Donnerstag, 26. Dezember 2024

Dating im Dezember oder: Der verschmähte Briefmarkensammler

''Du schau mal, der da! Was der da schreibt bei Hobbys! PWZ? Was zum Geier bedeutet PWZ? Dachte ich kenn mittlerweile alle Nuancen der Perversität aber DAS hab ich noch nie gehört!''

''Postwertzeichen heißt das, Scherzkeks. Das ist nicht pervers, der Mann sammelt einfach nur Briefmarken. Obwohl ... ich find's eh auch pervers. Briefmarken sammeln. Wie old school ist das denn? Komm, den schreibst an, und dann fragst ihn ob er dir seine Sammlung zeigt, bruhahaaa, ich schmeiß mich weg!''

''Wieso ich? DU suchst doch einen Freund. Darfst ihn ruhig selber anschreiben. Mir kommt kein Mann mehr ins Haus. Mit oder ohne Briefmarken.''

Böse starrte ich auf die Abendzeitung, die aufgeschlagen auf dem kleinen Tischchen vor dem Sofa lag. So eine bescheuerte Idee aber auch. Heiratsanzeigen lesen. Total beknackt. Andererseits hatte Petra seit Monaten kein anderes Thema mehr als ihren ungewollten Singlestatus und ihre Sehnsucht nach einem Ritter auf weißem Pferd. Da griff frau letztendlich offenbar zu jedem Mittel.

Meinen Vorschlag, es doch mal auf einem Reiterhof zu probieren, hatte sie mit dreiwöchigem beleidigtem Schweigen beantwortet. Wahrscheinlich hatte sie recht. Außer vorpubertären Mädels würde sich dort kaum jemand aufhalten wollen. Pferdemist stinkt genauso wie der von anderen Leuten auch und wer wollte den freiwillig wegschaufeln? Petra sicher nicht. Die suchte einen Mann, der sie von vorne bis hinten bediente, der einen guten Job hatte wo er viel Geld für sie beide verdiente, während sie den ganzen Tag in der Gegend umeinanderturnen konnte wie sie lustig war und alles wieder ausgeben. Manchmal fragte ich mich schon, wieso wir befreundet waren. Zwei so verschiedene Frauen. Wahrscheinlich weil wir beide sonst niemanden hatten. Sie trieb jeden in die Flucht mit ihrer aufgesetzt umtriebigen Art und ich war eher der introvertierte Typ, den man auf den ersten Blick für todlangweilig hielt und einen zweiten gab es schon nicht mehr. Mir war das gerade recht. Aber Petra wollte partout einen Mann und würde nicht eher Ruhe geben, bis sie sich einen geangelt hatte.

Egal, ich musste mich auf meine Karriere konzentrieren, denn diese war mir tausendmal wichtiger als es irgendein Typ jemals sein könnte. Am nächsten Tag stand eine Dienstreise nach Hamburg an, zu einer wegweisenden Besprechung. Diese wollte gut vorbereitet sein.

Kaum hatte ich mein Hamburger Hotelzimmer betreten, schrillte mein Handy. Petra. Fast wollte ich sie schon wegdrücken, dann ging ich doch ran.

''Inge! Ich hab es getan! Ich hab den Briefmarkenheini angeschrieben! Drück mir die Daumen!''

Du meine Güte. Ich setzte mich auf den Bettrand. Wie verzweifelt musste die Arme sein? Aber warum teilte sie mir das mit? Wo er doch noch nicht einmal geantwortet hatte?

''Ja, und hör zu, Inge! Wenn der mich treffen will, du musst unbedingt mitgehen, also du musst vorher hingehen und schauen wie der ausschaut. Wenn er doof ausschaut dann gehen wir beide wieder, ja?''

Jetzt tickt sie dann ganz aus, dachte ich, und lächelte falsch ins Telefon: ''Ja klar Petra, kein Ding, mach ich doch gerne. Aber jetzt entschuldige mich, ich möchte mich jetzt auf mein Meeting vorbereiten. Bis die Tage, tschau!''

Und da stand ich nun. Vor der Kneipe, die Petra als Treffpunkt auserkoren hatte. Gutmütiger Volltrottel der ich war. Kaum war ich aus Hamburg zurückgekehrt, stand meine Freundin schon vor der Türe und wedelte aufgeregt mit einem Brief. Mit einem echten Brief. Von ihrem Briefmarkenheini. Sehr lustig und locker geschrieben, nur Foto hatte er keins beigelegt gehabt. Daher wurde ich auf mein Versprechen festgenagelt, den Kerl vorab zu besichtigen. Wie blöd! Wie echt und ehrlich saublöd! Ihr sollte er doch gefallen, nicht mir. Konnte sie nicht einfach einen Kaffee bestellen, ein paar Minuten mit dem guten Mann plaudern und dann wieder gehen, wenn er ihr unangenehm war? Was sollte der Unsinn? Aber da konnte sie stur sein. Versprochen war versprochen. 

Seufzend schob ich die schwere Kneipentüre auf und lugte ins Innere. Erkennungszeichen war keins ausgemacht gewesen, aber - warte mal, DAS mußte er sein: Frisur wie von Mama geschnitten, Pullunder mit Rautenmuster und voll die spießige Brille. Du meine Güte. Auf den Hacken drehte ich mich um und ... prallte auf eine breite Brust. Die, wie ich verwirrt feststellte, zu einem groß gewachsenen Mann gehörte, der gerade das Lokal hatte betreten wollen.

''Ja hoppala, wohin denn so eilig? Haben wir die Rechnung nicht bezahlt oder werden wir von einer Horde Anbeter verfolgt?''

'Du Hanswurst', dachte ich. ''Keins von beiden. Meine Freundin hat ein Date hier, nicht ich. Aber jetzt nicht mehr, deswegen ... würden Sie mich bitte vorbeilassen?''

''Ihre Freundin hat ein Date? Und Sie rennen aus der Türe wie von der Tarantel gestochen? Versteh einer die Frauen.'' Gespielt verzweifelt schaute er kopfschüttelnd auf mich herunter und machte nach wie vor keine Anstalten, mir aus dem Weg zu gehen. ''Mit wem wollte die Freundin sich denn treffen? Mit Mr. Frankenstein persönlich? Oder warum die Eile?''

''Nein, irgend so ein Briefmarkenheini, keine Ahnung, aber nun gehen Sie mir endlich aus dem Weg! Sie wartet auf mich!''

Grinsend trat er nun endlich aus dem Durchgang und ich konnte zu Petra eilen und ihr von dem Pullundertypen berichten. Die Begegnung vor der Kneipentüre verschwieg ich wohlweislich. Eine besonders tolle Performance hatte ich da nicht abgeliefert. Wie erwartet zog Petra ein Gesicht und wir gingen ein Eis essen. Eis und Schokolade waren allemal besser als ein Mann, beschlossen wir, ausnahmsweise einmal einträchtig.

Das Meeting in Hamburg war übrigens hervorragend gelaufen, meine Präsentation war von den Verantwortlichen begeistert angenommen worden und demnächst sollte ich mich mit dem zuständigen Projektleiter in Kiel treffen um die Details zu besprechen. Was war ich aufgeregt! Manchmal bekam ich Angst vor meiner eigenen Courage. War ich tatsächlich für diese Position geeignet? Irgendwie kam ich mir vor wie eine Hochstaplerin, die sich mit ihrem Bleistiftrock und der Bluse als Abteilungsleiterin verkleidet hatte, in Wirklichkeit aber nur die pummelige Bürohilfe war, und sicherlich bald auffliegen und mit Schimpf und Schande nach Hause gejagt werden würde. 

Diese Ängste waren, wie jede Frau verstehen wird, nur mit Schokolade zu bekämpfen, was dazu führte, dass mein Rock und die Bluse beim Termin in Kiel noch knapper saßen als sowieso schon. Nach dem Betreten des Firmengebäudes suchte ich als erstes die Toilette auf, um meine Erscheinung zu überprüfen. Alles in Ordnung. Die Haare da wo ich sie haben wollte, der Lippenstift auf den Lippen und nicht auf den Zähnen. Gut. Auf in den Kampf.

Der Sekretärin folgend stöckelte ich zum Büro des Projektleiters und blieb beim Anblick des Mannes hinter dem Schreibtisch stocksteif in der Türe stehen. Kein anderer als der Typ, in den ich neulich hineingerannt war, saß groß und breit hinter dem Tisch und grinste unverschämt, als er meiner ansichtig wurde.

''Danke Frau Lechner,'' wehrte er die gut gemeinten Angebote der Sekretärin ab, ''das ist vorerst alles, wir melden uns wenn wir etwas benötigen.''

Die Türe schloss sich von außen, ich trat notgedrungen einen Schritt näher zum Schreibtisch. ''Immer noch Angst vor Innenräumen?'', grinste der Kerl weiter. Er schien sich wirklich großartig zu amüsieren. ''Wollen Sie jetzt aus meinem Büro auch wieder hinausstürmen oder vielleicht doch lieber Platz nehmen, damit wir die Ausgestaltung unserer neuen Wohnanlage besprechen können?'' Mit einer Handbewegung wies er auf eine gemütlich aussehende Sitzecke, schwarze Ledersessel, ein Tischchen auf dem einige Flaschen Wasser und ein Tellerchen mit Keksen standen. Der Firma ging es offenbar nicht schlecht. Ich holte tief Luft, erinnerte mich daran, dass ich nicht mehr die Bürohilfe war sondern Abteilungleiterin und ging mit ausgestreckter Hand auf den Mann zu: ''Gestatten, mein Name ist Albers. Inge Albers. Unsere letzte Begegnung war ja leider etwas zu kurz, um sich einander bekannt zu machen. Wie Sie wissen, bin ich hier um die Interessen unserer Firma zu vertreten. Wir möchten keine Betonwüste sondern eine lebendige, für die Mieter angenehm zu bewohnende Siedlung schaffen und ich denke, wir beide werden das zusammen wunderbar hinbekommen.''

Sichtlich beeindruckt von meinem professionellen Auftreten bekam er sogar so etwas wie eine Verbeugung zustande. ''Petrovski. Heiner Petrovski. Verzeihen Sie mein Amusement, aber es kommt nicht so oft vor, dass sich einem eine attraktive Dame buchstäblich an die Brust wirft. Ich bin daher höchst erfreut über unsere erneute Begegnung hier in Kiel. Aber nun sagen Sie doch, weswegen sind sie neulich so hastig aus diesem Lokal gestürmt?''

Neugierig war der ja gar nicht. Peinlich berührt setzte ich mich ihm gegenüber und griff nach einer der Wasserflaschen und einem Öffner.

''Sehen Sie, die Sache ist ganz einfach. Meine Freundin hatte sich mit einem bis dato Unbekannten verabredet, bestand aber aus unerfindlichen Gründen darauf, dass ich den Mann vorab in Augenschein nehmen möge. Was ich tat und ihr anschließend meine Beobachtung mitteilte. Können wir nun bitte unsere Aufmerksamkeit der geplanten Wohnsiedlung zuwenden? Schließlich haben wir nicht den ganzen Tag Zeit!''

Tatsächlich waren wir beide bald so in unsere Pläne vertieft, dass wir nicht bemerkten, wie es draußen langsam Abend wurde.

''Ei verdammt!'', rief Heiner (wir waren mittlerweile beim Du angelangt) beim Blick auf die sich langsam verdunkelnde Aussicht aus seinem Bürofenster. ''Ich wollte doch noch die Location besichtigen mit dir. Aber jetzt am Abend werden wir nicht mehr viel sehen fürchte ich.''

''Wenn wir uns beeilen, dann kann ich mir durchaus noch heute einen Überblick verschaffen bevor ich morgen früh wieder nach Hause muss. Die Örtlichkeiten in natura auf sich wirken zu lassen ist immer viel besser als lediglich Fotos anzuschauen. Lass uns fahren.''

Bald darauf standen wir nebeneinander am Stadtrand und blickten über die Felder hinweg in die Abenddämmerung. Am Waldrand ästen Rehe und über den Bäumen ging gerade der Vollmond auf.

