Sonntag, 25. April 2021

Vom Regen in die Traufe



Arif war stinkig. Extrem stinkig. So richtig, richtig sauer. Nach längerer Diskussion hatte er letztendlich doch dem Plan der Herren im Anzug zugestimmt. Ehre und Charakter hin oder her - immerhin war er noch relativ jung, grad einmal Mitte vierzig, und auch sonst gut beinand, warum sollte er sein Leben wegwerfen, wenn noch soviel mileage drin war im body? Und ganz ehrlich, so richtig Lust zum Sterben hatte er sowieso keine gehabt. Man mußte schon sehr couragiert sein um den Tod zu wählen, sei dieser noch so glorreich, wenn einem praktisch in letzter Minute ein verlockender Ausweg geboten wurde. 

Mit seiner pompösen Rede von Ehre und Stolz hatte er sowieso weniger sich selber erklären als hauptsächlich Miranda loswerden wollen, seine Anwältin, die sich schon SEHR an ihn geklammert hatte. Auch wenn sie es gewesen war, die ihm den Kontakt zu seinen geheimnisvollen Rettern letztendlich verschafft hatte, bedeutete das nicht, daß er sich aus Dankbarkeit von ihr mit Haut und Haar verzehren lassen mußte. Da hätte er ja fast lieber die Folter in seinem Heimatland vorgezogen, die dauerte wenigstens nicht lebenslang.

Also hatte er das Theater mitgespielt, sein Bettlaken in kunstvoller Technik zu halbwegs reißfesten Stricken geformt und hernach ausgiebig seinen Sessel drangehängt, damit die Ballistiker hinterher authentisch langgezogene Fasern finden konnten. Wenn auch keine Leiche, denn die hatte der geschickt hineingeschmuggelte 'neue Wärter' dann doch sehr rasch ins Spital bringen lassen. Der übliche Polizist vor der Türe war ebenfalls von 'der Truppe', so kam er schlußendlich hier im 'safe house' an, um auf die neuen Papiere zu warten ... und auf den Termin beim Schönheitschirurgen.

Aber das zog sich. Die Fotos für den Ausweis konnten schließlich erst NACH dem Eingriff gemacht werden. Und da mußte man drauf warten, wie das in Österreich nun einmal üblich war. Auch wenn man vom Geheimdienst war. Draußen bestes Wetter, im Häfn hätte er wenigstens eine Stunde rausdürfen über Mittag, aber hier ... nichts. Niente. Nada.

'Waßt eh, es ist besser wenn dich niemand sieht, scheiß an die Kirschblüte, die gibt's nächstes Jahr eh wieder, jetzt ist es wichtiger, daß ned no in letzter Minutn wos danebngeht! Stö da vua die Miranda kummt voabei und sicht di!' Schaudernd mußte Arif dem Mann recht geben. Dann doch lieber sich indoors fadisieren.

Leicht irritiert sah sich Arif in der armseligen Bude um, in die man ihn gesteckt hatte. Offenbar eine sonst als Ferienwohnung genutzte Immobilie. Typisch österreichisch eingerichtet. Fesche Holzsesseln um einen riesigen Eßtisch gruppiert, Servietten mit Edelweißmuster, der obligatorische röhrende Hirsch an der Wand, und im Schlafzimmer ein Riesenbildnis der Mutter Gottes wie sie segnend die Hände über die Schlafenden hielt.
Arif hatte bei dem Anblick sofort beschlossen, auf der Couch im Wohnzimmer zu nächtigen.

Nicht, daß er nicht offen gegenüber anderen Religionen gewesen wäre. Als Kosmopolit sah er das eh alles nicht so eng, aber er hatte ein Problem mit der Scheinheiligkeit vieler christlicher Europäer. Einerseits sich die Toilette von der mazedonischen Putzfrau saubermachen lassen oder sich zum Shoppen in einer von nubischen Tagelöhnern getragenen Sänfte schaukeln lassen, es völlig in Ordnung finden, diese Leute mit einem Mindestlohn abzufinden, wenn überhaupt, und sich noch großartig vorkommen wenn man ihnen ab und an was Altes schenkte, das man selber nicht mehr mochte ... aber wehe jemand fand den Sarotti-Mohren süß. Was für ein elender Rassist der doch war!!! Mohr sagt ma ned!!! Empörung hoch drei!!!

