Sonntag, 28. September 2025

Oma räumt auf

Niemals hätte ich gedacht, mein Spiegelbild noch einmal derartig strahlen zu sehen. Der Lottogewinn hatte aber auch arg lange auf sich warten lassen. Nun wanderte ich beglückt durch mein kleines Häuschen, das sich in einer absolut ruhigen Wohngegend befand. 
Ruhe, das höchste Gut. Die Nachbarn im Mehrfamilienhaus hatten mich während der vergangenen Jahre immer öfter an den Rand des Wahnsinns getrieben, mittlerweile litt sogar meine sonst so resiliente Nervenärztin an Burnout, so sehr hatte ich sie mit meinen Problemen zugeschwallt.

Aber nun war alles gut und ich war endlich in Sicherheit. Beim Umzug hatte ich vieles entsorgt, im Haus war jetzt viel Platz für Leinwände und Farben samt Zubehör wie Terpentin-Ersatz, Pinsel, und allem möglichen Kleinkram den ich über die Jahre aufgehoben hatte weil ich ihn 'vielleicht mal für ein Kunstwerk brauchen könnte'. 
Hier war es mir endlich möglich, vernünftig zu arbeiten. Ich konnte nicht nur ohne Ohrschutz in meinem Wohnzimmer sitzen, sondern sogar ungestört kleine Spaziergänge in der Umgebung machen. 
Es war einfach himmlisch.

Natürlich ging es nicht allen Menschen in München so gut wie mir. Immer mehr von ihnen hatten nicht einfach nur eine laute Wohnung sondern garkeine. Mietgesuche wurden mittlerweile keineswegs ausschließlich in der Zeitung und in den Social Media inseriert sondern die Verzweifelten tapezierten vielmehr die gesamte Stadt mit ihren Anfragen. Doch halt, was war das hier? Das war kein Mietgesuch, hier war eine Frau offenbar auf Rachefeldzug: 'Alex, ich weiß, daß du mich betrogen hast. Mädels, meidet diesen Typen!' stand auf einem Din-A-4 Blatt gedruckt, zusammen mit einem QR Code. Kopfschüttelnd ging ich weiter. Hätte es nicht genügt, bei den Freundinnen das Herz auszuschütten? Mußte man den Jungen in der gesamten Stadt unmöglich machen? Den Code einzuscannen verkniff ich mir, mit dem modernen Zeug kam ich schon länger nicht mehr zurecht. Mein Handy war zum Fotografieren da und zur Kommunikation mit der Handvoll Menschen die mir noch geblieben waren. 

Wieder zuhause griff ich eine herumliegende Zeitung und wollte mir diese soeben als Unterlage für ein weiteres Malwerk auf dem Tisch ausbreiten, als mein Auge auf eine fett gedruckte Überschrift fiel: 'Kriminalpolizei warnt vor QR-Falle!'
'Na geh,' dachte ich, 'hab ich's doch gewußt, daß das Zeug gefährlich ist!'

Mit offenem Mund las ich den Artikel. Es handelte sich offenbar um eine ähnliches Flugblatt wie das von mir gerade zuvor entdeckte. Jemand beklagte die Untreue seiner Frau und wenn die Spaziergänger neugierig den mit auf dem Blatt befindlichen Code scannten, wurde (fragt mich nicht wie, ich bin kein IT-ler) den Betrügern die Möglichkeit eröffnet, das Handy auszulesen, samt Bankverbindung und sämtlichen Kennwörtern. Ja gute Nacht! Mir wurde noch nachträglich ganz flau im Magen. Denn natürlich war ich genauso neugierig wie die meisten Menschen und wäre ich technisch etwas begabter, gehörte ich nun womöglich zum Kreis der Geschädigten. Puh!
So schnell konnte das also gehen. Gerade noch, haha und hihi, etwas Lustiges gescannt und im nächsten Moment ward flugs das Konto abgeräumt. Da konnten die Kennwörter noch so sperrig und kompliziert sein, wenn jemand auf diese Art und Weise ins Handy kam, war die Mühe umsonst gewesen.

