Trübsinnig saß ich auf der Schwelle vor meinem Laden und starrte bitter vor mich hin.
Viele, viele Jahre lang hatte ich diesen Schuhladen mit Liebe und Herzblut geführt, mir keinen Urlaub gegönnt und jeden Kundenwunsch zu erfüllen versucht. Alt und grau war ich darüber geworden obwohl ich noch nicht einmal fünfzig Lenze zählte. Doch legten die Menschen im neuen Jahrhundert, trotz ihres Wohlstandes, Wert auf gutes Schuhwerk? Nein, taten sie nicht. Sie kauften sich im Billigladen minderwertige Latschen, liefen damit drei Monate rum und warfen sie danach weg. Praktisch niemand brachte mehr hübsche, hochwertige Schuhe zum Richten. Und wenn, dann jedenfalls nicht zu mir.
Den größten Teil des Tages konnte ich nur mehr im Hinterzimmer dösen und selbst die notwendig gewordenen Schönheitsreparaturen an der Fassade konnten keine Kunden mehr anlocken, Geld für üppige Dekorationen war sowieso keins mehr vorhanden. Wie lange würde ich noch ausharren können, bis die Bank mir den Kredit kündigte?
Die Hauptverkehrsstraße vor meiner Nase war an diesem Vormittag nicht weniger belebt als sonst auch, nicht enden wollende Fußgängermassen zogen vorüber, Radlfahrer klingelten sich den Weg frei und Kolonnen von Stadtbussen transportierten mehr oder weniger gut gelaunte Menschen an ihr jeweiliges Ziel. Nebenan mampften zufriedene Kunden Döner und Kebab von Omar dem Türken, der fröhlich grinsend mit dem Dönersäbel in der Hand seine Witze riß, jeden Tag andere, so daß sogar die Stammgäste immer wieder was zu Lachen hatten.
Plötzlich wurde ich eines jungen Burschen gewahr, der selbstvergessen auf seinem Radl im Zickzack von rechts dahergedübelt kam, ohne darauf zu achten, wer noch alles an diesem sonnigen Tag hier unterwegs war. Beispielsweise der dunkelblaue Mercedes, der gerade auf meiner linken Seite extrem zügig aus der Tiefgarage auftauchte, ohne sich um wildgewordene jugendliche Radlfahrer oder andere Passanten zu scheren. Rasch sprang ich auf und stellte mich panisch wedelnd dem Jungen in den Weg: 'Halt!', schrie ich. 'Stehenbleiben!' Erschrocken trat der Bub in die Bremsen, konnte jedoch einen Aufprall nicht mehr verhindern. Das scheußliche Geräusch von schleifendem Metall auf Gehsteig, ein heißer Schmerz in meiner Schulter, alles bunt durcheinander und dann ... nichts mehr.
Als ich aus ihrer Ohnmacht erwachte, lag ich in meinem Hinterzimmer auf der Couch, mein Schädel brummte und eine junge Frau saß an meiner Seite. Verwirrt hob ich den Kopf und griff mir gleich darauf stöhnend an denselben. 'Immer langsam,' lächelte die junge Frau. Hast ordentlich was abbekommen. Du kennst mich nicht, ich heiße Valeriana und du hast vorhin meinen Sohn gerettet, sonst wäre er statt in dich in dieses Bonzenauto reingedonnert. Kann man sich vorstellen, wie das ausgegangen wär. Der Typ ist natürlich ungerührt weitergefahren, war sich keiner Schuld bewußt. Aber heute Abend wird ihn seine Frau verlassen. Das weiß er nur noch nicht.'
'Ah,' meinte ich. Die Frau grinste entschuldigend und fügte hinzu: 'Nicht, daß du denkst ich hab einen an der Klatsche. Ich bin sowas wie eine Hexe, nur nennt man das heutzutage anders. Fachfrau für Paranormalitäten beispielsweise. Aber wurscht jetzt, ich wollte dir einfach meine Dankbarkeit bekunden und dir mitteilen, daß ich einen Weg gefunden habe, dein Geschäft wieder etwas zu beleben. Jaaaaa ich kann ein bissl hellsehen, aber glaube mir das ist keine Freude. Das meiste willst ned wirklich wissen. Und wie das abläuft, mit der Geschäftsbelebung? Na, des wirst schon sehen. Wollte nur gucken, ob du keine bleibenden Schäden hast bzw. diese versuchen zu lindern, aber ich sehe schon, es geht eh besser, oder?'
Benommen blickte ich in ihre verschmitzten Äuglein und mußte zugeben, daß der Kopfschmerz zur Gänze verschwunden war und ich auch sonst keine Schmerzen verspürte. Bevor ich jedoch auch nur ein Wort an die freundliche junge Frau richten konnte, war sie mit einem Happs verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Vielleicht hatte ich doch was am Kopf zurückbehalten? Vorsichtig richtete ich mich auf und stakste zu meinem Logenplatz vor der Türe zurück.
Kaum jedoch hatte ich mich niedergelassen, mußte ich mitansehen, wie eine Frau, die behende auf ihren ewig hohen Stöckelschuhen dahergeeilt kam, mit einem Mal bös stolperte und hinterher betroffen auf den Absatz ihres linken Schuhs blickte, der sich nun statt am Schuh in einer Spalte zwischen zwei Pflastersteinen befand. Hilfesuchend blickte sie umher, strahlte glücklich auf als sie mein Ladenschild entdeckte und kam hinkend auf mich zu. 'Sagen Sie, hätten Sie wohl kurz Zeit, mir den Absatz wieder ranzumachen? Ich bin auf dem Weg zu einer Verabredung. Also, eh früh dran, aber es wär mir schon wichtig ...'
Aber klar hatte ich Zeit! Und Lust und Freude, über den unverhofften Auftrag!
Kurz drauf stöckelte die Dame beschwingt von dannen, ihrem Liebsten entgegen, und ich ließ mich erneut auf meiner Schwelle nieder. Ja, und was soll ich sagen, kurz drauf löste sich wie von Wunderhand bei einem vorbeieilenden Turnschuh die Sohle ab ... und auch der Inhaber dieses widerspenstigen Schuhs war hocherfreut, sich just in diesem Moment vor einem Schusterladen zu befinden.
Und so ging es in einem fort, immer wieder bekamen während der folgenden Tage, Wochen und Monate Leute kurz vor dem Laden auf einmal Probleme mit ihren Schuhen und empfanden es als kleines Wunder, daß ihr Malheur immerhin direkt vor einem Schusterladen stattfand und so rasche Abhilfe geschaffen werden konnte.
Wie die gute Hexe, äh, Fachfrau für Paranormalitäten, dies fertiggebracht hatte, ist mir bis heute ein Rätsel.
Kleine Schreckensgeister, die in die Schuhe fuhren und sie zerstörten? Naja, egal. Hauptsache der Laden brummt wieder, und das tut er. Mein Bankberater ist auch zufrieden, gestern hat er sogar gelacht als ich mit meiner neuen Frisur reinkam und fast ein bissl neckisch geschaut. Ist schon ein ganz ein Fescher. Ob er mich wohl bald einmal zum Essen einladen möcht? Naja, man wird ja noch träumen dürfen ...
Gut geschrieben, eine easygoing Story sehr gut.
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