''Wie schön!'', rief ich aus. ''Eigentlich eine Schande, dass hier bald Baumaschinen auffahren werden und diese Idylle zerstören wollen.''

''Du kleine Romantikerin,'' lächelte Heiner zärtlich und drückte mich an sich. ''Was machst du eigentlich in deiner Freizeit, wenn du gerade nicht an irgendwelchen Bauplänen arbeitest oder deine heiratswütige Freundin mit Eisbechern besänftigst?''

''Lesen. Meistens Lesen und Postkarten schreiben. Ich liebe Postkarten. Und du? Was machst du so, wenn du dich nicht gerade mit aus dem Ruder geratenen Projekten herumärgern musst?''

''Ich sammle Briefmarken,'' grinste Heiner vielsagend. ''Die könntest du dann auf die Postkarten an deine Freundin kleben. Ich bin mir sicher, du und ich, wir werden uns großartig ergänzen.''












Donnerstag, 5. Dezember 2024

Gedankenübertragung - eine Adventsgeschichte

''Mir ist kalt, mach hinne!'' Unfroh sah Barker sich auf dem düsteren Friedhof um. So spärlich beleuchtet wie es hier war, glaubte er hinter jedem Baum, hinter jedem Busch, hinter jedem Grabstein Ungeheuer lauern zu sehen die nur darauf warteten, sich auf ihn zu stürzen. Hier und da brannte ein Lichtlein unter einem liebevoll geschmückten Weihnachtsbaum, doch derartige Zuwendungen waren rar gesät. Die Menschen vergaßen die Toten lieber, als sich ihrer zu erinnern.

Trotz der hellen Vollmondnacht waren die Lichtverhältnisse somit mehr als anstrengend und er bewunderte seinen Chef, wie der unter diesen Umständen einfach so eine Leiche sezieren konnte ohne vorn und hinten zu verwechseln.

''Mein lieber Barker, das darfst du mir schon zutrauen, dass ich das colon sigmoideum von den Hirnwindungen unterscheiden kann. Und ja, ich kann deine Gedanken lesen. Du weißt das. Jetzt glotz nicht so verschreckt in der Gegend herum, hilf mir lieber. Da, halt das Gefäß und hör auf mit den blöden Geräuschen. Unsere Mannen sind sicher an den Friedhofstoren postiert, da kommt niemand rein und niemand raus. Also beruhige dich und zittere nicht so.''

Im Labor war auch Barker die Idee noch verdammt genial erschienen. Schließlich war es seine Cousine gewesen, die vorige Woche heulend bei ihm auf der Couch zusammengesunken war und ihn angefleht hatte, ihr zu helfen. Tränenüberströmte Frauen waren ihm ein Gräuel. Wußte nie, was er mit ihnen anfangen sollte. Versuchte man sie zu trösten, wurde es nur noch schlimmer. Einfach rausschmeißen ging auch nicht. Also hatte er sich breitschlagen lassen, ihren Fall mit seinem Chef zu besprechen zu wollen. Sie hatte beglückt ihre Tränen getrocknet und war unsicheren Schrittes davongezogen.

Dieser Friedhofsbesuch war das Resultat dieser Besprechung. Konnte schließlich niemand was dafür, dass die Zulassung für Stammzellentherapie bei Morbus Parkinson sich derartig in die Länge zog. Er persönlich verstand auch das Hickhack wegen der embryonalen Stammzellen nicht. Wenn diese Ethikleute wüssten, wieviele kostbare Embryonen in manchen Kliniken fast schon im Minutentakt in den Abfalleimern landeten ... da lief einem doch das Wasser im Munde zusammen! Aber nein, es musste gelabert und diskutiert werden, während um sie herum die Patienten reihenweise an neurodegenerativen Krankheiten eingingen. Wenn jemand einen künstlichen Menschen schaffen wollte dann würde er das tun, mit oder ohne Embryo. Barker sah diese Befürchtung keinesfalls als Grund, den Forschern ständig hemmend in die Arme zu fallen.

Die Idee mit dem Friedhof war nahe liegend und was Leonardo da Vinci mit seinen nächtlichen Ausgrabungen für die Kunst gewesen war, das war sein Chef für die Medizin: Ein Vorreiter, ein unerschrockener Pionier. Jawohl!

Anstatt sich wie ein Rekrut im Gebüsch verkriechen zu wollen sollte er stolz sein, in dessen Team nicht nur mitzuarbeiten sondern von ihm persönlich zu diesem Sonderauftrag abkommandiert worden zu sein. Wobei es Leonardo damals sicherlich etwas einfacher gehabt hatte. Der hatte sich bestimmt nicht durch eisenbeschlagene Eichensärge hindurchbohren müssen. 

Doch horch, was war das? Das unverkennbare Geräusch von schleppenden Schritten näherte sich, näherte sich und näherte sich. Auch der Professor merkte auf: ''Wer kommt denn da?'', rief er streng. ''Sind Sie das Berlinowski? Erstatten Sie gefälligst ordnungsgemäß Meldung, Mann! Wir sind hier nicht im Casino!''

Das schleifende Geräusch wurde lauter, schien von dem riesigen Baum links zu kommen und mit einem Mal stand vor den beiden entsetzten Forschern: ein Zombie. Ein echter, lebensgroßer Zombie mit Zylinder, wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Barker schaffte es gerade noch, das Reagenzglas mit den mühsam gewonnenen Stammzellen auf der Grabumrandung abzulegen bevor er in eine gnädige Ohnmacht fiel.

Der Professor war nicht so rasch aus der Ruhe zu bringen: ''Und wer sind Sie nun?'', wollte er unwirsch wissen. ''Wollen Sie uns anbetteln für die nächste Flasche Gin oder laufen sie nachts immer eine Runde auf dem Friedhof spazieren?'' 

''Grüß Goood, I bin da Doood'', hallte es schauerlich aus dem Mund des halb zerfallen aussehenden Mannes. ''Nein ernsthaft'', fuhr er mit normaler Stimme fort, ''ich bin das Ergebnis eines Experiments, das einer Ihrer Kollegen vor ca. 200 Jahren auf eben diesem Friedhof durchgeführt hat und ich möchte verhindern, dass Sie jetzt fröhlich damit weitermachen. Zu Arbeitssklaven wollte man uns abrichten. Wie da unten in Haiti. Hirnlose Arbeiter und Soldaten, die Befehlen gehorchen ohne nachzufragen. Die meisten von uns sind jämmerlich verreckt, ich bin der Einzige der noch lebt. Wenn man das hier leben kennen kann.'' Traurig blickte er an sich herunter. 

''In diesem Zustand kann ich schlecht zum Herrenausstatter und mir neue Kleidung anmessen lassen. Könnte ihn natürlich auch nie bezahlen. Was bleibt mir also übrig, als Nacht für Nacht am Friedhof umherzuspazieren? Aber sagen Sie, was treiben Sie hier für geheime Studien?''

'Keine Sorge. Mein junger Kollege mit den schlechten Nerven und ich, wir machen keine Zombies, im Gegenteil. Wir entnehmen frischen Leichen Stammzellen, das wird Ihnen jetzt nichts sagen, zu Ihrer Zeit war die Forschung noch nicht so weit. Jedenfalls können wir damit Menschen, deren eigene Zellen degenerieren, ob in Muskeln, Knorpelmasse oder gar im Hirn, neue Zellen zuführen, und diese Menschen können danach wieder gehen, werden gesund. Sogar bislang unheilbaren Krankheiten wie Morbus Parkinson können wir damit Einhalt gebieten. Da dies auf offiziellem Wege noch nicht uneingeschränkt möglich ist, haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen. Mögen Sie uns vielleicht assistieren? Sie kennen sich doch hier bestens aus und könnten uns Bescheid geben, wenn wieder etwas Interessantes reinkommt? Im Gegenzug sorge ich für neue Garderobe und eine menschenwürdige Unterkunft, wenn's recht ist.''

Der Zombie strahlte, verbeugte sich, daß die Lappen nur so davonstoben und stellte sich als Baron Samedi vor. Ein kleiner Scherz, wie er augenzwinkernd den mittlerweile wieder erwachten Barker besänftigte, der bei der Nennung dieses Namens sogleich in die nächste Ohnmacht abgleiten wollte.

So vereinbarte man, sich in zwei Nächten wieder zu treffen. Bis dahin sollte standesgemäße Kleidung für den Herrn Baron gekauft und ein Hotelzimmer für den vorübergehenden Verbleib des guten Mannes gemietet worden sein.

''Geht alles vom Budget ab!'', meckerte Barker, als er in der übernächsten Nacht die Ehre hatte, die gekaufte Herrenkleidung zum Friedhofstor zu tragen, wurde aber von seinem Chef sofort zum Schweigen verdonnert: ''Wessen Cousine ist denn unsere Patientin Nummer Eins? Also. Klemme er sich morgen lieber hinter die Drittmittel statt sich wegen der paar Öcken ins Hemd zu machen. Wenn die Zulassung erst durch ist, dann haben wir die Nase sowas von vorne, wir melden ein Patent an und dann sind wir REICH, verstehst du? Reich und berühmt werden wir sein. Da können wir das gesamte Hotel mieten, ach was, KAUFEN könnten wir den Laden. Schade, dass der Herr Baron als Einziger überlebt hat. Auf jedem Friedhof ein V-Mann, das wär's doch.''

Nachdenklich setzte sich Barker am nächsten Vormittag an seinen Schreibtisch. War der Chef jetzt völlig durchgeknallt? Sogar er wußte, dass das EPÜ Patente, die 'gegen die guten Sitten verstoßen', niemals durchgehen lassen würde. Leichenfledderei gehörte in deren Augen sicherlich nicht zu den 'guten Sitten'. Und von den paar offiziellen Körperspenden im Jahr konnte man nicht leben. Erstens waren sie viel zu kontaminiert bis man sie mal in die Finger bekam, abgesehen davon gingen fast alle in die Patho, damit die Studierenden was zum Üben hatten.

Was hatte der Mann vor? Die Uni war ein Haifischbecken, niemand wusste das so gut wie er. Egal. Seine Cousine hatte für ihn Vorrang und nur ihretwegen hatte er diesem Irrsinn überhaupt zugestimmt. Konzentriert arbeitete er die Forschungsergebnisse durch bis sein Blick auf die Wanduhr fiel. Wo steckte Dr. Mabuse, wie er seinen Chef manchmal heimlich nannte, eigentlich schon wieder? Es war kurz vor zwei und zur vollen Stunde würde seine Cousine für ihre erste Behandlung vor der Türe stehen.

Tatsächlich klopfte es um Punkt 14 Uhr an der Tür von Barkers Arbeitszimmer. Auf sein mürrisches 'Herein' hin steckte jedoch nicht die Cousine sondern der Baron seine abgewetzte Nase um die Ecke und blinzelte schelmisch: ''Mein erster Weg in die Freiheit führt mich selbstverständlich zu Ihnen. Die Beinkleider sind etwas ungewohnt, aber offensichtlich von erster Güte. Seid herzlich bedankt guter Mann, Ihr habt mir meine Freiheit wiedergegeben. Auch wenn die Welt dort draußen ziemlich ungemütlich geworden ist. Hätte ich nicht unterwegs dieses hilfsbereite Fräulein getroffen, ich hätte den Weg niemals gefunden.'' Mit diesen Worten trat er zur Seite und an ihm vorbei tappte die Cousine ins Zimmer.

''Ein faszinierender Mann,'' hauchte sie ihrem Vetter verschwörerisch zu. ''Er hat sowas Altmodisches an sich. Irgendwie rührend. Er hat mich zum Abendessen eingeladen. Vorsichtshalber werde ich eine Freundin mitnehmen, die Inge. Man weiß ja nie.''

Barker bekam den Mund nicht mehr zu. Erst nachdem die Cousine vom Chef abgeholt und in den Behandlungstrakt verbracht worden war fiel ihm ein, dass er niemals nachgefragt hatte, wer denn eigentlich der Tote gewesen war, dem sie die Stammzellen entnommen hatten. 

