Sonntag, 9. Februar 2025

Der Mann der sich auskannte


Die Leute fanden immer, ich sei komisch. Daher war ich meist alleine. Da wird man dann halt seltsam. Sowas bedingt sich oft gegenseitig.

Wenn es mir gutging und das Wetter danach war, fuhr ich manchmal in eine andere Stadt, seit ich in München wohnte beispielsweise nach Kufstein rüber, und stieg dort ein bissl auf einen Berg. Aber nur ein klein wenig. Keine steilen Wege, nur hoch zu den Seen und dann auf der anderen Seite wieder runter nach Deutschland. Ist eine nette Runde und man hat was von der guten Luft.

Am liebsten fuhr ich unter der Woche, da hat es weniger ungezogene Kinder bzw. Erwachsene ohne Anstand im Zug. Aufgrund meiner Lärmempfindlichkeit ist das Fahren in den Öffis ein großes Problem für mich, über das ich aber mit niemandem sprechen kann, da mich die anderen sofort zurechtweisen. Ich solle mich nicht so anstellen. Man könne das doch ausblenden. Ja, man schon. Ich nicht.
Da helfen oft auch keine Kopfhörer mehr, die ich selbstverständlich immer dabei hatte. Aber ich wollte halt mein Leben nicht nur in der Wohnung und auf Friedhöfen verbringen. Daher freute ich mich immer sehr, wenn sich die Gelegenheit zu einem kleinen Ausflug ergab.

Am See saß ich gerne auf einer Bank, genoß die Ruhe und las - oder schaute einfach gradaus in die Natur. Dabei hatte ich normalerweise die Bank für mich. Bis zu diesem schicksalhaften Tag im Mai vorigen Jahres.

Da nämlich kam auf einmal ein Mann mit Hut und fragte höflich, ob er sich neben mich setzen dürfe. 
Najo na eh, es ist ja keine Privatbank.
'Hoffentlich geht er bald wieder', dachte ich und steckte meine Nase ins mitgebrachte Buch.
''Was lesen Sie denn da Schönes?'', fragte der Mann neugierig.
Ich hielt ihm schweigend den Buchdeckel unter die Nase und dachte 'Aha, der is ned von do.' Die Tiroler sagen niemals 'Sie' wenn sie dich anreden. Auch wenn du ihnen fremd bist. Da wird immer geduzt und ich find das toll.

Umständlich zog der Mann eine Brille aus der Hemdtasche und setzte sie auf.
''Aha, das ist ja englisch. Können Sie auf Englisch lesen?''
''Naa eh ned, ich tu nur so im Fall daß jemand vorbeikommt, des schaut dann so g'scheit aus.''
Der Mann schmunzelte amüsiert.
''1:0 für Sie. Das war wirklich eine dumme Frage. Aber wissen Sie, ich spreche normalerweise keine Frauen an und bin daher etwas aus der Übung. Wie man sicherlich hört bin ich auf Urlaub hier.''
''Aha, und jetzt suchen Sie eine Urlaubsbekanntschaft?''

Wieder schmunzelte der Mann, wobei seine Augen blitzten und seine Mundwinkel auf eine absolut unnachahmliche Weise zuckten.
''Sind Sie immer so direkt?''
''Ja schon. Das Leben ist viel einfacher wenn man gleich auf den Punkt kommt. Hätten Sie noch eine Frage oder kann ich jetzt weiterlesen?''

