Donnerstag, 26. Dezember 2024

Dating im Dezember oder: Der verschmähte Briefmarkensammler

''Du schau mal, der da! Was der da schreibt bei Hobbys! PWZ? Was zum Geier bedeutet PWZ? Dachte ich kenn mittlerweile alle Nuancen der Perversität aber DAS hab ich noch nie gehört!''

''Postwertzeichen heißt das, Scherzkeks. Das ist nicht pervers, der Mann sammelt einfach nur Briefmarken. Obwohl ... ich find's eh auch pervers. Briefmarken sammeln. Wie old school ist das denn? Komm, den schreibst an, und dann fragst ihn ob er dir seine Sammlung zeigt, bruhahaaa, ich schmeiß mich weg!''

''Wieso ich? DU suchst doch einen Freund. Darfst ihn ruhig selber anschreiben. Mir kommt kein Mann mehr ins Haus. Mit oder ohne Briefmarken.''

Böse starrte ich auf die Abendzeitung, die aufgeschlagen auf dem kleinen Tischchen vor dem Sofa lag. So eine bescheuerte Idee aber auch. Heiratsanzeigen lesen. Total beknackt. Andererseits hatte Petra seit Monaten kein anderes Thema mehr als ihren ungewollten Singlestatus und ihre Sehnsucht nach einem Ritter auf weißem Pferd. Da griff frau letztendlich offenbar zu jedem Mittel.

Meinen Vorschlag, es doch mal auf einem Reiterhof zu probieren, hatte sie mit dreiwöchigem beleidigtem Schweigen beantwortet. Wahrscheinlich hatte sie recht. Außer vorpubertären Mädels würde sich dort kaum jemand aufhalten wollen. Pferdemist stinkt genauso wie der von anderen Leuten auch und wer wollte den freiwillig wegschaufeln? Petra sicher nicht. Die suchte einen Mann, der sie von vorne bis hinten bediente, der einen guten Job hatte wo er viel Geld für sie beide verdiente, während sie den ganzen Tag in der Gegend umeinanderturnen konnte wie sie lustig war und alles wieder ausgeben. Manchmal fragte ich mich schon, wieso wir befreundet waren. Zwei so verschiedene Frauen. Wahrscheinlich weil wir beide sonst niemanden hatten. Sie trieb jeden in die Flucht mit ihrer aufgesetzt umtriebigen Art und ich war eher der introvertierte Typ, den man auf den ersten Blick für todlangweilig hielt und einen zweiten gab es schon nicht mehr. Mir war das gerade recht. Aber Petra wollte partout einen Mann und würde nicht eher Ruhe geben, bis sie sich einen geangelt hatte.

Egal, ich musste mich auf meine Karriere konzentrieren, denn diese war mir tausendmal wichtiger als es irgendein Typ jemals sein könnte. Am nächsten Tag stand eine Dienstreise nach Hamburg an, zu einer wegweisenden Besprechung. Diese wollte gut vorbereitet sein.

Kaum hatte ich mein Hamburger Hotelzimmer betreten, schrillte mein Handy. Petra. Fast wollte ich sie schon wegdrücken, dann ging ich doch ran.

''Inge! Ich hab es getan! Ich hab den Briefmarkenheini angeschrieben! Drück mir die Daumen!''

Du meine Güte. Ich setzte mich auf den Bettrand. Wie verzweifelt musste die Arme sein? Aber warum teilte sie mir das mit? Wo er doch noch nicht einmal geantwortet hatte?

''Ja, und hör zu, Inge! Wenn der mich treffen will, du musst unbedingt mitgehen, also du musst vorher hingehen und schauen wie der ausschaut. Wenn er doof ausschaut dann gehen wir beide wieder, ja?''

Jetzt tickt sie dann ganz aus, dachte ich, und lächelte falsch ins Telefon: ''Ja klar Petra, kein Ding, mach ich doch gerne. Aber jetzt entschuldige mich, ich möchte mich jetzt auf mein Meeting vorbereiten. Bis die Tage, tschau!''

