Anfangs hatte sich keiner etwas gedacht. In Altenheimen sterben nun einmal immer wieder Menschen. Das machte immer eine Menge zusätzlicher Arbeit, erregte jedoch nicht mehr Aufsehen als ein Sommergewitter.
Gerade hier in St. Joseph lagen einige Pflegefälle, von denen manch einer den Tag herbeisehnte, an dem er dieser Erde Sayonara sagen und endlich heimkehren könnte.
Am schlimmsten litten diejenigen, die geistig noch völlig wach waren, deren Körper ihnen jedoch nicht mehr gestattete, sich selbständig auch nur die Nase zu putzen geschweige denn auf die Toilette zu gehen oder gar auf einen kleinen Spaziergang durch den anstaltseigenen Park.
Wenn sie Glück hatten, kam einmal die Woche eine ehrenamtliche Betreuung vorbei und las ihnen für ein Stündchen oder zwei etwas aus einem Buch vor oder erzählte ihnen von der Welt draußen. Ob sie das jetzt gerade interessierte oder nicht.
Wenn bei der Visite alle Türen offenstanden damit sich der Herr Chefarzt nicht vor jedem Zimmer die Hände desinfizieren mußte wegen der Klinken, der gefährlichen Klinikkillerklinken - obwohl er eh jeglichen Patientenkontakt mied und sich lediglich von Patienten und Untergebenen anbeten ließ - verschwammen die Satzfetzen aus den einzelnen Zimmern zu einer Art surrealistischer Soundfile wenn man den Gang entlangmarschierte:
'... Tumore dorsal und radial ...System schon noch in Ordnung, Kreislauf und so, nur halt die Schwäche ... mit 95 noch jeden Morgen einen Ständer ... Pilz vom Cortison hat der Arzt gesagt, das nennt man Soor ... anamnestische Erstbeschreibung ... Erstgespräch heißt das du Depp ...Aua! Schwester, er hat mich gehauen ...'
Immer wieder suchte sie den Park auf für eine kurze Verschnaufpause, die Gesellschaft der immer kindischer werdenden alten Leute war schwer zu ertragen.
Waren alte Menschen in Deutschland keines selbstbestimmten Daseins mehr würdig? Von Zufriedenheit im Herbst ihres Lebens waren die meisten hier jedenfalls weit entfernt. Lagen oft stundenlang in ihrer Scheiße denn das System WAR einfach Scheiße und es steckten alle tief drin. Das konnte sie leider nicht ändern. Zumindest nicht von heute auf morgen. Jede Pflegekraft gab ihr Bestes und es war nie genug. Da konnte man schon einmal auf seltsame Gedanken kommen.
Soziale Ungerechtigkeiten seien aber keine Rechtfertigung für Selbstjustiz hatte der Richter gemeint. Und eine Haftunfähigkeit aufgrund hohen Alters sei in ihrem Fall nicht gegeben, schließlich sei sie erst 78 Jahre alt und wer es fertigbrachte, ein halbes Stockwerk auszurotten indem man immer wieder die Türklinken mit Colibakterien verunreinigte nachdem die Putzfrau durch war, Details würde er den Anwesenden jetzt ersparen, der würde sich auch mit den Umständen in einem Gefängnis abfinden können.
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