Urlaub am Land. Petra war begeistert. Nicht. Statt sich wie geplant mit ihrem Schwarm jede Nacht in der Disco zu vergnügen, während die Eltern auf Urlaub waren, hatte sie dieses Mal wieder mitgemußt. Wegen der Brandflecken im Wohnzimmerteppich und der Zigarettenasche in den Blumenkübeln, und nicht zuletzt auch wegen der pickerten Bierflecken welche die gesamte Vortreppe bis hinunter verunziert hatten und nur schwer wegzuschrubben gewesen waren.
'Nur weil deine Eltern Geld und demzufolge ein großes Haus haben, bedeutet das nicht, daß du in unserer Abwesenheit jeden Krethi und Plethi zur Party bitten kannst!', hatte es grämlich geheißen. Man hatte ihr mangelnde sittliche Reife attestiert und nun hockte sie mit ihren Eltern in diesem Kaff im Schwäbischen und langweilte sich praktisch rund um die Uhr halb zu Tode. Hier war absolut NICHTS los! Klar, man konnte ins Schwimmbad gehen, aber dort waren tagsüber meist auch nur alte Omis, die Wassergymnastik machten. Der nächste Höhepunkt im Dorfleben wäre das Schnakenfest gewesen, welches aber erst nach ihrer Abreise stattfinden würde. Dabei waren ihre Arme und Beine bereits jetzt großflächig mit Quaddeln bedeckt, überall dort, wo die hungrigen Mistviecher sich bedient hatten. Sehr gerne hätte sie denen mal die Meinung gesagt!
Für heute Mittag war eine Führung durch das Torfmuseum angesagt. Gäääääähn. Danach durfte man eine Runde mit der Torfbahn fahren, auf die der von Ehrenamtlichen geführte Verein mächtig stolz war. Wenigstens gab es vorher noch was zu Essen. Der Vater hatte bereits total auf wichtig einen Vortrag gehalten, demzufolge es in Gebieten, in denen der aktive Abbau des Torfs beendet worden war, oft solche Attraktionen gab um den Tourismus anzukurbeln. Ja das war hier aber auch dringend nötig. Die Wanderwege waren großteils verwaist, ab und an begegnete man einer pensionierten Handarbeitslehrerin oder einem ältlichen Vogelkundler mit Fernglas und Kamera. Die totale Ödnis, wohin man auch blickte.
Die Gegend war hübsch, keine Frage, aber doch nichts für ein junges Mädel! Wenn die Mutter beglückt auf die Kuhherden hier und da zeigte und der Vater gleich wieder Vorträge darüber hielt, daß es sich bei den jungen Kühen sicherlich um Färsen handelte, die hier vorbildlicherweise nicht von der Herde getrennt aufwuchsen sondern bei ihren Müttern bleiben durften, fiel es Petra wirklich sehr, sehr schwer, nicht in lautes Geschrei auszubrechen und sich kopfüber auf die nächste Fahrbahn zu stürzen. Hätte sowieso nichts genutzt, es kam nur extrem selten einmal ein Fahrzeug vorbei. Die Ampel beim Rathaus hätte man sich direkt sparen können. Offenbar war der Bürgermeister ein vorsichtiger Mensch und wollte keine Risiken eingehen.
Die Führung im Museum war dann doch nicht ganz so uninteressant wie Petra befürchtet hatte. In der Gruppe wißbegieriger Wandersleute befand sich unter anderem ein recht sympathisch aussehender Junge in ihrem Alter, der bestimmt genauso gegen seinen Willen von den Eltern hierhergeschleppt worden war wie sie. Eifrig versuchte Petra, seine Aufmerksamkeit zu erregen, doch leider, leider hatte sie sich in der Früh nicht geschminkt. Für wen auch. Abgesehen davon hatte sie befürchtet, die Wimperntusche würde in der Hitze nur schmelzen und wie sah das dann aus? Besser bleiben lassen. Und nun stand sie da in ihrem langweiligen alten Kleid, ungeschminkt und fad, nicht einmal die Haare waren ordentlich gekämmt. Kein Wunder, daß er nicht herschauen wollte. Der würde sich doch nicht allen Ernstes für diesen dreckigen alten Dolch da vorne interessieren, den man vor tausend Jahren oder so mal ausgegraben hatte und der irgendeinem bescheuerten Krieger gehört hatte? Menno! Sollte sie den Jungen mit Papierkügelchen bewerfen? Nee, zu aufdringlich. Was war das auch für ein Stiesel! Warum guckte der nicht!!! Hier war ja nun wirklich keinerlei Konkurrenz, gegen die sie sich zu behaupten hätte. Außer diesem blöden Dolch!
