Als ich mich im Internet bei dieser Schreibgruppe angemeldet hatte, klang eigentlich alles
ziemlich wunderbar. Toll, dachte ich, und das alles auf Englisch, das wird bestimmt phänomenal! Endlich mal Leute treffen, die gerne und gut Englisch sprechen und die alle ein gemeinsames Hobby haben: Schreiben!
Gut gelaunt traf ich also am Treffpunkt ein und gesellte mich zu den bereits dasitzenden Mädels.
Die mich komplett ignorierten.
Mein leise vorgebrachtes: ‘Seids ihr die Schreibgruppe?’ wurde von der mir am nächsten sitzenden Person mit einem kurzen ‘Ja’ beantwortet und schon befand sie sich wieder im Gespräch mit den anderen.
Toll. Genau meine Lieblingssituation: Du stößt zu einer Gruppe Leute hinzu die sich alle schon kennen - und wirst komplett ignoriert.
Scheißgefühl.
Ich besann mich auf den Grund, weswegen wir uns hier versammelt hatten, zog Block und Stift aus der Tasche und begann zu schreiben. Den Anfang einer Geschichte, die mir schon länger im Kopf herumgeistert. Um mich herum verebbten langsam die Gespräche und bald war nur noch das Klappern der Tastaturen zu hören.
Eigentlich hätte ich ja nun zufrieden sein können, jedoch fühlte ich mich minütlich unwohler und aufs Klo mußte ich auch. Als ich es wirklich nicht mehr aushielt, steckte ich meine Schreibutensilien ein, packte meinen Rucksack und, um die Konzentration der schreibenden Elite nicht zu stören, verschwand ohne mich zu verabschieden, rannte heulend durch den Bahnhof und fühlte mich mal wieder wie das einsamste Wesen auf der ganzen Welt.
Um mich herum hetzten die Leute vom Zug, zum Zug und um die Züge herum, ich wollte eigentlich nur auf die Toilette … und dann ab auf den Friedhof. RUHE! Einfach nur Ruhe.
Aber die hat man ja heutzutage nicht einmal mehr am Friedhof. Zuerst stakte Frau Hammer vorbei mit ihren saublöden Nordic-Walking-Stöcken: Klack, klack, klack, klack … wie soll man sich denn da auf seine Geschichte konzentrieren???
Kaum war sie weg, kam sie auf einem anderen Weg wieder zurück: Klack, klack, klack, klack … daß denen das nicht selber am Nerv geht? Keine drei Zeilen hatte ich geschrieben, da dröhnte ein orangefarbenes Auto daher, blieb GENAU vor ‘meiner’ Bank stehen, stank und lärmte, ein Mitarbeiter sprang heraus und spritzte etwas Undefinierbares unter die Bank neben mir. Da blieb nur noch die Flucht.
Im vorderen Teil des Friedhofs waren alle Bänke besetzt, es war Mittagszeit und die Menschen aus den umliegenden Kliniken und Büros verbrachten gerne ihre Mittagspause hier, was es für mich nicht leichter machte, endlich mal einen ruhigen Winkel zu finden. Kaum hatte ich mich erneut niedergelassen, kam ein Pudel dahergelaufen und begann wie wild auf mich einzubellen.
‘Heast Oida, schleich di!’ keppelte ich ihn an, ich wollte endlich meine RUHE haben und hielt genervt nach dem Frauchen (oder Herrchen) Ausschau. Jedoch, es zeigte sich niemand, dem der Hund zugehörig zu sein schien. Hm. Die Töle hörte nicht und nicht das Kläffen auf, tanzte unruhig auf und ab, und hockte ich schlußendlich auf die Hinterpfoten und schaute mich treuherzig an.
‘Wos wüst, I hob ka Wurstsemmerl oiso geh in Oasch!’ herrschte ich das dumme Vieh an, das jedoch keinerlei Anstalten machte, dieser herzlichen Aufforderung Folge zu leisten, stattdessen machte es sich neben der Bank bequem und schaute mich mit dunklen, rätselhaften Augen an, fast schien es mir, als ob er grinste. Nun, nachdem die Wahrscheinlichkeit, daß er mich fressen wollte, relativ gering war und ich auch echt keine Lust hatte, erneut auf die Suche nach einer freien Bank zu gehen, rutschte ich ans andere Ende der meinigen, weg vom Hund, und schrieb weiter an meinem Text: ‘The sun had just come out, the birds were singing their heids off, and Earl Nicolaus’ shoes were making a crunching noise while he was walking all over them on the way to his nasty little car.’
