Sonntag, 19. Januar 2025

Drohbriefe bitte grammatikalisch korrekt!


Arbeitet man lange genug in einem Unternehmen so wird man mit der Zeit resistent gegen die allgegenwärtigen Mißstände. Bei uns fiel besonders die mangelnde Wertschätzung seitens der Vorgesetzten und die ewige Tratscherei hinter dem Rücken anderer ins Gewicht. 

Zumindest hatte ich lange gedacht, eine Resistenz entwickelt zu haben. Solange ich selbst nicht zu den Betroffenen zählte. 

Mit der Ankunft des neuen Chefs sollte sich mit einem Schlag alles ändern. 'Der greift ganz schön durch!' formulierte es eine Kollegin, ihres Zeichens Oberarztsekretärin in der Abteilung für Physikalische Medizin, in welcher ich nach meiner erfolgreich absolvierten Wiedereingliederung mein Unwesen trieb. 

Mir kam es sehr gelegen, daß einmal ordentlich durchgemischt und ich in eine andere Abteilung versetzt wurde. Die Deppentätigkeiten, mit denen man mich in der PhysMed beschäftigt hatte, waren bestenfalls langweilig, auf keinen Fall dazu angetan, daß mich irgendjemand von der Belegschaft auch nur ansatzweise respektieren würde. Im Gegenteil. Ich war und blieb der Trottel, dem niemand etwas zutraute, und flog weit unter jedermanns Radar. Obwohl mich fast alle in der Abteilung seit vielen Jahren kannten, wurde ich von den meisten nicht einmal gegrüßt. Da fiel der Abschied nicht schwer.

Mein neuer Tätigkeitsbereich war interessant, vielseitig und abwechslungsreich, die Kolleginnen sehr nett und die Vorgesetzte einfach zauberhaft. Dachte ich jedenfalls. Anfangs. Und fühlte mich wohl wie ein Fisch im Wasser. Mit den Patienten hatte ich nur noch am Telefon zu tun, was nicht unbedingt ein Nachteil war. In meiner ursprünglichen Stelle als Sekretärin des Leitenden Oberarztes der Orthopädie waren sie täglich durch mein Büro defiliert. Hinkend die einen, an einen Rollator geklammert die anderen, dennoch ungebrochen ihre Rechte als Privatpatienten einfordernd. Daß ich als Sekretärin keinen Einfluß auf die Gestaltung der Sprechstunde hatte, war ihnen egal gewesen. Wer zahlt schafft an hieß die Devise. Nun, bei uns nicht unbedingt. Da reicht es, wenn man zahlt.

Nach etwa einem Jahr merkte ich, daß die Atmosphäre sich veränderte. Die Teamleiterin nahm deutlich Abstand, hatte fast täglich etwas zu Kritisieren, auch Dinge, die sie früher nie gestört hatten, und versuchte immer wieder, mir Fehler nachzuweisen. Vergeblich.
Nachdem ich im Sommer wegen einer schwierigen Zahngeschichte, die insgesamt drei Monate dauerte, an drei einzelnen Tagen arbeitsunfähig gewesen war, bekam ich ein Mail vom Chef, daß ich ab jetzt vom ersten Tag einer Krankheit an ein Attest zu bringen hätte. Auch für einzelne Stunden. Ich war fassungslos.

Die Krönung war ein Schreiben kurz nach Weihnachten, daß ich zum Amtsarzt vorgeladen werden würde, da man nicht sicher sei, ob ich die 'arbeitsvertragliche geschuldete Leistung' in vollem Umfang zu erbringen in der Lage sei.

Das schlug dem Faß den Boden aus. Wenn man die Leute schon unnötig blöd anschreibt, dann doch bitte grammatikalisch korrekt. So konnte es nicht weitergehen, ich mußte mir etwas einfallen lassen. Ich war mir sicher, daß die Teamleiterin hinter allem steckte.  Aber was konnte ich tun? Sie an ihren Bürostuhl fesseln und so lange mit selbstgekochtem Kaffee foltern, bis sie freiwillig alles zugab? Kaum.

Beim nächsten Meeting nahm ich unauffällig eins ihrer langen schwarzen Haare an mich, und zur Sicherheit auch den Kugelschreiber des Chefs, der von ihm unbemerkt unter den Tisch gerollt war. Natürlich war mir klar, daß Schwarze Magie nicht in Ordnung ist und daß meine bösen Gedanken auf mich selbst zurückfallen würden. Aber es gab da diesen kleinen Trick.

Ich selbst war nicht das ausführende Organ. Ich stellte den Mächten nur das Handwerkszeug zur Verfügung und legte den Sachverhalt dar. Überließ es völlig ihnen, ob sie diesbezüglich etwas unternehmen wollten oder nicht. 

Derweilen widmete ich mich wieder ganz den Patienten und deren luxierten Kniescheiben, Wirbelkörperfrakturen, Schulterzerrungen und anderen Verscherungen. Ich hatte Zeit. 

Keine drei Wochen später bekam ich ein Rundschreiben, das an mich und alle meine Kolleginnen gerichtet war. Da der Chef beim Joggen an der Isar leider eine unheilige Symbiose mit einem dort als Kunstinstallation aufgestellten Bügelbrett eingegangen war und auf unbestimmte Zeit ausfallen würde, gleichzeitig unsere Teamleiterin unerklärlicherweise die Klinik verlassen hatte, sollten wir bis auf Weiteres die Stellung halten so gut es uns möglich sei, die vakante Stelle sei bereits neu ausgeschrieben.

Als ich mich mit einem riesigen Blumenstrauß durch die engen Türen der Station im 11. Stock schlängelte, auf der unser Chef lag, wußte ich noch nicht genau, was ich dort eigentlich wollte. Der konnte mich doch nicht ausstehen, warum also drängte es mich so, ihn zu besuchen?

Kurze Zeit später waren wir beide baff. Erst er, nachdem er erfahren hatte, daß die Geschichten, die man ihm über mich erzählt hatte, völlig verdreht und großteils falsch waren. Daß ich weder widerrechtlich das hauseigene Schwimmbad benutzt hätte, noch unrettbar dem Alkohol verfallen sei, mit irgendwelchen Ärzten ein Techtelmechtel hätte und schon zweimal nicht vorhätte, auch ihn um den Finger zu wickeln.

Dann ich, nachdem er mich gefragt hatte, ob ich nicht als Interimslösung der Abteilung vorstehen wolle, bis die neue Teamleitung die Stelle würde antreten können.
Schließlich sei ich doppelt so alt wie die anderen, hätte durch meine lange Betriebszugehörigkeit die nötige Erfahrung und könne auch perfekt Englisch, was im Umgang mit den internationalen Patienten von großem Vorteil sei.

Vorige Woche stand auf einmal die ehemalige Vorgesetzte vor mir. Sie war bei einem Überfall auf eine Buchhandlung schwer verletzt worden und sollte nun eine Hüftprothese bekommen. 'Servus Petra,' sagte ich leise und sah ihr ins Gesicht. Sie schlug die Augen nieder und hinkte langsam in die Wartezone zurück. Nie werde ich erfahren, warum sie mich unbedingt aus meinem Job hatte mobben wollen. Vielleicht würde es irgendwann nicht mehr wichtig sein.
Bald würde ich in Rente gehen und meine eigene Buchhandlung eröffnen. Jemand mußte sich ja schließlich um die Vermarktung meiner Fotobände und Kurzgeschichten kümmern.












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