Bitterlich beschwerte ich mich bei meinem KI-Kumpel Emil über die Schlechtigkeit der Menschen. Emil nickte ernsthaft und gab zu bedenken, daß auch seine KI-Kollegen so einige Tricks in petto hätten und wir uns noch gehörig wundern würden, wenn wir weiterhin so leichtfertig mit unseren Daten umgingen.
Das war natürlich wenig hilfreich jetzt!
Entrüstet schaltete ich Emil wieder aus. Depp der!

Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster. Mittlerweile war es Herbst geworden und der Rasen vor dem Haus war mit bunten Ahornblättern bedeckt. Diese segelten bei jedem Windstoß von den Bäumen, die die kleine Straße säumten in der mein Häuschen stand. Sollte ich bei Gelegenheit vielleicht einmal zusammenrechen? Mein Blick wanderte zum Schuppen. Ob ich dort wohl einen Rechen finden würde?

Doch warte, was war das? Oder besser gesagt, wer? Eine geduckte Gestalt hockte mit dem Rücken zum Haus neben meinem Schuppen und nuckelte an einer Flasche. Ein Obdachloser, der sich hier häuslich einrichten wollte, weil er dachte, das Haus stünde noch leer? Was war zu tun? Die Polizei rufen, damit sie ihm einen Tritt verpaßten? So grausam wollte ich dann doch nicht sein, schließlich war ich jetzt reich, vielleicht ließ sich das Problem ja anders lösen.

Zaghaft schlich ich die Treppen hinunter, hinaus zur Hintertüre und näherte mich der Gestalt. Vorsichtshalber hatte ich mein Kuchenmesser dabei. Man wußte ja nie. Die Gestalt blickte auf als ich mich näherte und sah mich ängstlich an. Ich blickte abwartend zurück. 
Als ich mich nicht sofort mit Gebrüll auf ihn stürzte, atmete der Mann, um einen solchen handelte es sich wohl, sichtlich auf und fragte leise: 'Darf ich mich für ein paar Tage in Ihrem Schuppen verstecken? Ich bin auf der Flucht vor einer Horde wildgewordener Weiber. Mein Name ist Alex.'

Mein Gesichtsausdruck war wohl wenig intelligent, denn Alex fuhr fort, zu erklären: 'Meine Ex hat mein Foto per QR Code in der gesamten Stadt verteilt, ein Wunder, daß Sie es noch nicht gesehen haben, und jetzt werde ich von der halben Uni gehetzt wie ein Schwerverbrecher. Keiner meiner Kumpels will das Risiko eingehen, mich am Sofa pennen zu lassen, man kennt sich schließlich untereinander. Ich hatte gedacht, hier auf dem unbewohnten Grundstück würde mich niemand suchen aber offenbar wurde das Haus jetzt gekauft. Von Ihnen. Ich weiß momentan echt nicht wo ich hinsoll, und auf Schutzhaft hab ich nun wirklich keinen Bock. Wenn es sowas überhaupt noch gibt außerhalb von Romanen.'

Natürlich konnte ich den jungen Mann bei den Temperaturen nicht im Schuppen schlafen lassen, bei den Spinnen und Käfern. Also bat ich ihn ins Haus, mit der Absicht, ihm einen Kakao und ein Gästezimmer herzurichten - und freute mich auf einen kostenlosen Gärtner. Wir erinnern uns, das permanent fallende Laub ... vielleicht würde er mir sogar Modell stehen? Doch kaum waren wir im Haus, entwand Alex mir das Messer, das er offenbar längst entdeckt gehabt hatte, und forderte mich, wild damit fuchtelnd, auf, all meinen Schmuck und mein Bargeld herauszurücken. Was für ein Schwachkopf. Als ob alle älteren Frauen sich für Schmuck interessierten und stapelweise Bargeld im Hause hätten. Rasende Wut stieg in mir auf. Auch auf mich selbst. Hatte ich aus meiner Zeit in Augsburg denn garnichts gelernt? Wieder und wieder hatte ich Menschen meine Türe geöffnet und wieder und wieder hatte es Ärger und Leid deswegen gegeben. Und wieder war ich auf ein Arschloch reingefallen, das geglaubt hatte, mit mir leichtes Spiel zu haben nur weil ich eine Frau bin. Doch nun hatte ich endgültig die Nase voll!