Und da stand ich nun. Vor der Kneipe, die Petra als Treffpunkt auserkoren hatte. Gutmütiger Volltrottel der ich war. Kaum war ich aus Hamburg zurückgekehrt, stand meine Freundin schon vor der Türe und wedelte aufgeregt mit einem Brief. Mit einem echten Brief. Von ihrem Briefmarkenheini. Sehr lustig und locker geschrieben, nur Foto hatte er keins beigelegt gehabt. Daher wurde ich auf mein Versprechen festgenagelt, den Kerl vorab zu besichtigen. Wie blöd! Wie echt und ehrlich saublöd! Ihr sollte er doch gefallen, nicht mir. Konnte sie nicht einfach einen Kaffee bestellen, ein paar Minuten mit dem guten Mann plaudern und dann wieder gehen, wenn er ihr unangenehm war? Was sollte der Unsinn? Aber da konnte sie stur sein. Versprochen war versprochen. 

Seufzend schob ich die schwere Kneipentüre auf und lugte ins Innere. Erkennungszeichen war keins ausgemacht gewesen, aber - warte mal, DAS mußte er sein: Frisur wie von Mama geschnitten, Pullunder mit Rautenmuster und voll die spießige Brille. Du meine Güte. Auf den Hacken drehte ich mich um und ... prallte auf eine breite Brust. Die, wie ich verwirrt feststellte, zu einem groß gewachsenen Mann gehörte, der gerade das Lokal hatte betreten wollen.

''Ja hoppala, wohin denn so eilig? Haben wir die Rechnung nicht bezahlt oder werden wir von einer Horde Anbeter verfolgt?''

'Du Hanswurst', dachte ich. ''Keins von beiden. Meine Freundin hat ein Date hier, nicht ich. Aber jetzt nicht mehr, deswegen ... würden Sie mich bitte vorbeilassen?''

''Ihre Freundin hat ein Date? Und Sie rennen aus der Türe wie von der Tarantel gestochen? Versteh einer die Frauen.'' Gespielt verzweifelt schaute er kopfschüttelnd auf mich herunter und machte nach wie vor keine Anstalten, mir aus dem Weg zu gehen. ''Mit wem wollte die Freundin sich denn treffen? Mit Mr. Frankenstein persönlich? Oder warum die Eile?''

''Nein, irgend so ein Briefmarkenheini, keine Ahnung, aber nun gehen Sie mir endlich aus dem Weg! Sie wartet auf mich!''

Grinsend trat er nun endlich aus dem Durchgang und ich konnte zu Petra eilen und ihr von dem Pullundertypen berichten. Die Begegnung vor der Kneipentüre verschwieg ich wohlweislich. Eine besonders tolle Performance hatte ich da nicht abgeliefert. Wie erwartet zog Petra ein Gesicht und wir gingen ein Eis essen. Eis und Schokolade waren allemal besser als ein Mann, beschlossen wir, ausnahmsweise einmal einträchtig.

Das Meeting in Hamburg war übrigens hervorragend gelaufen, meine Präsentation war von den Verantwortlichen begeistert angenommen worden und demnächst sollte ich mich mit dem zuständigen Projektleiter in Kiel treffen um die Details zu besprechen. Was war ich aufgeregt! Manchmal bekam ich Angst vor meiner eigenen Courage. War ich tatsächlich für diese Position geeignet? Irgendwie kam ich mir vor wie eine Hochstaplerin, die sich mit ihrem Bleistiftrock und der Bluse als Abteilungsleiterin verkleidet hatte, in Wirklichkeit aber nur die pummelige Bürohilfe war, und sicherlich bald auffliegen und mit Schimpf und Schande nach Hause gejagt werden würde. 

Diese Ängste waren, wie jede Frau verstehen wird, nur mit Schokolade zu bekämpfen, was dazu führte, dass mein Rock und die Bluse beim Termin in Kiel noch knapper saßen als sowieso schon. Nach dem Betreten des Firmengebäudes suchte ich als erstes die Toilette auf, um meine Erscheinung zu überprüfen. Alles in Ordnung. Die Haare da wo ich sie haben wollte, der Lippenstift auf den Lippen und nicht auf den Zähnen. Gut. Auf in den Kampf.

Der Sekretärin folgend stöckelte ich zum Büro des Projektleiters und blieb beim Anblick des Mannes hinter dem Schreibtisch stocksteif in der Türe stehen. Kein anderer als der Typ, in den ich neulich hineingerannt war, saß groß und breit hinter dem Tisch und grinste unverschämt, als er meiner ansichtig wurde.

''Danke Frau Lechner,'' wehrte er die gut gemeinten Angebote der Sekretärin ab, ''das ist vorerst alles, wir melden uns wenn wir etwas benötigen.''

