Sonntag, 13. August 2017

Anton Teil 1



Als Anton Fieselmaier noch ein Knabe war, wurde er von einem mysteriösen Weltraumfahrer gerne für Einbrüche benützt weil er so dünn war. Solcherart wurde er mehrmals durch ein Kellerfenster gesteckt um geräucherte Wurstwaren zu stehlen welche hernach um einen Schleuderpreis an Wirte in der Umgebung verhökert wurden. Anton Fieselmaier bekam für seine Mühen lediglich hier und da ein Freibier und am Ende vom Weltraumforscher noch ein paar gewaltige Ohrfeigen angedroht als ihm die letzte Ladung Schinken, zuvor mühsam des Nachts quer durch die holperige Altstadt gekarrt, verlustig ging indem daß heimtückische Mitbewohner ihn hinterrücks bestahlen. 

Es gelang ihm zwar, den Weltraumforscher von seiner Unschuld zu überzeugen, jedoch mußte er alsbald erneut mit jenem in einen anderen Keller einbrechen um dort eine kaiserlich-göttliche Weinexpertise vorzunehmen. Ein zufällig im Keller ihre Wege kreuzender Hausbewohner wurde kurzerhand in einen Nebenraum gesperrt. Diese Begegnung war ganz schlecht für Herrn Fieselmaiers Nerven, die bereits in seiner Jugend nicht die besten waren, aber man muß Prioritäten setzen und das Wichtigste war jetzt nun einmal, den Weltraumforscher bei Laune zu halten was kurze Zeit später dann auch kein Problem mehr war weil der Weinkeller sich als außergewöhnlich gut bestückt erwies. Da war nix mit niedertückischem Rheinfiesling in Bestpreislage, nee nee, jeder Schluck aus den vorgefundenen  Flaschen war gut seine 1000 Mark wert – was den gestörten Weltraumforscher jedoch nicht daran hinderte, so manche Flasche mit einem kurzen ''Das schmeckt Scheiße!'' verächtlich beiseitezustellen und und die nächste zu öffnen. Gut betankt zog man schlußendlich mit, aus rein logistischen Gründen, nur wenigen erbeuteten Flaschen von dannen.

In späteren Jahren bezog Anton Fieselmaier nach durchlittener Trennung von seiner geliebten Ehefrau ein Untermietszimmer bei einer befreundeten Künstlerin welche ihm ihr Atelier zur Verfügung stellte und seither keine Bilder mehr malen konnte weil ihr die ständigen Schmerzenslaute Herrn Fieselmaiers auf's empfindliche Gemüt schlugen.

Eines Tages stand Herr Fieselmaier wieder einmal am Balkon und wehklagte lauthals in die Landschaft unter ihm, als ihn unvermittelt ein Pfeil am Ohr traf. ''Ei Pardauz!'', dachte Herr Fieselmaier, ''was hat das zu bedeuten?''. Als er sich den Pfeil aus dem Ohr gebastelt hatte, nicht ohne einen Satz weiterer inbrünstiger Klagen abzusondern, fand er einen Zettel an den Pfeilschaft geklebt auf dem folgendes geschrieben stand:

Paß auf du miese kleine Ratte! Du hast mir damals wieder und wieder meinen Keller mit dem Geräucherten ausgeraubt. Gut. Ok. Was will  man machen. ABER JETZT IST SCHLUSS! Wenn ich dich auch nur ein EINZIGES Mal auf meinem Grundstück erwische dann darfst du meinem Bernhardiner eigenhändig die Serviette umbinden bevor ich dich ihm als Festmahl kredenze, VERSTANDEN?

Verwirrt blickte Herr Fieselmaier nach unten. Auf der gegenüberliegenden Seite, hinter dem Parkplatz, befand sich ein Schrebergartengrundstück in dem sich in der Tat ein pferdegroßer Bernhardiner ausgelassen tummelte und zwischenhinein, so erschien es Herrn Fieselmaier, spitzbübisch zu ihm nach oben schielte.
''Mein Gott!'', dachte Herr Fieselmaier erschüttert, ''sollte ich mich tatsächlich ausgerechnet gegenüber dem alten Räuchermeister niedergelassen haben?''

