Mittwoch, 12. Juli 2023

Alexander Schmatulkes Traum von der Liebe

Alexander Schmatulke war verärgert. Ungewöhnlich für ihn, der er sonst ein eher gleichmütiges Verhalten an den Tag legte aber irgendwann langt's halt. Und irgendwann war jetzt!

Da hatte er seine Frau sorgfältig zerhackt, mittels einer aus der Arbeit mitgenommenen Knochensäge mühevoll zerkleinert, portionsweise verpackt und im Gefrierschrank verschwinden lassen - und jetzt? Stromausfall. Stromausfall bitte!!! Im gesamten Stadtteil, auf unbestimmte Zeit. 'Wieder so ein Cyberangriff!' sagten wichtigtuerisch jene, die bei Bekannten noch Fernsehschauen konnten. 

Der Gestank in seiner Wohnung war bereits nach wenigen Stunden bestialisch. Da half kein Parfum mehr. Bald würden die Leute reden. Fragen stellen. Sich wundern. Man würde sich erinnern. Später, wenn die Kommissare kämen. Erinnern an den Gestank und wie man Frau Schmatulke eigentlich schon länger nicht mehr gesehen hatte.

Als ob sich auch nur einer von denen Gedanken um seine Frau gemacht hätte, dachte Alexander voller Ingrimm, als noch Gelegenheit dazu gewesen wäre. Sie mal besucht hätte. Gefragt, wie es ihr geht. Aber das wußten wir ja alle, wie es ihr geht. Ging. Gegangen ist. Scheiße ist es ihr gegangen. Gefühlt seit Ewigkeiten schon. Deswegen war sie auch in einer Tour am Keppeln gewesen. So daß er schließlich keine andere Möglichkeit mehr gesehen hatte als sie zu erlösen. War doch kein Leben mehr gewesen mit der Alten. Für sie nicht und genausowenig für ihn.

Endgültig in ihm gereift war dieser Entschluß, nachdem er, verblüfft über sich selber, beim Anblick einer gewissen jungen Dame die, wie er, jeden Morgen mit dem halb-8-Uhr Bus in die Stadt fuhr, in seiner Brust ein Jubeln verspürt hatte. Ein Zerren und sehnsüchtiges Ziehen. Eine unpackbare Freude, die beim Anblick des Mädchens immer wieder aufs Neue entfacht wurde.

Natürlich war er nicht so vermessen, sich altem Trottel bei so einem jungen Ding, wahrscheinlich Studentin denn sie stieg immer bei der Uni aus, Chancen ausrechnen zu wollen. Niemals. Da mußte man schon auf dem Teppich bleiben.

Die Gefühle jedoch, die sie in ihm hervorrief, die wollte er auskosten. Diese lang schon vergessenen, vergrabenen, und nun unverhofft erneut zum Leben erweckten Gefühle. 

Spüren. Genießen. Träumen. Davon, was wäre, wenn. Wenigstens das. Ein kleines, bittersüßes Glück. Welches ihm seine Frau mit ihrem fix ins Gemüt eingestanzten Mißmut einfach nicht gönnen wollte. Einfach nichts Positives um sich herum zuließ. Die Atmosphäre in der Wohnung dauerhaft vergiftete. Mit ihrer quäkenden Fragerei beispielsweise, wo er so lange gewesen, wenn er auch nur ein Viertelstündchen später als gewohnt von der Arbeit nach Hause kam. Entenleber mitbrachte, die ihr zu fettig war obwohl sie sie sich am Morgen noch gewünscht hatte. Barsch, der ihr zuviele Gräten hatte oder Erdbeeren, die ihr nicht reif genug erschienen.

Weil der Greißler am Eck eh ein Gauner war und hätte sie das nicht immer schon gesagt?
Hatte sie.

Also mußte er sie erlösen. Vom Greißler, vom Leiden und von ihm. Ihrem Nichtsnutz von Ehemann der endlich zum Leben erwacht war. Zu einem Leben, das er ohne sie und ihr permanentes Gemecker zu führen gedachte.