Die Türe schloss sich von außen, ich trat notgedrungen einen Schritt näher zum Schreibtisch. ''Immer noch Angst vor Innenräumen?'', grinste der Kerl weiter. Er schien sich wirklich großartig zu amüsieren. ''Wollen Sie jetzt aus meinem Büro auch wieder hinausstürmen oder vielleicht doch lieber Platz nehmen, damit wir die Ausgestaltung unserer neuen Wohnanlage besprechen können?'' Mit einer Handbewegung wies er auf eine gemütlich aussehende Sitzecke, schwarze Ledersessel, ein Tischchen auf dem einige Flaschen Wasser und ein Tellerchen mit Keksen standen. Der Firma ging es offenbar nicht schlecht. Ich holte tief Luft, erinnerte mich daran, dass ich nicht mehr die Bürohilfe war sondern Abteilungleiterin und ging mit ausgestreckter Hand auf den Mann zu: ''Gestatten, mein Name ist Albers. Inge Albers. Unsere letzte Begegnung war ja leider etwas zu kurz, um sich einander bekannt zu machen. Wie Sie wissen, bin ich hier um die Interessen unserer Firma zu vertreten. Wir möchten keine Betonwüste sondern eine lebendige, für die Mieter angenehm zu bewohnende Siedlung schaffen und ich denke, wir beide werden das zusammen wunderbar hinbekommen.''

Sichtlich beeindruckt von meinem professionellen Auftreten bekam er sogar so etwas wie eine Verbeugung zustande. ''Petrovski. Heiner Petrovski. Verzeihen Sie mein Amusement, aber es kommt nicht so oft vor, dass sich einem eine attraktive Dame buchstäblich an die Brust wirft. Ich bin daher höchst erfreut über unsere erneute Begegnung hier in Kiel. Aber nun sagen Sie doch, weswegen sind sie neulich so hastig aus diesem Lokal gestürmt?''

Neugierig war der ja gar nicht. Peinlich berührt setzte ich mich ihm gegenüber und griff nach einer der Wasserflaschen und einem Öffner.

''Sehen Sie, die Sache ist ganz einfach. Meine Freundin hatte sich mit einem bis dato Unbekannten verabredet, bestand aber aus unerfindlichen Gründen darauf, dass ich den Mann vorab in Augenschein nehmen möge. Was ich tat und ihr anschließend meine Beobachtung mitteilte. Können wir nun bitte unsere Aufmerksamkeit der geplanten Wohnsiedlung zuwenden? Schließlich haben wir nicht den ganzen Tag Zeit!''

Tatsächlich waren wir beide bald so in unsere Pläne vertieft, dass wir nicht bemerkten, wie es draußen langsam Abend wurde.

''Ei verdammt!'', rief Heiner (wir waren mittlerweile beim Du angelangt) beim Blick auf die sich langsam verdunkelnde Aussicht aus seinem Bürofenster. ''Ich wollte doch noch die Location besichtigen mit dir. Aber jetzt am Abend werden wir nicht mehr viel sehen fürchte ich.''

''Wenn wir uns beeilen, dann kann ich mir durchaus noch heute einen Überblick verschaffen bevor ich morgen früh wieder nach Hause muss. Die Örtlichkeiten in natura auf sich wirken zu lassen ist immer viel besser als lediglich Fotos anzuschauen. Lass uns fahren.''

Bald darauf standen wir nebeneinander am Stadtrand und blickten über die Felder hinweg in die Abenddämmerung. Am Waldrand ästen Rehe und über den Bäumen ging gerade der Vollmond auf.

''Wie schön!'', rief ich aus. ''Eigentlich eine Schande, dass hier bald Baumaschinen auffahren werden und diese Idylle zerstören wollen.''

''Du kleine Romantikerin,'' lächelte Heiner zärtlich und drückte mich an sich. ''Was machst du eigentlich in deiner Freizeit, wenn du gerade nicht an irgendwelchen Bauplänen arbeitest oder deine heiratswütige Freundin mit Eisbechern besänftigst?''

''Lesen. Meistens Lesen und Postkarten schreiben. Ich liebe Postkarten. Und du? Was machst du so, wenn du dich nicht gerade mit aus dem Ruder geratenen Projekten herumärgern musst?''