Versonnen befingerte er den Pfeilschaft und dachte angestrengt nach, eine Tätigkeit die all seine Sinne beanspruchte, so daß er den kleinen dunklen Fleck am Horizont nicht bemerkte, auch nicht, daß dieser unaufhaltsam zu wachsen schien. Irgend etwas kam dort oben näher und näher, und noch immer hatte Herr Fieselmaier nichts bemerkt. Erst als dicht neben seinem malträtierten Ohr eine blecherne Stimme ertönte ''Anton! Anton! Ich grüße dich! Du bist alt geworden!'', schreckte er auf. Über ihm hing ein riesiger Waschkessel und über den Rand beugte sich sein alter Freund der Weltraumforscher, und grinste über beide Backen vor Wiedersehensfreude. 

''Di-da-da-du-du bist doch tot!!!'' stotterte Anton verwirrt.
''Woher denn'', widersprach der Weltraumforscher heftig, ''ich habe gesagt ich komme wieder, du weißt das Anton! Warum starrst du denn immerzu da runter? Wolltest du etwa springen? Das mögen die Götter aber garnicht, du weißt das Anton!''

''Ach Blödsinn!'', entgegnete Anton verwirrt und aufgebracht angesichts solcher selbst für seine Verhältnisse beleidigende Unterstellung. ''Ich hab soeben festgestellt, daß dort drüben der Metzger wohnt dem wir damals immer die Schinken gestohlen haben und jetzt steh ich da mit'm Loch im Ohr und der Hund schaut blöd rauf und dabei wollte ich ihn doch nicht bestehlen, ich hab doch nicht einmal gewußt, daß er hier seine  Vorratskammer hat!'' beendete Anton seine weinerliche Rede. 

Der Weltraumforscher räusperte sich: ''Soll ich ihm einen Denkzettel erteilen? Dies ist das Raumschiff meines Vaters, Anton, du weißt das. Ich mache ihn platt!''
''Nein, nein!'' rief Anton beschwichtigend, ''nicht platt machen, im Gegenteil, vielleicht sollte ich mich entschuldigen für damals, immerhin sind wir jetzt Nachbarn, da sollte man doch für ein gutes Verhältnis sorgen, sozusagen …''
''Du bist alt geworden, Anton'', bemerkte der Weltraumforscher, dessen Name im übrigen Zagreb Echtholz war, auf's neue. ''Früher warst du nicht so langweilig. Und möchtest du nicht einmal mein schönes Raumschiff bewundern? Hättest du nicht gedacht, daß ich wiederkomme, gib's zu!''

''Gedacht schon, aber nicht damit gerechnet. Nicht so rasch jedenfalls. So lange bist du auch wieder nicht weggewesen. Und ja, das Raumschiff ist wirklich schön.''
''Ich sehe schon, du bist nicht ganz bei der Sache. Beziehungsweise bei einer anderen Sache. Hör zu Anton, ich habe eine Idee.''
''Was für eine Idee?'' fragte Anton mißtrauisch, immerhin hatte er mit den Ideen von Herrn Zagreb Echtholz schon so manches Ärgernis durchlebt.
''Ich habe eine Idee, wie du diesen Metzger besänftigen kannst. Ich hab hier nämlich was mitgebracht.''

Zagreb tauchte in die Tiefen seines Raumschiffs ab und seine restlichen Worte klangen nur mehr als dumpfes Gemurmel nach draußen. In diesem Augenblick betrat Antons Vermieterin den Balkon. Miranda Andrews war eine Frau in mittleren Jahren die jedoch gerne jünger wirken wollte weswegen sie sich gerne salopp um nicht zu sagen schlampig kleidete und ihre Haare mit Haargel vollpappte.
''Anton! Mach die Türe zu es zieht!'' keifte sie los – und blieb wie angewurzelt stehen als sie des riesigen Raumschiffs ansichtig wurde: ''What the fuck!!!'' 