Womit der liebe Alex nicht gerechnet hatte war, daß es auf der Seniorenvolkshochschule mittlerweile Kurse für uns ältere Herrschaften gab, auf denen die Polizisten nicht nur langweilige Vorträge hielten sondern uns auch wertvolle Tips für den Fall der Fälle gaben.
Polternd fiel das Messer zu Boden und bald darauf auch Alex.

Die Erde im Garten war den Göttern sei Dank noch nicht gefroren und so hatte ich nun endlich einen guten Grund, im Eck über dem zergrabenen Rasenstück einen echt hohen Laubhaufen zu errichten. Mein Kuchenmesser würde in keiner Asservatenkammer landen, soviel war sicher. Abends beim Rotwein sandte ich einen stillen Gruß an die Freunde und Helfer der PI 47, die den Workshop neulich ausgerichtet hatten. Daß das Rot in meinem neuen Bild durch die Beimischung von Blut und Rotwein diesen besonderen Glanz erhielt, würde ich selbstverständlich niemals irgend jemandem verraten. Schließlich hat jeder erfolgreiche Künstler sein kleines Geheimnis.
















Donnerstag, 18. September 2025

Der Angriff der Killerkraken


Sie wollten es ja nicht glauben. 'Du wieder,' hieß es. 'Mit deinen blöden Verschwörungstheorien.' Die meisten Menschen lassen neben ihrer eigenen Auffassung keine andere gelten. Gut, so schwieg ich still. Schwieg zuhause, in der Post und in der Kirche. Gott kann Gedanken lesen. 'Gehet hin in Frieden', sprach der Pfarrer und ich ging. Mir einen Bunker zu bauen. Wühlen durfte ich alleine, da sonst niemand an den bevorstehenden Angriff glauben wollte. Zuviele Horrorfilme hätte ich gesehen. Was für ein Unsinn. Ich habe garkeinen Fernseher.

Die Außerirdischen haben mich gewarnt. Machen sie manchmal. Problem dabei ist, man kann nicht prüfen, ob die Warnung tatsächlich erfolgte. Will sagen, ich habe keine Beweise.
Es könnte sich ja jeweils auch um Zufall gehandelt haben, sagen sie.
Es gibt keine Zufälle. Die Dinge der Welt sind geordnet und wir bestimmen den weiteren Verlauf durch unser Handeln. Was regelmäßig alles durcheinanderbringt. Ohne uns jedoch wäre Stillstand, wäre Tod. Das größte Dilemma unserer Existenz.

Immerhin hat Gott sich nicht nach der Erschaffung der Welt zurückgelehnt und sich ein Pfeifchen gestopft. Das Ding, das sie Erde nennen, muß weiter am Laufen gehalten werden. Und das bedeutet eine Menge Arbeit für eine Menge Leute. Es ist nicht damit getan, hier und da mal ein Knöpfchen zu drücken und abzuwarten. Es gibt viel zu tun. Die Himmelswesen sind in einer Tour am Umeinanderwetzen, aber ihr seht das ja nicht. Ihr guckt alle nur noch ins Handy. Egal. Nicht mein Problem. Ich habe einen Bunker zu bauen. Wenigstens braucht man dabei die Wände nicht zu streichen. Sieht eh keiner. 