Grad hier am Land gab es Leut, die waren so hohl, die gäben wunderbare Orgelpfeifen ab. Einfach nebeneinander an die Empore nageln und aus. Brauchst keine Spenden mehr einsammeln. Die Katholischen ham eh gern soviel gequälte Leichen wie möglich in ihren Kirchen, do kamat's auf a paar mehr oder weniger ned drauf an, oder?

Plötzlich hörte er, wie von der Wohnung nebenan die Türe aufgeschlossen wurde. Neugierig linste er durch den Türspion, sah direkt in ein breit grinsendes Frauengesicht und fuhr erschrocken zurück. Kreizdeifi! Mußte die genau jetzt hergucken? Hatte sie ihn bemerkt? 

Noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, erscholl seine Türklingel. Ja bestens. Was sollte er jetzt tun? Die gute Frau hatte gesehen, daß jemand zuhause war, totstellen war also nicht. Im Spiegel erblickte er sein fahles Gesicht. Jetzt war guter Rat teuer.

Beherzt griff er zur Klinke und öffnete die Türe einen Spalt. 'Ja bitte?', fragte er, um Freundlichkeit bemüht. 'San Sie der neiche Nachbar?', erscholl es von draußen? Weiterhin breit grinsend winkte ihm eine gut gebaute Dame mit extrem kurzen Haaren, er schätzte sie auf Anfang 50, zu, und sprach dann weiter, ohne auf seine Antwort zu warten. Denn wie ein Handwerker sah er wirklich nicht aus.
'Ich bräucht grad amal Ihre Hilfe, kanntn Sie kurz mit ummekommen? Ich krieg den Kasten allein ned von der Wand, mir is was hinten runterg'fallen, da komm I sonst ned hin.'

Was sollte er machen? Die Dame im Treppenhaus stehen lassen? Damit hätte er sich erst recht verdächtig gemacht. Also verließ er, einen Seufzer unterdrückend, seine Wohnung um ihr hinüber in die ihrige zu folgen. Bereits beim Eingang traf ihn beinah der Schlag. Wie sah es denn hier aus? Überall standen Kisten mit wild durcheinandergeworfenem Zeug drin, Kleider, Puppen, Stoffetzen, Werkzeug ... und am Boden stapelten sich Büchertürme. Vorsichtig folgte er der Frau in eins der Zimmer, die vom Hausflur abgingen. Auch hier sah es nicht besser aus. Wild durcheinandergeworfene Kleidung und jede Menge Büchertürme bedeckten den Boden und ließen kaum mehr Platz, um die Füße dazwischenzusetzen. Man mußte sich, so wie man sich im Japangarten von Fliese zu Fliese über den Bach hangelt, hier von freiem Fleckchen zu freiem Fleckchen hangeln. 

Und der Staub! Überall lag fingerdick der Staub! Nachdem er der Frau geholfen hatte, ihren Kasten von der Wand weg und nach erfolgreichem Aufklauben des entschwundenen Schriftstücks wieder zurechtzurücken, konnte er sich nicht mehr beherrschen, denn auch unter dem Schrank hatte es ausgesehen, frage nicht.

'Vom Saubermachen halten Sie nicht gerade viel, oder? Ab und zu mal Staubwischen wäre kein Fehler!' konnte er sich einen leisen Tadel nicht verkneifen.
Lachend drehte die Nachbarin sich um: 'Ja wos moanst! Des kommt von den Zwergenbriefen.'
'Von den Zwergenbriefen???'
'Ja genau. Die san mit Zaubertintn g'schrieben, die kannst nur gaaanz kurz lesen dann verschwindet die Tintn und der gesamte Brief zerfällt zu Staub. Also wannst viel Post kriegst, dann kommst mit dem Saubermachen nimmer nach. Man hat ja auch noch was anders zum tun, oder? I bin Künstlerin, da muß ich der Inspiration folgen und ned mit dem Putzfetzn umeinanderfeudln.'

Arif fehlten die Worte. Und das kam nun wirklich extrem selten vor. Er schlug die fröhlich vorgebrachte Einladung auf eine Tasse Tee entschieden aus (wer weiß ob es in diesem Haushalt überhaupt eine saubere Tasse gab?) und schaute, daß er in seine Wohnung zurückkam.

Die spinnen, die Österreicherinnen. Sobald er seine neuen Papiere hatte, würde er sich schleunigst vom Acker machen. Am besten rief er gleich mal seinen Kontakt an um ihn dringend darum zu bitten, ihm einen tschechischen Ausweis basteln zu lassen. Dann würde er sich irgendwo hinter dem Riesengebirge verstecken und auf seinen ersten Einsatz warten. Und sehr, sehr hoffen, daß der nichts, aber auch GARNICHTS mit irgendwelchen abgedrehten Frauen aus Österreich zu tun haben würde.