Frau Andrews wollte nicht nur gerne jünger aussehen sondern sich auch interessanter machen als sie war und redete daher gerne Englisch, vor allem wenn keiner da war der der englischen Sprache mächtig war und sie daher unbehelligt Blödsinn babbeln konnte.

''Zagreb ist wieder da.'' bemerkte Anton trocken.
''ZAGREB???'' kreischte Miranda ungläubig.
''Genau dieser. Und er hat  mir etwas mitgebracht das ich dem Metzger dort unten schenken kann damit er nicht mehr böse ist. Da schau her!'' Anklagend wies er auf sein durchbohrtes Ohr.
''Hihi'' machte Miranda, denn sie war nicht nur eitel sondern auch schadenfreudig.

Mittlerweile war Herr Echtholz wieder aus der Versenkung aufgetaucht und errötete bis an die Haarwurzeln. ''Miranda …'' hauchte er verlegen.
''Servus Zagreb'', begrüßte ihn Miranda resolut, denn sie hatte keinerlei Respekt vor Männern. Schon garnicht totgeglaubten Männern. ''Bist du gekommen um Anton abzuholen?'' fragte sie hoffnungsvoll.
''Nein'', erwiderte Zagreb, ich bin nur mal so auf der Durchreise, keine Angst. Guck mal'', wandte er sich wieder an Anton ''hier hab ich das ideale Geschenk für deinen Metzger. Einen Seelenspiegel.''
''Einen was?'' ''A what???'' riefen Anton und Miranda durcheinander.
''Einen Seelenspiegel'', wiederholte Zagreb. ''Es gibt da diesen Planeten ungefähr 305 Lichtjahre links von hier, da sammeln sie Gold und geben einem dafür bunte Seelenspiegel und anderes Spielzeug. Wenn man da reinguckt dann sieht man, was die Person, mit der man gerade redet, wirklich denkt.''

''Na geh!'' Miranda trat hastig einen Schritt zurück und setzte ein gespielt unbeteiligtes Grinsen auf. ''Und das kriegt jetzt der Metzger, damit ihm keiner mehr kranke Schweine verkaufen kann? Prima Idee!''
Neidisch blickte sie auf den hübschen Spiegel in Zagrebs Hand während sie sich bereits überlegte, wie sie ihn Anton später wieder abquatschen konnte.

''Also'', meinte Zagreb, bevor du ihn Anton nachher wegnimmst, geb ich dir lieber auch einen.'' Wieder verschwand er in den Tiefen seines Raumschiffs und murmelte dort dumpf vor sich hin.
''Äh'', machte Miranda peinlich berührt. ''Wie hat er das jetzt rausgefunden? Die Teile sind echt rattenscharf!''

Artig bedankte sie sich als ihr Zagreb kurz darauf ebenfalls einen Seelenspiegel hinhielt, er verabschiedete sich daraufhin mit leutseligem Winken und dem Versprechen, bald wieder vorbeizuschauen und dann aber mehr Zeit mitzubringen.
''Mußt vorher mal aufräumen'' meinte Miranda vorwurfsvoll zu Anton. ''So können wir keinen Besuch einladen, hier schauts aus wie bei Hempels unter'm Sofa! Überall stehn die halbfertigen Bilder rum und du bist schuld!''

Antons leider sehr vorzeitiges Ende aber da war er SELBER SCHULD



Jetzt ist ja jeder einmal krank, auch zweimal, dreimal, mehrmals, die meisten Leute werden aber zwischendrin wieder gesund oder bemühen sich zumindest darum. Nicht so Anton. Bereits als Säugling am Magen erkrankt, vergnügte er sich in seiner Kindheit und Jugend damit, sich so oft wie möglich den Schädel einzurennen oder sich zumindest die Ferse abzuschneiden. Einfach nur die Knie aufzuschrammen wie es die anderen Kinder taten, war ihm eindeutig zu langweilig. Als Erwachsener tat er sein bestes, seine trotz allem unerschütterliche Gesundheit zu unterminieren und trank, rauchte und schnupfte alles, was er nur bekommen konnte. Wäre seine Ehefrau nicht so ein niedriges Mensch gewesen, hätte er sich wohl damals schon restlos zugrunde gerichtet, aber da sie ihm alles wegnahm was sie kriegen konnte um es in ihren eigenen kleinen Gierkopf reinzustopfen, war er lediglich sehr dünn und sehr nervös – aber selten dem Tode so richtig nah.