''Ich sammle Briefmarken,'' grinste Heiner vielsagend. ''Die könntest du dann auf die Postkarten an deine Freundin kleben. Ich bin mir sicher, du und ich, wir werden uns großartig ergänzen.''












Donnerstag, 5. Dezember 2024

Gedankenübertragung - eine Adventsgeschichte

''Mir ist kalt, mach hinne!'' Unfroh sah Barker sich auf dem düsteren Friedhof um. So spärlich beleuchtet wie es hier war, glaubte er hinter jedem Baum, hinter jedem Busch, hinter jedem Grabstein Ungeheuer lauern zu sehen die nur darauf warteten, sich auf ihn zu stürzen. Hier und da brannte ein Lichtlein unter einem liebevoll geschmückten Weihnachtsbaum, doch derartige Zuwendungen waren rar gesät. Die Menschen vergaßen die Toten lieber, als sich ihrer zu erinnern.

Trotz der hellen Vollmondnacht waren die Lichtverhältnisse somit mehr als anstrengend und er bewunderte seinen Chef, wie der unter diesen Umständen einfach so eine Leiche sezieren konnte ohne vorn und hinten zu verwechseln.

''Mein lieber Barker, das darfst du mir schon zutrauen, dass ich das colon sigmoideum von den Hirnwindungen unterscheiden kann. Und ja, ich kann deine Gedanken lesen. Du weißt das. Jetzt glotz nicht so verschreckt in der Gegend herum, hilf mir lieber. Da, halt das Gefäß und hör auf mit den blöden Geräuschen. Unsere Mannen sind sicher an den Friedhofstoren postiert, da kommt niemand rein und niemand raus. Also beruhige dich und zittere nicht so.''

Im Labor war auch Barker die Idee noch verdammt genial erschienen. Schließlich war es seine Cousine gewesen, die vorige Woche heulend bei ihm auf der Couch zusammengesunken war und ihn angefleht hatte, ihr zu helfen. Tränenüberströmte Frauen waren ihm ein Gräuel. Wußte nie, was er mit ihnen anfangen sollte. Versuchte man sie zu trösten, wurde es nur noch schlimmer. Einfach rausschmeißen ging auch nicht. Also hatte er sich breitschlagen lassen, ihren Fall mit seinem Chef zu besprechen zu wollen. Sie hatte beglückt ihre Tränen getrocknet und war unsicheren Schrittes davongezogen.

Dieser Friedhofsbesuch war das Resultat dieser Besprechung. Konnte schließlich niemand was dafür, dass die Zulassung für Stammzellentherapie bei Morbus Parkinson sich derartig in die Länge zog. Er persönlich verstand auch das Hickhack wegen der embryonalen Stammzellen nicht. Wenn diese Ethikleute wüssten, wieviele kostbare Embryonen in manchen Kliniken fast schon im Minutentakt in den Abfalleimern landeten ... da lief einem doch das Wasser im Munde zusammen! Aber nein, es musste gelabert und diskutiert werden, während um sie herum die Patienten reihenweise an neurodegenerativen Krankheiten eingingen. Wenn jemand einen künstlichen Menschen schaffen wollte dann würde er das tun, mit oder ohne Embryo. Barker sah diese Befürchtung keinesfalls als Grund, den Forschern ständig hemmend in die Arme zu fallen.

Die Idee mit dem Friedhof war nahe liegend und was Leonardo da Vinci mit seinen nächtlichen Ausgrabungen für die Kunst gewesen war, das war sein Chef für die Medizin: Ein Vorreiter, ein unerschrockener Pionier. Jawohl!

Anstatt sich wie ein Rekrut im Gebüsch verkriechen zu wollen sollte er stolz sein, in dessen Team nicht nur mitzuarbeiten sondern von ihm persönlich zu diesem Sonderauftrag abkommandiert worden zu sein. Wobei es Leonardo damals sicherlich etwas einfacher gehabt hatte. Der hatte sich bestimmt nicht durch eisenbeschlagene Eichensärge hindurchbohren müssen. 

Doch horch, was war das? Das unverkennbare Geräusch von schleppenden Schritten näherte sich, näherte sich und näherte sich. Auch der Professor merkte auf: ''Wer kommt denn da?'', rief er streng. ''Sind Sie das Berlinowski? Erstatten Sie gefälligst ordnungsgemäß Meldung, Mann! Wir sind hier nicht im Casino!''