Linz, 22.7.16



















Sonntag, 11. April 2021

Alles eine Frage der Ehre



'I killed the wrong man!'

Postenkommandant Huber starrte mit offenem Mund auf den Mann, der sich vor dem Schutzglas aufgebaut hatte und ihn seinerseits anblickte ohne mit der Wimper zu zucken. Hatte er richtig gehört? Der Mann hatte sich soeben des Mordes bezichtigt? Und wieso am falschen Mann? Vor allem: Was sollte er jetzt tun? Englisch war nicht seine starke Seite und mit Mördern hatte man hier in Kaumberg praktisch keine Erfahrung. Nicht einmal in St. Pölten. Gemordet wurde, wenn überhaupt, in Wien. Großstadt und so. Aber doch nicht in seinem beschaulichen kleinen Dörfchen, unterhalb der Araburg, wo die Frau des Feuerwehrhauptmannes mit Schwung die Gemeindebibliothek betrieb und ansonsten gerne und gut für das leibliche Wohl der Feuerwehrleute und auch der Polizisten sorgte, denn der Feuerwehrhauptmann war gleichzeitig der Polizeichef.

Aber ans Essen durfte Huber jetzt nicht denken, er hatte einen Mörder vor der Scheibe stehen, und er konnte nicht einmal seinen Chef rufen ... der war nämlich grad daheim ... beim Essen!

'Are you ... äh ... do you have ze Puffn, ze pistol wis you?', wagte Huber sich an die Befragung des Verdächtigen.
Ein Muskel zuckte leicht an dessen linker Wange, ansonsten blieb seine Miene unbewegt als er antwortete: 'My friend, do not fear me, I am a broken man. I killed the wrong target. I have no weapon with me now. Please arrest me, I must atone for my sin.'

Mit diesen Worten streckte er Huber seine Unterarme hin, praktisch als Aufforderung, ihm die Handschellen anzulegen.
Mit Todesverachtung wagte sich dieser aus seinem Kabuff heraus und verbrachte den Mann ordnungsgemäß in die Arrestzelle. Aber wie sollte er jetzt die Personalien in das offizielle Protokoll übernehmen? Der mutmaßliche Täter hatte den Fragebogen auf arabisch ausgefüllt!!! Und ihn danach, dieses Mal mit einem offensichtlichen Grinsen im Gesicht, durch die Gitterstäbe gereicht.
Huber konnte sich des Verdachts nicht erwehren, daß man sich über ihn lustig machte. Genervt und gestreßt begab er sich wieder auf seinen Platz und sehnte, zum ersten Mal seit seiner Zeit als Lehrling in Traiskirchen, die Rückkehr seines Vorgesetzten herbei.

Zwei Tage später im Innenministerium von Karl dem Großen. Eine Frau im edlen Kostüm und zwei Männer im Anzug an einem Besprechungstisch sitzend, in eine hitzige Debatte verwickelt.

Einer der Männer, noch immer außergewöhnlich freundlich, wandte sich erneut an die Frau: 'Schauen'S, es ist aso: Ihre private Meinung in allen Ehren, aber umbrocht is umbrocht, und des geht ned. Ned bei uns in Österreich. Daham kennan die Tschuschn mochn wos woin, oba ned bei uns, heast!'

'Ich habe Ihnen doch gerade erklärt,' echauffierte sich die Frau, 'daß es sich bei dem Getöteten um ein übelstes Subjekt gehandelt hat, der seine Frau böswillig unterdrückt und mißhandelt hat. Dafür sollen wir den Mann jetzt bestrafen? Daß er die Welt von so einem ... ach was Menschen, von so einem Monster befreit hat? Außerdem hat er sich selber gestellt, wir wären ihm doch sonst nie daufkommen. Never ever. Der Mann hat Schneid, forgive the pun, aber wie der mit dem Messer umgehen kann, ich bin begeistert! Den können wir doch an vorderster Stelle einsetzen! Was für eine Verschwendung, solch einen Mann lebenslänglich einzusperren oder ihn gar an den Feind zurückzugeben, wo man ihn lediglich zu Tode foltern wird.

Ich wiederhole hiermit meinen Antrag, diesem Mann eine neue Identität zu verschaffen und ihn dem Heeres-Nachrichtenamt zuzuführen. Spricht perfekt Englisch, Arabisch und auch Deutsch, ist bestens ausgebildet im Nahkampf, und vor allem: hervorragende Manieren! Beherrscht sogar den Handkuß.'