Nur einmal, das hatte jetzt aber wenig mit seinen Gewohnheiten zu tun, kam er fast frühzeitig ums Leben als ein erzürnter Zuhälter, dem er seine Frau nicht zu Forschungszwecken (wie viele Freier schafft eine Nymphomanin pro Nacht wenn man ihr genügend davon zur Verfügung stellt) überlassen wollte, ihn mit seinem Maybach überrollte. Glücklicherweise jedoch war er so dünn geworden, daß er sich dabei lediglich eine komplizierte Knieverletzung zuzog, die dann mehrmals operiert werden mußte; er war somit lange zuhause, sah seine Frau öfter als ihr und ihm guttat, schimpfte am Ende sie eine Hure und sich selber einen Narren, daß er sie nicht doch an den freundlichen Herrn mit dem großen Auto verkauft hatte, ließ sich scheiden und endete nach langen Irrwegen bei Miranda, die ihn seufzend bei sich aufnahm, soviel Elend war nicht einmal für sie zum Mitansehen.

Jetzt hätte er ja eigentlich, fern von Ehefrau und wüsten Kameraden, ein wunderbares Leben führen können, hätte er nur nicht diesen unseligen bayerischen Sturschädel gehabt. Er wollte partout seine tägliche Krankheit, und die nahm er sich auch, wenn notwendig mit Gewalt. Miranda hatte sich, als sie aufgrund seiner permanenten Jammertiraden nicht mehr ungestört künstlerisch tätig sein konnte, einen Job in der Orthopädie gesucht, was Anton sofort inspirierte, sich an einem Lumbago zu versuchen, den er dann mit dem selbständigen Führen eines Getränkemarktes genüßlich verstärkte und verlängerte. Welch eine Wonne! Miranda fand das Ganze weniger lustig als er trotz seines jämmerlichen Zustandes darauf beharrte, sie auf ihren Reisen zu begleiten und somit nicht nur sich selber sondern auch ihr die jeweiligen Urlaube, die sie sich eigentlich redlich verdient hatte, gründlich verdarb.

Schließlich jedoch hatte er sich, nicht zuletzt dank des tatkräftigen Einsatzes von Mirandas Kollegen, wieder einigermaßen erholt – böse Zungen behaupten er habe die Genesung den ewigen Spritzen der Orthopäden vorgezogen – und ging wieder auf Arbeitssuche. Kaum jedoch hatte er, nach mehreren frustranen Versuchen, endlich einen Job gefunden in dem er auch mit den Kollegen zurechtkam, legte er sich eine derart ausgeprägte Epikondylitis humeri radialis zu, daß man auf die Umwege einer konservativen Therapie verzichtete und sofort operierte.

Wiederhergestellt, suchte sich Anton, mittlerweile total fasziniert vom Krankenhaus und dessen Atmosphäre von ständigem Leid, einen Job in der OP-Reinigung, den er tatsächlich auch bekam obwohl er Deutscher war und man dort sonst eigentlich nur Ausländer einstellte wegen der besseren Verständigung. Wenn viel los war im OP und das war meist der Fall, mußte es schnell gehen, Befehle mußten sofort befolgt werden, da konnte es nicht angehen, daß einer im Wege umeinanderstand und mehr Last als Hilfe war, nur weil er die Sprache nicht lernen wollte und unverbesserlich Guten Tag und Auf Wiedersehen sagte statt Merhaba und Gülegüle.

Anton fand sich jedoch auch hier nach anfänglichen Problemen bald recht gut zurecht, so daß er sich nach etwa drei Monaten seine Facettengelenksarthrose aktivieren mußte, da es ihm sonst am Ende noch einigermaßen den Umständen entsprechend gut gegangen wäre und das durfte ja nicht sein. Keinesfalls!