Nun war es offenbar vollends um den armen Mann geschehen. Er brach in lautes Gelächter aus, klopfte sich auf die Schenkel wie es die Einheimischen beim Schuhplattler nicht besser gekonnt hätten, und wischte sich anschließend die Tränen aus den Augen.
''Sie sind 'ne Marke,'' berlinerte er grinsend. ''Wissen Sie, daß ich seit dem Tod meiner Frau nicht mehr so gelacht habe? Ich find Sie Klasse.''
''Oh, mein Beileid.'' Das war ja wieder mal typisch ich. Gleich wieder ins Fettnäpfchen latschen wenn ich einmal versuchte, mir etwas Freiraum zu schaffen.
Erneut lachte er schallend.
''Ich erkläre Ihnen, daß ich Sie Klasse finde und Sie beteuern mir Ihr Beileid, das ist köstlich, absolut köstlich!''
''Nein lassen Sie, ich verstehe schon,'' fuhr er fort, als ich zu einer hastigen Entgegnung ansetzte, ''Sie meinten natürlich weil ich den Tod meiner Frau erwähnt hatte. Nun, sie war lange krank gewesen, es kam nicht allzu überraschend. Und es ist nun auch schon drei Jahre her. Man gewöhnt sich. Wie Sie sehen, kann ich mittlerweile meine Schuhe alleine binden und sogar in den Urlaub fahren ohne in der falschen Stadt zu landen.
Aber sagen Sie: Kennen Sie sich in der Gegend aus? Ich bin das erste Mal hier und finde mich auf den Wanderwegen nicht wirklich gut zurecht. Außerdem macht es zu zweit viel mehr Spaß. Das Wandern! Schauen Sie nicht so streng, ich meinte das Wandern!''

Nun war es an mir zu grinsen. Der Mann hatte Humor, hatte eine wunderschöne Nase und er wollte nur Wandern. Aber leider war ich ja ebenfalls nicht aus Kufstein. Was ich ihm auch erklärte. Alle paar Monate einmal einen Tagesausflug an die Seen zu unternehmen, machte noch lange keinen Ortskundigen. Auch wenn ich wußte wo der Billa war, daß es den Friseur Klipp nicht mehr gab und daß man im Brillengeschäft chronisch unfreundlich war zu den Kunden. Dafür im Bipa gegenüber umso netter. Kein Wunder bei den Preisen.

''Wie sind Sie ausgerechnet auf Kufstein gekommen?'', fragt ich neugierig. ''In Innsbruck und Umgebung ist es doch viel hübscher als hier. Kufstein ist eine ausgesprochen scheußliche Stadt und ich fahr auch nur deswegen manchmal her, weil es halt von München aus praktisch um die Ecke ist.''

Er erzählte, daß ein Bekannter von ihm sich als Reisevermittler selbständig gemacht und ihm einen 'Superdeal' herausgesucht hatte. Leider sei das Hotel um den Preis den er bezahlen mußte jetzt nicht so wirklich toll und außerdem an einer sehr lauten Straße gelegen. Er holte einen zerknitterten Prospekt aus seinem Rucksack und beim Anblick des Portraits auf der ersten Seite holte ich tief Luft. Ich kannte den Mann. Ich hatte ihn vor einigen Jahren im Internet kennengelernt. Immer wieder hatte er mich angeschrieben, sich mit mir getroffen und war hinterher wieder abgetaucht. So ein Wappler. Und jetzt verarschte er die Leute. Grandios.

''Müssen Sie da jetzt die ganze Woche bleiben oder können Sie auch kündigen?'' fragte ich besorgt. ''Eigentlich ist es ein Paket, das bedeutet ja, ich habe bezahlt und muß da auch bleiben.'' ''Warten Sie mal eben, ich geh kurz telefonieren, bin gleich zurück!''

Zwei Bänke weiter holte ich mein Mobiltelefon heraus und rief eine mir wohlbekannte Nummer an. Er ging auch gleich ran. ''Hör mal Giordano, das find ich echt nicht ok!'' legte ich los. Der Gute war so verdutzt, daß er ins Stottern kam. ''Wie ... was ... wen hab ich verarscht? Wovon sprichst du?''
Nun fiel mir siedendheiß ein, daß ich weder den Namen des Mannes mit Hut kannte noch den des Hotels. Was war ich für ein Trottel. Mein Chef hatte wohl doch recht, mich konnte man zu nix gebrauchen.

