Sonntag, 13. August 2017

Anton Teil 5


Jetzt ist es so, daß man, wenn man Hunger hat und was essen möchte, vorher Einkaufen gehen muß. Zumindest heutzutage ist das so – und besonders wenn man in der Stadt lebt. Am Land bringen einem auch mal die Nachbarn was, vor allem wenn sie Angst vor einem haben oder davor, daß das Schicksal, das einen befallen hat, auch sie befallen könnte (das nennt man dann Mitleid).

Früher hat einem die Mama gerne mal was hingestellt und noch früher mußte man halt sammeln oder lauern gehen, je nachdem.

Miranda sagt immer, die Männer sind nicht deshalb um ein Mammut gegangen weil sie stärker oder mutiger waren als die Frauen, sondern weil es ihnen eher wurscht war ob sie bei dem, was sie tun, was erreichen oder nicht. Hatten sie es tatsächlich einmal geschafft, ein Tier zu erlegen, dann war das Triumphgeheul laut, der Jubel groß und der nachfolgende Rausch ebenso – da konnte man dann noch nicht einmal was sagen. War's aber eher nix mit der Beute, nämlich eh meistens, dann war's immer noch ein prima Ausflug mit den Jungs von dem man SOOO wilde Geschichten mitbrachte und einen Rausch – weil der Karli hätte ja fast einen Mammut erlegt aber der hat sich dann umgedreht und ist zurückgerannt gekommen und wäre da nicht zufällig grad diese Höhle gewesen wo sie dann alle rein sind und die Türe hinter sich zumachen konnten … aber pfuh! Und auf den Schreck hin mußten sie natürlich zum Wirten und ein paar Hörner Met abgreifen …

Die Frauen, sagt Miranda, hatten Kinder zu ernähren und daher keine Zeit und noch weniger Geduld für so einen Blödsinn. Sie hatten es sich somit zur Aufgabe gemacht, immer zu wissen wo grad was wuchs was man essen konnte und sich weder wehrt noch wegläuft, also sind sie da jeden Tag schnurstracks hingegangen und haben es geholt. Für sich und die Kinder – und diejenigen unter den Männern, die rechtzeitig aus ihrem Rausch aufgewacht sind um sich murrend dazuzusetzen und am Essen rumzumäkeln.

Jetzt hat Miranda den Anton öfters einmal zum Einkaufen schicken müssen weil sie sagenwirmal grad keine Zeit hatte – eigentlich keine Lust aber keine Zeit klingt besser – und der Anton ist brav losgezogen weil er genau gewußt hat was passiert, wenn er's nicht tut.

Viel Geld hat er meistens nicht dabeigehabt weil selber hat er ja kaum etwas verdient und Miranda war so geizig, daß sie ihm, wenn überhaupt, dann grundsätzlich zuwenig mitgegeben hat weil sie bei den meisten Sachen keine Ahnung hatte was die eigentlich kosten weil die Frau Künstlerin ja immer mit dem Kopf woanders war.

Eines Tages geht der Anton also auch wieder mal so durch den Supermarkt und steuert grad auf das Regal mit den Eiern zu, als er von so einem Anzugtyp brutal abgedrängt wird, es war nämlich nur mehr ein Karton von den guten, teuren Eiern da und die stünden natürlich ihm zu, wird er sich gedacht haben, weil er einen Anzug anhat und den kann man effektiver antrenzen als eine Jean die bereits volltrenzt ist. Dabei war die Jean vom Anton total sauber und wie den Kerl grad empört drauf aufmerksam machen will sieht er, wie dieser sich bückt, einen Karton von den billigsten Eiern um einen Euro zwanzig nimmt, in sein Einkaufswagerl legt – und hocherhobenen Hauptes von dannen schreitet. Anton hat sich dann den letzten Karton mit den guten Eiern eingepackt weil er immerhin wußte 'man ist was man ißt' und man muß Prioritäten setzen auch und gerade wenn man wenig Geld hat.

Beim Warten an der Kassa hat er dann an früher denken müssen wie er am Großmarkt für einen Zigeuner Obst und Gemüse ausgeladen hat, die guten Sachen wurden zum Verkauf bereitgestellt und die Spinnen, Schlangen und zergatschten Paradeiser warf man zum angefaulten Karfiol in riesige Container zum späteren Abtransport.

Jetzt, wenn in einer Kiste noch zehn gute Paradeiser drin waren und der Rest war zergatscht, dann ist halt die GANZE Steige in den Container geflogen weil time is money und von beidem hat man ja meist zuwenig.

Das ist dann abends immer so richtig klar rausgekommen – Anton war ja Bayer und dachte daher nicht 'abends' sondern 'omz' – wenn also omz nach Betriebsschluß die Mercedesse und BMWs vorgefahren sind, so Anzugtypen ausgestiegen sind und anfingen, in den Containern nach noch Verwendbarem zu wühlen. Keine Sandler, keine den Konsumterror ablehnenden militanten Alternativler, nein, Leute im feinsten Zwirn die offenbar all ihr Geld für Statussymbole ausgegeben hatten so daß sich dann die immerhin doch notwendigen Nahrungsmittel budgetär nicht mehr ausgegangen sind. Einmal hat der Anton sogar mitbekommen, wie sich welche total in die Haare geraten sind; die waren tatsächlich in die Container reingestiegen und zerrten an irgendwelchen Bananenstauden umeinander. Genau hatte es der Anton damals nicht mitbekommen weil er hatte ja Feierabend und immerhin noch seinen Zweitjob als Einbrecher zu erledigen, aber gewundert hat es ihn schon was manche Leute für eine kuriose Art haben, Prioritäten zu setzen.

Als er zuhause Miranda seine Überlegungen mitteilen wollte, hat sie ihn nur zerstreut angeschaut weil sie eine Bücherlieferung bekommen hatte und sich nicht entscheiden konnte, welches Buch sie zuerst lesen sollte. Anton ist also auf den Balkon gegangen und hat den Tauben was über Prioritäten vorgejammert, aber wie die mitbekommen haben, daß er keine Körnchen dabei hatte, sind sie weggeflogen und haben Anton mit seiner Bitterkeit alleine gelassen und er hatte wieder mal allen Grund, in Selbstmitleid zu baden und sich eine neue Flasche aufzumachen ...




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