Es begann also wieder eine Zeit des ausgiebigen Jammerns und Leidens, Mirandas Kollegen steckten begeistert ihre Spritzen in Anton rein, dieser beklagte sich ausgiebig und mit Genuß, und abends betrank er sich und beschimpfte Miranda, die ja nun wirklich am wenigsten dafür konnte. Dennoch hielt sie fest zu ihm, unterstützte ihn wo sie konnte – und langsam aber sicher kam Anton wieder auf die Beine und stellte sogar die depperte Sauferei weitgehend ein.

Wieder hätte alles wunderbar sein können – hätte sich Anton nicht so sehr an seiner jährlich wiederkehrenden Bronchitis erfreut. Bereits früher hatte er diese mit geschickt eingesetzten Kunstgriffen wie langes Spazierengehen im Fieberwahn und eisige Duschen im Anschluß, bis zur Lungenentzündung upgegraded, und er war fest entschlossen, es auch dieses Mal nicht bei einer popeligen Grippe bewenden zu lassen. Kaum drehte Miranda den Rücken, begab er sich wonnig durchgeschwitzt im kurzärmeligen Leiberl in die zugige Küche um dort einen Tschik nach dem anderen zu rauchen. Kam Miranda abends heim, wurde sie empfangen von einem fieberglühenden Anton, der sich stöhnend und ächzend im Bett wälzte und sie durfte ihren Feierabend mit Sorgen verbringen, anstatt sich von der anstrengenden Arbeit ausruhen zu können. 


Sämtliche Ermahnungen ihrerseits, doch etwas auf sich achtzugeben, da man in Kürze dann doch wieder einmal in den Urlaub fahren wollte, ein aufgrund des permanenten Geldmangels inzwischen selten gewordenes Vergnügen, wurden von Anton leichtfertig in den Wind geschlagen. Soweit man in diesem Zusammenhang überhaupt von Vergnügen sprechen konnte, schaffte es Anton doch jedes Mal, die Freude an den Fahrten durch ständige Unfälle und Wehwehchen signifikant zu trüben. Einmal beispielsweise hatte er sich in Innsbruck abends so beim Rasieren geschnitten, daß er nachts das halbe Bett vollblutete und natürlich auch Miranda mit seiner ausgiebigen Jammerei wachhielt, ein anderes Mal hatte er sich kategorisch geweigert, sich eine warme Jacke nach Wien mitzunehmen, es war ein kalter Oktober gewesen, der Wind pfiff über den Kahlenberg und durch den Pötzleinsdorfer Park, in dem Miranda eigentlich wunderschöne Nebelbilder schießen wollte, aber durch Antons permanentes Gejammer, er friere so, sowohl diesen als auch sämtliche anderen Ausflüge bereits nach einer halben Stunde abbrechen mußte. 

Anton betrieb also weiterhin mit ungeschmälertem Enthusiasmus Raubbau an seiner Gesundheit, lief mit 39° Fieber täglich im schneidenden Wind durch die Straßen, einmal brachte er eine Nähmaschine mit und einen Blumenstrauß für Miranda, obwohl diese ihm bereits mehrmals erklärt hatte, sich nichts aus abgeschnittenen Gewächshausblumen zweifelhafter Herkunft zu machen. Selbstverständlich hatte er den ganzen Tag noch keinen Bissen gegessen, obwohl er morgens wieder stundenlang am Klo gesessen hatte weil er am Abend zuvor billiges Brot und zuviel Rotwein zu sich genommen hatte.

Statt nun am Nachmittag wenigstens eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen, fing er an, mit seinem Hamster zu spielen und reagierte nicht einmal mit dem kleinsten Muskelzucken auf Mirandas Ermahnungen, ja warf ihr sogar vor, sich wieder einmal wegen nichts aufzuregen und sich ungebeten in sein Leben einzumischen. Wutentbrannt rannte Miranda aus dem Zimmer, während sich Anton seelenruhig einen Tschik drehte, aber vor lauter Schwäche mittendrin einschlief.