Am nächsten Morgen schlug Barker die Zeitung auf und erstarrte. Er las die Schlagzeile. Las sie nochmals und wischte sich ungläubig über die Augen. Was hatte Mabuse getan! 

Groß und breit titelte die Zeitung mit den großen Buchstaben: ''SERIENMÖRDER WIEDERAUFERSTANDEN? Nach dem Tod des verurteilten Frauenmörders Hendrik F., der sich wie berichtet vorigen Dienstag in seiner Gefängniszelle erhängt hatte, war ein kollektives Aufatmen durch die Welt gegangen. Einer der schlimmsten Verbrecher dieses Jahrhunderts war endlich unschädlich gemacht. Umso erstaunter waren die Beamten der Polizeiinsprektion 5 in Bad W., als sie am heutigen Morgen vor der Leiche von Inge L. standen, die auf genau dieselbe bestialische Weise niedergemetzelt worden war wie die vorherigen Opfer von Hendrik F. Da es sich bei der genauen Vorgehensweise eindeutig um nie nach draußen kommuniziertes Täterwissen handelte, wie Polizeioberrat Hanken verwirrt bestätigte, kann es sich keineswegs um einen Trittbrettfahrer handeln. War Hendrik F. etwa niemals wirklich tot und begraben gewesen? Nachforschungen ergaben, dass der Sarg manipuliert worden war. Liegt im Grab von Hendrik F. jemand ganz anderer? Falls ja, wo steckt der Frauenmörder jetzt? Wer wird die nächste Dame sein, die ihm zum Opfer fällt? Lesen Sie weitere Details morgen, exklusiv hier in unserer Zeitung!''








Donnerstag, 28. November 2024

Max macht mobil


Sonntagabend. Das Wochenende war wie immer viel zu kurz gewesen. Unzufrieden räkelte Caitlin sich auf dem Sofa und blickte sinnend zu Max hinüber, der wieder einmal krumm und schief über sein Handy gebeugt dasaß und irgendwelche blöden Spiele spielte. Bald würde er einen Termin beim Orthopäden brauchen wenn er so weitermachte.

Wie konnte sich, bislang offenbar unbemerkt, eine derartige Routine in ihr Zusammenleben geschlichen haben? Wo waren die langen, mit Freunden verbrachten Nächte? Wo waren überhaupt die Freunde? Und wieso liefen die Wochenenden immer nach demselben Muster ab?

Freitags war man entspannt und freudig erregt. Beim Abendessen trank man Wein und malte sich aus, was man alles Tolles unternehmen wolle an den beiden schönen freien Tagen. Samstag begann jedoch wie immer mit dem Großeinkauf. Während der Woche hatte keiner von beiden Lust, sich nach Feierabend in überfüllte Supermärkte zu drängen und stundenlang an der Kasse anzustehen. 
Also drängte man sich halt Samstagvormittag zusammen mit Großfamilien und anderen mißmutig aussehenden Paaren durch selbige überfüllte Supermärkte. Geteiltes Leid ist halbes Leid und der Speiseplan konnte vor Ort gemeinsam diskutiert werden.

Wobei Max ein sehr pflegeleichter Gefährte war, das mußte sie ihm lassen. Meist guter Dinge, selten einmal gereizt, schob er den Wagen durch Gruppen von kichernden Teenagern oder umschiffte mit sicherer Hand ältere Damen, die unabsichtlich im Wege standen während sie mühsam versuchten, die Schrift auf der in zitternder Hand gehaltenen Packung zu entziffern. Dabei hatte er nicht einmal einen Führerschein. Genausowenig wie sie selbst.
Weswegen sie die Einkäufe hinterher entweder mühsam zu Fuß nach Hause schleppten oder sich, in einem seltenen Anfall von 'Heut laß mer's krachen!', ein Taxi gönnten. Wofür ging man arbeiten, wenn man sich nicht auch mal etwas leistete?

Nach dem Einkaufen folgten die unvermeidlichen Hausarbeiten ... und schon war der Tag mehr oder weniger gelaufen. Ausgehen? Zu erschöpft. Also knallte man sich vor den Fernseher, statt sich, wie früher, noch ins Nachtleben zu stürzen oder vielleicht eins der vielen Kulturangebote zu genießen, derentwegen man doch eigentlich die teure Miete in der Stadt bezahlte.
Caitlin konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal in Programmen von Kinos oder Theatern geblättert hätte um nachzusehen, was diese denn aktuell spielen würden. Max schlief meist irgendwann vor dem Fernseher ein und sie begab sich daraufhin frustriert ins gemeinsame einsame Bett und wälzte sich unbefriedigt hin und her. Gegenseitige Verführung und guter Sex waren Geschichte. Wozu brauchte sie eigentlich einen Mann, wenn sie sowieso bei Bedarf alles selber machen mußte?

Am Sonntag kamen sie ewig nicht aus dem Bett, doch wer nun glaubt, daß wenigstens am Sonntagvormittag neckische Spielchen getrieben wurden, der glaubt falsch. Max blätterte die Sportseite der Zeitung durch und griff dann zum Handy, um eins seiner von seltsamen Geräuschen begleiteten Spiele zu spielen. Meist ging es darum, Autos aus einem kompliziert aussehenden Stau zu entfernen, wie sie beim flüchtigen Blick auf das Display mitbekommen hatte. Oder irgendwelche geometrischen Figuren in Lücken einzupassen. Oder aus einzelnen Buchstaben soviele Wörter wie möglich zu bilden. Oder irgendwelche Wikinger kurz und klein zu hauen.
War sie für ihn überhaupt als Frau noch interessant?
Wann hatten sie eigentlich das letzte Mal miteinander über etwas gelacht?

Ja gut, vorigen Samstag. Als die U-Bahn am Reumannplatz vorzeitig endete - und obwohl der Fahrer mehrmals die Endstation angekündigt und zum Aussteigen aufgefordert hatte, sahen sie nach dem endgültigen Schließen der Türe vom Bahnsteig aus dennoch mindestens zwei Passagiere seelenruhig weiterhin im Fahrzeug sitzen, das Handy dicht ans Ohr gepreßt, von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Sie hatten sie sich angesehen und waren spontan in Gelächter ausgebrochen, hatten sich über die handyverseuchten Deppen lustig gemacht die nichts checkten und ständig an ihren Geräten klebten.

Ein bissl wie früher, als sie noch jung und unbeschwert gewesen waren, das Leben ein einziges spannendes Abenteuer gewesen war und die einzige Sorge sich darum drehte, ob noch genug Bier und was zum Rauchen im Hause sei.
Wie lange war das jetzt her?
Wann waren sie zu diesem alten Ehepaar mutiert, das noch nicht einmal verheiratet war, aber für das sich das Leben bereits jetzt anfühlte, als sei zumindest einer von ihnen bereits tot?
Oder immerhin einer seiner relevanten Körperteile?
Wie lange konnten sie noch so weitermachen und vorgeben, alles sei in bester Ordnung?

Entschlossen sprang Caitlin auf und rannte ins Schlafzimmer um ihr neu erworbenes Negligée anzuziehen. Sehr neckisch, sehr verrucht. Dabei hatte es am Black Friday nur 8.99 gekostet, aber das stand ja nicht drauf. Mit verführerischem Gang spazierte sie zurück ins Wohnzimmer und tippte Max auf die Schulter. Max blickte nicht einmal auf, murmelte nur sowas wie: 'Ja gleich, muß nur grad noch dieses Level ...'

Am Rande bekam er mit, daß irgendwelche Leute hin- und herliefen, dachte an Besuch, war flüchtig neugierig wer wohl gekommen war, aber das Level wollte unbedingt beendet werden sonst wäre all die Anstrengung der vergangenen Wochen umsonst gewesen und er hätte von vorne anfangen müssen.

Als er den Kopf hob stellte er verblüfft fest, daß die Möbel verschwunden waren. Bis auf den Fernseher und die Couch, auf der er saß, war alles, was im Zimmer herumgestanden war, weg. Jeder Kasten, jedes Regal, sogar das Katzenspielzeug. Hektisch rannte er ins Schlafzimmer hinüber. Auch dort war die Hälfte des Doppelbettes abgebaut worden - fein säuberlich mit der Säge abgetrennt - und zusammen mit der Schrankwand weggetragen. Seine Kleidung lag in einem Haufen am Boden. Obenauf lag ein Zettel. Max las fassungslos: 'Willkommen im Real Life. Hab dich verlassen und du hast es nicht einmal mitbekommen. Bussi baba, du handyverseuchter Depp!'

Kurze Zeit später freute sich ein unterstandsloser Mann über ein fast neues, bestens funktionierendes Handy, das er beim Kramen nach Pfandflaschen in einem der Abfallbehälter rund um den Filmteich fand. Kurz wunderte er sich über den weinenden Mann, der auf einer Bank in der Nähe saß, dann zuckte er mit den Schultern und zog fröhlich pfeifend von dannen. Das Leben war heute wieder einmal wunderschön!














Sonntag, 13. Oktober 2024

Ein Augsburger lacht nicht ... mehr.



Earmark war müde. Einfach nur abgrundtief müde und erschöpft. Warum hatte ihm das niemand vorher gesagt? Geh zur Polizei, hatte es geheißen. Da hast du einen abwechslungsreichen Job und stehst immer auf der Seite der Guten.

Anfangs war tatsächlich alles wunderbar und aufregend gewesen. Nach der Polizeischule absolvierte er einen relativ raschen Aufstieg bis zum verdeckten Ermittler. Kein hektisches Verfolgen von Verdächtigen mehr, keine Schießereien. Stattdessen gemütliches Einschleusen in die Szene und dann konnte er ein paar Jahre lang mit all den Fertigen der Umgegend umeinanderfrohlocken, kiffen bis der Arzt kommt und ganz nebenbei ein paar von den Jungs ans Messer liefern. Natürlich kamen sie niemals an die Drahtzieher heran, klare Sache. Die waren nicht blöd und hielten sich fein bedeckt im Hintergrund. Die kleinen Fische, die er abfangen und an die Kollegen übergeben konnte, wurden bald durch neue Trottel ersetzt, welche sich wild rudernd im Milieu über Wasser zu halten versuchten, weil sie mangels vernünftiger Ausbildung gleich einmal garkeine Alternative zum Kleinkriminellentum sahen.

Natürlich kam es wie es kommen mußte. Mit der Zeit fiel den Leuten auf, daß er selbst niemals verknackt wurde, auch wenn er bei einer Razzia mit hochgegangen war, und somit war er verbrannt. Wie hatte dieser langhaarige Kerl, der ihnen nach langer Observation endlich ins Netz gegangen war, zu ihm gesagt, nachdem er ihm die Handschellen angelegt hatte? ''Earmark, du hasch knallrote Augen, du bisch tausendmal praller als wie I und du willsch MI verhaftn? Schämsch di ned?''
Er hatte sich nicht geschämt. Wofür auch. Das war seine Arbeit und dafür wurde er bezahlt. 

Darüber, daß regelmäßig ein paar Gramm des beschlagnahmten Dopes verschwanden, hatte sich auch noch keiner der Verurteilten beschwert. Wäre schön blöd gewesen, bei der Verhandlung zu sagen: ''Moment Euer Ehren, bei mir wurden keine 15 sondern mindestens 25 Gramm gefunden!''

Die Versetzung in den Innendienst war ein herber Schlag gewesen. Aus war es mit dem lockeren Dienst, dem Herumhängen an den bekannten Szeneplätzen, den bequemen Beobachtungsposten bei Junkie-Beerdigungen, den langen Haaren und den legeren Klamotten. Die Arbeit am Schreibtisch war großteils langweilige Routine und unbefriedigend. Auch hatte er es sich mit den Kollegen bald verscherzt. Sein ruppiger Ton, den er sich im Umgang mit den kaputten Drogentypen angewöhnt hatte, kam im Büro nicht gut an. So hatte ihn bald der Burn-out erwischt und man hatte ihn beurlaubt. Zur Weinlese.

Arbeit an der frischen Luft, hatte es geheißen, das würde ihm guttun. Schließlich sei er ja an Freiheit gewohnt, und wo gäbe es mehr Freiheit als unter Gottes weitem Himmel?
Nun sollte er von früh bis spät Trauben pflücken. Hier am Rhein, wo die Leute diesen seltsamen Dialekt sprachen und die ganze Zeit lachten.

