Mittwoch, 6. Januar 2021

Nervenkrieg


Wie erleichtert war sie gewesen, als sie nach fast zweijähriger Abwesenheit wieder an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt war und die Menschen dort zugewandt, freundlich und hilfsbereit erleben durfte. Die Monate vor der Wiedereingliederung hatte sie in Furcht und Aufregung verbracht, sich die finstersten Szenarien ausgemalt, die ihr überaktives Gehirn nur ersinnen konnte. Und deren gab es genügend. War doch der erste Versuch im Jänner kläglich gescheitert, weil sie damals ausgerechnet mit der Kollegin täglich konfrontiert gewesen war, die sie damals praktisch aus dem Büro des Oberarztes hinausgemobbt hatte, in dem sie zwölf Jahre gerne und auch gut ihren Dienst verrichtet hatte. Diese Kollegin, bei der sie sich jeden Morgen hatte melden müssen, hatte ihr unmißverständlich klargemacht, daß sie nun niemand mehr war, absolut niemand. Damit hatte sie nicht gerechnet gehabt und es hatte sie schwer getroffen.

Jetzt, beim zweiten Anlauf, war sie also darauf vorbereitet gewesen, als unterste in der Hirarchie ned amal ignoriert zu werden - und war dann positiv überrascht gewesen, wie anders es drüben in der Physikalischen Medizin, wohin man sie versetzt hatte, zuging. Die Frauen waren nett zueinander, es gab keine üblen Redereien, man scherzte und stöhnte gemeinsam, es war eine völlig andere Atmosphäre.

Allerdings empfand sie es anfangs als etwas komisch, beim Verlassen des Büros eine Gesichtsmaske aufsetzen zu müssen, sogar beim Gang auf den Abort ... was sich im nachhinein aber so manches Mal als durchaus wohltuend erwies, angeruchs der olfaktorischen Genüsse, die so mancher Patient dort zurückließ. Zwar hatte das Personal eine eigene Kabine, aber die war leider nicht umfassend abgedichtet.

Auch war die Rückenlehne des Bürostuhls irgendwie unbequem, aber nach einigem Herumruckeln und Dagegenhauen ließ auch diese sich in eine Position bringen, mit der sie leben konnte. Zuhause saß sie niemals auf Stühlen, auch das war ungewohnt. Daher nutzte sie jede Gelegenheit, Botengänge verrichten zu dürfen, auf denen sie auch die Kollegen und Kolleginnen aus der alten Abteilung wiedertraf, und überall freudig begrüßt wurde. Es tat ihr unglaublich gut, wieder unter Menschen zu sein und jeden Tag irgendwo ein kleines Schwätzchen halten zu können. 

So vergingen die ersten Wochen in einem wohligen Dahingleiten, die Arbeitszeit wurde sukzessive aufgestockt, die Arbeit erwies sich als gut machbar, das alte Hirn funktionierte noch recht gut und sie schwebte auf rosaroten Wolken durch die heimischen Flure des alten Krankenhauses. 

Bis sie eines Tages von ihrer direkten Vorgesetzten, welche für das Team Admin beider Abteilungen sowie der Niederlassung im Klinikum Innenstadt zuständig war, und die sie daher ebenfalls seit vielen Jahren kannte, in ihrem Büro aufgesucht wurde. Es war kein offizielles Vorsprechen, fühlte sich jedoch bereits nach knapp zwei Minuten genauso an. Die Vorgesetzte war nämlich keineswegs gekommen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, so wie in den Wochen zuvor. An diesem Tag war sie gekommen, um ein heikles, gar kritisches, Thema vorzubringen. Man würde über sie reden, wurde ihr gesagt. Wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes. Sie hätte da wohl so eine bunte Hose getragen, das müsse sie bleiben lassen. 

Betroffen blickte sie an sich hinunter. Ihre Hose war blau. Lediglich in ihrer ersten Woche hatte sie bunte Leggings getragen, diese aber bald gegen die blauen Lieblingshosen ausgetauscht, da diese große Taschen hatten, in die Maske, Transponder und Hausschlüssel ebenso hineinpaßten wie nach der Arbeit beim Spaziergang gefundene Steine, Holzstückchen und andere Schätze. Dieselbe Hose besaß sie auch in waldgrün und zog beide immer abwechselnd an, da sie weiters einen Gummizug hatten und so auch trotz der Gewichtszunahme bequem saßen. Im Sommer waren sie sehr praktisch als Gelsenabwehrhosen, da die blutrünstigen Viecher durch dünneren Sommerstoff einfach hindurchstachen, was ihnen aber bei diesen genialen Hosen nicht gelingen wollte.

Die Vorgesetzte sah nur das bedröppelte Gesicht ihres Gegenübers und meinte beherzt: 'Nun, Frau R., das ist jetzt aber kein Grund, in eine tiefe Depression zu versinken.'

