Sonntag, 9. September 2018

Mein Freund der Wald



Als ich vor über 50 Jahren geboren wurde war ich keineswegs ein rundes fröhliches Baby, eher achteckig. Und bereits damals war der Wald mein bester Freund. Was sich seither aber ein wenig geändert hat. Unser Verhältnis ist immer öfter ein ziemlich angespanntes.

Er wirft mir vor, in meinem Job Unmengen an Papier zu vergeuden das er sich jeden Tag auf's Neue schmerzlich aus den Rippen schneiden müsse. Ich wiederum mache ihn für die wiederholten Überfälle der bösartigen kleinen Blutsauger verantwortlich, die mich bei jedem Sommerspaziergang piesaken. Meiner Meinung nach sollten Freunde des Hauses, so erkläre ich es ihm jedes Mal wieder, von dem Ungemach verschont bleiben.Oho, ruft er dann, da sähe man ja mal wieder ganz deutlich was für eine gedankenlose Person ich geworden sei, jetzt mal ganz abgesehen vom Papierverbrauch. Die kleinen Tierchen versuchten lediglich ihre Kinder zu ernähren und und die paar Tropfen Blut würden mir sicher nicht wehtun!
Nicht so sehr wie ihm die permanente Abholzerei nur damit ich nach jedem Schreibfehler erneut eine Seite zerknüllen und in die Ecke pfeffern könne. Meine Antwort war stets diese: Kinder sind eine Landplage und und wegen mir könnten sie alle aussterben.
Kein Wunder, daß der Wald langsam die Geduld mit mir verliert und unsere Freundschaft momentan auf sehr wackeligen Füßen steht.
Da hilft es auch nichts, daß ich die kleinen Kaninchen und Eichhörnchen lediglich mit der Kamera schieße und auch den Schnecken stets über den Weg helfe damit sie nicht zertrampelt oder von Mountainbikern zerfahren werden.
Das gehöre sich schließlich nicht anders, sagt mein Freund der Wald, und außerdem trüge ich ja nur die Schnecken mit Haus auf die andere Wegseite, die anderen überließe ich kaltlächelnd ihrem Schicksal. Woran man meine niedere Gesinnung erkennen könne. Nur wer ein Haus hat ist des Weiterlebens würdig oder was?
Unfug! Mir graust es einfach, und ich bin schon oft genug beim Anblick verletzter, sich mit letzter Kraft fortschleppender Nacktschnecken in Tränen ausgebrochen aber was kann ich tun? Sie erlösen, indem ich sie vollends zertrampele? Und dann mitschuld bin an ihrem Tod? Da stelle ich mir doch lieber vor sie kommen drüber weg und leben weiter. Wie Würmer beispielsweise. Wenn man aus Versehen, oder auch mit Absicht, am Resultat ändert das nichts, mit der Schaufel einen Wurm zerteilt, so stirbt dieser ja keineswegs sondern jede Hälfte lebt für sich weiter oder sie besuchen sich gegenseitig auf ein Täßchen Eichelkaffee, wer weiß das schon genau.
Gerne erzähle ich dem Wald Geschichten aus der Stadt, solange ich rede kann er mich nicht schimpfen. Neulich beispielsweise kam ich kurz vor 18 Uhr an einem Kaffeehaus vorbei vor dem ein Taferl stand mit folgender Aufschrift:

'Kaiserzeit von 18 - 20 Uhr'.

Daneben stand eine alte Frau mit erwartungsvoller Miene, die ein bissl verloren wirkte in der sie umspülenden Hektik.
Vielleicht sollten die Wirte derartige Werbesprüche vermeiden, habe ich mir gedacht, solange noch Leute am Leben sind, die alt genug sind, sich an den Kaiser zu erinnern ...


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