Er war Augsburger. Ein Augsburger lacht nicht. Jedenfalls nicht ohne Grund. Und einen solchen hatte er nicht. Das Kreuz tat ihm weh und er war nach Feierabend regelmäßig so kaputt, daß er sich jeden Abend aufs Neue vornahm, am nächsten Morgen alles hinzuschmeißen und eine Kur zu beantragen. Nur die Sorge um den etwaigen Verlust seines Beamtenstatus ließ ihn dann doch jeden Morgen wieder aufstehen und zur Arbeit wanken.

Er dachte an seinen Kollegen Armin. Der hatte es mittlerweile bis zum Leiter der Drogenfahndung gebracht, allerdings ziemlich weit südlich von Augsburg. Im Allgäu um genau zu sein. Somit hatten sie sich leider aus den Augen verloren. Armin beherrschte die Kunst des Abzweigens perfekt. Der hatte immer was zum Schnupfen im Schränkle. Wäre Armin mit seinem Marschierpulver jetzt vor Ort, die Arbeit wäre im Nu erledigt. Doch der ehemalige Kollege war fern und die Tage vergingen mühsam.

Auch zum Rauchen gab es hier nichts. Hier wurde getrunken. Was er nicht gewohnt war.
Man aß abends Sauerkraut mit weißen Bohnen und trank literweise neuen Wein dazu. Die anderen wurden lustig, er bekam Bauchschmerzen. Earmark war innerhalb weniger Tage völlig am Sand und sehnte das Ende seines 'Urlaubs' herbei.

Daran änderte auch die Aussicht auf das herannahende Herbstfest zum nächsten Vollmond wenig. Alle waren eingeladen. Alt und Jung, Arm und Reich, jeder durfte tanzen, trinken und sich des Lebens freuen. Der nächste Tag war arbeitsfrei, die Leute sollten sich ungehemmt amüsieren dürfen. Ermark hatte fest vor, sich an diesem Abend in seinem Bett zu verkriechen und endlich einmal so richtig lange auszuschlafen. Doch daraus sollte nichts werden.

Bereits am Nachmittag fing die Zwinkerei von Luise wieder an. Luise war eine unglaublich nervige, etwas plumpe, nicht unattraktive aber eindeutig viel zu aufdringliche Person. Ermark machte sich wenig aus Frauen. Ab und zu nahm er sich was ein Mann halt so braucht, er hatte Beziehungen zu Kollegen der Sitte, aber den Streß mit fester Freundin und so ... wirklich nicht. Er war schließlich Polizist, da hat man schon Ärger genug. Luise schien seine abweisende Art eher anzustacheln statt abzuschrecken, und sie schaffte es tatsächlich, ihm das Versprechen auf wenigstens einen Tanz abzuringen. Eigentlich hatte er nur zugesagt, damit sie endlich mit der Nerverei aufhörte, aber nach Feierabend, der heute etwas früher als sonst begann, damit die Leute sich noch ein bissl hübschmachen konnten, hing sie wie eine Klette an ihm. So mußte er sie notgedrungen zum Festplatz begleiten, wollte er Streit in der Öffentlichkeit vermeiden.

Vor Ort stellte Earmark erstaunt fest, daß es ihm nicht einmal so übel gefiel. Die Musikanten spielten schwungvolle Melodien, die direkt in die Beine fuhren, die Leute schienen alle gut gelaunt, lachten und waren fröhlich. Wer wollte sich da nicht wohlfühlen? Luise hatte sich bereits mit einem Becher neuen Weins ihm gegenüber niedergelassen und hatte auch ihm einen mitgebracht. So war er nicht abgeneigt, als sie ihn in einer Tanzpause etwas abseits zu einem kleinen Bächlein hinabführte. Sie wollte doch nicht etwa mit ihm Schwimmen gehen? Dafür war es jetzt im Herbst doch schon ein wenig zu frisch.

Doch Luise hatte offenbar anderes im Sinn. Munter plaudernd hakte sie ihn unter und führte ihn, flirtend und tändelnd, immer weiter und weiter von den feiernden Dorfbewohnern fort. Zuerst fiel es Earmark nicht weiter auf, so sehr war er vom prall gefüllten Ausschnitt Luisens abgelenkt, doch als ihr unermüdliches Geplapper plötzlich abriß, fühlte sich die Stille auf einmal unheimlich an. Wo zum Teufel hatte sie ihn hingeführt und was hatte sie vor?

''Sag mal, du bist doch Bulle, oder?'', fragte sie auf doof, denn natürlich wußte sie das ganz genau. Jeder wußte Bescheid, denn so wie er sich beim Pflücken der Beeren immer anstellte, konnte eine Erklärung nicht lange ausbleiben.
''Könnte ich dich nicht spaßeshalber ein bissl an den Baum da fesseln mit deinen Handschellen? Da macht das Schmusen doch gleich noch viiiiiiiiiiiel mehr Spaß!''
Die hatte Nerven. Ermark erklärte ihr, daß er hier auf Arbeitsurlaub sei und selbstverständlich weder seine Handschellen noch seine Puffn dabeihatte.
Luise zog einen Schmollmund. Offenbar hatte sie sich schon darauf gefreut, ihn wehr- und hilflos ihren Attacken ausgeliefert zu sehen.
Aus dem Dickicht brach ein Spaziergänger hervor, hinter sich zog er einen schwanzwedelnden Hund, der offenbar an jedem Strauch etwas Interessantes zu schnüffeln hatte, wie Hunde nun einmal sind. Genervt machte der Mann die Leine los und reichte sie Luise. ''Da halt mal, der Bello geht mir heute wieder dermaßen auf den Senkel, ich geh jetzt alleine weiter, soll er halt schauen wo er bleibt. Der kommt schon heim wenn er Hunger hat.''
Sprach's und marschierte mit weitausgreifenden Schritten davon.

Mit einer einzigen schwungvollen Bewegung wurde Earmark, während er noch verblüfft dem Mann hinterhersah, hart an den Baum hinter ihm gedrückt und bevor er es sich versah, hatte Luise seine Arme mit der Hundeleine an zwei niedrigen Ästen festgebunden. Wollte sie ihn jetzt in dieser Position nageln? Zwar war der Ort, den sie sich für ihr Vorhaben ausgesucht hatte, relativ abgelegen und recht einsam, aber wie man soeben gesehen hatte, offensichtlich auch bei anderen Erholungssuchenden beliebt. Wie sollte er jetzt aus dieser, haha, Nummer wieder herauskommen ohne Aufsehen zu erregen? A propos Erregen ... wie peinlich war das denn? Zwischen seinen Beinen war eine deutliche Beule gewachsen die Luise nun spöttisch betrachtete.

''Na, du toller Held'', höhnte sie, auf einmal keineswegs mehr kokett oder gar liebevoll.
''Du wirst dich natürlich nicht mehr an mich erinnern, aber wir kennen uns. Auch ich habe einmal in Augsburg gewohnt. Und heute ist der Jahrestag von Alfreds Tod. Ihr habt ihn damals völlig grundlos abgeknallt wie einen räudigen Wolf, nur weil er nicht sofort auf Zuruf stehenblieb. Das war zwar mit ein Grund für deine Versetzung in den Innendienst aber du wurdest niemals dafür belangt. Alfred hätte niemals auch nur einer Fliege etwas zuleide getan. Er war der großzügigste Mensch den ich jemals gekannt habe. Er hätte sein letztes Hemd gegeben wenn man ihn darum gefragt hätte. Er war einfach nur ein einsamer alter Mann und du, du Arschlochbulle, hast ihm eine Kugel ins Kreuz gejagt, pralle wie du wieder warst. Man zielt auf die Beine du blöder Wichser, aber das war dir ja egal, für dich sind wir alle nur Abschaum. Heute ist Jahrestag, und der Tag der Abrechnung. Heute wirst du büßen, Earmark. Futter für die wilden Tiere wirst du sein, wie in den Bergdörfern Indiens, wo man die Toten portionsweise in hohen Türmen den Geiern zum Fraß anbietet. Türme werden wir wegen dir keine errichten, aber die wunderbaren hohen Bäume hier, die tuns auch. Wirklich schade, daß niemand jemals die Geschichte hören wird vom Augsburger Polizisten, der hier rituell hingerichtet wurde. Stellvertretend für alle Polizisten, die scheinheilig selber konsumieren und andere dafür verpfeifen.''

Auf einmal tauchte auch der Mann mit dem Hund wieder auf und grinste Earmark hämisch an. ''Schrei ruhig, es wird dich keiner hören. Es sind alle auf dem Fest.''
Schon krachte das Knie des Mannes in Ermarks Gemächt. Der Schmerz raubte ihm die Besinnung, so daß er den tödlichen Stich nicht mehr fühlen mußte.

Dr. Landes wußte genau, wie er zustechen und wie er hinterher die Leiche zerteilen mußte. Gelernt ist gelernt. Nach getaner Arbeit nahm er fröhlich pfeifend seine Leine wieder an sich, hakte Luise unter und gemeinsam kehrten sie zurück zum Wein, als sei nie etwas gewesen. Bello vergrub im Hintergrund zufrieden einen riesigen Oberschenkelknochen, den ihm sein Herrchen großzügig spendiert hatte.

Noch heute kann es vorkommen, daß man in den tiefen Wäldern des Rheinlandes hier und da einen etwas seltsamen Geruch bemerkt. Manchmal hört man auch abends in den Weinstuben schaurige Geschichten über eine seltsam zusammengeflickte Gestalt, die ruhelos durch das Unterholz wandert und die Spaziergänger erschreckt. Doch es weiß ja jedermann, wie der gute rheinische Wein die Phantasie befeuert.












Sonntag, 25. August 2024

Neulich im Englischen Garten


Yoga ist gesund, heißt es immer. Und man könne in jedem Alter mitmachen. Ja sicher. Das hab ich gemerkt. Nachdem ich immer wieder, aus egal welchem Kurs, völlig geschafft heimgehinkt war und danach meist drei Tage übelst Muskelkater gehabt hatte, war Yoga für mich gestorben.

Bis ich diese Anzeige in unserem Käsblättle las.

Der Typ auf dem Foto war wirklich sympathisch. Sehr sogar.
Man trifft sich jeden Sonntagvormittag auf einer Waldlichtung im Nordteil des Englischen Gartens, stand da geschrieben, und übt zu schamanisch angehauchten Trommelklängen gemeinsam Asanas aus.
Wer die sind, die da trommeln, stand nicht dabei, aber ich würde es herausfinden.
Hoffentlich keine Urwaldkrieger aus dem Amazonas, wo man dann wirr im Kopf wird und seine Totemtiere sieht ... also ein bissl unheimlich fand ich das Ganze schon.
Aber das macht es ja auch erst interessant.
Deppert in der Turnhalle umeinanderschwitzen kann jeder. Ok, jeder außer mir.

Nicht weil ich zu dick wäre. Ich bin nicht dick. Jedenfalls nicht sehr. Schließlich ernähre ich mich nicht von Burger Royal, Pommes oder Döner mit alles, vor allem mit vielen Schalotten bis man quer durch die ganze Stadt mieft. Nein, ich esse ganz brav viel Obst und Gemüse, nur fehlt mir halt die Bewegung. Die passende Bewegung. Und oft auch die Motivation. Stell dir vor, du turnst in einer Gruppe, alle anderen sind jung und biegsam und du selber bist alt und obendrein steif wie ein Brett. Das ist nicht schön und man geht wieder. Teufelskreis sozusagen.

Aber das würde sich ja nun vielleicht endlich ändern. 'Alle Altersgruppen' war dabeigestanden. Wenn ich Glück hatte, wäre ich hier ausnahmsweise einmal nicht mit Abstand die Älteste. Vielleicht hatte ich immer die falschen Apps benutzt. Seit ich nach München gezogen war, egal wofür ich mich anmeldete, ob Sport, Fotografie oder Spirituelles Zusammensein, immer war ich die Oma und alle anderen so um die 20. Mir macht das ja nichts weil ich innen eh auch noch nicht älter bin aber beim Yoga merkt man's halt.