Und nun der Stromausfall. 
Natürlich hätte er die Leiche nicht ewig in der Gefriere verstecken können. Irgendwann wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem er seine Frau als vermißt hätte melden müssen. Vom Einkaufen nicht zurückgekommen, beim Greißler, von dem man ja wußte ...

Aber doch jetzt noch nicht! Noch ehe er Gelegenheit gehabt hatte, sie portionsweise zu entsorgen!

Am nächsten Morgen fand er sich, nolens volens, mit einem leider deutlich miefenden Packerl in seiner Aktentasche auf dem Weg in die Arbeit. In einem großen Krankenhaus sollte es doch möglich sein, etwaige Teile, die bei einer OP übrig geblieben waren, zu entsorgen. Und wenn da mal ein bissl mehr lag ... seine Kollegin von der OP-Reinigung, die ihm auch die Knochensäge stibitzt hatte (er selber arbeitete in der Sterilisation und war leider nicht in einer Position, wo man einfach mal ein Gerät beiseiteschaffen konnte) würde ihm hierbei vielleicht weiterhelfen?

Doch der Weg zur Arbeit war lang und der Sommer bereits jetzt am Morgen drückend heiß. Sehr heiß. Am Hauptplatz stieg wie immer seine Angebetete ein, dieser frische Hauch in seinem neuen Leben ... doch noch bevor er mit seiner Aktentasche von ihr abrücken konnte, schließlich wollte er nicht, daß sie dachte er hätte sich nicht geduscht, zwinkerte sie ihm zu und meinte: 'Keine Sorge, ich kenne diesen Geruch. Ich arbeit grad unten auf der Prosektur. Ich studier Humanmedizin, zweites Semester.'

Alexander erstarrte. So schnell war also das Ende gekommen ... würden sie ihn nach Kaisheim bringen - oder vielleicht gleich nach Stadelheim zu den ganz harten Jungs?

Die Studentin plauderte munter weiter: 'Ich hab auch mal einen Hirschen zusammengefahren. Natürlich völlig unabsichtlich. Weit und breit niemand, also das Tier in den Kofferraum und ab dafür. Und dann aber drauf vergessen. Tja, wohin dann mit der Leich? DAS war vielleicht eine Sauarbeit sag ich Ihnen, bis wir die Teile entsorgt hatten. Mein Freund hat mir geholfen. Haben Sie auch einen Freund oder müssen Sie alles alleine machen? Aber warum ich Sie anspreche, Sie hätten nicht vielleicht den einen oder anderen dicken Knochen übrig für uns? Wir machen grad Versuche mit Fadenankern und an menschliche Knochen kommt man ja sooooooooooooooooooooo schlecht ran.'

Alexander schluckte. Menschliche Knochen. Hätte er durchaus anzubieten jetzt. Jede Menge. Aber wie erklärt man das einer harmlosen Medizinstudentin?

'Drogentote', brachte sich sein Gegenüber wieder zu Gehör, ungeachtet dessen, daß bereits die halbe Bahn interessiert zuhörte. 'Drogentote sind super, wenn die keine Angehörigen haben die sich kümmern, dann kriegen wir die manchmal. Aber natürlich sind die Knochen dann auch nicht mehr sooooooooooooooooooo dolle beinand.'

In Alexanders Kopf spielte unerklärlicherweise ein Orchester in minimaler Besetzung das alte Lied: 'Es zittern die morschen Knochen der Welt vor des Todes Sieg ...' oder sowas in die Richtung. 

In seinem Inneren tobte ein Kampf. Was sollte er nun machen? Freundlich lächelnd die gute Frau verabschieden und sich extrem zeitnah um die weitere Vernichtung seiner Frau kümmern oder - um ein zweites Treffen mit der Angebeteten zu erheischen - sich als Sozialarbeiter vorstellen der REIN zufällig einen Drogentoten zu betreuen hatte bei dessen Verfolgung er leider diesen Hasen überfahren hatte dessen sterbliche Überreste er nun in seiner Aktentasche herumtrug in der Hoffnung, diese in der Klinik unbemerkt verschwinden lassen zu können?