Der Vortragende vorne näselte unbeirrt weiter, irgendeine voll beknackte Story wie sie früher Mithilfe beim Torfstechen verlost hatten, stets interessant für alleinstehende Damen aufgrund der hübschen kräftigen Arbeiter, und eine der Damen auf einmal aufgeschrien hatte und in Ohnmacht gefallen war, weil im Lostopf eine Unke auf den fein säuberlich zusammengerollten Losen gesessen hatte. 'Des isch hald so bei ons in dr Naduuur', grinste er nachträglich noch schadenfroh und kündigte an, man dürfe sich nun nach draußen begeben, 'des Bähnle' würde gleich vorgefahren und man dürfe einsteigen.
Die Gleise waren Petra bei der letzten Wanderung schon aufgefallen und sie freute sich auf eine lange Fahrt durch die unheimliche Moorlandschaft, auf Aussichten, die man vom Weg aus nicht hatte, und vor allem darauf, neben dem Jungen zu sitzen zu kommen. Das müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn sie es nicht schaffen würde, hinter ihm in den Zug zu klettern!
Eifrig drängelte sie sich in seine Nähe und es gelang ihr tatsächlich, auf derselben Sitzbank zu landen auf der ihr neuer Schwarm soeben Platz genommen hatte. Leider saß ihr Vater ihnen beiden genau gegenüber ... das durfte doch nicht wahr sein! Nach wie vor beachtete der Junge sie kein bißchen, blickte interessiert aus dem Fenster, und als der Zug ruckelnd anfuhr, winkte er eifrig seiner Mutter, die vor dem Museum zurückgeblieben war. So ein blödes Mamakind, ärgerte sich Petra. Nun, dann wollte sie wenigstens die Fahrt genießen. Vorwitzig streckte sie ihre Nase in den Wind und während die Bahn langsam über die alten Schienen ratterte, war sie fast schon wieder mit dem Urlaub versöhnt. Doch was war das? Bereits nach der ersten Kurve kam der Zug zum Stehen, aus der Fahrerkabine kletterte ein Mann heraus und begann, einen Vortrag über die Torfbahn zu halten und die Anwesenden darüber aufzuklären, wie der Verein in mühevoller Kleinarbeit die Schienen erneuert hatte und sich seither aufopferungsvoll um die Erhaltung selbiger kümmerte, damit man wenigstens ein paar Meter bis hierher fahren und den Leuten ...
'This is a bloody hoax!', schrie da auf einmal der Junge neben Petra so laut auf, daß ihr fast die Ohren weggeflogen wären. 'Ye scamming arseholes take our money and promise a ride across the moors and THAT'S all we get? I can't believe it!' *
Mit offenem Mund starrte Petra den Schreihals an. Nun ja, er hatte recht, aber sich dermaßen aufzuführen? Bei dem Wetter? Auch Petras Vater versuchte, beruhigend auf den Jungen einzuwirken, doch vergebens.
'I'll sue your bloody arses off, yer minging twats!',** polterte der junge Mann, den Petra mittlerweile keineswegs mehr anziehend oder auch nur sympathisch fand, weiter.
Grinsend kam der Vortragende auf den Wagen zugeschlendert, aus dem der Unsympath mittlerweile mit grimmigem Gesicht weit herauslehnte.
'You want to see more of our lovely moors? Come on then, follow me, I know of an especially beautiful spot.' *** Zögerlich kletterte der Knabe aus dem Waggon und folgte dem Mann. Sämtliche im Zug sitzenden Touristen sahen den beiden gespannt nach wie sie hinter dem Haufen verrosteter, zur Dekoration aufgebauten ehemaligen Torfabbaumaschinen verschwanden, die in der Mitte des Gleisrundes aufgebaut waren.
Plötzlich kam der Junge, käseweis im Gesicht, wieder um die Ecke geschossen, rannte zu seinem Vater, der weiter hinten im Zug saß und stotterte: 'There's a stiff down yonder, all you can see is an airm ...' ****
Petra sah wie der Angestellte dem Vater leise zublinzelte, dieser blinzelte zurück, nahm seinen Sohn tröstend in den Arm und meinte: 'Ja dann sind wir doch mal froh, lieber Sohn, daß wir nicht weiter ins Moor hinausfahren müssen, wer weiß, ob es uns dann nicht vielleicht auch so ergehen würde?'
Später, nach der Rückkehr des Zuges zum Bahnhof vor dem Museum, hörte Petra wie der Angestellte zum Vater des Jungen leise sagte: 'Nur ein Scherzartikel, ein skelettierter Arm der im Boden steckt. In unseren Mooren kann schon lange niemand mehr versinken. Aber offenbar hat es ihren aufgebrachten Sprößling zur Raison gebracht. Mit den Yorkshire Moors können wir hier beileibe nicht mithalten.'
*Das ist totale Verarschung! Ihr betrügerischen Arschlöcher nehmt unser Geld und versprecht uns eine Fahrt durch's Moor und das ist alles? Ich glaub das jetzt nicht!
**Ich klag euch bettelarm, ihr ... (üble Beleidigung, die wäre FSK18 ;-)
*** Du willst mehr von unserem Moor sehen? Dann komm mit. Ich kenne da eine ganz besonders bezaubernde Ecke.
**** Da drüben liegt eine Leiche, man sieht nur noch einen Arm ...

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