Als er aufwachte, war um ihn herum alles weiß. Erst dachte er, das Dach wäre vielleicht wieder kaputt und es hätte ins Zimmer geschneit? Doch dann stellte er fest, daß er keineswegs auf seiner Matratze lag – ja sich nicht einmal mehr in Mirandas Wohnung befand. Verwirrt griff er sich an die Stirn – wo ein scharfer Schmerz AUA! ihn die Hand sehr rasch zurückziehen ließ.

''Schaust eh lustig aus, mit dem Scherben im Hirn, hihi'', kicherte es hämisch von hinten, und ein blondgelocktes Wesen segelte frech grinsend auf einer Wolke an ihm vorbei.

''Hat sie dich also endlich erschlagen. Gut so'', stellte das Wesen fest und seine letzten Worte waren schon kaum mehr zu verstehen. ''Des war ja ned zum Aushaltn mit so an Sturkopf so an grauslichn, da war ja der komische Manna-Typ neulich a bravs Hunderl dagegn …''

Anton verstand gar nichts mehr. Wer hatte wen erschlagen? Und wieso war alles so weiß? Sein Kopf schmerzte unerträglich und von ferne hörte er leises Lachen herüberwehen, gefolgt von groben Flüchen und einem beherzten ''Eicha Manna kennts etzn wieda söba saufn, wo sitzta denn, da Kollege???''




Anton Teil 5


Jetzt ist es so, daß man, wenn man Hunger hat und was essen möchte, vorher Einkaufen gehen muß. Zumindest heutzutage ist das so – und besonders wenn man in der Stadt lebt. Am Land bringen einem auch mal die Nachbarn was, vor allem wenn sie Angst vor einem haben oder davor, daß das Schicksal, das einen befallen hat, auch sie befallen könnte (das nennt man dann Mitleid).

Früher hat einem die Mama gerne mal was hingestellt und noch früher mußte man halt sammeln oder lauern gehen, je nachdem.

Miranda sagt immer, die Männer sind nicht deshalb um ein Mammut gegangen weil sie stärker oder mutiger waren als die Frauen, sondern weil es ihnen eher wurscht war ob sie bei dem, was sie tun, was erreichen oder nicht. Hatten sie es tatsächlich einmal geschafft, ein Tier zu erlegen, dann war das Triumphgeheul laut, der Jubel groß und der nachfolgende Rausch ebenso – da konnte man dann noch nicht einmal was sagen. War's aber eher nix mit der Beute, nämlich eh meistens, dann war's immer noch ein prima Ausflug mit den Jungs von dem man SOOO wilde Geschichten mitbrachte und einen Rausch – weil der Karli hätte ja fast einen Mammut erlegt aber der hat sich dann umgedreht und ist zurückgerannt gekommen und wäre da nicht zufällig grad diese Höhle gewesen wo sie dann alle rein sind und die Türe hinter sich zumachen konnten … aber pfuh! Und auf den Schreck hin mußten sie natürlich zum Wirten und ein paar Hörner Met abgreifen …

Die Frauen, sagt Miranda, hatten Kinder zu ernähren und daher keine Zeit und noch weniger Geduld für so einen Blödsinn. Sie hatten es sich somit zur Aufgabe gemacht, immer zu wissen wo grad was wuchs was man essen konnte und sich weder wehrt noch wegläuft, also sind sie da jeden Tag schnurstracks hingegangen und haben es geholt. Für sich und die Kinder – und diejenigen unter den Männern, die rechtzeitig aus ihrem Rausch aufgewacht sind um sich murrend dazuzusetzen und am Essen rumzumäkeln.

Jetzt hat Miranda den Anton öfters einmal zum Einkaufen schicken müssen weil sie sagenwirmal grad keine Zeit hatte – eigentlich keine Lust aber keine Zeit klingt besser – und der Anton ist brav losgezogen weil er genau gewußt hat was passiert, wenn er's nicht tut.

Viel Geld hat er meistens nicht dabeigehabt weil selber hat er ja kaum etwas verdient und Miranda war so geizig, daß sie ihm, wenn überhaupt, dann grundsätzlich zuwenig mitgegeben hat weil sie bei den meisten Sachen keine Ahnung hatte was die eigentlich kosten weil die Frau Künstlerin ja immer mit dem Kopf woanders war.