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, nahm Wanja, wie sie sich ihm nun vorstellte, die Entscheidung gekonnt in ihre russischen Hände und meinte: 'No schauen Sie, Sie kommen heute einfach ein bissl später in die Arbeit rauf, und ich zeig Ihnen derweil wo man bei uns unten die Resterln hintun kann. Damals wie ich noch in Wien studiert hab, wars ein bissl einfacher, die Österreicher haben's nicht so mit dem Reglement, aber dafür gehen die Deutschen immer davon aus, daß sich ALLE an die Regeln halten, so kommt man leichter dazwischen.'

Inzwischen waren sie angekommen, stiegen in den Lift nach unten und Wanja zeigte ihm stolz 'ihr' Reich, die Prosektur. Ein bissl wie in einem dieser japanischen Hotels mit den sehr engen Zimmern, nur daß in den 'Zimmern' Tote lagen und auf die Obduktion warteten. Menschen in weißen Kitteln wuselten durch die Gegend ohne sie beide zu beachten. Die Räume mit den meterhohen Plafonds standen voll mit frisch gewienerten blanken Liegen aus Chrom und Stahl, jedoch aktuell alle unbelegt worüber sich Alexander sehr freute. Noch mehr Leichengestank hätte er jetzt nicht noch gebraucht. A propos Leichengestank ... unauffällig stupste er Wanja in die Seite und deutete auf seine Aktentasche.

Diese grinste und meinte: 'Müssen wir noch ein bissl warten, sind grad zuviele Leute umadum. Komm mit, ich zeig dir derweil mal die Veterinärmedizin. Noch bevor Alexander die Chance gehabt hätte, etwas zu sagen, nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn hinter sich hier durch ein Gewirr von Gängen, ein Kaninchenbau war nichts dagegen. Wie soll ich hier jemals wieder herausfinden, dachte er kläglich ... doch schon stoppte Wanja vor einer Türe und lugte vorsichtig hinein. Schlüpfte hindurch und winkte ihm, ihr zu folgen. Todesmutig betrat Alexander hinter ihr das Zimmer und erstarrte. Ein riesiger Saal voller Schafe! Eins nach dem anderen pittoresk auf einer Liege plaziert, doch keins gab auch nur den geringsten Laut von sich. 

'Sind die alle ... tot?' fragte Alexander und räusperte sich mehrmals, seine Stimme schien ihm hier unten nicht mehr wirklich zu gehorchen. 'Ach woher, die machen einfach nur Versuche mit denen. Jetzt schau nicht so mitleidig, immer noch besser als wenn die an Menschen rumexperimentieren, oder? Magst mal ausprobieren? Komm, leg dich doch mal hier auf die freie Liege!' Grinsend schob Wanja den stolpernden und mittlerweile todbleichen Alexander rückwärts auf eine der Stahlliegen zu. Verzweifelt versuchte sich dieser zu wehren, ließ seine geliebte Aktentasche zu Boden fallen, ruderte mit beiden Armen, aber keine Chance, Wanja war nicht umsonst in Russland zur Schule gegangen. Sie wußte wie man kämpft.

Am Ende lag Alexander festgeschnallt neben den Schafen auf einer Liege und mußte hilflos mitansehen, wie Wanja routiniert eine Spritze aufzog und sich ihm damit näherte.

'Mußt du keine Angst haben Alexejowic, ist schnell vorbei. Du hast ewige Ruhe (sie deutete zwinkernd auf seinen Ehering) und wir haben ein feines Paar Humeri für unsere Forschung. Win-Win Situation, wie ihr das hier nennt.'

Alexander hätte noch soviel zu sagen gehabt. Daß er ihr ebenfalls zwei Humeri bringen könnte von daheim, daß er doch garnicht mehr verheiratet sei und daß er sie liebte ... aber dazu war es jetzt zu spät. Mit einem letzten Blick in die Augen seiner schönen Mörderin verabschiedete er sich von dieser Erde und nahm all seine frisch wiederentdeckten und letztendlich doch unausgelebten Träume und Sehnsüchte mit sich hinüber in die Anderswelt. 
















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