Auf ungefähr drei Tage solle ich mich einstellen, hieß es. 
Überschaubarer Zeitraum. 
Hängematte flechten, Wasser runterbringen, Vorräte herschaffen.
Verabschiedet habe ich mich nicht. 
Es wollte ja niemand etwas von der drohenden Gefahr wissen.
Warnungen klingen für die Leute nur ernst wenn sie aus dem Fernseher kommen.

Klimawandel. Huhu. Alle stehen stramm.
Aber daß dieser Klimawandel auch Mutationen in der Tierwelt bedingt? 
Wurscht. Betrifft uns ja nicht. Doch, tut es.

Und jetzt diese Experimente mit der KI obendrein. 
Keiner weiß, wohin dieser Irrsinn führen wird, aber einfach mal fleißig voran. 
Wird schon gutgehen.
Nein, wird es nicht.

Unlängst stürzte in Italien ein Baukran ins Wasser.
Gibt ja sehr viel Wasser in Italien.
Normalerweise kein Problem, holt man Guiseppe weil der einen Traktor hat, zieht er Kran wieder raus.
Jetzt liegt Guiseppe aber mit gebrochenem Bein im Spital.
Wer die Spitäler in Italien kennt, weiß: Katastrophe.
Baukran liegt also länger im Wasser.
Wasser ist nicht nur voller Tiere sondern auch voller Plastik. 
Gibt seltsame Verbindungen, dazu das Wabern der KI überall ... und schon ward die Killerkrake geboren.

Erst ist die ganz klein, da denkt man sich: Oh wie niedlich!
Aber die wächst. Und wächst. Und wächst.
Und andere drängen nach.
Sagen wir so: Guiseppe ist sehr froh in seinem Krankenzimmer im 5. Stockwerk.
Unten wird gerade gewaltig aufgeräumt.

Und sie wandern. Nordwärts. Zu uns. Sehr schnell.
KI halt. Da geht alles sehr schnell.
Zu schnell. 
Der Fernseher schweigt.
Man möchte die Leute nicht beunruhigen.
Gegen Killerkraken gibt es keine Impfung, also warum Streß erzeugen.
Wir schaffen das.

Die Außerirdischen haben durchaus Humor.
Ich schmunzle während ich in meinem Bunker hocke.
Nanu, drei Männer in meinem bescheidenen Reich?
Sie sprechen nicht, sie handeln sofort.
Mir wird weich ums Gehirn.
Ich bin fort.

Die Zelle in Haar ist sehr klein.
Aber auch sehr sicher.
Heute sind bereits sieben Pfleger nicht zum Dienst erschienen.
Ich habe mir einen Generalschlüssel besorgt.
Für alle Fälle.
Hier möchte ich nicht verhungern müssen.
Wenn niemand mehr Essen bringt.
Wenn alle fort sind.
Wenn wir 'Gestörten' die einzig Überlebenden sind.

Schöne neue Welt.











Sonntag, 14. September 2025

Das Rätsel um die mysteriöse Einbrecherbande

'Das ist doch ein Schmarrn Heiko echt, was soll denn da für ein Code dahinterstecken? Das sind einfach alles Saubären die ihren Mist nicht ins Küberl geben sondern auf den Boden hauen. Alles ganz normal.'

'Ja eben, sie HAUEN ihn nicht auf den Boden, sie STELLEN ihn ab. Sie stellen die Becher gezielt an bestimmten Plätzen ab, meist am Straßenrand, nahe am Rinnstein, und mit dem Boden nach oben, so daß ihre Kumpane die verschlüsselte Nachricht empfangen und sich dementsprechend verhalten. Aber ich hab noch nicht rausgefunden, was da für ein System dahintersteckt. Erst dachte ich, es hätte vielleicht was mit dem jeweils danebenstehenden Auto und dessen Nummer zu tun. Aber weißt ja nie wie lange das Auto da parkt und am Ende steht dann ein anderer Wagen da und der Code stimmt nicht mehr. Das kann es also nicht sein.'