Eines Tages geht der Anton also auch wieder mal so durch den Supermarkt und steuert grad auf das Regal mit den Eiern zu, als er von so einem Anzugtyp brutal abgedrängt wird, es war nämlich nur mehr ein Karton von den guten, teuren Eiern da und die stünden natürlich ihm zu, wird er sich gedacht haben, weil er einen Anzug anhat und den kann man effektiver antrenzen als eine Jean die bereits volltrenzt ist. Dabei war die Jean vom Anton total sauber und wie den Kerl grad empört drauf aufmerksam machen will sieht er, wie dieser sich bückt, einen Karton von den billigsten Eiern um einen Euro zwanzig nimmt, in sein Einkaufswagerl legt – und hocherhobenen Hauptes von dannen schreitet. Anton hat sich dann den letzten Karton mit den guten Eiern eingepackt weil er immerhin wußte 'man ist was man ißt' und man muß Prioritäten setzen auch und gerade wenn man wenig Geld hat.

Beim Warten an der Kassa hat er dann an früher denken müssen wie er am Großmarkt für einen Zigeuner Obst und Gemüse ausgeladen hat, die guten Sachen wurden zum Verkauf bereitgestellt und die Spinnen, Schlangen und zergatschten Paradeiser warf man zum angefaulten Karfiol in riesige Container zum späteren Abtransport.

Jetzt, wenn in einer Kiste noch zehn gute Paradeiser drin waren und der Rest war zergatscht, dann ist halt die GANZE Steige in den Container geflogen weil time is money und von beidem hat man ja meist zuwenig.

Das ist dann abends immer so richtig klar rausgekommen – Anton war ja Bayer und dachte daher nicht 'abends' sondern 'omz' – wenn also omz nach Betriebsschluß die Mercedesse und BMWs vorgefahren sind, so Anzugtypen ausgestiegen sind und anfingen, in den Containern nach noch Verwendbarem zu wühlen. Keine Sandler, keine den Konsumterror ablehnenden militanten Alternativler, nein, Leute im feinsten Zwirn die offenbar all ihr Geld für Statussymbole ausgegeben hatten so daß sich dann die immerhin doch notwendigen Nahrungsmittel budgetär nicht mehr ausgegangen sind. Einmal hat der Anton sogar mitbekommen, wie sich welche total in die Haare geraten sind; die waren tatsächlich in die Container reingestiegen und zerrten an irgendwelchen Bananenstauden umeinander. Genau hatte es der Anton damals nicht mitbekommen weil er hatte ja Feierabend und immerhin noch seinen Zweitjob als Einbrecher zu erledigen, aber gewundert hat es ihn schon was manche Leute für eine kuriose Art haben, Prioritäten zu setzen.

Als er zuhause Miranda seine Überlegungen mitteilen wollte, hat sie ihn nur zerstreut angeschaut weil sie eine Bücherlieferung bekommen hatte und sich nicht entscheiden konnte, welches Buch sie zuerst lesen sollte. Anton ist also auf den Balkon gegangen und hat den Tauben was über Prioritäten vorgejammert, aber wie die mitbekommen haben, daß er keine Körnchen dabei hatte, sind sie weggeflogen und haben Anton mit seiner Bitterkeit alleine gelassen und er hatte wieder mal allen Grund, in Selbstmitleid zu baden und sich eine neue Flasche aufzumachen ...




Sonntag, 6. August 2017

Neulich in der Pension

Jedes Mal wenn es Anton auch nur marginal besser ging, bestand er darauf, Miranda auf ihren Urlaubsreisen zu begleiten, wogegen sich Miranda, von der ewigen Knatscherei mürbe geworden, schon lange nicht mehr wehrte. Auch wenn die Erfahrung sie gelehrt hatte, daß es jedes Mal früher oder später eklatanten Ärger gab - was den Urlaub oft stressiger machte als sämtliche Arbeitswochen zuvor.

'Ich geh mich dann mal rasieren!' meinte Anton eines Morgens und verschwand in seinem Zimmer. Miranda dachte sich noch: 'Na wird auch Zeit', bevor sie es sich mit einem ihrer neuen Bücher im Bett bequem machte, Saft und Datteln in Reichweite. Apfel-Holunder-Saft vom Hofer, beruhigend dunkelrot und auch ohne Wein drin ganz lecker. 