Kaum konnte ich den folgenden Sonntag erwarten. Gespannt wie ein Flitzebogen machte ich mich auf den Weg. Viel zu früh natürlich, weil ich keine Ahnung hatte, wo genau diese besagte Lichtung sich wohl befände, und ich auf keinen Fall zu spät kommen wollte. Eigentlich kannte ich die Gegend gut, aber man achtet halt auch nicht auf jedes Eck. Und in der Natur ist der Google bekannterweise eher für den Hugo.

Anfangs war ich keineswegs alleine auf den Wegen, es tummelten sich wie immer Hunde jeglicher Rasse und Couleur, und die Besitzer hatten augenscheinlich ihre liebe Not, die Tierchen zu trennen wenn eins davon läufig war. Ich versteh ja nix davon, aber dann sollte man sich in der Zeit vielleicht nicht ausgerechnet einen Ort suchen, an dem alle anderen Hundebesitzer auch umeinanderlaufen. Englischer Garten Nord sollte eigentlich umbenannt werden in Hundekackparadies. Brauchst nicht zu glauben, daß du hier irgendwo in Ruhe auf einem Bankerl sitzen kannst und Brotzeit machen. Sofort steht ein riesiger Hund da und schaut dich hungrig an.

Mittlerweile habe ich einige Wege bereits nach den dort stattgefundenen Hundebegegnungen benannt. Beispielsweise den Kommissar-Rex-Weg, anläßlich eines Zusammentreffens mit einem äußerst aktiven Schäferhund.

Aber es gibt natürlich auch ruhigere Ecken und zu einer solchen war ich nun unterwegs. Idyllisch gelegen, unweit eines kleinen Bächleins, das sich malerisch dahinschlängelte und in einem kleinen Teich endete, befand sich die beschriebene Lichtung, auf der bereits einige sehr sommerlich bekleidete Menschen saßen und angeregt miteinander plauderten. Von dem Mann auf dem Bild war noch nichts zu sehen, auch waren keine Trommler anwesend. Ob ich hier richtig war? Unsicher ließ ich mich am Rande nieder und beschloß, abzuwarten.

Kaum hatte ich mich mühsam (das Alter, das Alter ...) auf den Boden gefaltet, rief mir einer aus der Gruppe zu, ob ich nicht herüberkommen wolle, was würd ich denn so einsam am Rande hocken wollen? Erfreut hievte ich mich wieder hoch und ließ mich bei den anderen nieder. Was waren das für nette Menschen! Hier würde ich mich wohlfühlen, da war ich mir sicher.

Einer kramte in seinem Rucksack und holte eine Thermoskanne und einige Pappbecher hervor, was von den anderen mit Begeisterungslauten und Applaus begrüßt wurde. Offenbar ein Ritus zum Beginn der Yogastunde? Zur spirituellen Einstimmung sozusagen? Die Becher wurden verteilt und jedem wurden ein paar Schlucke aus der heiligen Kanne eingeschenkt. Wir standen auf (was hab ich achtgegeben, dabei nichts zu verschütten!) und dem Beispiel des edlen Spenders folgend, hoben wir den Becher in die Höhe. Der junge Mann hub mit lauter Stimme an: ''Caritas omnia potest'', worauf die anderen im Chor nachmurmelten: ''Caritas omnia tolerat''.

Für einen Moment war ich wieder verunsichert. War ich hier irrtümlich in einer Spendenveranstaltung der Caritas gelandet? Immerhin hatten die meisten Anwesenden bereits einen Großteil ihrer Kleidung neben sich abgelegt. Sollte ich ihrem Beispiel folgen? Aber ich hatte doch eh nicht viel an und ich hatte nicht vor, nackt zu turnen.

Bevor ich lange grübeln konnte, führten alle ihren Becher zum Mund und nahmen einen tiefen Schluck. Ich probierte vorsichtig. Seltsames Gebräu. Tee? Ich traute mich nicht, zu fragen. Wir setzten uns wieder und jetzt hörte ich auch die Trommeln. Allerdings kam die Musik aus einem dieser modernen Lautsprecher die sich von selber mit einem Handy verbinden. Bluetooth heißt das. Offenbar billiger als eine Trommlergruppe. Sparmaßnahmen wohin man schaut. 

Die Musik gewann an Intensität und die Leute um mich wiegten sich im Takt, wedelten mit Händen und Füßen, sprangen teilweise gar auf und hüpften ekstatisch umher. Ob das von dem Tee kam? Vorsichtig nahm ich noch ein Schlückchen. Mittlerweile kam ich mir vor wie in einer Freiluftdisco. Gerade als ich mir überlegte, ob ich das Ganze vielleicht heimlich filmisch festhalten könnte, weil das glaubt einem ja dann wieder kein Mensch, kam auf einmal ein Mann auf die Lichtung gehetzt, brüllte ein ''Sorry Leit, koan Parkblotz g'fundn!'' in die Menge und packte eine riesige Kamera aus. Hatte ich jetzt auch schon Halluzinationen oder was ging hier ab? Wollte er uns beim Yoga filmen? Das wäre mir aber so garnicht recht!

Ich nahm noch einen Schluck Tee und beschloß, mich dann vielleicht doch lieber wieder zu verabschieden, so ganz schien mir das nicht das Richtige zu sein. Andererseits, die Leute waren alle sowas von lieb! Sie winkten mich in ihre Mitte, umarmten mich, alle lächelten freundlich und so tanzte und wedelte ich bald fröhlich mit ihnen quer über die Lichtung bis wir alle lachend in einem Haufen übereinanderfielen und anfingen, uns gegenseitig zu streicheln und zu liebkosen. Wirklich ausgesprochen nette Leute, dachte ich noch ... dann wurde es dunkel um mich.

Als ich wieder zu mir kam saß ich an einen Baumstamm gelehnt neben meinem Rucksack, die anderen saßen oder lagen unweit über den Platz verteilt, alle machten einen ziemlich erschöpften Eindruck. Was war denn das jetzt gewesen? Hatte es nicht nur mich umgehauen? Mußten wir alle schon pausieren bevor die Turnstunde überhaupt losging? Hatten die mir was in den Tee getan? Was wurde hier gespielt?

Der Mann mit der riesigen Kamera erhob sich und kam lachend auf mich zugeschlendert, ein paar Abzüge bereits in der Hand. ''Du bist ja ein Naturtalent!'' rief er begeistert aus. ''Da schaug einmal her, des is ein Wahnsinn.''

Ja, das fand ich allerdings auch. Ich blickte ungläubig auf eine Anzahl Fotos auf denen ich deutlich erkennbar mit Leuten aus der Gruppe zugange war. Ich muß wohl nicht deutlicher werden? Knallrot im Gesicht stammelte ich: ''Also das ist ... das kann nur ein Versehen ... ich würde niemals ...''

Als ich jedoch hörte, wieviel man bei dieser Art von Filmarbeit verdienen konnte, verstummten meine Proteste. Er erklärte mir, daß die Yogagruppe sich viel weiter vorne träfe, ich wohl eine falsche Abzweigung genommen und mitten ins Set einer privaten Pornoproduktion gewandert gekommen sei. Der Tee sei ein Pilzesud gewesen und es hätte deswegen niemand etwas gesagt, weil alle gedacht hätten, ich sei die im Vorfeld angekündigte Neue. Die wäre aber offenbar nicht gekommen. Vielleicht war sie ja irrtümlich bei der Yogagruppe gelandet?

Dies war der Beginn meiner Karriere bei Granny Productions. Mittlerweile gehört mir die Firma, der Kameramann ist mein geliebter Ehemann und unser Motto lautet: Wir drehen bis wir vergehen!







































(Foto KI-generiert)

Sonntag, 11. August 2024

Dies ist kein Märchen


''Heute Abend? In den Rabenhof? Du sorry aber ich hab schon was vor. Was soll das heißen, was ich schon vorhaben werd? Was Wichtiges, oder? Wer tritt denn überhaupt auf? Ach die Sargnagel, die kann ich eh ned ausstehn. Hält sich für sonstwie schlau. Neidisch, ich? Na sicher ned. Du ich muß jetzt auflegen, hab noch was vorzubereiten.

Willst es wirklich wissen oder fragst nur blöd? Ja ok, eine Ausstellung hab ich. Kein Schmäh. In der Ankerbrot Fabrik bei uns im Zehnten. Ja natürlich hängen die schon, aber man muß halt trotzdem noch bissl was machen. Klar kommen Leute. Echt jetzt das wird mir zu blöd. Baba!''

Hermine ist wirklich eine garstige Ziege. Nur weil ich heute nicht wie gewohnt gleich gesprungen bin wie sie mich als Lückenbüßer gebraucht hat. Weil ich jetzt auch amal wer bin. Nicht mehr nur anderen Künstlern von unten deppert zuschau sondern selber einer bin. Da wird sie gleich neidig. Soll sie. Muß mich jetzt kümmern damit nachher auch alles glatt läuft.

Du meine Güte, also ein bissl mehr Interesse könnten Herr und Frau Österreicher schon zeigen. Es ist jetzt 21 Uhr, also seit zwei Stunden offen, und bisher hat kaum jemand reingeschaut. Die meisten hauen sich einen Becher von dem billigen Prosecco in den Hals, gucken pro forma ein bissl umadum und gehen dann wieder. Das ist also eine Vernissage. Hätte ich mir auch anders vorgestellt. Im Film gruppieren sich immer alle möglichen interessanten Leute um den Künstler und lassen ihn fast nicht mehr aus vor lauter Wichtigtuerei. Wär mir jetzt auch nicht so recht aber daß sich gleich GARNIEMAND interessiert, also das schmerzt schon ziemlich. Hatte schon ein Handgemenge am Eingang befürchtet wenn zuviele Besucher gleichzeitig hineinwollen, der Raum ist ja doch relativ klein, aber da hätt ich mir keine Sorgen machen müssen. Hoffentlich kommt nicht auch noch Hermine und grinst sich eins. Aber die Vorstellung von der Sargnagel geht bis mindestens halb 11 und dann machen wir hier auch bald zu.

Jö, wer ist denn der Bursche da hinten? Schaut aus wie Rübezahl. Tolle Ausstrahlung. Wenn jetzt jemand reinkommt, der glaubt sicherlich daß ER der Künstler ist, nicht ich, die dicke alte Oma mit dem fleckigen Leiberl und den doofen Haaren. Seine Haare sind lang, ungekämmt und vorn hat er einen meterlangen Tirolerbart. Ein richtiger Rebell. Wenn ich 20 Jahre jünger wäre ... nun geht er in die Hocke und betrachtet eins meiner Bilder so richtig mit Kennerblick. Ob er es kaufen will? Mir geht's nicht um das Geld. Es ist nicht so, daß ich noch auf meine Aussteuer sparen müßte höhö, aber ein bissl eine Anerkennung möcht man schon haben als Maler, oder?

Wie durch einen Nebel seh ich ihn auf mich zukommen ...
''Na servus die Frau Künstlerin, habe die Ehre!''
Boah hab ich weiche Knie und mein Puls rast, das wär jetzt ein schöner Tod ... aber so leicht stirbt es sich nicht, ich muß jetzt was sagen. Idealerweise was ganz Tolles. Was könnte ich denn jetzt sagen? Himmelhergottnah, immer wenn's wichtig wär fallt mir nix ein.

''Guten Abend,'' krächze ich. ''Kann ich irgendwie helfen?''
Oh meine Götter und Engel, ich klinge wie ein dementer Greißler aus einer Vorabend-Soap.

Rübezahl grinst und wedelt unbestimmt mit der Hand: ''Coole Bilder. Und noch nix verkauft? Ihr habts ja auch kaum Werbung geschalten, bist ned auf facebook oder so? Ach, eh auch, und nur keine follower? Ja blöd. Du, ich zeig dir jetzt mal wie das geht, ok?''

Ohne meine Reaktion abzuwarten, die sowieso nur aus fasziniertem Anstarren bestanden hätte, dreht er sich auf den Hacken um und marschiert schnurstracks auf ein älteres Ehepaar zu, das mit eher mild ausgeprägtem Interesse vor einem meiner großformatigen Werke steht. Die Frau nippt am Prosecco, der Mann schüttelt den Kopf. Rübezahl tritt wuchtig hinzu und fragt laut: ''Darf ich Ihnen dieses Werk etwas näher erklären?'' Die beiden schauen ihn verdutzt an, und er beginnt, sie ohne Punkt und Komma zuzuschwallen. Er schreitet, jawohl SCHREITET wichtig um sie herum, deutet abwechselnd auf das Bild und dann wieder auf sie, stellt Bezüge her, interpretiert und redet, redet, redet ... bis die beiden nicht mehr anders können und tatsächlich zustimmen, zwar nicht dieses großformatige Bild aber dann doch gerne eins der kleineren zu kaufen, das ihnen vorhin schon aufgefallen sei ... und schon prangt ein roter Punkt neben 'Long John Silver schaut aufs Meer und ist traurig'. Auf dem Bild ist eigentlich nur ein noch blutender Beinstumpf mit Z. n. Unterschenkelamputation zu sehen und viel aufgewühltes Meer. Damit werden sie nicht glücklich, es sei denn der Mann ist Primar einer Chirurgischen Klinik.

Stolz gesellt sich Rübezahl wieder an meine Seite und schaut verschmitzt. ''Na,'', lächelt er auf mich herunter, ''wie hab ich das gemacht? Sag, hast daheim noch mehr Bilder? Könnt ich mir die vielleicht mal anschauen?''

Aha, daher weht der Wind. Nicht einmal im Alter ist man mehr vor den Übergriffen der offenbar unzügelbaren männlichen Lust sicher. Was will der Mann von mir, ich bin SECHZIG! Und er locker 20 Jahre jünger. Vielleicht verstehe ich hier auch etwas falsch, aber dieses anzügliche Grinsen hab ich in meinem Leben schon einige Male zu oft gesehen.

Natürlich erwartet er Dankbarkeit von mir. Nachdem das erste Bild verkauft war, war der Damm gebrochen. Nichts fürchtet der potentielle Käufer mehr, als zu spät zu kommen.

Ich hatte versucht, es Rübezahl gleichzutun und mich unter die Besucher zu mischen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Extrovertiert ist man oder man ist es nicht. Für einen furchtlosen Auftritt mit Publikum hätte ich einen anständigen Champagner gebraucht, nicht diesen Fusel, aber aus dem Alter war ich endgültig raus. Somit hat er tatsächlich einen großen Anteil an meinem Erfolg. Ich bin verunsichert. Vielleicht will er wirklich nur meine Bilder sehen? Aber jetzt, mitten in der Nacht? Ich überlege, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. In dubio pro reo.

''Ja wennst magst, also gerne morgen Nachmittag, oder irgendwann nächste Woche?''
''Also ich hätt gedacht schon jetzt gleich? Noch auf einen Kaffee oder was dir lieber ist?''
Wieder dieses Grinsen. Du meine Güte, der hält sich echt für unwiderstehlich.
Aber nicht mit mir junger Mann. Da müssen Sie schon früher aufstehen.
Denke ich so für mich. Statt es zu sagen, was ehrlich gewesen wäre. Aber auch viel Mut erfordert hätte. Den ich nicht aufbringen kann. Schließlich HAT er mir ja geholfen.
Aber verlangt man dafür als Bezahlung gleich das Kostbarste, was eine Frau zu geben hat?
Ich beschließe, dem übermütigen Burschen eine Lektion zu erteilen.
Nur weil jemand mit Menschen nicht so gut kann, bedeutet das nicht, daß man ihn übervorteilen darf. Oder sie. Oder es. Oder überhaupts.

In meiner Wohnung angekommen stelle ich gleich einmal meine Thermoskanne auf den Tisch. 
''Kaffee gibts ned, aber einen Kräutertee kannst haben.''
Sein Gesicht ist unbezahlbar. Leider habe ich meine Kamera nicht zur Hand.

Meine Bilder waren offenbar nicht mehr interessant. Stattdessen wandert seine Hand unmißverständlich in Richtung meiner Brust. Na warte. Jetzt hast du den Bogen überspannt, Rübezahl! Ich rutsche beiseite, stehe auf, murmle was von 'Frischmachen' und verschwinde im Nebenzimmer. Das Zauberbuch brauche ich schon lange nicht mehr, aber was zum Festhalten ist jetzt gut. Mit geschlossenen Augen rezitiere ich den Spruch auf Seite 42, bleibe noch ein Weilchen sitzen und gehe dann langsam wieder ins Wohnzimmer zurück. Bingo! Winzig klein hockt Rübezahl in einem meiner leeren Schneckenhäuser auf dem Fensterbrett. Ich nehme es auf, mitsamt seinem neuen Bewohner, und trage es zur Vitrine. Ganz leise glaube ich etwas von 'unterschätzt' und 'tut mir leid' zu vernehmen, aber die Reue kommt zu spät. Freundlich lächelnd setze ich das Schneckenhaus neben all die anderen Häuschen mit verzauberten männlichen Wesen darin. Sie alle hatten ihre Lektion bekommen. Und nur im Märchen werden die Jünglinge wieder befreit. Dies ist kein Märchen.










Samstag, 10. August 2024

Die Lösung


Ein Spaßbad sollte eigentlich Spaß machen. Leider tut es das nur einer einzige Bevölkerungsgruppe: Den Familien. Alleinstehende und ältere Leute haben zunehmend weniger Freude am kühlen Naß, weil die Familien sich immer weiter ausbreiten und durch ihr rücksichtsloses Verhalten allen anderen das Vergnügen vergällen. Dies ist ein deutlich zu beobachtendes Phänomen, über das allerdings nicht gesprochen werden darf, weil die Menschen, wie bei allen Ereignissen die sie nicht beeinflussen können, große Angst haben, daß der Mißstand durch bloße Erwähnung noch schlimmer wird. Daher gilt es als unsozial, etwas gegen Kinder zu sagen. Wer es dennoch tut, wird mit Haß und Häme überschüttet.

Ich weiß nicht, wann diese gesellschaftliche Entwicklung begonnen hat. In meiner Kindheit war es gang und gäbe, lautstark tobenden Kindern durch Zurufe Einhalt zu gebieten, notfalls mit Gewalt. Stop hieß Stop, da gab es keine Diskussion. Getobt wurde auf dem Spielplatz oder auf dem Sportplatz. Nicht im Klassenzimmer und schon garnicht in Bus, Zug, Supermarkt oder Kirche.

Heute ist das anders. Es wird nicht nur getobt, es wird gekreischt und sich auf den Boden geworfen, wo man gerade geht oder steht. Wir Autisten können ohne Kopfhörer nicht mehr aus dem Hause gehen, da einen die Schallwellen sonst beinahe sofort umwerfen.

Wir hatten keine Chance, uns Gehör zu verschaffen, wir mußten in den Untergrund gehen. Uns radikalisieren, wie es so schön heißt.

Nachdem man die Leute ja nicht auf offener Straße abknallen kann, haben wir uns für unsere Einsätze das eingangs erwähnte Spaßbad ausgesucht. Einfach mal schauen was geht. Mit dem Mut der Verzweiflung konnten wir auch das Geschrei ertragen, zumindest für kurze Zeit. Ohropax nützt leider wenig. Sonst hätte wir ja auch kein Problem. 

Die Rutschen im Bad hatten olympische Ausmaße. Die Kinder und teils sogar ihre Eltern rasten gefühlte drei Kilometer durch eine Röhre bis sie endlich unten ankamen und  unter lautem Gekreische im schaumigen Wasser untertauchten.

Nun, was wollten wir tun? Wir hatten die Röhren mit einem Zauber belegt. Jeder Röhrenbenutzer ab einem Dezibelausstoß von 50 verschwand, sobald ein gewisser Gitarrenriff aus dem mitgebrachten Superwoofer ertönte, ab einer zuvor bestimmten Kurve einfach im Nichts. Ganz so einfach wie es klingt war das natürlich keinesfalls. Energie geht ja nicht verloren und wir hatten ganz schön tüfteln müssen, um uns hier eine Lösung einfallen zu lassen, die allen gerecht wird. Die verschwundenen Schreihälse wurden in Licht, Luft und Liebe verwandelt, was letztendlich auch der Verhinderung von Kriegen dient.

Natürlich waren einige Eltern nicht begeistert, nachdem ihre Kinder von jetzt auf nachher verschwunden waren, aber erstaunlich viele Mütter zeigten Erleichterung. Sie hätten sich die Mutterrolle anders vorgestellt, gestanden sie verschämt. Es sei leider noch immer tabu, darüber zu sprechen, daß einem die eigenen Kinder auf die Nerven gingen. Die Väter hatten meist wenig zu sagen. Viele hatten sich in Beruf und Kegelclub geflüchtet um sich das Chaos zuhause nicht antun zu müssen. Nun konnten sie nach Arbeitsschluß wieder getrost nach Hause kommen und sich mit ihren Frauen einen gemütlichen Abend machen. Auf eine gefüllte Kondomschublade war dabei selbstverständlich stets zu achten.


Sonntag, 28. Juli 2024

Der alte Zauberer Darfnix

Der alte Zauberer Darfnix saß vor seiner Hütte und brütete dumpf vor sich hin. In der Ferne hörte er, wie Skodefix mit seiner Axt auf einen Baum einhackte, und langsam löste sich eine Träne aus seinem rechten Auge. Wie gerne wäre er jetzt durch den Wald marschiert und hätte hinterher ein Bild davon gemalt, wie früher, als er noch viel unterwegs gewesen war und sogar die halbe Welt bereist hatte. Zwar war es um seine Zauberkünste nicht mehr so gut bestellt, aber ein bissl einen Ortswechsel bekam er noch immer problemlos hin, denn er hatte es, besonders im Winter, lieber warm, sonnig und gemütlich als kalt im Wald. Aber dieses Vergnügen war selten geworden. Früher, ja früher war er stundenlang, seine Eindrücke skizzierend, durch die fremden Gassen gelaufen. Er staunte, sah und malte. Seine Bilder hingen mittlerweile nicht nur überall im Haus, sondern auch im Schuppen und in den Häusern sämtlicher Bekanntschaften, da bei ihnen daheim schon lange kein Platz mehr war.

Ja, bei ihnen daheim. Darfnix war leider verheiratet. Leider deswegen, weil seine Frau ziemlich garstig war und ihm alles verbot, was ihm Freude machte. Spazierengehen, Bilder malen, Wein trinken, Freunde treffen. Alles verboten. 

So richtig schlimm war es mit der mißgünstigen Verbieterei eigentlich erst in letzter Zeit geworden. Bis vor wenigen Monaten hatte Darfnix doch mehr oder weniger seine kleinen Freiheiten gehabt und hin und wieder sogar ein Verhältnis nebenzu genossen. Seiner Frau hatte er selbstverständlich davon erzählt, denn Darfnix war ein einfacher, ehrlicher Mann und hatte keine Geheimnisse vor seinem geliebten Eheweib. Denn ja, er liebte sie nach all den gemeinsam verbrachten Jahren noch immer heiß und innig. Was leider nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Zwar kochte seine Angetraute brav, wie es sich für eine verheiratete Frau gehörte, aber das Haus mußte Darfnix weitgehend alleine sauberhalten und auch für den Erhalt der Kutsche, welche für gelegentliche Ausfahrten in der näheren Umgebung bereitstand, war er alleine verantwortlich. Erotik oder gar Sex gab es seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Sie hatte ihm eine Tochter geschenkt und somit ihre Pflicht erfüllt. Fand sie jedenfalls. Kuscheln und lieb sein - bah. Unfug. Daher mußte sich Darfnix diese Art von Nähe anderswo suchen, wer wollte es ihm verdenken? Im Grunde war er trotz Ehefrau ein einsamer Mann.