Hastig lief ich wieder zurück zu 'unserer Bank' und rief: ''Wie hoascht denn du?''
Begleitet vom mittlerweile wohlbekannten Schmunzeln kam die Antwort und ich bellte erneut in den Hörer: ''Ja der Kurti halt. Der Kurt, aus Berlin oder so. Was hast dem denn für ein g'schissns Hotel angedreht, hm?''
Giordano wand sich eine Weile, stimmte dann aber zu, den Vertrag zu stornieren, der Kurti könne also noch heute ausziehen. Wenn er wolle. Na und ob der wollen würde!
Freundlich bedankte ich mich und marschierte zurück.

''So und jetzt kannst dir was Schönes in Innsbruck suchen, da ist es viel netter als hier. Soll ich dir was empfehlen?''
Kurt war begeistert. Wie ich das gemacht hätte, wollte er wissen.
''Ja mei'', antwortete ich. Das geht immer, wenn man sich nicht weiter über etwas auslassen möchte. Einfach 'Ja mei' sagen, das paßt dann schon.

Eigentlich, so überlegte Kurti vor sich hin, wolle er nicht unbedingt in Tirol bleiben, eigentlich würde ihn München viel mehr interessieren. Ob ich ihm da auch etwas empfehlen könnte? Konnte ich natürlich. Ein wunderschönes kleines Hotel in Dachau, total ruhig gelegen und doch bestens an den öffentlichen Nahverkehr angebunden.

Es versteht sich von selbst, daß wir den Spaziergang gemeinsam fortsetzten. Anschließend gingen wir zu seinem Hotel, wo er seine Sachen zusammenpackte und gleich mit mir nach München fuhr, wo ich ihn in den Bus nach Dachau setzte nachdem ich ihm den Weg zum Hotel genau beschrieben hatte.

An eine Partnerschaft hatte ich niemals mehr zu denken gewagt. Natürlich lernte ich immer wieder einmal Männer kennen, aber noch bevor ein gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden konnte, hatte sich die Sache schon wieder erledigt. Meist waren sie verheiratet und suchten ein kleines Abenteuer auf der Seite. Aber ned mit mir. Ich war kein Kleenex in das man quasi im Vorbeigehen hineinrotzt und es dann achtlos wegwirft.

Daher war ich nicht darauf gefaßt gewesen, daß Kurti mich bereits am nächsten Tag anrufen würde (ja, wir hatten die Nummern ausgetauscht, für alle Fälle, man wußte ja nie ...) um zu fragen, ob ich ihm vielleicht meine Lieblingsorte in Dachau zeigen wolle?
War der so unselbständig oder wollte er sich noch ein paarmal über mich totlachen?
Aber gut, dachte ich, ich bin ja nicht so. Ich hatte eh noch ein paar Tage frei und so spielte ich gerne den unermüdlichen Fremdenführer für den Mann aus dem hohen Norden. Schließlich hat Dachau noch viel mehr zu bieten als die KZ-Gedenkstätte, wegen der die Touristen von nah und fern angereist kommen.

Ja, was soll ich sagen. Nächste Woche sind wir bereits seit einem Dreivierteljahr ein Paar. Er kennt mittlerweile sämtliche Friedhöfe in der näheren Umgebung, kann geschmeidig auf bayerisch fluchen und es macht mir nicht einmal mehr etwas aus, jedes Mal mein Bett frisch zu beziehen wenn er nach München kommt. Was er beruflich nun ziemlich oft tut.
Neulich hab ich ihn sogar dabei überrascht, wie er den Immobilienteil der Zeitung studiert hat. Immer gleich so stürmisch, die Piefke. 

Ab und an fahren wir nach Kufstein, steigen hinauf zu unserer Bank, auf der alles angefangen hat, und schauen gemeinsam über den See. Gerne stoßen wir dabei mit einem Schlumberger Piccolo an. Auf den Giordano und sein komisches Reiseunternehmen. Auf Frauen, die gerne ohne Unterwäsche durch die Botanik spazieren. Und auf Männer, die das mit einem unwiderstehlichen Grinsen zur Kenntnis nehmen. Liebe ist einfach etwas Wunderschönes!








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