Sonntag, 8. August 2021

Hinter Glas



Ich bin Lehrer. Für Deutsch, Geschichte und Religion. Und ich bin Idealist. Meistens. Ok, manchmal. Immer seltener. Dabei sind meine Maßstäbe nicht wirklich zu hoch angelegt, würde ich meinen. Aber mittlerweile ist das Niveau so gesunken dass ich mich bereits über Aufsätze wie diesen zum Thema 'Griechenland der Antike' so richtig freuen kann: 'Die alten Griechen waren alles voll die Schwuchteln. Der eine ist zwanzig Jahre mit dem Schiff rumgefahren, nur damit er seine Verlobte daheim nicht zu heiraten braucht. Der nächste hat freiwillig einen Becher mit Gift getrunken, damit er sich die Motzereien seiner Alten nicht mehr länger anhören muss, weil er lieber mit seinen Kumpels abgehangen ist als ihr daheim zu helfen. Wieder ein anderer wurde von seiner Mutter in Frauenkleider gesteckt damit er nicht in den Krieg muss, aber wie sie ihm draufgekommen sind und er doch in den Krieg musste, hat er sich gleich in den Feind verknallt aber weil er das vor sich selber nicht zugeben konnte, hat er ihn gejagt bis in den Tod und darüber hinaus.'

Orthographisch fast einwandfrei, lediglich inhaltlich ... naja. Aber wenn Sie wüssten, was ich mir manchmal anhören darf. 'Ey Lehrer, leck misch am Arsch mit deine Scheiße Grammatik, brauch isch keine Grammatik wenn isch Zuhälter bin wie meine Bruder!' Und das meinte Mehmet durchaus ernst. Saß mit seinen 16 Jahren fett grinsend wie Buddha im Klassenzimmer unter lauter 13-jährigen und guckte frech.

Beim letzten Elternsprechtag saß der kleine Rudolf Kramer aus der ersten Klasse mit seinen Eltern vor mir (unüblich, ich weiß, aber sie wollten beide gerne kommen und der Babysitter war krank geworden). Herr Kramer erzählte von einem Nachbarn, mit dem es neulich gewaltig Ärger gegeben hatte. Seine Erzählung war etwas wirr und ich fragte nach: 'Wer ist jetzt dieser Herr Matthes?' Ruft der Rudi forsch dazwischen: 'Des is der Zipfiklatscha der wos in unsara Wiesn parkt hod!'

Zipflklatscher. Ich bitte Sie! Ich musste diesen Begriff erst einmal nachschlagen. Woher kennt das Kind solche Schimpfwörter?

Meine Frau fragte immer öfter: 'Warum gehst du nicht einfach in Pension?' und betonte dabei das Fragezeichen wie ein vor hilfloser Wut verkrümmtes Ausrufezeichen. Bisher hatte ich immer abgewunken. Ich liebe meinen Beruf, das muss sie doch verstehen dachte ich, weiters hatte ich durchaus den Anspruch an mich selbst, Schlimmeres verhüten zu wollen. Die jungen Lehrer haben doch selber schon 'keinen Bock mehr' und machen lediglich Dienst nach Vorschrift. Obwohl man mir immer öfter nahegelegt hatte, zu gehen, bin ich daher weiter aktiv im Dienst geblieben. 

Aber nun, nun habe ich endgültig genug. In Bayern wurde voriges Jahr ein neues Schulfach eingeführt. Gesundheitserziehung. Da denkt man zuerst: Na klasse! Endlich mal mehr Sport, weniger Handy, gesünderes Essen, mehr Gemüse statt immer nur Pommes und Cola, aber denkste. Es handelte sich vielmehr um die Fortsetzung der Gehirnwäsche, die bereits im Jahre 2020 begonnen hatte, als sich dieses neuartige Virus zu verbreiten begann. Den Kindern wird nun eingebläut, sich 'verantwortungsvoll' zu verhalten, in den Pausen nicht mit den Schulkameraden zu spielen sondern, wann immer möglich, Abstand von ihnen zu halten. Auf dem Schulgelände sind stets die Masken zu tragen. Diese dürfen nur zum Essen oder nach der Pause, wenn die Schüler wieder am Platz sitzen, abgenommen werden, falls der Landeshauptmann und die Inzidenzen dies erlauben. Ansonsten müssen sie auch im Unterricht getragen werden. Ich kann so nicht arbeiten! Wie soll ich meine Schülerinnen voneinander unterscheiden, wenn die Hälfte Kopftuch trägt und nun auch noch Gesichtsmaske?

Händedesinfektion und täglicher Selbsttest sind Selbstverständlichkeiten geworden. Auch außerhalb der Schule sind die Kontakte einzuschränken. Wer jemanden sieht, der sich nicht an die Regeln hält, soll dies unbedingt der Lehrkraft seines Vertrauens mitteilen, gerne auch anonym. Miteinander reden oder gar lachen? Fehlanzeige. Bei Aldous Huxley gab es wenigstens noch Soma, wenn die Menschen allzu traurig wurden. Bei uns? Nichts dergleichen. Alles was Freude macht, wurde verboten und wer aus dem Fenster springen wollte - bitteschön!

Nachdem genug Impfstoff verfügbar war für alle, und dieser auch für die Kinder zugelassen worden war, wurden die Tests kostenpflichtig, was sich viele Familien nicht mehr leisten konnten. Der gut vernetzte Untergrund stellte alternative Schulformen zur Verfügung, welche von der Verpflichtung zum Präsenzunterricht entbanden. Im Prinzip eine gute Sache, wenn dort wirkliche Pädagogen zu Werke gegangen wären und nicht irgendwelche Eso-Fuzzies, die bei Vollmond in der alten Ruine oben seltsame Rituale mit einer toten Katze vollzogen. Waldorfschule Hilfsausdruck. In diesen Etablissements wurde nicht der Name getanzt, da wurden satanische Verse gelehrt, und ich war dabei, Sie können mir also unbesehen glauben, dass ich weiß, wovon ich spreche. Immer wenn man meint, es könne nicht noch schlimmer kommen, setzt die Menschheit kalt lächelnd einen drauf.

Nachdem also auch in diesen Stätten meines Wirkens nicht mehr länger war, habe ich mich schweren Herzens entschlossen, meinen Beruf an den Nagel zu hängen. Wer braucht schon Bildung. Selber denken ist schon lange unerwünscht, und um einfach nur nachzuplappern, was Lehrer, Chef oder Minister vorsagen, bedarf es keiner besonderen Intelligenz.

Seit voriger Woche arbeite ich als Tierpfleger bei den Menschenaffen im Frankfurter Zoo. Dort wird noch gelacht und rumgealbert, und die Kunst der Konversation ist ebenfalls noch nicht völlig ausgestorben, sie findet lediglich auf einer anderen Ebene statt. Ich bin zufrieden. Guten Abend!




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