Gerne verkroch er sich daher in seinem Keller und betrachtete in seiner mystischen Glaskugel heimlich die Bilder nackter Frauen, wie sie die großen Meister vor seiner Zeit geschaffen hatten. In diesen Keller wagte sich seine Frau nämlich nicht hinein. Sie hatte großen Respekt vor magischen Dingen und Hexenwerk, wie sie es nannte, seit sie ihm einmal mutwillig einen Zauberstab entzweigebrochen hatte und sich eine der Hälften daraufhin flugs in eine Schlange verwandelte und sie in ihre Nase biß. Welche daraufhin mächtig anschwoll und zu ihrem Leidwesen auch später nie mehr so hübsch und zierlich wurde, wie sie es dereinst gewesen war.

Nun trug es sich zu, daß Darfnix eines schönen Tages einen der Unterbergener Botenzwerge mit einer Nachricht zu der Elfe schickte auf die er seit einiger Zeit ein Auge geworfen hatte. In dieser Nachricht ging es hauptsächlich darum, wie gern er sie doch im grünen Moos verwöhnen würde, so wie dereinst, lange war es her, eine seiner wenigen Geliebten. Ein einzigartiges Erlebnis, von dem der arme Alte noch immer gerne träumte. Dummerweise hatte seine verbitterte Ehefrau eine gewaltige Aversion gegen Elfen, weil ihr beim Wäscheaufhängen immer wieder welche gegen die (zugegebenermaßen riesige) Nase rumpelten.

Verständlicherweise war sie davon extrem genervt und hatte mit der Zeit einen veritablen Elfenhaß entwickelt. Nachdem sie also mitbekommen hatte, daß ihr Mann mit einer Elfe zärtliche Brieflein austauschte, bekam sie einen riesigen Grant, legte sich eifrig auf der Lauer, und nachdem Darfnix sich stöhnend und murmelnd besagten Brief an seine Elfe abgerungen und diesen einem Botenzwerg übergeben hatte, fing sie den Zwerg ab, entriß ihm die Botschaft, senkte ihre neugierige Riesennase hinein ... und warf alsdann das arme Brieflein voller Zorn auf den Boden und trampelte auf ihm herum, bis es völlig mit dem weichen Erdboden vermantscht war. Rumpelstilzchen sah ihr vom Gebüsch aus zu und war fasziniert. Hier konnte sogar er sich noch etwas abschauen.

Grrrrrrrrrrrrrrrrrr! Mit Elfen auf dem weichen Moos herumschmusen, was? Das waren also seine ach so erholsamen Waldspaziergänge, was? Ha! Das würde er sich in Zukunft abschminken können, der werte Herr!

Wutentbrannt marschierte Darfnixens Frau nach Hause, hielt ihrem Angetrauten einen lautstarken Vortrag bis ihm die Ohren klingelten und er schlußendlich, nachdem es nach Tagen noch immer nicht besser geworden war mit den Ohren, einen Heiler im Dorf aufsuchen mußte der ihm ein Hörgerät verschrieb. Keine sehr moderne Version, wohlgemerkt, die Technik hatte ja im Zauberwald noch keinen Einzug gehalten, aber immerhin nannte Darfnix von diesem Tag an ein hübsches langes Hörrohr sein Eigen. Welches er ostentativ beiseitelegte, sobald sein Eheweib auftauchte, denn ihre Schimpferei kannte er mittlerweile auswendig, dafür brauchte er kein Hörrohr.  

Nun war guter Rat teuer, wie er seine Brieffreundschaft mit der Elfe aufrechterhalten konnte. Brieftauben waren auch keine Option. Diese hatte er früher gerne benutzt, da sie unauffälliger waren als ein Botenzwerg, doch nachdem sie immer wieder den Balkon so grausam vollgeschissen hatten, daß ihm seine Frau versprochen hatte, ihn mit ihrem Bärlauchpesto in die ewige Horizontale zu schicken wenn er nicht unverzüglich mit diesem Unsinn aufhörte ... war auch dieser Ausweg verschlossen.

So saß er nun, das Kinn in die Hände gestützt, traurig vor seiner Hütte und sah bereits seine zarte Liebschaft im Keime erstickt, noch bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Doch was war das? Was regte sich da vor seinen Füßen? Wuchs da etwas aus dem Boden? Ungläubig kniff der Alte seine Augen zusammen, woraufhin sich erneut eine Träne löste und PING, an exakt dem Ort, an dem sie zu Boden fiel, schoß ein weiterer, kleiner, bunt schillernder Pilz aus der Erde. Interessiert beäugte er die Gewächse. Was mochte es wohl mit diesen Pilzen auf sich haben? Nie zuvor hatte er Ähnliches gesehen. Ob er seine Zauberkugel befragen sollte? In der Ferne waren noch immer Skodefixens Axthiebe zu hören und langsam brach die Dämmerung herein. Die funkelnden Pilze glänzten wie in Eile verlorene Diamanten auf dem Waldboden und lockten allerlei neugierige Waldbewohner an. Schmetterlinge und Bienen hielten sie für neuartige Blumen, suchten auf ihnen nach Nektar und wandten sich enttäuscht wieder ab. Vorwitzige Käfer bissen sich ihre Zähne daran aus und sogar eine Elster kam geflogen und wollte sich einen in ihr Täschlein packen. Doch auch sie mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen, denn die Pilze steckten bummfest im Boden und ließen sich von nichts und niemandem auch nur eine winzige Lamelle krümmen.

'Heast, wos is des!', erscholl eine wohlbekannte Stimme im Abenddunkel. Eine Eule hatte es sich auf der Regenrinne hinter Darfnix bequem gemacht und spähte interessiert auf die glitzernde Pilzlandschaft zu dessen Füßen. 'Is des fia dei neichs G'spusi oda wüst dei Oide b'stechn damit's di wieda ausloßt?' 'Bitte Ethel, geh von der Dachrinne herunter! Wenn das meine Frau sieht! Am Ende hält sie dich für eine Taube und erschießt dich.'

'Ma bitte,' zeterte Ethel genervt, 'es Mannsbilder seids olle sowas von obhängig von eichene Weiba es is a Wohnsinn. Olle unta'm Pantoffl. Bist etzn du da Zaubara oda sie??? Außadem bin I kuglfest, wann's mi hamdrahn wü dann hod's a Problem. Oba die Püz, also DIE PILZE, bitte des is total interessant, I hob die nämlich schon amal wo g'sehn. Soll I dir sagn wo? Oder magst selber raten?'

Darfnix blickte erstaunt hinauf zu Ethel: 'Du hast diese Pilze schon einmal gesehen? Und wo wenn ich fragen darf? Erraten werd ich es sicherlich nie, denn trotz meines hohen Alters ist mir sowas bisher noch nicht untergekommen.'

'Am Jahrmarkt,' posaunte Ethel stolz. 'Am Jahrmarkt hab ich die gesehen, damals in der Stadt. Es mögen wohl so an die 120 Jahre vergangen sein seither, so alt bist halt dann doch no ned wie'st immer tust. Einer der fahrenden Gesellen hatte die im Hosensack und hat sie mir gezeigt. Recht geheimnisvoll hat er getan und gemeint, seit er diese wundersamen Geschmeide mit sich trüge - er hatte sie wohl für eine Art Schmuck gehalten - seien ihm die Damen wohl zugetan und er könne sich vor Angeboten kaum retten. Jetzt mein ich amal, du pflückst dir deine Wunderteile da ab, schiebst sie dir in den Hosensack und machst einen kleinen Waldspaziergang, was meinst? Da wird sich Frau Elfe auch ohne vorherige Benachrichtigung sehr bald einfinden. Bin ich mir ziemlich sicher.'

Gesagt getan. Die Pilze ließen sich, zu seinem Erstaunen, auf einmal völlig problemlos und ohne den geringsten Widerstand aus der Erde ziehen. Durch das Gespräch mit Ethel aufgemuntert, wagte Darfnix es daraufhin, seiner Frau kurz und knapp mitzuteilen, er werde nun einen kleinen Waldspaziergang machen. Ohne ihre Antwort abzuwarten, klemmte er sich seinen Skizzenblock unter den Arm und marschierte von dannen. Das keifende: 'Jetzt am Abend? Im Finstern? Bist jetzt völlig durchgedreht?' hörte er schon nicht mehr. Die Axt von Skodefix war verstummt, die Sonne war fast untergegangen, und Darfnix mußte sich eingestehen, daß er wohl doch etwas zu unbedacht aufgebrochen war. Aber zurückgehen wollte er nun auch nicht. Zur schimpfenden Ehefrau, die lediglich höhnisch anmerken würde, daß sie es doch gleich gesagt hätte und was er überhaupt geglaubt hätte wo er hingeht und so weiter.

Hinter sich hörte er das Flappen von Flügeln und herbei flog Ethel, auf jeder Kralle zwei Glühwürmchen tragend, die mehr oder weniger freiwillig den Waldweg beleuchteten. 'Was tätst ohne mich, ha?', feixte sie selbstgefällig. Darfnix murmelte etwas in seinen Bart und stapfte dankbar hinter seiner alten Freundin her. Und tatsächlich, kaum hatte er die große Lichtung mitten im Wald erreicht, sah er dort seine geliebte Elfe sitzen, die ihm freudig entgegensah. Bei seinem Anblick sprang sie auf und lief ihm leichtfüßig entgegen: 'Darfnix, was für eine Freude, dich zu sehen! Gerade mußte ich an dich denken und habe mir überlegt, wie schön es wäre, jetzt mit dir einen kleinen Mitternachtsspaziergang zu machen. In dieser wunderschönen Sommernacht ist man doch nicht gern allein.'

Geschmeichelt bot Darfnix seinen Arm, die Elfe hakte sich ein und zog ihn weiterhin glücklich plappernd des Weges: 'Weißt du ich hab mir was überlegt. Ich verstehe, daß du deine Frau nicht im Stich lassen willst, und das ehrt dich auch sehr. Ohne dich wäre sie verloren, sie weiß es nur nicht. In meinen Augen bist du ein Held. Aber unterbuttern mußt du dich nicht lassen, und daher habe ich ein kleines Geschenk für dich: Einen neuen Namen und eine etwas andere Gestalt. Ich könnte dafür sorgen, daß du deutlich langsamer alterst als deine Zeitgenossen. An deinem achtzigsten Geburtstag beispielsweise wirst du dann immer noch fitter sein als andere mit 40. Und was den Namen betrifft, findest du nicht, daß Peter Pan deutlich fröhlicher klingt als Darfnix?' 

'Aber liebe Elfe, ich BIN doch schon alt, wie kannst du dann mein Altern hinauszögern wollen?'

'Unsinn Peterchen, das hat sie dir nur eingeredet. Heute Nacht ist es dunkel, man sieht nicht mehr viel. Aber blick morgen einmal in deinen Spiegel und du wirst sehen, daß ich recht habe. Und nun, guck einmal diesen prächtigen Moosteppich an. Was für eine prächtige Spielwiese! Wie geschaffen für ein kleines Schäferstündchen, bis du wieder nach Hause zurückkehren mußt. Nicht, daß sie anfängt, sich Sorgen zu machen und den halben Wald zusammenbrüllt. Wir wissen ja beide, was für ein Organ sie hat.'

Gesagt getan, und erfrischt brach Darfnix ... äh Peter, nach dem Liebesspiel wieder auf, nach Hause. Auch hier leuchtete Ethel ihm freundlich heim bis er sicher auf der Schwelle seines Hauses stand. In der guten Stube saß die Frau noch mit dem Strickzeug und wollte gerade den Mund öffnen, um ihn gehörig auszuschimpfen, als Peter sich aufrichtete und sie fest ansah: 'Hör mal carissima, ich mag dich wirklich sehr, sehr gern und das weißt du auch. Und ich werde dich niemals verlassen. Aber eins bitte ich mir von nun an aus: Wir werden einen vernünftigen Umgangston pflegen und uns gegenseitig respektvoll behandeln. Übrigens heiße ich ab heute Peter, nicht mehr Darfnix. Denn ich darf alles tun, was nicht gegen das Gesetz des Königs verstößt, und daran wird mich niemand hindern. Auch du nicht. Gute Nacht.'

