Donnerstag, 28. November 2024

Max macht mobil


Sonntagabend. Das Wochenende war wie immer viel zu kurz gewesen. Unzufrieden räkelte Caitlin sich auf dem Sofa und blickte sinnend zu Max hinüber, der wieder einmal krumm und schief über sein Handy gebeugt dasaß und irgendwelche blöden Spiele spielte. Bald würde er einen Termin beim Orthopäden brauchen wenn er so weitermachte.

Wie konnte sich, bislang offenbar unbemerkt, eine derartige Routine in ihr Zusammenleben geschlichen haben? Wo waren die langen, mit Freunden verbrachten Nächte? Wo waren überhaupt die Freunde? Und wieso liefen die Wochenenden immer nach demselben Muster ab?

Freitags war man entspannt und freudig erregt. Beim Abendessen trank man Wein und malte sich aus, was man alles Tolles unternehmen wolle an den beiden schönen freien Tagen. Samstag begann jedoch wie immer mit dem Großeinkauf. Während der Woche hatte keiner von beiden Lust, sich nach Feierabend in überfüllte Supermärkte zu drängen und stundenlang an der Kasse anzustehen. 
Also drängte man sich halt Samstagvormittag zusammen mit Großfamilien und anderen mißmutig aussehenden Paaren durch selbige überfüllte Supermärkte. Geteiltes Leid ist halbes Leid und der Speiseplan konnte vor Ort gemeinsam diskutiert werden.

Wobei Max ein sehr pflegeleichter Gefährte war, das mußte sie ihm lassen. Meist guter Dinge, selten einmal gereizt, schob er den Wagen durch Gruppen von kichernden Teenagern oder umschiffte mit sicherer Hand ältere Damen, die unabsichtlich im Wege standen während sie mühsam versuchten, die Schrift auf der in zitternder Hand gehaltenen Packung zu entziffern. Dabei hatte er nicht einmal einen Führerschein. Genausowenig wie sie selbst.
Weswegen sie die Einkäufe hinterher entweder mühsam zu Fuß nach Hause schleppten oder sich, in einem seltenen Anfall von 'Heut laß mer's krachen!', ein Taxi gönnten. Wofür ging man arbeiten, wenn man sich nicht auch mal etwas leistete?

Nach dem Einkaufen folgten die unvermeidlichen Hausarbeiten ... und schon war der Tag mehr oder weniger gelaufen. Ausgehen? Zu erschöpft. Also knallte man sich vor den Fernseher, statt sich, wie früher, noch ins Nachtleben zu stürzen oder vielleicht eins der vielen Kulturangebote zu genießen, derentwegen man doch eigentlich die teure Miete in der Stadt bezahlte.
Caitlin konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal in Programmen von Kinos oder Theatern geblättert hätte um nachzusehen, was diese denn aktuell spielen würden. Max schlief meist irgendwann vor dem Fernseher ein und sie begab sich daraufhin frustriert ins gemeinsame einsame Bett und wälzte sich unbefriedigt hin und her. Gegenseitige Verführung und guter Sex waren Geschichte. Wozu brauchte sie eigentlich einen Mann, wenn sie sowieso bei Bedarf alles selber machen mußte?

Am Sonntag kamen sie ewig nicht aus dem Bett, doch wer nun glaubt, daß wenigstens am Sonntagvormittag neckische Spielchen getrieben wurden, der glaubt falsch. Max blätterte die Sportseite der Zeitung durch und griff dann zum Handy, um eins seiner von seltsamen Geräuschen begleiteten Spiele zu spielen. Meist ging es darum, Autos aus einem kompliziert aussehenden Stau zu entfernen, wie sie beim flüchtigen Blick auf das Display mitbekommen hatte. Oder irgendwelche geometrischen Figuren in Lücken einzupassen. Oder aus einzelnen Buchstaben soviele Wörter wie möglich zu bilden. Oder irgendwelche Wikinger kurz und klein zu hauen.
War sie für ihn überhaupt als Frau noch interessant?
Wann hatten sie eigentlich das letzte Mal miteinander über etwas gelacht?

Ja gut, vorigen Samstag. Als die U-Bahn am Reumannplatz vorzeitig endete - und obwohl der Fahrer mehrmals die Endstation angekündigt und zum Aussteigen aufgefordert hatte, sahen sie nach dem endgültigen Schließen der Türe vom Bahnsteig aus dennoch mindestens zwei Passagiere seelenruhig weiterhin im Fahrzeug sitzen, das Handy dicht ans Ohr gepreßt, von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Sie hatten sie sich angesehen und waren spontan in Gelächter ausgebrochen, hatten sich über die handyverseuchten Deppen lustig gemacht die nichts checkten und ständig an ihren Geräten klebten.

Ein bissl wie früher, als sie noch jung und unbeschwert gewesen waren, das Leben ein einziges spannendes Abenteuer gewesen war und die einzige Sorge sich darum drehte, ob noch genug Bier und was zum Rauchen im Hause sei.
Wie lange war das jetzt her?
Wann waren sie zu diesem alten Ehepaar mutiert, das noch nicht einmal verheiratet war, aber für das sich das Leben bereits jetzt anfühlte, als sei zumindest einer von ihnen bereits tot?
Oder immerhin einer seiner relevanten Körperteile?
Wie lange konnten sie noch so weitermachen und vorgeben, alles sei in bester Ordnung?

Entschlossen sprang Caitlin auf und rannte ins Schlafzimmer um ihr neu erworbenes Negligée anzuziehen. Sehr neckisch, sehr verrucht. Dabei hatte es am Black Friday nur 8.99 gekostet, aber das stand ja nicht drauf. Mit verführerischem Gang spazierte sie zurück ins Wohnzimmer und tippte Max auf die Schulter. Max blickte nicht einmal auf, murmelte nur sowas wie: 'Ja gleich, muß nur grad noch dieses Level ...'

Am Rande bekam er mit, daß irgendwelche Leute hin- und herliefen, dachte an Besuch, war flüchtig neugierig wer wohl gekommen war, aber das Level wollte unbedingt beendet werden sonst wäre all die Anstrengung der vergangenen Wochen umsonst gewesen und er hätte von vorne anfangen müssen.

Als er den Kopf hob stellte er verblüfft fest, daß die Möbel verschwunden waren. Bis auf den Fernseher und die Couch, auf der er saß, war alles, was im Zimmer herumgestanden war, weg. Jeder Kasten, jedes Regal, sogar das Katzenspielzeug. Hektisch rannte er ins Schlafzimmer hinüber. Auch dort war die Hälfte des Doppelbettes abgebaut worden - fein säuberlich mit der Säge abgetrennt - und zusammen mit der Schrankwand weggetragen. Seine Kleidung lag in einem Haufen am Boden. Obenauf lag ein Zettel. Max las fassungslos: 'Willkommen im Real Life. Hab dich verlassen und du hast es nicht einmal mitbekommen. Bussi baba, du handyverseuchter Depp!'

Kurze Zeit später freute sich ein unterstandsloser Mann über ein fast neues, bestens funktionierendes Handy, das er beim Kramen nach Pfandflaschen in einem der Abfallbehälter rund um den Filmteich fand. Kurz wunderte er sich über den weinenden Mann, der auf einer Bank in der Nähe saß, dann zuckte er mit den Schultern und zog fröhlich pfeifend von dannen. Das Leben war heute wieder einmal wunderschön!