Ich habe mir die Eintrittskarte nun doch nicht gekauft. So sehr ich Lust auf die Darbietung hatte, so sehr hasse ich es, Teil des Publikums zu sein. Eigentlich müßte ich sagen: Ich hasse die Zuschauer. Ich hasse sie, und ertrage es nicht länger, als unbedeutendes Puzzlestückchen mittendrin zu sitzen, praktisch einer Masse zugehörig zu sein mit der ich nichts gemein haben möchte.
Wie sie sich schon vor der Vorstellung in Szene setzen als wären sie selbst die Künstler, sich gegenseitig überschreien, jeder hat es wichtig, muß unbedingt etwas mitteilen das sich sein Gegenüber mit offenem Mund anhört. Nicht weil er dem Erzähler so gebannt lauscht, nein, sondern weil er auf eine kleine Pause, eine winzige Unsicherheit des Redners wartet um sofort einzuhaken und das loszuwerden, was ihm die ganze Zeit schon selbst auf der Zunge liegt.
Je nach Lokation schaffen es manche, während dieses Vorgangs auch noch gabelweise Eßbares in sich hineinzustopfen und mit den jeweils landesüblichen Getränken nachzuspülen.
Die Herren gehen vor Beginn der Vorstellung rasch eine letzte Zigarette rauchen während die Damen sich prophylaktisch auf die Toilette begeben und dort nach Erledigung der Hauptsache vor dem Spiegel ewig an sich herumzupfen. Als ob in der Dunkelheit des Zuschauerraumes irgendwer mit der Taschenlampe umherliefe und die bestaussehende Dame mit einem Sonderpreis bedächte. Ein Meet and Greet mit dem vortragenden Künstler vielleicht, oder gar ein Abendessen mit anschließendem Matratzentest?
Fängt die Vorstellung endlich an, geht das Sich-in-Szene-Setzen lustig weiter. Am liebsten mag ich die ganz Gescheiten, die nach jeder Wuchtel zu Wiehern und zu Prusten anfangen wie ein alter Gaul, damit auch jeder der Umsitzenden und idealerweise natürlich der Künstler oben auf der Bühne mitbekommt, daß sie den Schmäh verstanden haben. Sozusagen Idealpublikumsmitglied. Intelligent genug, um das Dargebotene zu begreifen. Toll. Handelt es sich um jüngeres Publikum so wird nicht selten auch noch wild gepfiffen, der Tinnitus dankt. Nicht erst einmal habe ich wegen eines solchen Exemplars in meiner Nähe bereits während der Pause die Vorstellung verlassen müssen.
Sehr beliebt, vor allem beim Künstler, ist der Zwischenrufer. Routinierte Kabarettisten lassen sich von einem solchen nicht aus dem Konzept bringen, haben ihre Standardsätze mit denen der Übeltäter lässig beschossen wird und bald beschämt in seinem Sessel kauert. Er wird sich für den Rest des Abends nicht mehr hervortun. Beim nächsten Mal jedoch wird er es erneut probieren. Dieser Zuschauertypus rekrutiert sich meist aus unscheinbaren Gestalten, die sich damals, in der Schule, bei der Rede des Direktors in der Aula, nicht getraut haben, den Mund aufzumachen. Inzwischen aber, aus der vermeintlichen Anonymität des Zuschauerraums heraus, da geht was, da möcht' man frech werden und sich von den Umsitzenden bewundern lassen.
Ab und an beobachtet man die heimlichen Streber, die ihre Lieblingswuchteln aufnotieren und ansonsten dem Künstler gebannt an den Lippen hängen. Nicht selten sind auch sie es, die sich hinterher um ein Autogramm bemühen und solange am Hinterausgang herumwarten, bis der müde Kabarettist aus der Garderobe kommt und eigentlich nur noch eine Kleinigkeit essen möchte und dann nach Hause. Stattdessen darf er sich mit einer Schar strebsamer Bewunderinnen herumplagen, die ihn um die genaue Bedeutung dieser oder jener Textstelle fragen ... also praktisch eine private Zugabe erwarten, ohne gefragt zu haben, ob das dem Menschen dort am Bühnenausgang überhaupt recht ist.
Sie alle öden mich unendlich an. Die Vornehmen in München, die Lauten in Frankfurt, die Lustigen in Wien und die Gelangweilten auf dem Land, die meist nicht einmal genau wissen, was eigentlich gespielt wird. Hauptsache man ist dabei wenn einmal was los ist ... und dann hocken sie da wie angeleimt und klatschen nicht einmal, wenn der Künstler die Bühne betritt. Peinliches Schweigen. Die ersten Worte, zögerlich fallen sie in die begierige Meute die nur auf einen Fehler, auf einen Hänger, auf einen Versprecher lauert ... es ist zum Fremdschämen.
Nein, dazu möchte ich nicht mehr gehören. Es freut mich nicht mehr. Daher habe ich mir die Eintrittskarte nun doch nicht gekauft. Ein anderer wird sie glücklich an sich reißen und sich hoffentlich während der Vorstellung anständig benehmen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen