Sonntag, 8. Dezember 2019

Wolke mit Aussicht


Ich hätte es ahnen können. Sollen. Eigentlich müssen. Die Sauferei hatte über die letzten Jahre kontinuierlich zugenommen, von all den anderen Drogen, die er bei jeder sich bietenden Gelegenheit einpfiff, ganz zu schweigen - aber der Alkohol war am Schlimmsten weil er einfach nichts vertrug. La gueule du bois. Klingt wunderschön, aber wenn dein Liebhaber und Chef bald jeden Tag mit diesem ‘hölzernen Gesicht’ unterwegs ist und dich aus dem Stand anblafft wegen nichts, dann ist daran nichts mehr schön, nur noch verwunderlich.

Nämlich, daß ich ihn nicht schon längst verlassen hatte. Aber wie ich Oleg kenne, hätte er mich dann glatt von der Co-Autoren-Liste gestrichen und meine ganze Arbeit, an die achtzig Papers hatten wir bereits veröffentlicht über die Jahre, wäre umsonst gewesen. Teuer bezahlter Ehrgeiz.

Jetzt lümmelte ich tot auf meiner Wolke umeinander und er hockte in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Wo er wahrscheinlich eh nicht mehr viel mitbekam. Wirklich leid tut es mir um die Kinder. Irgendwie traue ich es seiner Noch-Ehefrau nicht zu, die beiden im Alleingang versorgen zu können. Große Gefühle hatte sie ihrem Nachwuchs gegenüber auch vorher schon nicht gehabt, zumindest hat er mir das so erzählt. Sie habe einer Schwangerschaft nur zugestimmt, um ihn trotz seiner promiskuitiven Ausflüge an sich zu binden.

Aber egal, von hier oben konnte ich nicht eingreifen, konnte nichts beeinflussen, nur beobachten und lernen. Fürs nächste Leben. Ein Leben ohne Männer. Und ohne Holzofen.

Natürlich denkst du dir nichts dabei, wenn jemand Axt und Säge in der Wohnung hat, wenn er jede Woche einen Haufen Holz kleinzumachen hat. Und wenn man schon einmal im Wald ist, dann schießt man sich auch mal ein Kaninchen oder was einem so vor die Flinte läuft.

Bei uns läuft es nun einmal nicht wie im Westen, wo man sich den Sonntagsbraten bequem beim Metzger kaufen kann. Das können bei uns nur Leute mit Connections. Die mit ihren Dollarscheinen in bestimmte Läden Eintritt erhalten wo du echt ALLES bekommst. Sogar echten Kaviar. Nicht, daß mir der je geschmeckt hätte, aber nur mal so als Beispiel. Weil die Leute ja immer glauben, bei uns in Rußland würden alle Kaviar essen. Pustekuchen.

Das gemeine Volk muß schauen, daß es halbwegs über die Runden kommt, und dazu gehört auch die Wilderei. War gefährlich, ohne Frage, aber Oleg hatte den Napoleon nicht nur im Detail studiert, er war mit der Zeit auch genauso größenwahnsinnig geworden wie sein kleinwüchsiges Vorbild.

Wer würde es wagen, mich zu kontrollieren, Nastenka, lachte er mich aus wenn ich zur Vorsicht mahnte. Nastenka! Frechheit, meinen Vornamen so zu verstümmeln! Alleine dafür hätte ich ihn verlassen sollen, und es wäre beim Verstümmeln des Vornamens geblieben. Naja, hätte hätte Herrentoilette, die Reue kommt eindeutig zu spät.

Nur gut, daß mein Astralkörper nicht genauso zerstückelt hier angekommen war wie mein Erdenkörper nach dem Mord ausgesehen hatte. Wahrscheinlich mußte ich noch froh sein, daß er mich zuvor erschossen und nicht bei lebendigem Leib zersäbelt hatte, wie ein wahnsinnig gewordener Zauberkünstler der nicht mehr mitbekommt, daß seine Vorstellung gerade gewaltig danebengeht und seiner schreienden Assistentin vor schreckensstarrem Publikum in blinder Wut den Kopf absägt.

Seine Wutanfälle waren wirklich legendär. Für einen Russen hatte er, wie bereits erwähnt, relativ wenig Alkohol vertragen, nahm daher auch sehr gerne andere Stimulantien zu sich, beispielsweise LSD. Oder was er dafür hielt. Die Leute von der Fakultät für Chemie konnten einem ja erzählen was sie wollten. Wer weiß, was sie sich da immer so zusammengepantscht hatten. Abends, oder am Wochenende, wenn sie die Gerätschaften für sich hatten und angeblich irgendwelche Versuchsreihen für ihre Doktorarbeiten vornehmen wollten.

Ja und der Oleg, der hat das Zeug begeistert geschluckt, die zunehmende Unschärfe im Gehirn nahm er billigend in Kauf, und weil er schon immer ziemlich exzentrisch gewesen war, fiel es nicht weiter auf, daß er immer g’spinnerter wurde. Jedes Jahr ein bissl mehr. Aber bitte, der Herr Professor - als mehrfach geehrtes und ausgezeichnetes Mitglied der sozialistischen Oberschicht kannst du dir einiges erlauben und kommst damit davon.

Wie zum Beispiel die Sache mit Miranda damals. Mir hatte er erzählt, sie hätte sich nur dafür rächen wollen, daß er kein Interesse mehr an ihr gezeigt und die Beziehung abrupt beendet hatte. Ich war damals noch ein Schulmädel gewesen vor dem man solche Dinge tunlichst geheimhielt: Sadomaso-Spielchen, Sex überhaupt, und Professoren, die ihre Freundin quasi auf Bestellung grün und blau schlugen, sowieso.

Wenn es nicht schon so lange hergewesen wäre, hätte ich mich natürlich wundern müssen, warum sie ihn dann hätte anzeigen sollen. Wenn sie es doch so gewollt hatte? Wenn es in beiderseitigem Einverständnis so ausgemacht worden war?

Aber so ... so war mir das Schreiben des Anwalts nur rein zufällig zwischen die Finger geraten während ich seinen Schreibtisch aufräumte. Zuerst hatte er einen seiner Wutanfälle bekommen, der Speichel war ihm aus dem Mund gespritzt wie der Morgentau aus der Wiese wenn man ganz schnell mit dem Fahrrad durchfährt, er hatte das Papier zerfetzt und im Zimmer umeinandergeschmissen wie Konfetti - sich dann aber relativ rasch wieder beruhigt und von oben herab erklärt, daß die Tatsache, daß die Anklage nie vor Gericht gekommen war, doch wohl für sich spräche.

Damals habe ich ihm gerne geglaubt. Blauäugig, ich weiß, aber wer sieht schon seinen bewunderten, zugegebenermaßen etwas cholerischen, professörlichen Liebhaber gerne als ein Monster, das seine Freundin prügelt?

Inzwischen frage ich mich, wieviele Mädels in St. Petersburg es wohl gibt, die ähnliche Geschichten zu berichten hätten wie Miranda damals, die nur entweder nicht den Mut hatten, zur Polizei zu gehen damit, oder aber bereits zerteilt in der Moika schwammen. Wieviele Frauenleichen passen in einen Fluß bevor er übergeht?

Natürlich sind auch nicht alle Polizisten so wie Wasilj Petrow, der letztendlich die Ermittlungen zu meinem Fall übernahm. Ihm hätte ich mich gerne anvertraut, hätte ihm meine Sorgen und Bedenken geschildert und mich von ihm beraten lassen.

Als man ihm den Fall übergab war ja bereits alles klar. Oleg war im Vollrausch ins Wasser gefallen als er anfangen wollte, meine Leiche Stück für Stück zu entsorgen, was man ja am besten in der Nacht macht bevor der Hahn kräht. Nachdem sie ihn prustend und fluchend aus dem Fluß gezogen hatten, sah einer der Retter im Schein der Laterne, wie es rot aus dem Rucksack tropfte, vermutete Wilderei und rief die Polizei. Die auch prompt eintraf, aber statt des erhofften Kaninchens zwei menschliche Arme vorfand. Meine Arme. Am rechten Handgelenk baumelte noch das Freundschaftsband, das er mir keine zwei Wochen zuvor geschenkt hatte, lediglich die Farben waren ein bissl verwässert.

Ob es etwas am Lauf der Dinge geändert hätte wenn ich Wasilj eher kennengelernt hätte? Noch am Leben, sozusagen an einem Stück?



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