Damit drehte er sich um und stieg in seine Gemächer hinauf, in Gedanken noch immer beim wunderschönen Rendezvous mit seiner geflügelten Gespielin. Was die für Stellungen kannte, mein lieber Schieber!

Im Wohnzimmer war die Frau mit offenem Mund zurückgeblieben. Draußen saß auf dem Fensterbrett eine Eule und sah zufrieden die sprach- und fassungslose Gestalt ein ganz klein wenig zusammensinken. Aber wirklich nur ein ganz kleines bißchen. Dann richtete sie sich wieder auf, legte ihr Strickzeug beiseite und verließ ihrerseits den Raum.

'Es geschehen noch Zeichen und Wunder', murmelte Ethel zu sich selbst, bevor sie sich aufschwang und ihre einsame Gestalt leise im nächtlichen Wald verschwand.





Samstag, 27. Juli 2024

Meine letzte große Liebe


Einbrechen ist ein verdammt schwieriger Job. Wenn man es ordentlich macht. Die meisten von euch denken sicherlich, es sei damit getan, die Türe aufzukriegen. Beileibe nicht! Es ist ein Handwerk, eine Kunst. Die man erlernen muß. Und ich habe sie erlernt. Von der Pike auf. Einer der Freunde meines großen Bruders, sie nannten ihn 'Nietzsche' weil er im Rausch immer aus dem 'Zarathustra' zitierte, packte mich bereits als Jungen immer wieder an den Füßen und ließ mich zum Kellerfenster des Metzgers hinab, weil ich so dünn war und daher als Einziger der Gruppe durch dieses Fenster paßte. Im Keller lagerten geräucherte Wurstwaren, die ich nach oben schaffte und die dann an diverse Wirte in der Altstadt verkauft wurden. Das klingt im Prinzip sehr einfach, aber was machst du, wenn dir im Keller auf einmal jemand entgegenkommt? Ein Anfänger gerät in Panik, schlägt den Überraschten nieder oder gar tot. Was ich gemacht habe: ich habe ihn in eins der Abteile gedrängt und dort eingesperrt. Das muß dann natürlich alles sehr schnell gehen, das Auf- und Zusperren mußt du im Schlaf beherrschen. Da ist keine Zeit für langwierige Fummeleien.

Der nächste Schwierigkeitsgrad nach Kellern von Mietshäusern sind freistehende Häuser. Auch hier latscht man nicht einfach hinein weil man es kann, sondern es empfiehlt sich, das Anwesen über einen längeren Zeitraum genau zu beobachten. Wer kommt wann nach Hause, ist eine Regelmäßigkeit auszumachen? Wenn nicht, dann Finger weg. 

Neulich hatte ich das ideale Objekt am Start. Riesenhütte, kein Hund, kein Alarm, jeden Tag von halb 10 bis ca. 15 Uhr war niemand zuhause. Hab ich mich natürlich schon gefragt, wie man mit solchen Arbeitszeiten so reich werden kann, aber gut. Vielleicht hatten sie ja geerbt. An einem diesigen Herbstmorgen gegen 11 Uhr bin ich also eingestiegen. Das Objekt war von einer dichten Hecke eingefaßt, wenn du da mal durch warst, hat dich niemand von außen mehr gesehen. Absolut ideal. Lange hatte ich nach einem Haken gesucht, aber keinen gefunden. Bald stand ich, die Terassentür war kein Hindernis für mich, im Wohnzimmer. Riesiger Flachbildschirm, total Prolo, und im Bücherregal fast nur uralte Schinken von Donauland. Zwischendrin der eine oder andere Klassiker. Es roch staubig, war es auch, und vor Hölderlins gesammelten Werken stand ein Schokoladennikolaus ohne Kopf. Wie absurd! Die beiden hatten keine Kinder, die hätte ich gesehen.

Nun war ich ja nicht hereingekommen, um die Bücherwand zu bewerten, sondern um die Dame des Hauses idealerweise um das eine oder andere hübsche Schmuckstück zu erleichtern. Leider wuchs mein Unbehagen mit jedem Zimmer das ich betrat. Normalerweise heben die Leute sowas ja im Nachtkasterl auf oder wenn's blöd läuft in einem Safe. Aber sowas hatten die garnicht. Und auch keinen Schmuck. Nur so blöde Holzperlenketten und billige Ohrringe. Was wurde hier gespielt? Hatten sie ihren Goldkram etwa in einem Bankschließfach? Im ganzen Haus fand ich absolut NICHTS von Wert. Nicht einmal ein Paar silberne Manschettenknöpfe. Kein Wunder, daß das Haus ungesichert war. Hier gab es tatsächlich bis auf den bescheuerten Flachbildschirm keinerlei Beute, und den konnte ich alleine nicht tragen. Kriegst auch nix mehr dafür, totale Zeitverschwendung. Schweren Herzens entschloß ich mich, das Objekt zu verlassen und mir ein lohnenderes Ziel zu suchen. So schade! Die langen Wochen der Beobachtung, das Planen, die Vorfreude ... alles umsonst.

Ein letztes Zimmer im oberen Stockwerk hatte ich noch nicht durchsucht, die abblätternde Farbe auf der Türe ließ auf eine Abstellkammer schließen, wenig verlockend. Aber wer weiß, vielleicht hatten sie genau dort ihre Reichtümer gebunkert?
Auf der Schwelle blieb ich stocksteif vor Schock stehen. Aus einem Bett blickten mich zwei riesige Augen aus einem abgemagerten Gesicht freundlich an, der eingefallene Mund darunter sagte: Guten Tag junger Mann. Wollten Sie mich besuchen? Was für eine Freude. Setzen Sie sich doch.
Der Gestank war bestialisch, das Fenster geschlossen. Ich unterdrückte meinen Fluchtreflex und begann mir Fragen zu stellen: Wer war diese Person und wieso kümmerte sich niemand um sie? 

Als erstes steckte ich die zerbrechliche Gestalt vorsichtig in die Badewanne, hierbei stellte ich fest, es handelte sich um eine Frau. Die noch lange nicht so alt war wie sie aussah. Ihrer Erzählung nach war der Hausherr ihr Sohn, der fröhlich von ihrem Ersparten lebte, und sie in ihrem Kämmerlein verkümmern ließ. Ab und an wurde eine Pflegerin angeheuert, aber diese Leute verlangten zu Recht mehr Geld, das sie trotz aller Versprechungen aber nicht bekamen, woraufhin sie bald wieder verschwanden.

Nun hat ja ein Mensch, der öfter mit den Ordnungshütern in Berührung kommt als ihm lieb ist, einige Kontakte zu Anwälten. Einer dieser Kontakte, ein sehr liebenswerter junger Mann, hat uns dann geholfen. Die genauen Umstände unseres Kennenlernens haben wir ihm natürlich verschwiegen, doch das Erzählte hat ihm genügt um sofort Action zu bringen. Da keinerlei Anzeichen geistigen Verfalls festzustellen waren, wurde die Versachwaltung aufgehoben, die gute Frau bekam die Vollmacht über ihre Konten zurück, zog in eine eigene kleine Wohnung und der Sohn hatte den Scherben auf.

Eigentlich könnte die Geschichte jetzt zuende sein. Das Opfer ist in Sicherheit, hat neue Zähne bekommen und sich mit dem Retter angefreundet der sie fast jeden Tag auf einen Kaffee besucht. Die beiden verstehen sich prächtig, lachen viel zusammen, und sie drückt ihm immer wieder verstohlen ein Scheinchen in die Hand wenn er klamm ist, Ende gut, alles gut. Aber so ist das nun mal nicht im Leben. Jedenfalls nicht in meinem Leben.

Nichts deutete darauf hin, daß meine neue Bekanntschaft trotz ihrer Gehbehinderung nicht noch mindestens 20 Jahre leben könnte. Gut, sie würde nicht mehr Seilspringen wie ein junges Mädchen, aber für den einen oder anderen Kurzausflug würde es reichen. Eifrig schmiedeten wir Pläne für die Zukunft, wenn erst der neue Rollstuhl da wäre, dessen Genehmigung sich leider sehr in die Länge zog.

Ich weiß noch wie ich sie das letzte Mal gesehen habe. Lieder aus ihrer Jugend summend stand sie vergnügt in der Küche und wusch unsere Kaffeehäferln ab. Ich durfte abtrocknen, danach schickte sie mich weg. Ich solle noch etwas von meiner Jugend haben und nicht ständig bei ihr alter Oma rumsitzen, meinte sie neckisch. Dabei saß ich so gerne bei ihr. Sie war der erste Mensch in meinem Leben, der mich so nahm wie ich war und mich nicht entweder ausnutzen oder ständig an mir herumerziehen wollte. Fast würde ich sagen, wir haben uns geliebt. Denn ich war beileibe nicht der einzige Mensch dessen sie hätte habhaft werden können in ihrem neuen Leben. Sie war reich und hätte sich im vornehmsten Seniorenheim des Landes einkaufen können, dort hätte sie Gesellschaft genug gehabt. Jedoch hatten wir beide gelernt, den Menschen zu mißtrauen. Sowas verbindet. Natürlich hatte sie auch eine Pflegerin, aber diese klebte nicht rund um die Uhr an ihr sondern hatte ihr eigenes Zimmer, kam nur heraus wenn sie gebraucht wurde. Manchmal hatte ich den Eindruck, ihr Deutsch war besser als sie zugeben wollte.

Zwei Tage nachdem mich meine Wohltäterin weggeschickt hatte, läutete ich wieder an ihrer Wohnungstüre. Ich fühlte mich einsam und brauchte jemanden zum Reden. Natürlich dauerte es stets eine Weile bis sie zur Türe kam, doch heute ... kam niemand. Wie konnte das sein? War sie beim Arzt? Langsam stieg ich die Treppen wieder hinab und verließ das Haus. Blickte nach oben. Zu ihren Fenstern. Sah, wie eins offen stand und der Vorhang sich leise im Wind bewegte, als wolle er mir etwas mitteilen, oder mich gar herbeiwinken. Irgendetwas stimmte hier nicht.

Ich sah sie sofort liegen, nachdem ich die Wohnung betreten hatte. Tot und kalt, so eiskalt. Ich hatte nicht gewußt, daß sich ein Mensch so kalt anfühlen konnte. Von der Pflegerin weit und breit nichts zu sehen. Langsam drückte ich meiner lieben Freundin die starr blickenden Augen zu und wählte die Nummer der Polizei bevor ich weinend zusammenbrach. Wieder stand ich völlig alleine auf dieser verfickten Scheiß-Erde.

Den Rest könnt ihr euch denken, oder? Natürlich hat man mir den Mord in die Schuhe geschoben. Vor allem, nachdem sich herausgestellt hatte, daß ich im Testament nicht nur erwähnt wurde, sondern einen gewaltigen Batzen ihres Vermögens erben sollte. Ich hätte heimtückisch bei der freundlichen, arglosen älteren Dame angedockt, erzählte der Sohn, mich in ihr Vertrauen geschlichen und sie anschließend, nachdem es mir mit dem Erben wohl nicht schnell genug gehen konnte, einfach erschlagen. Nix mit in dubio pro reo. Meine Spuren waren in der Wohnung reichlich vorhanden, auch direkt am Tatort, und wie war ich überhaupt hereingekommen? Nun konnte auch mein Bekannter, der Anwalt, nichts mehr ausrichten. Wer glaubte schon einem vorbestraften Einbrecher?

Nun sitze ich hier in Stadelheim. Immerhin habe ich ein Einzelzimmer bekommen wie alle anderen Mörder auch. Ich habe eine gute Arbeit dank derer ich mir beim Einkauf alles genehmigen kann was ich brauche, ohne die internen Verteilstellen in Anspruch nehmen zu müssen. Man geht mir aus dem Weg. Ich habe meine Ruhe. Mehr kann ich nicht mehr erwarten. Abends weine ich heimlich und leise, damit mich niemand hört. Würde meinem Ruf schaden. Ich vermisse meine liebe Freundin so sehr. Irgendwann werden sie mich in den offenen Vollzug lassen wo man nicht mehr ständig bewacht wird und dann, dann komme ich dir nach, Miranda. Bis bald!