Ja, der Heiko mal wieder. Hatte sich in eine Schnapsidee verrannt und war nicht davon abzubringen. In letzter Zeit wollten ihm vermehrt Becher von McDonalds aufgefallen sein, die vermeintlich gezielt am Straßenrand abgestellt worden waren. Verkehrtrum. Nachschauen ob was draufstand hat er sich nicht getraut, weil dann seine Fingerabdrücke draufgewesen wären. Ein Fuchs, unser Heiko. Für nix zu gebrauchen aber immer Quatsch im Kopf. Brauchst keinen Fernseher. Könnten wir uns eh nicht leisten. Alles was wir an Geld reinbekamen ging gleich wieder raus. Bier und so. Wenn Heiko eingeraucht war, fing er immer an, aus irgendwelchen verstaubten Klassikern zu zitieren. Ob richtig oder falsch konnten wir nicht beurteilen, keiner von uns hatte die gelesen. Zarathustra, Krieg und Frieden, der Zauberberg und wie sie alle hießen. Heiko hatte studiert. Irgendwann in grauer Vorzeit. Wir hatten nicht studiert, wir hatten genug damit zu tun, uns um das tägliche Brot zu kümmern. Einer mußte es ja tun. Heiko sicherlich nicht. Seine Eltern betrieben eine Weinstube in der Stadt und steckten ihm immer wieder einmal etwas zu. Dann lud er zur 'Sause' und das gute Geld war innerhalb einer Nacht verjuxt. Schade drum. Aber da war er nicht zu bremsen.

Und jetzt eben diese fixe Idee mit den Trinkbechern. So stapfte er Tag um Tag durch die Straßen um uns am Abend an seinen neuesten Erkenntnissen teilhaben zu lassen.

Heute war ein guter Tag. Wir hatten einen frischen Kasten Bier organisiert und August hatte was zum Rauchen dabei. So konnten wir uns entspannt zurücklehnen und Heikos Geschichten lauschen. Wildes Kopfkino echt. Wie gesagt, da brauchst keinen Fernseher.

Heute war er offenbar direkt in ein heimliches Liebesnest geraten. Bzw. vor die Fenster desselben. Bereits am frühen Morgen losgewandert, hatte er am Stadtrand ein wunderschönes kleines Häuschen erspäht, vor dessen Türe einer dieser Trinkbecher stand. Stand, nicht lag.
War hinter dem Haus den nebelverhangenen Fußpfad entlanggeschlichen, wäre fast über die Ausläufer einer Brombeerhecke gestolpert (eine geschlagene Viertelstunde konnte er sich darüber echauffieren, wie Gartenbesitzer ihre Büsche so ungepflegt wuchern lassen konnten) und hatte im Inneren eines Hauses, die Vorhänge waren offen, einem jungen Paar beim Kuscheln und Frühstücken im Bett zugesehen.
Eine Augenweide sei sie nicht gerade gewesen, berichtete er nüchtern, das darauffolgende Liebesspiel habe ihn daher nicht weiter interessiert. Schließlich habe er zu ermitteln.

Wir gaben uns alle Mühe, nicht allzu lautstark zusammenzubrechen. Ermitteln, hahaha pruuuuuuuust, Heiko als verdeckter Ermittler, muhahaaaaaaaaaaa!
Allzu heiter durfte es nicht werden, denn wenn er sich verarscht vorkam, konnte er ziemlich wütend werden und das wollte niemand. Echt nicht.