'Frau Magister, bei allem Verständnis, aber auch wenn ein Mörder den Handkuß beherrscht, bleibt er ein Mörder. Do foaht die Eisenbahn drüber. Sie können ihm ja einen Liebesbrief schreiben, wie dereinst die Damen dem Herrn Unterweger, aber wir können den Mann doch jetzt nicht in unsere Reihen aufnehmen, nur weil er Ihnen g'foit! Wo kamat ma denn do hin wenn a jeder seine Günstling bei uns einführn woitat!'

'Wir wollen keine überstürzten Entscheidungen treffen,' beschwichtigte der zweite Mann den Aufgebrachten. 'Lassen Sie uns die Sache einmal überschlafen, wir treffen uns morgen noch einmal, selbe Zeit, selber Ort, und ich werde mir den Burschen zwischenzeitlich einmal ansehen, warum nicht. Anschaun kost nix. Habe die Ehre, Frau Magister, Herr Kollege, auf Wiederschaun!'

Zwei Tage später in der Justizanstalt St. Pölten. Besucherraum. Arif saß stolz aufgerichtet auf seinem unbequemen Plastiksessel und sah der Anwältin fest in die Augen: 'Ich bleibe bei meiner Aussage. Ich werde meine Strafe annehmen wie ein Mann. Ich hatte das Gebäude mit der Absicht betreten, eine andere Person zu töten, es handelt sich um eine bedauerliche Verwechslung. Meine Organisation wird die Konsequenzen ziehen, ich werde mich deren Entscheidung beugen. Ich habe versagt.'

'Aber Arif! Denk doch was wir für ein aufregendes Leben zusammen hätten wenn du mein Angebot annehmen würdest! Du wärst ein romantischer Held und ich deine Marian, du wärst ein Künstler, ein Dichter, der Erschaffer eines völlig neuen Zeitalters und ich deine Muse! Arif ich bitte dich, bei allem was dir heilig ist, wirf das doch nicht einfach weg! Bedeute ich dir denn garnichts??'

'Verzeih mir Miranda, du meinst es nur gut, ich verstehe dich und ich erkenne an, wie schwer es einer starken Frau wie dir fallen muß, sich so zu erniedrigen vor einem Mann. Jedoch: My answer is no. Es ist eine Frage der Ehre.'

'Ehre, Arif? EHRE??? Deswegen wirfst du unsere Liebe und dein Leben so leichtfertig weg? Nur weil du den falschen Typen abgeknallt hast und dabei doch den richtigen erwischt hast? Ich mein, das eigentliche Opfer kann ja immer noch wer anders ... ich BEGREIFE dich einfach nicht!'

'Ein clash of cultures liebe Miranda. Bitte mach es mir und dir nicht schwerer als es unbedingt sein muß,' erwiderte der Mann und erhob sich steif aus seinem Sessel.
'Gehe nach Hause und studiere Arthur Schnitzler, vielleicht kannst du dann annähernd begreifen, warum ich so handeln muß. Leb wohl Miranda ...'

Mit diesen Worten wandte er sich ab, gab dem wachhabenden Beamten ein Zeichen und, ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er hocherhobenen Hauptes den Raum, jeder Zoll der stolze Wüstensohn, während Miranda noch lange wie erstarrt dasaß bis der Beamte sie grummelig aufforderte, die Anstalt zu verlassen, die Besuchszeit sei vorbei. Sie wußte, ihr Leben würde ab jetzt nur noch in Monochrom ablaufen, mühsam ratternd wie ein kaputter alter Film. Farblos, tonlos, freudlos.

Zwei Tage später, die Frau des Kaumberger Polizeichefs goß sich gerade ihr abendliches Glas Prosecco ein, tat ihr Mann plötzlich einen so lauten Pruster über seiner Zeitung, daß sie zusammenzuckte und eine nicht unbeträchtliche Menge des kostbaren Nasses danebengoß.

'Heast Tonerl, wos is denn? Hod's an neichn Dodn gehm? Oba des wissatn mia doch ois Ersta, oda ned?'

'Der Araber, kannst dich an den Araber erinnern mit dem unser Huber so ein G'frast g'habt hat, weil der so getan hat, als ob er kein Deutsch könnt und der Huber is bald verzweifelt mit ihm? Du der hat sich in seiner Zelle in Pöltn drüben aufg'hängt. Frag mich bloß womit. Des san schlaue Hund, die Araber,von denan kanntn mir no wos lernan ...'