schon wissen. Erinnerungen an Farm aus Gedächtnis tilgen, Besuch von Kollegen dort wäre fatal. Over and Out.''







Skulptur 'Wir, Erzkinder lernen Macht' von Jonathan Meese, fotografiert 2009 im Skulpturenpark Köln

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