Erschöpft ließ ich mich neben meinem Lieblingsstein im Japanischen Garten des Wittelsbacher Parks ins Gras sinken. Sonst saß ich auch sehr gerne rittlings drauf, die tröstliche Ausstrahlung dieses Kraftortes genießend, aber das ging sich heute kräftemäßig nicht mehr aus. Es war eine lange Nacht gewesen. Obendrein war ein Riemen meines zugegebenermaßen billigen Rucksacks gerissen und ich hatte ihn von der Altstadt bis hierher in der Hand getragen, die andere Hand hielt die letzte Flasche Bier von der Tanke fest umklammert, the one for the road, sozusagen.
Auf der ‘Straße’ fühlte ich mich sicher. Ganz im Gegensatz zu meiner Wohnung. In die ich nun aber bald zurückkehren mußte. Es war nicht mehr lange hin zum Sonnenaufgang, ich war müde, wollte in mein Bett, wollte schlafen, wollte endlich heim. Aber allein beim Gedanken daran, was mich dort wohl erwartete, wurde mir übel. Und das lag sicher nicht am Bier. In meiner Wohnung befand ich nämlich ein Mann.
Das ist jetzt für die meisten Menschen sicher kein Grund zur Besorgnis oder gar Angst, aber es handelte sich hierbei um einen Vertreter des männlichen Geschlechts, der sich offenbar den Rest seines sowieso schon nicht sonderlich üppig ausgestalteten Gehirns so gründlich mit Drogen und Alkohol zerschmurgelt hatte, daß nur noch die Grundfunktionen des Stammhirns übrig geblieben waren.
Das kommt davon, dachte ich mit später Reue, wenn man sich immer wieder Kneipenbekanntschaften nach Hause einlädt nur weil die Kneipe schließt und es ‘eh grad so lustig’ war. Im Verlauf stellt sich dann immer wieder heraus, daß die Jungs keine eigene Wohnung haben, ich bin gutmütig und lasse sie bleiben, und sie bleiben. Und bleiben. Und bleiben. Bis ihre Präsenz jeden Winkel der bislang so behaglichen Bude ausfüllt und ich mich entweder in einem mir verbliebenen Eck kleinmachen muß, jedes laute Geräusch vermeidend, das den Herrn stören könnte, oder aber mein Heil in der Flucht suche. So wie heute Nacht. Einfach mal raus, weg von der erdrückenden Atmosphäre, in der dieser Mann seit Monaten jeden Augenblick, den ich in meiner Wohnung verbringe, zur Folter werden läßt.
Seine Kommunikationsunfähigkeit war derart ausgeprägt, daß er es tatsächlich geschafft hatte, sich während der drei Jahre, die wir uns nun kannten, mit nur wenigen, sich immer wieder wiederholenden, oft nicht einmal kompletten, Sätzen durchzuschlagen. Mir war es nicht weiter aufgefallen, denn wenn sonst alles paßt … muß man ja nicht viel reden. Anfangs war alles gut gewesen in unserem Elfenbeinturm. Wir tranken unser Bier, das ich von meinem Gehalt in genügendem Umfang bereitstellen konnte, nach Feierabend meinte er fragend: ‘Dresdn?’ und meinte damit: 'Würdest du die Freundlichkeit besitzen, uns einen Joint zu drehen?’ Hinterher begaben wir uns wortlos ins Bett, dort muß man auch nicht viel reden, abgesehen davon, daß eine Dame eh nicht mit vollem Munde spricht.
Dieser paradiesische Zustand hatte sich sich inzwischen leider in sein Gegenteil verwandelt, es war die Hölle. Gepudert hatten wir schon lange nicht mehr, und ich dachte immer öfter daran, wie ich jubilieren würde, wenn ich die Wohnung endlich wieder für mich hätte, und wie ich GANZ SICHER niemanden mehr hineinlassen würde. Niemals mehr. Not ever again!
Natürlich hatte ich ihn gebeten, sich endlich etwas Eigenes zu suchen, notfalls im Rabenbad bei den anderen. Mehrmals. Aber irgendwie war diese Bitte nicht in seinem Resthirn angekommen sondern wurde unterwegs von sich dort befindlichen Erinnerungen gestoppt und in eine ihn überwältigende Bedrohung verwandelt. Was das Zusammenleben nicht erleichterte und mir zwei farbenprächtige Blinker bescherte - und ich hatte nicht einmal eine Sonnenbrille. Blöd.
Daß andere Menschen keinen gesteigerten Wert auf Rechtschreibung legen, war mir durchaus bekannt. Nur, wenn ich dann Zettel vorfand auf dem Dinge standen wie: ‘... wo die Foze mich verlies hap ich mir geschworn daß mach nich nomal ne alde mid mir …’, da wurde mir erneut bewußt, daß ich ein Problem hatte. Ein Riesenproblem. Ratschläge wie ‘Ja dann schmeißn halt naus!’ waren dabei wenig hilfreich.
Mich an den tröstlichen Gedanken klammernd, daß dieser unhaltbare Zustand nun bald ein Ende finden würde, stand ich auf und schleppte mich langsam in Richtung Heimat, die keine mehr war. Ich wußte was zu tun war, hatte mich ausführlich in den einschlägigen Kneipen beraten lassen, und war endlich bereit, es zu tun. Es würde mich hinterher wohl keiner meiner Bekannten besuchen kommen, aber von Männern hatte ich sowieso nachgerade genug. Mit den Frauen dort würde ich sicher klarkommen, und die zehn Jahre würden auch vorübergehen ...
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