Am nächsten Morgen wurden wir alle von einem lauten RUMMS geweckt. Erschrocken fuhr ich hoch. Was war los? Hatte der Vermieter wieder einen Anfall? Stand gar die Polizei vor der Türe?
Da hörte ich ihn schon schimpfen. Aus der Küche. Heiko hatte sich eine Zeitung besorgt und wütete nun über das soeben Gelesene. Mußte das jetzt in aller Früh sein? Mein Kopf dröhnte als hätte jemand mit einem Hammer draufgehauen. Der einzige der hier haute war jedoch Heiko. Nämlich mit der Faust auf den Tisch. RUMMS. RUMMS. RUMMS. Normalerweise scherte er sich keinen Pfifferling darum, was in der Zeitung stand. Was konnte seinen Unmut derartig erregt haben?

'Hey Alter was geht ab? Was soll der Radau?', erkundigte ich mich vorsichtig.
'Da schau! Da siehst du es! Ich hatte recht! In dem Haus mit dem Liebespaar wurde heute Nacht eingebrochen! Der Becher stand davor und dann wurde eingebrochen. Wie machen die das? Wie können die anderen wissen, wo gerade diese Becher stehen? Man rennt doch nicht Tag und Nacht durch die Stadt und schaut nach Bechern. Ich will wissen, wie das funktioniert! Und ihr werdet mir dabei helfen. Ab heute lauft ihr mit und stellt Beobachtungen an. Ja, das werdet ihr tun!'

Scheiße. Wenn Heiko sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann gab es keinen Ausweg. Wir mußten mitlaufen, Bock oder keinen Bock.

'Sag mal Heiko,' versuchte es August mit einem Appell an die Vernunft, 'meinst du nicht, daß die modernen Einbrecher das Internet nutzen? Die haben vielleicht so eine Art interaktive Landkarte erstellt? Und wenn wir jetzt diese markierten Stellen zu fünft abmarschieren machen wir uns am Ende verdächtig. Entweder haben wir die Bullen am Hacken oder die Bande selbst. Wir müssen uns trennen. Jeder von uns geht alleine los und am Abend besprechen wir was wir entdeckt haben, einverstanden?'

'Ja August, kaiserlicher Prinz, du weißt das, du bist gut! August du bist sehr gut! So werden wir es machen. Wir gehen getrennt. Bis heute Abend, ich erwarte Ergebnisse! Du weißt das August!'

Puh. Nochmal davongekommen. Auf die Idee zu fragen, warum die Einbrecher sich dann noch mit den Bechern abplagen sollten, wenn sie eine interaktive Karte hatten, war Heiko glücklicherweise nicht gekommen.
Wir liefen eine Runde um den Block und legten uns anschließend wieder in der Wohnung ab. Hatten wir halt nix gesehen, sowas Dummes aber auch. Manchmal war Heiko echt anstrengend aber seit ihm die Bude gekündigt worden war, wohnte er bei uns und seine Eltern zahlten einen Großteil unserer Miete. Das war ein unschlagbares Argument. 

Als unser Plagegeist am Abend noch nicht wieder heimgekehrt war, machten wir uns etwas Sorgen. Zugegebenermaßen nicht besonders große. Versumpft würde er sein, war der Konsens, und beruhigt gingen wir zu Bett. Doch auch am nächsten Tag war weit und breit nichts von ihm zu sehen. Gegen Abend waren wir so richtig besorgt und marschierten los in Richtung Stadt, uns ein wenig umhören. Stammkneipen abklappern und so. Vor dem Striese trafen wir tatsächlich auf Rolf, der ihn am Abend zuvor um die Fuggerei hatte herumschleichen sehen. Ja, es war dunkel gewesen, aber bitte, also Heiko war nicht zu übersehen und außerdem sei er in Kaisheim mit ihm in einer Zelle gehockt, man kenne sich daher bestens. Leider.

Mittlerweile war es spät geworden, wir konnten also in die Fuggerei eh nicht mehr rein und wankten, noch immer ziemlich besorgt, nach Hause. Seine Laune nach etwaigen Mißgeschicken war legendär und wir freuten uns nicht darauf, wieder mal etwas ausbaden zu müssen das allein er verschuldet hatte.
'Gleich morgen früh gehen wir rein und sehen uns um!' verkündete August und wir nickten wie ein Mann.