‘Hrrrrrrrmphhh’ ertönte es hinter mir, ich fuhr auf wie von der Tarantel gestochen: ‘Waaaaah!’, drehte mich um und sah einen seltsam gewandeten Mann grinsend hinter meiner Bank stehen. Ich starrte ihn mit offenem Mund an, er umrundete die Bank, nahm vor mir Aufstellung, verbeugte sich wie beim Elmayer und sprach: ‘In Anbetracht der Textausschnitte, sei sie in unserm Bund die dritte?’
‘Häwas?’ antwortete ich intelligent.
‘Die Vögel’, erklärte er. ‘Es geht um die Vögel. Wir haben bereits eine sehr grausliche Adaption des Aristophanes geliefert, ebenso Kollege Hitchcock, ebenfalls ein veritabler Frauenverächter wenn ich dazu etwas sagen darf, wußte sich des Themas elegant anzunehmen und nun Sie, meine Verehrteste. Singing their heids off, köstlich, köstlich …’
‘Ist das Ihr Hund?’ fiel mir dazu nur ein - er verneinte lächelnd und meinte: ‘Aber wir kennen uns, schon ziemlich lange, nicht wahr, Stoffi?’ ‘Wuff’ machte Stoffi und lechzte ihn freudig an.
Irgendwie kam mir der Kerl bekannt vor, aber erstens einmal stand er so, daß ich gegen die Sonne gucken mußte wenn ich in seine Richtung sah, und zweitens ist mein Gedächtnis sowieso nicht das beste wie jeder weiß der mich kennt.
‘Nun’, hub er wieder an zu sprechen ‘darf ich es vielleicht wagen, dem Fräulein meine Gesellschaft anzutragen?’ Ich blinzelte verwirrt zu ihm auf und nun durchfuhr es mich wie ein Blitz: Der Mann der da vor mir stand war kein anderer als Freiherr von Goethe! Aber der lag doch in Weimar begraben hätt ich gedacht? Was macht der jetzt da am Münchner Südfriedhof?
‘Bin weder Fräulein noch allein, doch mag er bleiben mit Bedingnis, mir die Zeit durch seine Künste würdig zu vertreiben,’ grinste ich boshaft und zwinkerte dem Pudel zu.
‘’Ah,’ meinte Goethe, da ist jetzt aber was ein bissl durcheinander, aber wenn Madame gestatten, dann bin ich so frei …’ und schwupps saß er neben mir auf der Bank. Meine Nerven, dachte ich, das wenn ich in der Klinik erzähle dann komm ich um die Zwangsjacke nicht rum. Aber die Neugier trieb mich sogleich zur nächsten Frage: ‘Und wieso seid Ihr jetzt hier? Ich dachte Ihr wohnt in Weimar? Und wie war das jetzt damals mit dem Fenster?’
‘Welches Fenster?’ fragte der Geheimrat verwirrt.
‘Na das Fenster im Gartenhaus, nachdem Ihr von Italien zurückgekehrt seid. Das ihr habt zumauern lassen.’
‘Nun, zunächst, wir können uns durchaus normal unterhalten, also mit Sie anreden, ich bin ja nun doch schon eine Weile tot und schau mir immer wieder gerne das Leben und Treiben an, da gewöhnt man sich rasch um … ja das Fenster, naja, die Vulpius hat es gestört, daß es ihr immer so im Rücken zieht wenn sie mir Modell gestanden ist, also hab ich es zumauern lassen, schließlich bin ich Kavalier.’
‘Naja, da hab ich was anderes gehört, aber a propos Vögel … wissen Sie, daß Sie und Hitchcock dieses Monat bei einer Umfrage, wer der Dichter des Monats sei, genau gleich viele Stimmen erzielt haben?’
‘Nein!’
‘Doch!’
‘Ooohh!!! Und was für eine Umfrage wenn ich fragen darf?
‘Naja, auf einem Erotikportal. Im Internet. Wenn Sie davon schonmal was gehört …’
‘Ich bin doch nicht von vorgestern!’ unterbrach mich der Freiherr empört, ‘Natürlich habe ich schon vom Internet gehört, das ist ja überall. Aber ein Erotikportal, wie darf ich mir das vorstellen? Ein Torbogen, unter dem die willigen Damen sich zum Stelldichein mit den Herren verabreden?’