Das schleifende Geräusch wurde lauter, schien von dem riesigen Baum links zu kommen und mit einem Mal stand vor den beiden entsetzten Forschern: ein Zombie. Ein echter, lebensgroßer Zombie mit Zylinder, wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Barker schaffte es gerade noch, das Reagenzglas mit den mühsam gewonnenen Stammzellen auf der Grabumrandung abzulegen bevor er in eine gnädige Ohnmacht fiel.

Der Professor war nicht so rasch aus der Ruhe zu bringen: ''Und wer sind Sie nun?'', wollte er unwirsch wissen. ''Wollen Sie uns anbetteln für die nächste Flasche Gin oder laufen sie nachts immer eine Runde auf dem Friedhof spazieren?'' 

''Grüß Goood, I bin da Doood'', hallte es schauerlich aus dem Mund des halb zerfallen aussehenden Mannes. ''Nein ernsthaft'', fuhr er mit normaler Stimme fort, ''ich bin das Ergebnis eines Experiments, das einer Ihrer Kollegen vor ca. 200 Jahren auf eben diesem Friedhof durchgeführt hat und ich möchte verhindern, dass Sie jetzt fröhlich damit weitermachen. Zu Arbeitssklaven wollte man uns abrichten. Wie da unten in Haiti. Hirnlose Arbeiter und Soldaten, die Befehlen gehorchen ohne nachzufragen. Die meisten von uns sind jämmerlich verreckt, ich bin der Einzige der noch lebt. Wenn man das hier leben kennen kann.'' Traurig blickte er an sich herunter. 

''In diesem Zustand kann ich schlecht zum Herrenausstatter und mir neue Kleidung anmessen lassen. Könnte ihn natürlich auch nie bezahlen. Was bleibt mir also übrig, als Nacht für Nacht am Friedhof umherzuspazieren? Aber sagen Sie, was treiben Sie hier für geheime Studien?''

'Keine Sorge. Mein junger Kollege mit den schlechten Nerven und ich, wir machen keine Zombies, im Gegenteil. Wir entnehmen frischen Leichen Stammzellen, das wird Ihnen jetzt nichts sagen, zu Ihrer Zeit war die Forschung noch nicht so weit. Jedenfalls können wir damit Menschen, deren eigene Zellen degenerieren, ob in Muskeln, Knorpelmasse oder gar im Hirn, neue Zellen zuführen, und diese Menschen können danach wieder gehen, werden gesund. Sogar bislang unheilbaren Krankheiten wie Morbus Parkinson können wir damit Einhalt gebieten. Da dies auf offiziellem Wege noch nicht uneingeschränkt möglich ist, haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen. Mögen Sie uns vielleicht assistieren? Sie kennen sich doch hier bestens aus und könnten uns Bescheid geben, wenn wieder etwas Interessantes reinkommt? Im Gegenzug sorge ich für neue Garderobe und eine menschenwürdige Unterkunft, wenn's recht ist.''

Der Zombie strahlte, verbeugte sich, daß die Lappen nur so davonstoben und stellte sich als Baron Samedi vor. Ein kleiner Scherz, wie er augenzwinkernd den mittlerweile wieder erwachten Barker besänftigte, der bei der Nennung dieses Namens sogleich in die nächste Ohnmacht abgleiten wollte.

So vereinbarte man, sich in zwei Nächten wieder zu treffen. Bis dahin sollte standesgemäße Kleidung für den Herrn Baron gekauft und ein Hotelzimmer für den vorübergehenden Verbleib des guten Mannes gemietet worden sein.

''Geht alles vom Budget ab!'', meckerte Barker, als er in der übernächsten Nacht die Ehre hatte, die gekaufte Herrenkleidung zum Friedhofstor zu tragen, wurde aber von seinem Chef sofort zum Schweigen verdonnert: ''Wessen Cousine ist denn unsere Patientin Nummer Eins? Also. Klemme er sich morgen lieber hinter die Drittmittel statt sich wegen der paar Öcken ins Hemd zu machen. Wenn die Zulassung erst durch ist, dann haben wir die Nase sowas von vorne, wir melden ein Patent an und dann sind wir REICH, verstehst du? Reich und berühmt werden wir sein. Da können wir das gesamte Hotel mieten, ach was, KAUFEN könnten wir den Laden. Schade, dass der Herr Baron als Einziger überlebt hat. Auf jedem Friedhof ein V-Mann, das wär's doch.''