Die Wände der Pension waren eher dünn und so hörte sie Anton sich räuspern, hörte ihn schimpfen, hörte, wie er an der Waschmuschel umeinanderklapperte und den Hahn auf- und wieder abdrehte. Beifällig streifte ihr Blick das Tischchen im Eck, das sie gestern mit einer Vase geschmückt hatte, die eine einzelne Nelke enthielt. Gab dem Raum gleich eine ganz andere Atmosphäre.

Sie gratulierte sich zu ihrem guten Geschmack, vertiefte sich wieder in ihr Buch, nahm nach einer Weile einen weiteren Schluck vom Saft und blickte zerstreut auf den Boden wo sich eine längliche, dunkelrote Lache bildete.

'Seltsam', dachte Miranda, 'sonst krieg ich's ja immerhin mit wenn ich was verschütten tu. Und gleich soviel! Oba heast, irgendwos ...'

Sie schaute auf die Lache, die länger und länger wurde und ganz eindeutig von der Türe herkam. Von draußen! Hatte die Wirtin ihre Periode und kein Geld für einen Tampon?

Miranda sprang auf, riß ungeduldig die Türe auf - wich angesichts des sich bietenden Anblicks erschrocken zurück, konnte jedoch nicht mehr verhindern, daß sich ein Schwall dunkelroter, zäher Flüssigkeit über ihre bestrumpften Füße ergoß. Blut! Eindeutig Blut!

Drei ehemals weiß gekleidete Malergesellen standen belemmert und stocksteif in ihren schicken Helix Arbeitshosen neben einer lang ausgestreckten Gestalt am Boden, in der sie unschwer Anton erkennen konnte. Extreme Tieflage, diagnostizierte sie, praktisch getunnelt, und obendrein beängstigend viel Öl verloren. 

Was ging da ab? So früh am Morgen schon dermaßen betrunken? Sogar für Antons Verhältnisse ziemlich unwahrscheinlich. Und warum die drei bedröppelten Malersmänner?

'Was soll der Scheiß?', fragte Miranda, um Höflichkeit bemüht angesichts der zahlenmäßigen Übermacht der sie doch einigermaßen wehrlos gegenüberstand.

'Jo oiso es is aso ...', hub der jüngste der drei Gesellen an, woraufhin ihm der Älteste, der möglicherweise gar der Meister war, sofort rüde ins Wort fiel: 'Gusch, Deppata! Des Soletti da am Bodn, dea woa grad am Rasian wia mia do heraußn am Diskutian woan wie ma etzn do weidamochn woin, die Wand woa g'strichn soweit, und do reißt da Deppate die Tia auf und und im söbn Moment schneit a si mit'n Rasiamessa und bliat die gaunze frisch g'strichene Waund voi! Da hob I eam aane aufg'legt, ea hod si's Messa einegrennt und etzn issa dod.'

'Naaaaa', blubberte das Soletti da ganz untotengemäß auf einmal dazwischen.
'Naaaaaa', blökte er ein zweites Mal. 'I bin ned dod, I bin a Bayer! I ko nua koa Bluat sehn, ned amal mein eigns!'

Umständlich stand er auf und schaute die verdutzten Malersmänner böse an.
'Und wos is? Ka Rettung hamma g'holt? Typisch wida. Isa eh nua a Piefke, kemma verreckn loßn.'
'Oda ...', drohend drehte er sich zu Miranda um, die noch immer fassungs- und schuhlos in der Blutlache klebte 'oda host es du leicht b'stochn, ha???'

Kopfschüttelnd watete Miranda in ihr Zimmer zurück, legte resigniert ihren Krimi beiseite und begann sich mit dem Gedanken anzufreunden, den Gatsch dann doch selber wegputzen zu müssen, da mit Anton heute ganz offensichtlich nichts mehr anzufangen war. Sein Pech&Pannen-Spektrum war soeben wieder einmal rekordverdächtig erweitert worden.