‘Nicht ganz. Die Menschen suchen sich ja ihre Sexpartner heutzutage im Internet und zu diesem Zweck gibt es dort sogenannte Portale, wo man Kontaktanzeigen aufgeben oder sich sonstwie finden und verabreden kann.’
‘Also praktisch ein virtueller Torbogen, wie charmant! Und dort werden Umfragen gemacht? Um ins Gespräch zu kommen?’
‘Oder auch einfach so, zur Unterhaltung, damit es nicht immer NUR um Sex geht.’
‘Und warum,’ fragte der Geheimrat eitel, ‘hat man mich dann zusammen mit Herrn Hitchcock an die Spitze gewählt? Denn ich nehme einmal an, daß wir gemeinsam an der Spitze liegen. Schließlich habe ich mit dem Manne nichts gemeinsam, auch habe ich niemals eine Frau gefoltert und gequält, stets war mein ganzes Trachten, sie untertänigst anzuschmachten …’
‘Naja Herr Goethe, nichts für ungut aber auch da hab ich was anderes gehört … und warum die Leute ausgerechnet Sie beide … es wird am Ende doch wieder alles mit dem Vögeln …’
‘Den Vögeln, Verehrteste, den Vögeln.’ berichtigte mich der Geheimrat eilig, ‘wir wollen jetzt nicht in vulgäre Ungereimtheiten …’
Errötend saß ich neben ihm und spielte mit meinem Füller. Nun hatte ich schon einmal einen echten Superstar leibhaftig neben mir sitzen und mir fiel NICHTS ein, was ich ihn fragen könnte. Nicht, daß er meine bisherigen Fragen oder Andeutungen auch nur in halbwegs befriedigender Form beantwortet hätte, aber dennoch.
‘Sagen Sie,’ ergriff er nun wieder das Wort, ‘dieser Torbogen im Internet, könnte ich dort wohl auch ein Rendez-vous bekommen? Es ist nun doch schon eine ganze Weile her, daß ich mit einer Frau ein Tête-à-Tête hatte.’
‘Ich glaube eher nicht,’ erwiderte ich grinsend, ‘man muß sich ja registrieren, und ich kann mir nicht vorstellen, daß die Moderatoren eine Adresse wie ‘Historischer Friedhof Weimar, Fürstengruft’ als Adresse akzeptieren würden.’
‘Ah, nein. Verstehe. Und wenn Sie dort für mich ein Wort einlegen würden, sozusagen eine Empfehlung aussprächen?’
‘Sehr verehrter Herr Geheimrat, im Internet funktioniert das so nicht wie bei Ihnen damals, da braucht man einen gültigen Wohnsitz, eine Kreditkarte und am besten auch noch ein Mobiltelefon! Und ich glaub, das haben Sie alles nicht. Was ich mich eh die ganze Zeit schon frage: Wie machen Sie das mit dem Körper? Ectoplasma ist das doch sicher keins, das wäre doch viel zu anstrengend, so lange Zeit … woher haben Sie den Körper? Der schaut täuschend echt aus!’
Mein Geheimrat räusperte sich und sah auf seine Armbanduhr. Armbanduhr? Ein Geist mit Armbanduhr???
‘Verehrteste, Sie sagen es, ich bin schon wieder viel zu lange unterwegs, es wird Zeit, mich in meine Gruft zurückzuziehen … es hat mich sehr gefreut, Sie getroffen zu haben, wollen gnädige Frau mir vielleicht ihre Mobiltelefonnummer nennen, im Fall daß ich noch Fragen habe zu irgendwelchen neumodischen Torbögen oder ähnlich verwirrenden Sujets?’
Ich schrieb ihm meine Nummer auf einen Zettel, obwohl ich mich dabei fragte, wie er telefonieren wollte, aus seiner Gruft heraus, wo er sicher keinen Empfang hatte, aber gut, man wußte ja nie, und irgendwoher hatte er ja wohl doch immer wieder einen Körper … woher auch immer.
Der Geheimrat verabschiedete sich mit einer perfekten Verbeugung und einem angedeuteten Handkuß, drehte sich elegant auf dem Absatz um, pfiff nach dem Hund ‘Stoffi, bei Fuß!’ und schritt leichtfüßig von dannen.
Als ich wenig später den Friedhof durch den Nordausgang verließ, sah ich die Plakate am Stephansplatz hängen:
Großes Dichterfest im Gärtnerplatzviertel! Historisches Gewand erwünscht!
Jeder Dichterfürst mit Perücke bekommt ein Glas Wein gratis!