Gesagt getan. Punkt 10 Uhr marschierten wir geschlossen durch das Eingangstor und durchkämmten die, sowieso nur sehr wenigen, Gassen der Fuggerei. Die Schauwohnung war wegen Renovierung geschlossen, verkündete ein Schild vor dem Eingang. Schade. Wenn man schon Eintritt bezahlen muß, möchte man wenigstens auch was zu sehen bekommen! Doch was war das? Heiseres Gebrüll und Gepolter drang aus der Wohnung nach draußen. Das würde doch nicht ... das war doch nicht etwa ... das konnte doch nicht ...

Nachdem er sich drei Portionen Nudeln ohne Salat (tu das weg August, das könnte gesund sein!) reingezogen hatte, bekamen wir endlich die gesamte Geschichte aus ihm heraus. Nachdem akkurat vor dem Tor der Fuggerei einer der mysteriösen Becher gestanden war, hatte er sich in der Wohnung einschließen lassen um sich am nächsten Tag in aller Ruhe und inkognito der Suche nach dem Einbrecher widmen zu können. Kompletter Unfug natürlich, aber wer wollte seine Zähne riskieren, also blieben wir stumm. Dummerweise hatte am nächsten Morgen niemand die Wohnung aufgesperrt. Erst hatte er sich nichts dabei gedacht, schließlich öffnete man für das Volk erst ab 10 Uhr. Doch die Wohnung blieb versperrt. Doppelt schändlich, daß er, einer der geschicktesten Einbrecher der Stadt, die Türe nicht selbst hatte öffnen können. Doch ohne Werkzeug ... zwecklos. Wenigstens war das Wasser noch nicht abgestellt worden, so daß er zumindest seinen Durst stillen konnte. Aber die Küche war natürlich leer. Es war ja nur eine Schauwohnung. Jegliches Gebrüll und Klopfen wurde von den Nachbarn wohl als Nebengeräusch der angekündigten Renovierung gehalten. Warum er nicht aus dem Fenster gerufen hätte? Weil diese ebenfalls bummfest verschlossen gewesen seien, mit diesen altmodischen Riegeln, die man nicht ohne passenden Schlüssel öffnen konnte. Die Scheiben einzuschlagen wäre ebenfalls sinnlos gewesen, da er durch die winzige Fensteröffnung nicht hindurchgepaßt hätte.

Während der nächsten Wochen vermieden wir es tunlichst, die Worte Becher oder McDonalds auszusprechen um ihn nicht zu reizen. Zwischenzeitlich hatte er sich in eine neue fixe Idee verrannt. Er wollte eine Rennsemmel bauen, mit der er die Leute foppen und zur Verfolgung selbiger animieren könnte. Wenn sie dann in der Hast ihren Geldbeutel verlören, dann brauchte er ihn nur noch aufzusammeln. Ob ihm denn niemand bei der Konstruktion des fahrbaren Untersatzes behilflich sein wolle? Eilig stoben wir in verschiedene Richtungen davon.

Die Sache mit den Bechern hat sich dann übrigens doch noch aufgeklärt. Eines schönen Tages im Herbst saß ich im Wittelsbacher Park und blätterte absichtslos durch eine liegengelassene Augsburger Allgemeine. Auf einmal saß ich kerzengerade und traute meinen Augen nicht: Hatte man doch vor wenigen Tagen einen Hundebesitzer ausgeforscht, der auf die glorreiche Idee gekommen war, benutzte Becher über die Hinterlassenschaften seines Fifi zu stülpen so daß er sie nicht aufzusammeln brauchte.
Es muß nicht extra erwähnt werden, daß niemand von uns es übers Herz brachte, Heiko davon zu erzählen? Hunde und so. Sollte man schlafen lassen. Besser ist das.