Nachdenklich setzte sich Barker am nächsten Vormittag an seinen Schreibtisch. War der Chef jetzt völlig durchgeknallt? Sogar er wußte, dass das EPÜ Patente, die 'gegen die guten Sitten verstoßen', niemals durchgehen lassen würde. Leichenfledderei gehörte in deren Augen sicherlich nicht zu den 'guten Sitten'. Und von den paar offiziellen Körperspenden im Jahr konnte man nicht leben. Erstens waren sie viel zu kontaminiert bis man sie mal in die Finger bekam, abgesehen davon gingen fast alle in die Patho, damit die Studierenden was zum Üben hatten.

Was hatte der Mann vor? Die Uni war ein Haifischbecken, niemand wusste das so gut wie er. Egal. Seine Cousine hatte für ihn Vorrang und nur ihretwegen hatte er diesem Irrsinn überhaupt zugestimmt. Konzentriert arbeitete er die Forschungsergebnisse durch bis sein Blick auf die Wanduhr fiel. Wo steckte Dr. Mabuse, wie er seinen Chef manchmal heimlich nannte, eigentlich schon wieder? Es war kurz vor zwei und zur vollen Stunde würde seine Cousine für ihre erste Behandlung vor der Türe stehen.

Tatsächlich klopfte es um Punkt 14 Uhr an der Tür von Barkers Arbeitszimmer. Auf sein mürrisches 'Herein' hin steckte jedoch nicht die Cousine sondern der Baron seine abgewetzte Nase um die Ecke und blinzelte schelmisch: ''Mein erster Weg in die Freiheit führt mich selbstverständlich zu Ihnen. Die Beinkleider sind etwas ungewohnt, aber offensichtlich von erster Güte. Seid herzlich bedankt guter Mann, Ihr habt mir meine Freiheit wiedergegeben. Auch wenn die Welt dort draußen ziemlich ungemütlich geworden ist. Hätte ich nicht unterwegs dieses hilfsbereite Fräulein getroffen, ich hätte den Weg niemals gefunden.'' Mit diesen Worten trat er zur Seite und an ihm vorbei tappte die Cousine ins Zimmer.

''Ein faszinierender Mann,'' hauchte sie ihrem Vetter verschwörerisch zu. ''Er hat sowas Altmodisches an sich. Irgendwie rührend. Er hat mich zum Abendessen eingeladen. Vorsichtshalber werde ich eine Freundin mitnehmen, die Inge. Man weiß ja nie.''

Barker bekam den Mund nicht mehr zu. Erst nachdem die Cousine vom Chef abgeholt und in den Behandlungstrakt verbracht worden war fiel ihm ein, dass er niemals nachgefragt hatte, wer denn eigentlich der Tote gewesen war, dem sie die Stammzellen entnommen hatten. 

Am nächsten Morgen schlug Barker die Zeitung auf und erstarrte. Er las die Schlagzeile. Las sie nochmals und wischte sich ungläubig über die Augen. Was hatte Mabuse getan! 

Groß und breit titelte die Zeitung mit den großen Buchstaben: ''SERIENMÖRDER WIEDERAUFERSTANDEN? Nach dem Tod des verurteilten Frauenmörders Hendrik F., der sich wie berichtet vorigen Dienstag in seiner Gefängniszelle erhängt hatte, war ein kollektives Aufatmen durch die Welt gegangen. Einer der schlimmsten Verbrecher dieses Jahrhunderts war endlich unschädlich gemacht. Umso erstaunter waren die Beamten der Polizeiinsprektion 5 in Bad W., als sie am heutigen Morgen vor der Leiche von Inge L. standen, die auf genau dieselbe bestialische Weise niedergemetzelt worden war wie die vorherigen Opfer von Hendrik F. Da es sich bei der genauen Vorgehensweise eindeutig um nie nach draußen kommuniziertes Täterwissen handelte, wie Polizeioberrat Hanken verwirrt bestätigte, kann es sich keineswegs um einen Trittbrettfahrer handeln. War Hendrik F. etwa niemals wirklich tot und begraben gewesen? Nachforschungen ergaben, dass der Sarg manipuliert worden war. Liegt im Grab von Hendrik F. jemand ganz anderer? Falls ja, wo steckt der Frauenmörder jetzt? Wer wird die nächste Dame sein, die ihm zum Opfer fällt? Lesen Sie weitere Details morgen, exklusiv hier in unserer Zeitung!''