Sehr einfühlsam, dachte sie sich. Perfekte Wortwahl einer Mitarbeiterin gegenüber, die sich wegen genau einer solchen Depression in der Wiedereingliederung befand, ihrer Ansicht nach nichts falsch gemacht hatte, und nun für die Wahl ihrer Hosen gerügt wurde.

'Was Sie für Pullover anziehen ist mir ja wurscht', fuhr die Vorgesetzte unbarmherzig fort, 'aber diese Hosen gehen garnicht. Ziehen Sie Stoffhosen an, so wie die anderen auch.'

Stoffhosen? Was glaubte die Person, aus was ihre Hose gearbeitet worden war? Aus gebrauchter Zahnseide???

Vorsichtige Argumentationsversuche ihrerseits, eben wegen Bauch und Gummizug und andere Hosen zu klein geworden, wurden von der Chefin harsch abgebügelt: 'Frau R., wir sind Ihnen entgegengekommen, Sie dürfen jetzt hier halbtags arbeiten, haben jeden Mittwoch frei, nun machen Sie mal kein Drama draus, orientieren Sie sich an dem was die anderen tragen, Sie sind doch intelligent, wir sind auch sehr froh, Sie nun in der Tagesklinik zu haben, da Sie hier sicher einiges werden bewirken können. Sie werden bald Patientenkontakt haben, da müssen Sie ordentlich aussehen.'

Sah sie nun unordentlich aus? War die Hose zerrissen, fleckig oder sonst in irgendeiner Weise auffällig? Nein, war sie nicht. Eine völlig normale, weit geschnittene, bequeme Stoffhose, in deren Taschen sich allerlei unterbringen ließ. Was bitte war an dieser Hose falsch???

Nachdem die Vorgesetzte wieder fort war, fiel ihr auch eine eindeutige Diskrepanz in der Logik auf, mit der man ihr soeben den Grund für die Kleidervorschrift erklärt hatte. Der Pullover sei wurscht (als ob es an dem ebenfalls etwas auszusetzen gäbe, aber man mal nicht so sein wolle???), aber die Hosen gingen garnicht? Was sieht denn der Patient, wenn er zur Türe hereinlinst und - coronabedingt - mit viel Abstand neben ihrem Schreibtisch stand? Den Pullover oder die Hosen? Richtig. Die Hosen konnte er garnicht sehen, die befanden sich nämlich unter dem Tisch. Weiters war des Patienten Begehr im allgemeinen ein Termin oder ein Rat, weil er sich nicht auskannte. Niemand würde das Büro betreten, um die Kleidung der Angestellten zu begutachten oder gar zu beurteilen, solange diese nicht angekleckert war oder in Fetzen vom Leibe hing, wie es bei den jungen Leuten ja eine Zeitlang modern gewesen war.

Genauso hatte es damals an ihrem früheren Arbeitsplatz auch angefangen. Zuerst war man jahrelang mit ihr hochzufrieden gewesen, der Medizinische Direktor höchstpersönlich hatte sie überredet, sich nach Ablauf des Zeitarbeitsverhältnisses fest anstellen zu lassen, sie war mit fast allen Leuten im Haus bestens ausgekommen, doch dann fusionierte die Firma, bzw. wurde feindlich übernommen, es kam ein neuer Chef, und auf einmal war alles anders. Ihre Kleidung war verkehrt gewesen, die Frisur sowieso, ihre Eßmanieren abscheulich und ihre Ausdrucksweise ordinär. Sollte es nun wieder so losgehen, nachdem sie ja nun auch hier die Abteilung und somit den Chef gewechselt hatte? War er es etwa, dem ihre Hosen so sehr ein Dorn im Auge waren, daß er die Vorgesetzte zu ihr geschickt hatte, um ausrichten zu lassen, daß sie sich anders zu kleiden habe?

Sie fühlte sich, als sei sie an einem hellen Sommertag fröhlich, von bunten Schmetterlingen umflattert, in einem warmen, freundlichen See geschwommen, vom romantisch schilfbewachsenen Ufer hatte Froschquaken herübergetönt und die Libellen gar putzige Kapriolen in der Luft vollführt - doch auf einen Schlag befand sie sich, von düsterer Landschaft umgeben, in einem moorigen Tümpel wieder, auf dessen Grund tückische Schlingpflanzen lauerten welche unablässig versuchten, nach ihr zu greifen und sie mit sich in die Tiefe zu ziehen.

Trotz regte sich in ihr: Denen werd ich's zeigen! Sie wollen einen anderen Kleidungsstil? Den können sie haben. Leider werden die Läden noch sehr lange geschlossen sein, das ist schade, sonst hätte sie gleich nach Feierabend in ihren Lieblings-Gruschtelladen fahren und sich ein entsprechendes Teil aussuchen können. So würde sie tiefer in die Tasche greifen müssen und sich online etwas Passendes bestellen. Waldgrün mit weit ausgestellten Hosenbeinen. Modern, also nichts dagegen zu sagen. Dazu würde sie ihre Bundesheerstiefel tragen. Denn offenbar wollte jemand unbedingt Krieg. Den konnte er haben. Sie war bereit!










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